nisse der "mit starken Schritten ihrer Reife entgegengehenden" deutschen Revolution geschildert hatte, nahm der Bundestag sofort, am 28. Juni 1832 die Sechs Artikel einstimmig an, nur mit dem einen durch Baiern bean- tragten Zusatze, daß die Bundescommission zur Ueberwachung der Land- tage vorläufig blos für sechs Jahre eingesetzt werden sollte.
Am 5. Juli folgte sodann eine mächtige Sturzwelle außerordentlicher Sicherheitsmaßregeln, die großentheils auch schon in Wien verabredet waren. Alle politischen Vereine wurden verboten, desgleichen alle Volksversamm- lungen und Volksfeste ohne besondere Erlaubniß, ebenso die Freiheitsbäume und die deutschen Kokarden. Zugleich wurden die Gesetze über die Uni- versitäten wieder in Erinnerung gebracht, die Regierungen zu strenger Handhabung der Polizei ermahnt, der badische Hof endlich aufgefordert, binnen vierzehn Tagen sein bundeswidriges Preßgesetz außer Kraft zu setzen. In den nächsten Wochen verbot der Bundestag, auf Grund des Karls- bader Preßgesetzes, den Wächter am Rhein, den Freisinnigen, Rotteck's Annalen, Mebold's Deutsche Allgemeine Zeitung, nachher die Biene des sächsischen Bienenvaters und so weiter, bis schließlich nahezu alle ent- schiedenen Oppositionsblätter vernichtet waren. Den namhaftesten Publi- cisten der süddeutschen Liberalen, Wirth, Siebenpfeiffer, Rotteck, Stromeyer, Mebold und Anderen ward untersagt, binnen der nächsten fünf Jahre eine Zeitschrift herauszugeben.
Die Karlsbader Schreckenstage schienen wiederzukehren, und stärker noch als damals war die Erbitterung in den gebildeten Klassen. Nun hatte auch Deutschland seine Juni-Ordonnanzen! -- so hieß es überall. Die liberale Presse des Südens benutzte die kurze ihr noch vergönnte Galgenfrist, um die volle Schale ihrer Entrüstung über den Bundestag und die beiden Großmächte auszuschütten. Die deutschen Kleinstaaten -- so rief der Freisinnige -- sind Knechte der Knechte; "verwischt für immer ist jede achtungsvolle Erinnerung an Oesterreichs Erhebung im Jahre 1809 und an jene Preußens im Jahre 1813." Auch jene gemäßigten nord- deutschen Liberalen, welche das lärmende Treiben der Pfälzer entschieden mißbilligten, erschraken über die Härte der hereinbrechenden Reaktion; Dahlmann meinte traurig: "es schwebt einmal ein Unglücksstern über Allem was deutsch ist."
Unleugbar war die Ruhe Deutschlands diesmal weit ernstlicher bedroht als in den Zeiten der burschenschaftlichen Bewegung; der Bund hatte bessere Gründe zum Einschreiten und ging auch nicht, wie damals, über die Schranken des formalen Rechtes hinaus. Die Sechs Artikel waren kein Ausnahmegesetz, wie die Liberalen behaupteten, sie enthielten im Wesentlichen nur die authentische Interpretation bestehender Bundes- gesetze. Wurden sie gerecht und verständig angewendet, so widersprachen sie auch nicht den Landesverfassungen, denn kein deutsches Staatsgrund- gesetz -- mit der einzigen Ausnahme des neuen kurhessischen -- gewährte
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
niſſe der „mit ſtarken Schritten ihrer Reife entgegengehenden“ deutſchen Revolution geſchildert hatte, nahm der Bundestag ſofort, am 28. Juni 1832 die Sechs Artikel einſtimmig an, nur mit dem einen durch Baiern bean- tragten Zuſatze, daß die Bundescommiſſion zur Ueberwachung der Land- tage vorläufig blos für ſechs Jahre eingeſetzt werden ſollte.
Am 5. Juli folgte ſodann eine mächtige Sturzwelle außerordentlicher Sicherheitsmaßregeln, die großentheils auch ſchon in Wien verabredet waren. Alle politiſchen Vereine wurden verboten, desgleichen alle Volksverſamm- lungen und Volksfeſte ohne beſondere Erlaubniß, ebenſo die Freiheitsbäume und die deutſchen Kokarden. Zugleich wurden die Geſetze über die Uni- verſitäten wieder in Erinnerung gebracht, die Regierungen zu ſtrenger Handhabung der Polizei ermahnt, der badiſche Hof endlich aufgefordert, binnen vierzehn Tagen ſein bundeswidriges Preßgeſetz außer Kraft zu ſetzen. In den nächſten Wochen verbot der Bundestag, auf Grund des Karls- bader Preßgeſetzes, den Wächter am Rhein, den Freiſinnigen, Rotteck’s Annalen, Mebold’s Deutſche Allgemeine Zeitung, nachher die Biene des ſächſiſchen Bienenvaters und ſo weiter, bis ſchließlich nahezu alle ent- ſchiedenen Oppoſitionsblätter vernichtet waren. Den namhafteſten Publi- ciſten der ſüddeutſchen Liberalen, Wirth, Siebenpfeiffer, Rotteck, Stromeyer, Mebold und Anderen ward unterſagt, binnen der nächſten fünf Jahre eine Zeitſchrift herauszugeben.
