Friedrich die politischen Gedanken, welche den deutschen Süden bewegten, aus erster Hand kennen und stand ihnen doch fern genug um darüber das gesammte Vaterland nicht aus den Augen zu verlieren.
Als er im Jahre 1823 die Heimath wieder sah und mit Schrecken die allgemeine Entmuthigung bemerkte, schrieb er für die Familie einen meisterhaften Aufsatz über "die politische Einheit Deutschlands". Mit der Ueberlegenheit des geborenen Staatsmannes, militärisch kurz, klar und sicher schilderte er hier die Nichtigkeit der kleinen Höfe und den Verfall Oesterreichs, das in der Zukunft nur Niederlagen erleben werde. Preußen allein könne die Führung Deutschlands übernehmen, "weil Ehrgeiz die Bedingung seiner Existenz" sei, und auch die Liebe der Deutschen leicht gewinnen sobald der König seine Reichsstände berufe. Im Jahre 1834 verfolgte Gagern, vielleicht angeregt durch Pfizer's Briefe, diesen Gedankengang weiter und zeichnete die Grundlinien der künftigen deut- schen Reichsverfassung in einer Abhandlung "Vom Bundesstaat", deren knappe Bestimmtheit von den weitschweifigen, verschwommenen Betrach- tungen des wissenschaftlichen Staatsrechts jener Tage seltsam abstach.*) Er verlangt ein erbliches Kaiserthum, dergestalt, daß die kleinen Fürsten das Heerwesen, die auswärtige Politik sowie einige ihrer inneren Hoheits- rechte der Centralgewalt abtreten, mithin ihre Souveränität aufgeben und dem Kaiser gehorchen müssen. Daneben eine Kammer der halbsouveränen Fürsten und eine gewählte Volksvertretung, beide um den Kaiser ver- sammelt in einer großen Hauptstadt, die als mächtiger Brennpunkt des nationalen Lebens den Deutschen unentbehrlich ist und darum, allen Vor- urtheilen zum Trotz, durchaus geschaffen werden muß. Im Einzelnen blieb natürlich noch Vieles unklar; aber fest und sicher stand der zukunfts- reiche Gedanke, daß die im preußischen Staate verkörperte Idee der natio- nalen Einheit sich mit den constitutionellen Ideen des Südens verbinden mußte, um den Sieg zu erringen, und diese Beweisführung wirkte um so zwingender, da sie aus der Feder eines gemäßigt liberalen Aristo- kraten floß.
Wie unaufhaltsam der Drang der Einheit in dem Wirrsal der deut- schen Politik arbeitete, das empfand in banger Ahnung der geistreiche Franzose Edgar Quinet, der um diese Zeit in Heidelberg lebte und eine schöne Pfälzerin heimführte. Eben hier inmitten der lärmenden Pfalz, wo Alles nach Freiheit rief, ward ihm deutlich, der tiefste und leben-
*) Dieser Aufsatz kann nicht, wie Heinrich v. Gagern (Leben Friedrich's v. Ga- gern I. 355 f.) behauptet, schon im Jahre 1826 entstanden sein, sondern erst 1834; denn er erwähnt den bekannten Zollstreit zwischen Südcarolina und der Union, der in den Jahren 1832 und 33 spielte, als ein Ereigniß aus "der neuesten Zeit". Ueberdies er- zählt Friedrich selbst in einem Briefe aus Eindhoven v. 14. April 1834 (a. a. O. II. 204), daß er die Abhandlung "Bundesstaat" soeben nebst einigen anderen Arbeiten hier in Eindhoven geschrieben habe.
IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
Friedrich die politiſchen Gedanken, welche den deutſchen Süden bewegten, aus erſter Hand kennen und ſtand ihnen doch fern genug um darüber das geſammte Vaterland nicht aus den Augen zu verlieren.
Als er im Jahre 1823 die Heimath wieder ſah und mit Schrecken die allgemeine Entmuthigung bemerkte, ſchrieb er für die Familie einen meiſterhaften Aufſatz über „die politiſche Einheit Deutſchlands“. Mit der Ueberlegenheit des geborenen Staatsmannes, militäriſch kurz, klar und ſicher ſchilderte er hier die Nichtigkeit der kleinen Höfe und den Verfall Oeſterreichs, das in der Zukunft nur Niederlagen erleben werde. Preußen allein könne die Führung Deutſchlands übernehmen, „weil Ehrgeiz die Bedingung ſeiner Exiſtenz“ ſei, und auch die Liebe der Deutſchen leicht gewinnen ſobald der König ſeine Reichsſtände berufe. Im Jahre 1834 verfolgte Gagern, vielleicht angeregt durch Pfizer’s Briefe, dieſen Gedankengang weiter und zeichnete die Grundlinien der künftigen deut- ſchen Reichsverfaſſung in einer Abhandlung „Vom Bundesſtaat“, deren knappe Beſtimmtheit von den weitſchweifigen, verſchwommenen Betrach- tungen des wiſſenſchaftlichen Staatsrechts jener Tage ſeltſam abſtach.*) Er verlangt ein erbliches Kaiſerthum, dergeſtalt, daß die kleinen Fürſten das Heerweſen, die auswärtige Politik ſowie einige ihrer inneren Hoheits- rechte der Centralgewalt abtreten, mithin ihre Souveränität aufgeben und dem Kaiſer gehorchen müſſen. Daneben eine Kammer der halbſouveränen Fürſten und eine gewählte Volksvertretung, beide um den Kaiſer ver- ſammelt in einer großen Hauptſtadt, die als mächtiger Brennpunkt des nationalen Lebens den Deutſchen unentbehrlich iſt und darum, allen Vor- urtheilen zum Trotz, durchaus geſchaffen werden muß. Im Einzelnen blieb natürlich noch Vieles unklar; aber feſt und ſicher ſtand der zukunfts- reiche Gedanke, daß die im preußiſchen Staate verkörperte Idee der natio- nalen Einheit ſich mit den conſtitutionellen Ideen des Südens verbinden mußte, um den Sieg zu erringen, und dieſe Beweisführung wirkte um ſo zwingender, da ſie aus der Feder eines gemäßigt liberalen Ariſto- kraten floß.
