"die vereinigten Freistaaten Deutschlands, das conföderirte republi- kanische Europa" hoch leben und verlangte, daß einige entschlossene Männer die gemeinsame Leitung der deutschen Opposition übernähmen; als ehr- licher Patriot warnte er aber die Deutschen vor Frankreichs Rheingelüsten.
Während er dann das Schwert des Preßvereins, ein Geschenk aus Frankfurt, stolz nach allen vier Winden schwang, flutheten die Reden und die Lieder unaufhaltsam weiter. Der Straßburger L. Rey betheuerte in französischer Ansprache, Frankreich wolle keine Eroberungen, sondern einen freien Bund mit dem freien Deutschland. Zwei edle Polen redeten in gleichem Sinne. Der Pfälzer Scharpff versicherte: "Der beste Fürst von Gottes Gnaden ist ein geborener Hochverräther an der menschlichen Ge- sellschaft." Fast ebenso radical, aber mit entschiedenem Talent und wohl- thuender patriotischer Wärme sprach ein Student aus Westphalen, K. H. Brüggemann, zum Jubel der Commilitonen, die in Schaaren aus Heidelberg herüber gewandert waren. Manche in der Menge riefen einen feierlichen Fluch über sämmtliche deutsche Fürsten. Zuletzt verhallten alle Worte in der allgemeinen Trunkenheit. Dem schweigsam zuhörenden Karl Mathy wurde ganz unheimlich zu Muthe bei dem tollen Treiben, während Lud- wig Börne, der auch mit im Getümmel stand, aber bald nachher sich wieder in das sichere Paris zurückstahl, die wildesten Reden noch zu ge- mäßigt fand. Am richtigsten gab ein Lied, das irgendwo im Haufen ge- sungen wurde, die Gesinnungen der Menge wieder:
Muth, Muth, Muth! Nicht wird uns Gott verlassen, Folgen wir in Treuen seinem Wort! Feurig laßt uns lieben, feurig hassen Und bereiten uns zum Drachenmord. Wie der Lindwurm stolz sich brüstet, Ihn nach unserm Blut gelüstet!
Wer dieser Lindwurm sei, ob Preußen oder der Bundestag, das ver- schwieg der Dichter weislich, und eben damit traf er die Meinung seiner Hörer, die allesammt nur durch eine mächtige lyrische Empfindung, durch die Nachklänge der großen Epoche deutscher Dichtung, sich im Herzen gehoben fühlten und irgend ein außerordentliches Ereigniß ersehnten.
Am nächsten Morgen ließen die Führer drunten in Neustadt Ver- trauensmänner aus den einzelnen deutschen Gauen wählen und legten ihnen die Frage vor, ob man nicht sogleich eine provisorische Regierung für das freie Deutschland einsetzen solle. Der Vorschlag ward verworfen, weil man zu solchen Beschlüssen von daheim keinen Auftrag habe. So verlief das Fest ohne unmittelbares Ergebniß, aber der wilde Lärm nach so langen Jahren tiefer Stille regte das Land weithin auf. Als die Mainzer von Hambach heimkehrten, geriethen sie unterwegs zu Worms in einen rohen Pöbelaufruhr hinein; die Wormser meinten einfach, jetzt sei Freiheit. Unverkennbar hatten die französischen Geheimbünde auf das
IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
„die vereinigten Freiſtaaten Deutſchlands, das conföderirte republi- kaniſche Europa“ hoch leben und verlangte, daß einige entſchloſſene Männer die gemeinſame Leitung der deutſchen Oppoſition übernähmen; als ehr- licher Patriot warnte er aber die Deutſchen vor Frankreichs Rheingelüſten.
Während er dann das Schwert des Preßvereins, ein Geſchenk aus Frankfurt, ſtolz nach allen vier Winden ſchwang, flutheten die Reden und die Lieder unaufhaltſam weiter. Der Straßburger L. Rey betheuerte in franzöſiſcher Anſprache, Frankreich wolle keine Eroberungen, ſondern einen freien Bund mit dem freien Deutſchland. Zwei edle Polen redeten in gleichem Sinne. Der Pfälzer Scharpff verſicherte: „Der beſte Fürſt von Gottes Gnaden iſt ein geborener Hochverräther an der menſchlichen Ge- ſellſchaft.“ Faſt ebenſo radical, aber mit entſchiedenem Talent und wohl- thuender patriotiſcher Wärme ſprach ein Student aus Weſtphalen, K. H. Brüggemann, zum Jubel der Commilitonen, die in Schaaren aus Heidelberg herüber gewandert waren. Manche in der Menge riefen einen feierlichen Fluch über ſämmtliche deutſche Fürſten. Zuletzt verhallten alle Worte in der allgemeinen Trunkenheit. Dem ſchweigſam zuhörenden Karl Mathy wurde ganz unheimlich zu Muthe bei dem tollen Treiben, während Lud- wig Börne, der auch mit im Getümmel ſtand, aber bald nachher ſich wieder in das ſichere Paris zurückſtahl, die wildeſten Reden noch zu ge- mäßigt fand. Am richtigſten gab ein Lied, das irgendwo im Haufen ge- ſungen wurde, die Geſinnungen der Menge wieder:
Muth, Muth, Muth! Nicht wird uns Gott verlaſſen, Folgen wir in Treuen ſeinem Wort! Feurig laßt uns lieben, feurig haſſen Und bereiten uns zum Drachenmord. Wie der Lindwurm ſtolz ſich brüſtet, Ihn nach unſerm Blut gelüſtet!
