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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
wirksamen National-Sympathien und Antipathien, Verwandtschaften und
Scheidewände" verschwanden ihm daneben. Mittlerweile gerieth er in
Händel mit dem Gemeinderathe, weil dieser eine Bürgerwache zur Ver-
hinderung von Volksversammlungen errichtet hatte, und als nun auch die
Studenten wieder allerhand Straßenunfug verübten, da meinte die Re-
gierung, dies Nest des Aufruhrs an der Dreisam ausheben zu müssen.
In ihrer Angst ging sie noch weit über die Forderungen des Bundestags
hinaus. Die Universität Freiburg wurde geschlossen und dann mit ver-
änderter Verfassung neu eröffnet. Rotteck und Welcker erhielten den Ab-
schied mit Ruhegehalt, Duttlinger entging dem gleichen Schicksal nur weil
man ihn auf dem Lehrstuhle nicht entbehren konnte. Es war nicht blos
ein schweres Unrecht wider ehrenhafte Gegner, die sich allen geheimen
Umtrieben stets fern gehalten hatten, sondern auch eine politische Thorheit;
denn die Wirksamkeit der Beiden als Lehrer reichte nicht sehr weit, durch
die Absetzung gab man ihnen außer dem Ruhme der Märtyrer auch die
Muße sich ganz dem Parteileben zu widmen. Durch mannichfache Huldi-
gungen suchten die Gesinnungsgenossen den Abgesetzten Trost zu geben.
Welcker, der sich bis zuletzt durch umfängliche Vertheidigungsschriften tapfer
wehrte, wurde in Gießen von seinen Landsleuten mit einem großen Fest-
mahle geehrt. Rotteck erhielt aus verschiedenen Gegenden des constitutio-
nellen Deutschlands neue Ehrenbecher zugesendet; deren Zahl stieg all-
mählich auf zwölf, so daß die Badener sich bewogen fanden ihrem Helden
noch einen kostbaren Kasten zur Aufbewahrung der Spenden zu schenken;
wenn er diese Schätze betrachtete, dann sagte er stolz: welcher Minister
hat wohl so schöne Orden?

Trotzdem reichte die Unzufriedenheit nicht über enge Kreise hinaus.
Der Zorn über die halb mögliche halb eingebildete Gefährlichkeit der Sechs
Artikel mußte dem Volke unverständlich bleiben, obgleich Rotteck, "der Baure-
held" bei den Massen in hohem Ansehen stand. Als der Großherzog mit
Reizenstein im Herbst den Breisgau besuchte, fand er seine Oberländer
ganz glücklich: Spelz und Trauben waren gut gerathen. Der greise
Minister glaubte fest, durch heilsame Strenge dem Staate einen Dienst
erwiesen zu haben und nahm den Dank des Berliner Hofes befriedigt an.
Er betrachtete die Lage als Diplomat; er sah sein Land fast waffenlos,
ohne Festung, durch die gallische Habgier unmittelbar bedroht. Darum
wünschte er, wie er dem preußischen Gesandten sagte, entweder einen wirk-
lichen Frieden oder, wenn es sein müsse, einen raschen, zermalmenden
Angriffskrieg, und für beide Fälle war Preußens Freundschaft unent-
behrlich.*)

Dergestalt war auch in Baden die Bewegung ins Stocken gerathen,

*) Otterstedt's Berichte, 12. Oct., 24. Nov.; Ancillon, Weisung an Otterstedt,
20. Sept. 1832.

IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
wirkſamen National-Sympathien und Antipathien, Verwandtſchaften und
Scheidewände“ verſchwanden ihm daneben. Mittlerweile gerieth er in
Händel mit dem Gemeinderathe, weil dieſer eine Bürgerwache zur Ver-
hinderung von Volksverſammlungen errichtet hatte, und als nun auch die
Studenten wieder allerhand Straßenunfug verübten, da meinte die Re-
gierung, dies Neſt des Aufruhrs an der Dreiſam ausheben zu müſſen.
In ihrer Angſt ging ſie noch weit über die Forderungen des Bundestags
hinaus. Die Univerſität Freiburg wurde geſchloſſen und dann mit ver-
änderter Verfaſſung neu eröffnet. Rotteck und Welcker erhielten den Ab-
ſchied mit Ruhegehalt, Duttlinger entging dem gleichen Schickſal nur weil
man ihn auf dem Lehrſtuhle nicht entbehren konnte. Es war nicht blos
ein ſchweres Unrecht wider ehrenhafte Gegner, die ſich allen geheimen
Umtrieben ſtets fern gehalten hatten, ſondern auch eine politiſche Thorheit;
denn die Wirkſamkeit der Beiden als Lehrer reichte nicht ſehr weit, durch
die Abſetzung gab man ihnen außer dem Ruhme der Märtyrer auch die
Muße ſich ganz dem Parteileben zu widmen. Durch mannichfache Huldi-
gungen ſuchten die Geſinnungsgenoſſen den Abgeſetzten Troſt zu geben.
Welcker, der ſich bis zuletzt durch umfängliche Vertheidigungsſchriften tapfer
wehrte, wurde in Gießen von ſeinen Landsleuten mit einem großen Feſt-
mahle geehrt. Rotteck erhielt aus verſchiedenen Gegenden des conſtitutio-
nellen Deutſchlands neue Ehrenbecher zugeſendet; deren Zahl ſtieg all-
mählich auf zwölf, ſo daß die Badener ſich bewogen fanden ihrem Helden
noch einen koſtbaren Kaſten zur Aufbewahrung der Spenden zu ſchenken;
wenn er dieſe Schätze betrachtete, dann ſagte er ſtolz: welcher Miniſter
hat wohl ſo ſchöne Orden?