Wie unaufhaltſam der Drang der Einheit in dem Wirrſal der deut- ſchen Politik arbeitete, das empfand in banger Ahnung der geiſtreiche Franzoſe Edgar Quinet, der um dieſe Zeit in Heidelberg lebte und eine ſchöne Pfälzerin heimführte. Eben hier inmitten der lärmenden Pfalz, wo Alles nach Freiheit rief, ward ihm deutlich, der tiefſte und leben-
*) Dieſer Aufſatz kann nicht, wie Heinrich v. Gagern (Leben Friedrich’s v. Ga- gern I. 355 f.) behauptet, ſchon im Jahre 1826 entſtanden ſein, ſondern erſt 1834; denn er erwähnt den bekannten Zollſtreit zwiſchen Südcarolina und der Union, der in den Jahren 1832 und 33 ſpielte, als ein Ereigniß aus „der neueſten Zeit“. Ueberdies er- zählt Friedrich ſelbſt in einem Briefe aus Eindhoven v. 14. April 1834 (a. a. O. II. 204), daß er die Abhandlung „Bundesſtaat“ ſoeben nebſt einigen anderen Arbeiten hier in Eindhoven geſchrieben habe.
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das geſammte Vaterland nicht aus den Augen zu verlieren.
Als er im Jahre 1823 die Heimath wieder ſah und mit Schrecken
die allgemeine Entmuthigung bemerkte, ſchrieb er für die Familie einen
meiſterhaften Aufſatz über „die politiſche Einheit Deutſchlands“. Mit
der Ueberlegenheit des geborenen Staatsmannes, militäriſch kurz, klar
und ſicher ſchilderte er hier die Nichtigkeit der kleinen Höfe und den
Verfall Oeſterreichs, das in der Zukunft nur Niederlagen erleben werde.
Preußen allein könne die Führung Deutſchlands übernehmen, „weil
Ehrgeiz die Bedingung ſeiner Exiſtenz“ ſei, und auch die Liebe der
Deutſchen leicht gewinnen ſobald der König ſeine Reichsſtände berufe. Im
Jahre 1834 verfolgte Gagern, vielleicht angeregt durch Pfizer’s Briefe, dieſen
Gedankengang weiter und zeichnete die Grundlinien der künftigen deut-
ſchen Reichsverfaſſung in einer Abhandlung „Vom Bundesſtaat“, deren
knappe Beſtimmtheit von den weitſchweifigen, verſchwommenen Betrach-
tungen des wiſſenſchaftlichen Staatsrechts jener Tage ſeltſam abſtach. *)
Er verlangt ein erbliches Kaiſerthum, dergeſtalt, daß die kleinen Fürſten
das Heerweſen, die auswärtige Politik ſowie einige ihrer inneren Hoheits-
rechte der Centralgewalt abtreten, mithin ihre Souveränität aufgeben und
dem Kaiſer gehorchen müſſen. Daneben eine Kammer der halbſouveränen
Fürſten und eine gewählte Volksvertretung, beide um den Kaiſer ver-
ſammelt in einer großen Hauptſtadt, die als mächtiger Brennpunkt des
nationalen Lebens den Deutſchen unentbehrlich iſt und darum, allen Vor-
urtheilen zum Trotz, durchaus geſchaffen werden muß. Im Einzelnen
blieb natürlich noch Vieles unklar; aber feſt und ſicher ſtand der zukunfts-
reiche Gedanke, daß die im preußiſchen Staate verkörperte Idee der natio-
nalen Einheit ſich mit den conſtitutionellen Ideen des Südens verbinden
mußte, um den Sieg zu erringen, und dieſe Beweisführung wirkte um
ſo zwingender, da ſie aus der Feder eines gemäßigt liberalen Ariſto-
kraten floß.
Wie unaufhaltſam der Drang der Einheit in dem Wirrſal der deut-
ſchen Politik arbeitete, das empfand in banger Ahnung der geiſtreiche
Franzoſe Edgar Quinet, der um dieſe Zeit in Heidelberg lebte und eine
ſchöne Pfälzerin heimführte. Eben hier inmitten der lärmenden Pfalz,
wo Alles nach Freiheit rief, ward ihm deutlich, der tiefſte und leben-
*) Dieſer Aufſatz kann nicht, wie Heinrich v. Gagern (Leben Friedrich’s v. Ga-
gern I. 355 f.) behauptet, ſchon im Jahre 1826 entſtanden ſein, ſondern erſt 1834; denn
er erwähnt den bekannten Zollſtreit zwiſchen Südcarolina und der Union, der in den
Jahren 1832 und 33 ſpielte, als ein Ereigniß aus „der neueſten Zeit“. Ueberdies er-
zählt Friedrich ſelbſt in einem Briefe aus Eindhoven v. 14. April 1834 (a. a. O. II.
204), daß er die Abhandlung „Bundesſtaat“ ſoeben nebſt einigen anderen Arbeiten
hier in Eindhoven geſchrieben habe.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/274>, abgerufen am 28.11.2024.
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