mann, der einst bei der Begründung des Großherzogthums und seiner Verfassung so erfolgreich mitgewirkt hatte. Der kräftige alte Herr, dessen Verfassungstreue außer Zweifel stand, war über Rotteck's Reden empört; er fand, daß der vielgerühmte "unvergeßliche und unübertreffliche Landtag" seine Rechte frevelhaft mißbraucht habe, und versicherte dem preußischen Gesandten, zu Ancillon's lebhafter Genugthuung: "ich werde nicht ruhen bis der Zügellosigkeit Grenzen gesetzt sind."*)
Nur zu der vollständigen Aufhebung des Preßgesetzes mochte der Großherzog sich nicht entschließen. Eine so herrische Zumuthung war bis- her noch keinem Bundesfürsten gestellt worden; zudem fürchtete Leopold, wenn er gehorche, sich das Vertrauen seines Volkes zu verscherzen. Er schwankte lange. Die badischen Liberalen erzählten einander zuversichtlich, daß er in seiner Noth den französischen Nachbarn heimlich um Hilfe ge- beten habe, und -- so gründlich war hier das nationale Selbstgefühl zerstört -- sie rechneten ihm dies Hilfegesuch zur Ehre an. In Wahrheit hat der patriotische Fürst an solchen Landesverrath nie gedacht. Am Bundestage aber ließ er seine Ansicht mehrere Monate hindurch hart- näckig vertheidigen. Blittersdorff, der im Grunde des Herzens das liberale Gesetz selber verwünschte, mußte alle seine sophistischen Künste aufbieten, um immer wieder zu beweisen: Baden erkenne das Bundespreßgesetz, das die Censur vorschrieb, als rechtsverbindlich an und sei gleichwohl befugt, durch sein eigenes Preßgesetz die Censur aufzuheben.**) Kein einziger der Bundes- gesandten stimmte dem Badener bei. Das formale Recht war zu klar, und als der Bundestag auf seiner Forderung beharrte, mußte die Karls- ruher Regierung endlich am 28. Juli die Censur wieder einführen. Schlag auf Schlag folgten nun die Unterdrückung der vom Bundestage bereits verbotenen liberalen Blätter und zahlreiche Untersuchungen gegen die Redner der Volksversammlungen. Noch nicht zufrieden mit Alledem, ver- langte der Bundestag im September auch die Bestrafung der akademischen Lehrer, welche den unterdrückten "Freisinnigen" herausgegeben hatten.
In Freiburg wurden die Sechs Artikel mit unbeschreiblicher Ent- rüstung aufgenommen. Rotteck legte ihnen einen verbrecherischen Sinn unter, den sie durchaus nicht hatten; er veranstaltete sofort eine Adresse dawider und sagte mit bitterem Hohne: diese Bundesbeschlüsse vom 28. Juni würden für alle wohlgesinnten Bürger ein unendlich wirksameres Vereinigungszeichen bilden als die geächteten drei Farben. In dem Fana- tismus seines Vernunftrechts war er bereits so weit gelangt, daß er in Europa nur noch die zwei Völker der Freien und der Knechte bemerken wollte; "fast alle die alten, meist nur noch bei der gedankenlosen Masse
*) Otterstedt's Berichte, 26. Mai, 21. Juni; Ancillon, Weisung an Otterstedt, 10. Juni 1832.
**) Nagler's Berichte, 23. Mai 1832 ff.
Aufhebung des badiſchen Preßgeſetzes.
mann, der einſt bei der Begründung des Großherzogthums und ſeiner Verfaſſung ſo erfolgreich mitgewirkt hatte. Der kräftige alte Herr, deſſen Verfaſſungstreue außer Zweifel ſtand, war über Rotteck’s Reden empört; er fand, daß der vielgerühmte „unvergeßliche und unübertreffliche Landtag“ ſeine Rechte frevelhaft mißbraucht habe, und verſicherte dem preußiſchen Geſandten, zu Ancillon’s lebhafter Genugthuung: „ich werde nicht ruhen bis der Zügelloſigkeit Grenzen geſetzt ſind.“*)
Nur zu der vollſtändigen Aufhebung des Preßgeſetzes mochte der Großherzog ſich nicht entſchließen. Eine ſo herriſche Zumuthung war bis- her noch keinem Bundesfürſten geſtellt worden; zudem fürchtete Leopold, wenn er gehorche, ſich das Vertrauen ſeines Volkes zu verſcherzen. Er ſchwankte lange. Die badiſchen Liberalen erzählten einander zuverſichtlich, daß er in ſeiner Noth den franzöſiſchen Nachbarn heimlich um Hilfe ge- beten habe, und — ſo gründlich war hier das nationale Selbſtgefühl zerſtört — ſie rechneten ihm dies Hilfegeſuch zur Ehre an. In Wahrheit hat der patriotiſche Fürſt an ſolchen Landesverrath nie gedacht. Am Bundestage aber ließ er ſeine Anſicht mehrere Monate hindurch hart- näckig vertheidigen. Blittersdorff, der im Grunde des Herzens das liberale Geſetz ſelber verwünſchte, mußte alle ſeine ſophiſtiſchen Künſte aufbieten, um immer wieder zu beweiſen: Baden erkenne das Bundespreßgeſetz, das die Cenſur vorſchrieb, als rechtsverbindlich an und ſei gleichwohl befugt, durch ſein eigenes Preßgeſetz die Cenſur aufzuheben.**) Kein einziger der Bundes- geſandten ſtimmte dem Badener bei. Das formale Recht war zu klar, und als der Bundestag auf ſeiner Forderung beharrte, mußte die Karls- ruher Regierung endlich am 28. Juli die Cenſur wieder einführen. Schlag auf Schlag folgten nun die Unterdrückung der vom Bundestage bereits verbotenen liberalen Blätter und zahlreiche Unterſuchungen gegen die Redner der Volksverſammlungen. Noch nicht zufrieden mit Alledem, ver- langte der Bundestag im September auch die Beſtrafung der akademiſchen Lehrer, welche den unterdrückten „Freiſinnigen“ herausgegeben hatten.
