daß die pfälzische Bewegung einen üblen Verlauf nehmen müsse; der ewigen Händel überdrüssig erbat er sich seine Versetzung. Sein Nachfolger, Frhr. v. Andrian, zeigte sich durchaus rathlos, obgleich ihn die Presse so- gleich als einen blutigen Landvogt begrüßte; er untersagte zuerst die Ham- bacher Versammlung und nahm dann das Verbot zurück, da der Stadtrath von Neustadt und die Landräthe von Rheinbaiern sich dawider verwahrten. So hatte die Regierung ihre Furcht gezeigt und doch ihren Willen nicht durchgesetzt; die Radicalen frohlockten, und triumphirend sagte der Fest- ausschuß, als er in seinem Rechenschaftsberichte jene heldenmüthigen Stadt- und Landräthe aufzählte: "wir übergeben ihre Namen dem dankbaren Andenken der Nachwelt."
Nun rüstete sich Alles an beiden Ufern des Mittelrheins für die Feier des "Allerdeutschenfestes". In Mainz, wo viele der alten Gießener Schwarzen lebten, zeigten sich plötzlich schwarzrothgoldene Kokarden und Bänder; die Farben der Burschenschaft hießen fortan die deutschen Frei- heitsfarben. Dreifarbig, nach Frankreichs Vorbild, mußte das Banner der nationalen Einheit und Freiheit sein, im Gegensatz zu den zweifarbigen Fahnen der alten Dynastien. Der österreichische Gouverneur schritt als- bald mit Verboten ein, und die Bundesversammlung genehmigte sein Ver- fahren, "wenn auch die abenteuerlichen Intentionen und Abzeichen der Partei keiner besonderen Beachtung werth seien, wodurch sie leicht erst den Schein einer unverdienten Wichtigkeit erlangen könnten".*) Das Verbot fruchtete nichts. Am 26. Mai waren alle die Landstraßen, die rheinauf und rheinab durch die Ebene oder aus dem Odenwalde und dem Westrich nach dem lieblichen Neustadt führen, dicht bedeckt mit langen Zügen von Wagen und Fußgängern; überall prangten die deutschen Farben. Min- destens 25000 Köpfe strömten in der Feststadt zusammen, die Glocken läuteten, die Geschütze donnerten, auf dem Gebirge brannten Freudenfeuer. Zum zweiten male sollte eine Bergfeier für die Geschichte des Deutschen Bundes bedeutungsvoll werden; aber welch ein Abstand zwischen der christlich-vaterländischen Begeisterung der Burschen auf der Wartburg und dem weltlichen Radicalismus dieser neuen Tage. Von dem roman- tischen Zauber, der einst das Burschenfest durchleuchtet hatte, ließ sich in dieser Massenversammlung trinkender und lärmender Menschen nur wenig bemerken, und auch die politische Bildung war in fünfzehn Jahren leider kaum fortgeschritten: auf den überspannten Idealismus der Jugend folgte der falsche Idealismus der Erwachsenen.
Am Morgen des 27. setzte sich der Festzug in Bewegung; dreihundert Handwerksburschen sangen nach der Melodie des Schiller'schen Reiter- liedes ein Gedicht von Siebenpfeiffer: "Hinauf Patrioten, zum Schloß, zum Schloß!" Inmitten der Frauen, die ausdrücklich geladen und dem
*) Geheime Registrande zur Sitzung der Bundesversammlung v. 24. Mai 1832.
IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
daß die pfälziſche Bewegung einen üblen Verlauf nehmen müſſe; der ewigen Händel überdrüſſig erbat er ſich ſeine Verſetzung. Sein Nachfolger, Frhr. v. Andrian, zeigte ſich durchaus rathlos, obgleich ihn die Preſſe ſo- gleich als einen blutigen Landvogt begrüßte; er unterſagte zuerſt die Ham- bacher Verſammlung und nahm dann das Verbot zurück, da der Stadtrath von Neuſtadt und die Landräthe von Rheinbaiern ſich dawider verwahrten. So hatte die Regierung ihre Furcht gezeigt und doch ihren Willen nicht durchgeſetzt; die Radicalen frohlockten, und triumphirend ſagte der Feſt- ausſchuß, als er in ſeinem Rechenſchaftsberichte jene heldenmüthigen Stadt- und Landräthe aufzählte: „wir übergeben ihre Namen dem dankbaren Andenken der Nachwelt.“
Nun rüſtete ſich Alles an beiden Ufern des Mittelrheins für die Feier des „Allerdeutſchenfeſtes“. In Mainz, wo viele der alten Gießener Schwarzen lebten, zeigten ſich plötzlich ſchwarzrothgoldene Kokarden und Bänder; die Farben der Burſchenſchaft hießen fortan die deutſchen Frei- heitsfarben. Dreifarbig, nach Frankreichs Vorbild, mußte das Banner der nationalen Einheit und Freiheit ſein, im Gegenſatz zu den zweifarbigen Fahnen der alten Dynaſtien. Der öſterreichiſche Gouverneur ſchritt als- bald mit Verboten ein, und die Bundesverſammlung genehmigte ſein Ver- fahren, „wenn auch die abenteuerlichen Intentionen und Abzeichen der Partei keiner beſonderen Beachtung werth ſeien, wodurch ſie leicht erſt den Schein einer unverdienten Wichtigkeit erlangen könnten“.*) Das Verbot fruchtete nichts. Am 26. Mai waren alle die Landſtraßen, die rheinauf und rheinab durch die Ebene oder aus dem Odenwalde und dem Weſtrich nach dem lieblichen Neuſtadt führen, dicht bedeckt mit langen Zügen von Wagen und Fußgängern; überall prangten die deutſchen Farben. Min- deſtens 25000 Köpfe ſtrömten in der Feſtſtadt zuſammen, die Glocken läuteten, die Geſchütze donnerten, auf dem Gebirge brannten Freudenfeuer. Zum zweiten male ſollte eine Bergfeier für die Geſchichte des Deutſchen Bundes bedeutungsvoll werden; aber welch ein Abſtand zwiſchen der chriſtlich-vaterländiſchen Begeiſterung der Burſchen auf der Wartburg und dem weltlichen Radicalismus dieſer neuen Tage. Von dem roman- tiſchen Zauber, der einſt das Burſchenfeſt durchleuchtet hatte, ließ ſich in dieſer Maſſenverſammlung trinkender und lärmender Menſchen nur wenig bemerken, und auch die politiſche Bildung war in fünfzehn Jahren leider kaum fortgeſchritten: auf den überſpannten Idealismus der Jugend folgte der falſche Idealismus der Erwachſenen.