Wer dieſer Lindwurm ſei, ob Preußen oder der Bundestag, das ver- ſchwieg der Dichter weislich, und eben damit traf er die Meinung ſeiner Hörer, die alleſammt nur durch eine mächtige lyriſche Empfindung, durch die Nachklänge der großen Epoche deutſcher Dichtung, ſich im Herzen gehoben fühlten und irgend ein außerordentliches Ereigniß erſehnten.
Am nächſten Morgen ließen die Führer drunten in Neuſtadt Ver- trauensmänner aus den einzelnen deutſchen Gauen wählen und legten ihnen die Frage vor, ob man nicht ſogleich eine proviſoriſche Regierung für das freie Deutſchland einſetzen ſolle. Der Vorſchlag ward verworfen, weil man zu ſolchen Beſchlüſſen von daheim keinen Auftrag habe. So verlief das Feſt ohne unmittelbares Ergebniß, aber der wilde Lärm nach ſo langen Jahren tiefer Stille regte das Land weithin auf. Als die Mainzer von Hambach heimkehrten, geriethen ſie unterwegs zu Worms in einen rohen Pöbelaufruhr hinein; die Wormſer meinten einfach, jetzt ſei Freiheit. Unverkennbar hatten die franzöſiſchen Geheimbünde auf das
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„die vereinigten Freiſtaaten Deutſchlands, das conföderirte republi-
kaniſche Europa“ hoch leben und verlangte, daß einige entſchloſſene Männer
die gemeinſame Leitung der deutſchen Oppoſition übernähmen; als ehr-
licher Patriot warnte er aber die Deutſchen vor Frankreichs Rheingelüſten.
Während er dann das Schwert des Preßvereins, ein Geſchenk aus
Frankfurt, ſtolz nach allen vier Winden ſchwang, flutheten die Reden und
die Lieder unaufhaltſam weiter. Der Straßburger L. Rey betheuerte in
franzöſiſcher Anſprache, Frankreich wolle keine Eroberungen, ſondern einen
freien Bund mit dem freien Deutſchland. Zwei edle Polen redeten in
gleichem Sinne. Der Pfälzer Scharpff verſicherte: „Der beſte Fürſt von
Gottes Gnaden iſt ein geborener Hochverräther an der menſchlichen Ge-
ſellſchaft.“ Faſt ebenſo radical, aber mit entſchiedenem Talent und wohl-
thuender patriotiſcher Wärme ſprach ein Student aus Weſtphalen, K. H.
Brüggemann, zum Jubel der Commilitonen, die in Schaaren aus Heidelberg
herüber gewandert waren. Manche in der Menge riefen einen feierlichen
Fluch über ſämmtliche deutſche Fürſten. Zuletzt verhallten alle Worte in
der allgemeinen Trunkenheit. Dem ſchweigſam zuhörenden Karl Mathy
wurde ganz unheimlich zu Muthe bei dem tollen Treiben, während Lud-
wig Börne, der auch mit im Getümmel ſtand, aber bald nachher ſich
wieder in das ſichere Paris zurückſtahl, die wildeſten Reden noch zu ge-
mäßigt fand. Am richtigſten gab ein Lied, das irgendwo im Haufen ge-
ſungen wurde, die Geſinnungen der Menge wieder:
Muth, Muth, Muth! Nicht wird uns Gott verlaſſen,
Folgen wir in Treuen ſeinem Wort!
Feurig laßt uns lieben, feurig haſſen
Und bereiten uns zum Drachenmord.
Wie der Lindwurm ſtolz ſich brüſtet,
Ihn nach unſerm Blut gelüſtet!
Wer dieſer Lindwurm ſei, ob Preußen oder der Bundestag, das ver-
ſchwieg der Dichter weislich, und eben damit traf er die Meinung ſeiner
Hörer, die alleſammt nur durch eine mächtige lyriſche Empfindung, durch die
Nachklänge der großen Epoche deutſcher Dichtung, ſich im Herzen gehoben
fühlten und irgend ein außerordentliches Ereigniß erſehnten.
Am nächſten Morgen ließen die Führer drunten in Neuſtadt Ver-
trauensmänner aus den einzelnen deutſchen Gauen wählen und legten
ihnen die Frage vor, ob man nicht ſogleich eine proviſoriſche Regierung
für das freie Deutſchland einſetzen ſolle. Der Vorſchlag ward verworfen,
weil man zu ſolchen Beſchlüſſen von daheim keinen Auftrag habe. So
verlief das Feſt ohne unmittelbares Ergebniß, aber der wilde Lärm nach
ſo langen Jahren tiefer Stille regte das Land weithin auf. Als die
Mainzer von Hambach heimkehrten, geriethen ſie unterwegs zu Worms
in einen rohen Pöbelaufruhr hinein; die Wormſer meinten einfach, jetzt
ſei Freiheit. Unverkennbar hatten die franzöſiſchen Geheimbünde auf das
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/278>, abgerufen am 24.11.2024.
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