In Freiburg wurden die Sechs Artikel mit unbeſchreiblicher Ent- rüſtung aufgenommen. Rotteck legte ihnen einen verbrecheriſchen Sinn unter, den ſie durchaus nicht hatten; er veranſtaltete ſofort eine Adreſſe dawider und ſagte mit bitterem Hohne: dieſe Bundesbeſchlüſſe vom 28. Juni würden für alle wohlgeſinnten Bürger ein unendlich wirkſameres Vereinigungszeichen bilden als die geächteten drei Farben. In dem Fana- tismus ſeines Vernunftrechts war er bereits ſo weit gelangt, daß er in Europa nur noch die zwei Völker der Freien und der Knechte bemerken wollte; „faſt alle die alten, meiſt nur noch bei der gedankenloſen Maſſe
*) Otterſtedt’s Berichte, 26. Mai, 21. Juni; Ancillon, Weiſung an Otterſtedt, 10. Juni 1832.
**) Nagler’s Berichte, 23. Mai 1832 ff.
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Aufhebung des badiſchen Preßgeſetzes.
mann, der einſt bei der Begründung des Großherzogthums und ſeiner
Verfaſſung ſo erfolgreich mitgewirkt hatte. Der kräftige alte Herr, deſſen
Verfaſſungstreue außer Zweifel ſtand, war über Rotteck’s Reden empört;
er fand, daß der vielgerühmte „unvergeßliche und unübertreffliche Landtag“
ſeine Rechte frevelhaft mißbraucht habe, und verſicherte dem preußiſchen
Geſandten, zu Ancillon’s lebhafter Genugthuung: „ich werde nicht ruhen
bis der Zügelloſigkeit Grenzen geſetzt ſind.“ *)
Nur zu der vollſtändigen Aufhebung des Preßgeſetzes mochte der
Großherzog ſich nicht entſchließen. Eine ſo herriſche Zumuthung war bis-
her noch keinem Bundesfürſten geſtellt worden; zudem fürchtete Leopold,
wenn er gehorche, ſich das Vertrauen ſeines Volkes zu verſcherzen. Er
ſchwankte lange. Die badiſchen Liberalen erzählten einander zuverſichtlich,
daß er in ſeiner Noth den franzöſiſchen Nachbarn heimlich um Hilfe ge-
beten habe, und — ſo gründlich war hier das nationale Selbſtgefühl
zerſtört — ſie rechneten ihm dies Hilfegeſuch zur Ehre an. In Wahrheit
hat der patriotiſche Fürſt an ſolchen Landesverrath nie gedacht. Am
Bundestage aber ließ er ſeine Anſicht mehrere Monate hindurch hart-
näckig vertheidigen. Blittersdorff, der im Grunde des Herzens das liberale
Geſetz ſelber verwünſchte, mußte alle ſeine ſophiſtiſchen Künſte aufbieten, um
immer wieder zu beweiſen: Baden erkenne das Bundespreßgeſetz, das die
Cenſur vorſchrieb, als rechtsverbindlich an und ſei gleichwohl befugt, durch
ſein eigenes Preßgeſetz die Cenſur aufzuheben. **) Kein einziger der Bundes-
geſandten ſtimmte dem Badener bei. Das formale Recht war zu klar,
und als der Bundestag auf ſeiner Forderung beharrte, mußte die Karls-
ruher Regierung endlich am 28. Juli die Cenſur wieder einführen. Schlag
auf Schlag folgten nun die Unterdrückung der vom Bundestage bereits
verbotenen liberalen Blätter und zahlreiche Unterſuchungen gegen die
Redner der Volksverſammlungen. Noch nicht zufrieden mit Alledem, ver-
langte der Bundestag im September auch die Beſtrafung der akademiſchen
Lehrer, welche den unterdrückten „Freiſinnigen“ herausgegeben hatten.
In Freiburg wurden die Sechs Artikel mit unbeſchreiblicher Ent-
rüſtung aufgenommen. Rotteck legte ihnen einen verbrecheriſchen Sinn
unter, den ſie durchaus nicht hatten; er veranſtaltete ſofort eine Adreſſe
dawider und ſagte mit bitterem Hohne: dieſe Bundesbeſchlüſſe vom 28.
Juni würden für alle wohlgeſinnten Bürger ein unendlich wirkſameres
Vereinigungszeichen bilden als die geächteten drei Farben. In dem Fana-
tismus ſeines Vernunftrechts war er bereits ſo weit gelangt, daß er in
Europa nur noch die zwei Völker der Freien und der Knechte bemerken
wollte; „faſt alle die alten, meiſt nur noch bei der gedankenloſen Maſſe
*) Otterſtedt’s Berichte, 26. Mai, 21. Juni; Ancillon, Weiſung an Otterſtedt,
10. Juni 1832.
**) Nagler’s Berichte, 23. Mai 1832 ff.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/295>, abgerufen am 24.11.2024.
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