Am Morgen des 27. ſetzte ſich der Feſtzug in Bewegung; dreihundert Handwerksburſchen ſangen nach der Melodie des Schiller’ſchen Reiter- liedes ein Gedicht von Siebenpfeiffer: „Hinauf Patrioten, zum Schloß, zum Schloß!“ Inmitten der Frauen, die ausdrücklich geladen und dem
*) Geheime Regiſtrande zur Sitzung der Bundesverſammlung v. 24. Mai 1832.
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daß die pfälziſche Bewegung einen üblen Verlauf nehmen müſſe; der
ewigen Händel überdrüſſig erbat er ſich ſeine Verſetzung. Sein Nachfolger,
Frhr. v. Andrian, zeigte ſich durchaus rathlos, obgleich ihn die Preſſe ſo-
gleich als einen blutigen Landvogt begrüßte; er unterſagte zuerſt die Ham-
bacher Verſammlung und nahm dann das Verbot zurück, da der Stadtrath
von Neuſtadt und die Landräthe von Rheinbaiern ſich dawider verwahrten.
So hatte die Regierung ihre Furcht gezeigt und doch ihren Willen nicht
durchgeſetzt; die Radicalen frohlockten, und triumphirend ſagte der Feſt-
ausſchuß, als er in ſeinem Rechenſchaftsberichte jene heldenmüthigen Stadt-
und Landräthe aufzählte: „wir übergeben ihre Namen dem dankbaren
Andenken der Nachwelt.“
Nun rüſtete ſich Alles an beiden Ufern des Mittelrheins für die
Feier des „Allerdeutſchenfeſtes“. In Mainz, wo viele der alten Gießener
Schwarzen lebten, zeigten ſich plötzlich ſchwarzrothgoldene Kokarden und
Bänder; die Farben der Burſchenſchaft hießen fortan die deutſchen Frei-
heitsfarben. Dreifarbig, nach Frankreichs Vorbild, mußte das Banner
der nationalen Einheit und Freiheit ſein, im Gegenſatz zu den zweifarbigen
Fahnen der alten Dynaſtien. Der öſterreichiſche Gouverneur ſchritt als-
bald mit Verboten ein, und die Bundesverſammlung genehmigte ſein Ver-
fahren, „wenn auch die abenteuerlichen Intentionen und Abzeichen der
Partei keiner beſonderen Beachtung werth ſeien, wodurch ſie leicht erſt den
Schein einer unverdienten Wichtigkeit erlangen könnten“. *) Das Verbot
fruchtete nichts. Am 26. Mai waren alle die Landſtraßen, die rheinauf
und rheinab durch die Ebene oder aus dem Odenwalde und dem Weſtrich
nach dem lieblichen Neuſtadt führen, dicht bedeckt mit langen Zügen von
Wagen und Fußgängern; überall prangten die deutſchen Farben. Min-
deſtens 25000 Köpfe ſtrömten in der Feſtſtadt zuſammen, die Glocken
läuteten, die Geſchütze donnerten, auf dem Gebirge brannten Freudenfeuer.
Zum zweiten male ſollte eine Bergfeier für die Geſchichte des Deutſchen
Bundes bedeutungsvoll werden; aber welch ein Abſtand zwiſchen der
chriſtlich-vaterländiſchen Begeiſterung der Burſchen auf der Wartburg
und dem weltlichen Radicalismus dieſer neuen Tage. Von dem roman-
tiſchen Zauber, der einſt das Burſchenfeſt durchleuchtet hatte, ließ ſich in
dieſer Maſſenverſammlung trinkender und lärmender Menſchen nur wenig
bemerken, und auch die politiſche Bildung war in fünfzehn Jahren leider
kaum fortgeſchritten: auf den überſpannten Idealismus der Jugend folgte
der falſche Idealismus der Erwachſenen.
Am Morgen des 27. ſetzte ſich der Feſtzug in Bewegung; dreihundert
Handwerksburſchen ſangen nach der Melodie des Schiller’ſchen Reiter-
liedes ein Gedicht von Siebenpfeiffer: „Hinauf Patrioten, zum Schloß,
zum Schloß!“ Inmitten der Frauen, die ausdrücklich geladen und dem
*) Geheime Regiſtrande zur Sitzung der Bundesverſammlung v. 24. Mai 1832.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/276>, abgerufen am 24.11.2024.
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