Die Karlsbader Schreckenstage ſchienen wiederzukehren, und ſtärker noch als damals war die Erbitterung in den gebildeten Klaſſen. Nun hatte auch Deutſchland ſeine Juni-Ordonnanzen! — ſo hieß es überall. Die liberale Preſſe des Südens benutzte die kurze ihr noch vergönnte Galgenfriſt, um die volle Schale ihrer Entrüſtung über den Bundestag und die beiden Großmächte auszuſchütten. Die deutſchen Kleinſtaaten — ſo rief der Freiſinnige — ſind Knechte der Knechte; „verwiſcht für immer iſt jede achtungsvolle Erinnerung an Oeſterreichs Erhebung im Jahre 1809 und an jene Preußens im Jahre 1813.“ Auch jene gemäßigten nord- deutſchen Liberalen, welche das lärmende Treiben der Pfälzer entſchieden mißbilligten, erſchraken über die Härte der hereinbrechenden Reaktion; Dahlmann meinte traurig: „es ſchwebt einmal ein Unglücksſtern über Allem was deutſch iſt.“
Unleugbar war die Ruhe Deutſchlands diesmal weit ernſtlicher bedroht als in den Zeiten der burſchenſchaftlichen Bewegung; der Bund hatte beſſere Gründe zum Einſchreiten und ging auch nicht, wie damals, über die Schranken des formalen Rechtes hinaus. Die Sechs Artikel waren kein Ausnahmegeſetz, wie die Liberalen behaupteten, ſie enthielten im Weſentlichen nur die authentiſche Interpretation beſtehender Bundes- geſetze. Wurden ſie gerecht und verſtändig angewendet, ſo widerſprachen ſie auch nicht den Landesverfaſſungen, denn kein deutſches Staatsgrund- geſetz — mit der einzigen Ausnahme des neuen kurheſſiſchen — gewährte
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IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
niſſe der „mit ſtarken Schritten ihrer Reife entgegengehenden“ deutſchen
Revolution geſchildert hatte, nahm der Bundestag ſofort, am 28. Juni 1832
die Sechs Artikel einſtimmig an, nur mit dem einen durch Baiern bean-
tragten Zuſatze, daß die Bundescommiſſion zur Ueberwachung der Land-
tage vorläufig blos für ſechs Jahre eingeſetzt werden ſollte.
Am 5. Juli folgte ſodann eine mächtige Sturzwelle außerordentlicher
Sicherheitsmaßregeln, die großentheils auch ſchon in Wien verabredet waren.
Alle politiſchen Vereine wurden verboten, desgleichen alle Volksverſamm-
lungen und Volksfeſte ohne beſondere Erlaubniß, ebenſo die Freiheitsbäume
und die deutſchen Kokarden. Zugleich wurden die Geſetze über die Uni-
verſitäten wieder in Erinnerung gebracht, die Regierungen zu ſtrenger
Handhabung der Polizei ermahnt, der badiſche Hof endlich aufgefordert,
binnen vierzehn Tagen ſein bundeswidriges Preßgeſetz außer Kraft zu ſetzen.
In den nächſten Wochen verbot der Bundestag, auf Grund des Karls-
bader Preßgeſetzes, den Wächter am Rhein, den Freiſinnigen, Rotteck’s
Annalen, Mebold’s Deutſche Allgemeine Zeitung, nachher die Biene des
ſächſiſchen Bienenvaters und ſo weiter, bis ſchließlich nahezu alle ent-
ſchiedenen Oppoſitionsblätter vernichtet waren. Den namhafteſten Publi-
ciſten der ſüddeutſchen Liberalen, Wirth, Siebenpfeiffer, Rotteck, Stromeyer,
Mebold und Anderen ward unterſagt, binnen der nächſten fünf Jahre
eine Zeitſchrift herauszugeben.
Die Karlsbader Schreckenstage ſchienen wiederzukehren, und ſtärker
noch als damals war die Erbitterung in den gebildeten Klaſſen. Nun
hatte auch Deutſchland ſeine Juni-Ordonnanzen! — ſo hieß es überall.
Die liberale Preſſe des Südens benutzte die kurze ihr noch vergönnte
Galgenfriſt, um die volle Schale ihrer Entrüſtung über den Bundestag
und die beiden Großmächte auszuſchütten. Die deutſchen Kleinſtaaten —
ſo rief der Freiſinnige — ſind Knechte der Knechte; „verwiſcht für immer
iſt jede achtungsvolle Erinnerung an Oeſterreichs Erhebung im Jahre 1809
und an jene Preußens im Jahre 1813.“ Auch jene gemäßigten nord-
deutſchen Liberalen, welche das lärmende Treiben der Pfälzer entſchieden
mißbilligten, erſchraken über die Härte der hereinbrechenden Reaktion;
Dahlmann meinte traurig: „es ſchwebt einmal ein Unglücksſtern über
Allem was deutſch iſt.“
Unleugbar war die Ruhe Deutſchlands diesmal weit ernſtlicher
bedroht als in den Zeiten der burſchenſchaftlichen Bewegung; der Bund
hatte beſſere Gründe zum Einſchreiten und ging auch nicht, wie damals,
über die Schranken des formalen Rechtes hinaus. Die Sechs Artikel
waren kein Ausnahmegeſetz, wie die Liberalen behaupteten, ſie enthielten
im Weſentlichen nur die authentiſche Interpretation beſtehender Bundes-
geſetze. Wurden ſie gerecht und verſtändig angewendet, ſo widerſprachen
ſie auch nicht den Landesverfaſſungen, denn kein deutſches Staatsgrund-
geſetz — mit der einzigen Ausnahme des neuen kurheſſiſchen — gewährte
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/286>, abgerufen am 24.11.2024.
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