Trotzdem reichte die Unzufriedenheit nicht über enge Kreiſe hinaus.
Der Zorn über die halb mögliche halb eingebildete Gefährlichkeit der Sechs
Artikel mußte dem Volke unverſtändlich bleiben, obgleich Rotteck, „der Baure-
held“ bei den Maſſen in hohem Anſehen ſtand. Als der Großherzog mit
Reizenſtein im Herbſt den Breisgau beſuchte, fand er ſeine Oberländer
ganz glücklich: Spelz und Trauben waren gut gerathen. Der greiſe
Miniſter glaubte feſt, durch heilſame Strenge dem Staate einen Dienſt
erwieſen zu haben und nahm den Dank des Berliner Hofes befriedigt an.
Er betrachtete die Lage als Diplomat; er ſah ſein Land faſt waffenlos,
ohne Feſtung, durch die galliſche Habgier unmittelbar bedroht. Darum
wünſchte er, wie er dem preußiſchen Geſandten ſagte, entweder einen wirk-
lichen Frieden oder, wenn es ſein müſſe, einen raſchen, zermalmenden
Angriffskrieg, und für beide Fälle war Preußens Freundſchaft unent-
behrlich.*)

Dergeſtalt war auch in Baden die Bewegung ins Stocken gerathen,

*) Otterſtedt’s Berichte, 12. Oct., 24. Nov.; Ancillon, Weiſung an Otterſtedt,
20. Sept. 1832.
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[282/0296] IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten. wirkſamen National-Sympathien und Antipathien, Verwandtſchaften und Scheidewände“ verſchwanden ihm daneben. Mittlerweile gerieth er in Händel mit dem Gemeinderathe, weil dieſer eine Bürgerwache zur Ver- hinderung von Volksverſammlungen errichtet hatte, und als nun auch die Studenten wieder allerhand Straßenunfug verübten, da meinte die Re- gierung, dies Neſt des Aufruhrs an der Dreiſam ausheben zu müſſen. In ihrer Angſt ging ſie noch weit über die Forderungen des Bundestags hinaus. Die Univerſität Freiburg wurde geſchloſſen und dann mit ver- änderter Verfaſſung neu eröffnet. Rotteck und Welcker erhielten den Ab- ſchied mit Ruhegehalt, Duttlinger entging dem gleichen Schickſal nur weil man ihn auf dem Lehrſtuhle nicht entbehren konnte. Es war nicht blos ein ſchweres Unrecht wider ehrenhafte Gegner, die ſich allen geheimen Umtrieben ſtets fern gehalten hatten, ſondern auch eine politiſche Thorheit; denn die Wirkſamkeit der Beiden als Lehrer reichte nicht ſehr weit, durch die Abſetzung gab man ihnen außer dem Ruhme der Märtyrer auch die Muße ſich ganz dem Parteileben zu widmen. Durch mannichfache Huldi- gungen ſuchten die Geſinnungsgenoſſen den Abgeſetzten Troſt zu geben. Welcker, der ſich bis zuletzt durch umfängliche Vertheidigungsſchriften tapfer wehrte, wurde in Gießen von ſeinen Landsleuten mit einem großen Feſt- mahle geehrt. Rotteck erhielt aus verſchiedenen Gegenden des conſtitutio- nellen Deutſchlands neue Ehrenbecher zugeſendet; deren Zahl ſtieg all- mählich auf zwölf, ſo daß die Badener ſich bewogen fanden ihrem Helden noch einen koſtbaren Kaſten zur Aufbewahrung der Spenden zu ſchenken; wenn er dieſe Schätze betrachtete, dann ſagte er ſtolz: welcher Miniſter hat wohl ſo ſchöne Orden? Trotzdem reichte die Unzufriedenheit nicht über enge Kreiſe hinaus. Der Zorn über die halb mögliche halb eingebildete Gefährlichkeit der Sechs Artikel mußte dem Volke unverſtändlich bleiben, obgleich Rotteck, „der Baure- held“ bei den Maſſen in hohem Anſehen ſtand. Als der Großherzog mit Reizenſtein im Herbſt den Breisgau beſuchte, fand er ſeine Oberländer ganz glücklich: Spelz und Trauben waren gut gerathen. Der greiſe Miniſter glaubte feſt, durch heilſame Strenge dem Staate einen Dienſt erwieſen zu haben und nahm den Dank des Berliner Hofes befriedigt an. Er betrachtete die Lage als Diplomat; er ſah ſein Land faſt waffenlos, ohne Feſtung, durch die galliſche Habgier unmittelbar bedroht. Darum wünſchte er, wie er dem preußiſchen Geſandten ſagte, entweder einen wirk- lichen Frieden oder, wenn es ſein müſſe, einen raſchen, zermalmenden Angriffskrieg, und für beide Fälle war Preußens Freundſchaft unent- behrlich. *) Dergeſtalt war auch in Baden die Bewegung ins Stocken gerathen, *) Otterſtedt’s Berichte, 12. Oct., 24. Nov.; Ancillon, Weiſung an Otterſtedt, 20. Sept. 1832.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/296>, abgerufen am 24.11.2024.