Geschäftsleuten Darlehen gewähren. Wirth weigerte sich sein Blatt den Censoren zu unterwerfen, forderte alle deutschen Schriftsteller öffentlich auf, ihm die von der Censur gestrichenen Stellen zum Abdruck zu über- geben, verlegte seine Zeitung von einer pfälzischen Stadt zur anderen, sobald ihm seine Handpresse versiegelt wurde, und führte gegen die Polizei- behörden einen kleinen Krieg, der das Volk um so stärker erbittern mußte, weil die Gerichte sich in mehreren Fällen des gehetzten Mannes annahmen. Die pfälzischen Richter wurden allgemein als die natürlichen Vertheidiger der Landesfreiheit verherrlicht, und sie setzten auch ihren Stolz darein, durch milde, zuweilen recht anfechtbare Urtheile der Welt zu beweisen, daß unter der Herrschaft der napoleonischen Codes den politischen Käm- pfern mehr erlaubt sei als in Altbaiern.
Von nah und fern drängten sich nunmehr radicale junge Schrift- steller an jene beiden Führer heran: der Herausgeber der Speierschen Zeitung, Kolb, der Braunschweiger Georg Fein, Sauerwein in Frankfurt und viele Andere, von denen keiner über die Mittelmäßigkeit herausragte. Ermuthigt durch das Beispiel der Pfälzer ließ der Mecklenburger Hundt- Radowsky in irgend einem Winkel des Südens "die Geißel" erscheinen, worin gleich zum Eingang "die Geisterstimmen der Ermordeten an Nickel und seine Verbündeten" erklangen. Die hessischen Liberalen gründeten unter dem Schutze der schlaffen pfälzischen Censur das "hessische Volks- blatt", das nur von Hessen geschrieben, die Minister in Darmstadt schwer beunruhigte. Aus sicherer Ferne half auch Börne mit, dessen Pariser Briefe täglich frecher, höhnischer, roher sprachen.
Bald wurden auch die Truppen bearbeitet; im Zweibrückener All- gemeinen Anzeiger setzte ein angeblicher Unteroffizier seinen Kameraden auseinander, daß sie sich gegen Bürger nicht gebrauchen lassen dürften, da "als Bürger alle Erdbewohner gleiche Rechte" hätten. Um die preu- ßischen Rheinländer ebenfalls aufzuwiegeln, ließ man in Zweibrücken eine Schrift erscheinen "Rheinpreußische Glückseligkeit", ein hohles Machwerk, das an der preußischen Verwaltung eigentlich nichts zu tadeln fand als die Tyrannei der Censoren, denen "der Staat ihre Ketten von dem Bürger- schweiße vergoldete", und gleichwohl zu dem Schlusse gelangte, die Rhein- länder seien Waisenkinder, zwar nicht ohne Mutter, aber ohne Vater. Hier war die Mühe freilich umsonst. Die Rheinländer standen, bis auf ver- schwindende Ausnahmen, fest zum preußischen Staate, so daß Präsident Ruppenthal, seit Daniels' Tode der anerkannt erste rheinische Jurist, bei der Eröffnung der Assisen von 1832 die unwandelbare Treue der Provinz mit gerechtem Stolze rühmen konnte.
Um so kläglicher zeigte sich die Hilflosigkeit der Kleinstaaterei in dem coburgischen Fürstenthum Lichtenberg, dem fruchtbaren Heimathlande der falschen Sechser. Die Lichtenberger klagten ihrem Herzoge in einer stür- mischen Adresse, daß sie baare 10000 Gulden für das Heer bezahlen
Wirth und Siebenpfeiffer.
Geſchäftsleuten Darlehen gewähren. Wirth weigerte ſich ſein Blatt den Cenſoren zu unterwerfen, forderte alle deutſchen Schriftſteller öffentlich auf, ihm die von der Cenſur geſtrichenen Stellen zum Abdruck zu über- geben, verlegte ſeine Zeitung von einer pfälziſchen Stadt zur anderen, ſobald ihm ſeine Handpreſſe verſiegelt wurde, und führte gegen die Polizei- behörden einen kleinen Krieg, der das Volk um ſo ſtärker erbittern mußte, weil die Gerichte ſich in mehreren Fällen des gehetzten Mannes annahmen. Die pfälziſchen Richter wurden allgemein als die natürlichen Vertheidiger der Landesfreiheit verherrlicht, und ſie ſetzten auch ihren Stolz darein, durch milde, zuweilen recht anfechtbare Urtheile der Welt zu beweiſen, daß unter der Herrſchaft der napoleoniſchen Codes den politiſchen Käm- pfern mehr erlaubt ſei als in Altbaiern.
Von nah und fern drängten ſich nunmehr radicale junge Schrift- ſteller an jene beiden Führer heran: der Herausgeber der Speierſchen Zeitung, Kolb, der Braunſchweiger Georg Fein, Sauerwein in Frankfurt und viele Andere, von denen keiner über die Mittelmäßigkeit herausragte. Ermuthigt durch das Beiſpiel der Pfälzer ließ der Mecklenburger Hundt- Radowsky in irgend einem Winkel des Südens „die Geißel“ erſcheinen, worin gleich zum Eingang „die Geiſterſtimmen der Ermordeten an Nickel und ſeine Verbündeten“ erklangen. Die heſſiſchen Liberalen gründeten unter dem Schutze der ſchlaffen pfälziſchen Cenſur das „heſſiſche Volks- blatt“, das nur von Heſſen geſchrieben, die Miniſter in Darmſtadt ſchwer beunruhigte. Aus ſicherer Ferne half auch Börne mit, deſſen Pariſer Briefe täglich frecher, höhniſcher, roher ſprachen.
Bald wurden auch die Truppen bearbeitet; im Zweibrückener All- gemeinen Anzeiger ſetzte ein angeblicher Unteroffizier ſeinen Kameraden auseinander, daß ſie ſich gegen Bürger nicht gebrauchen laſſen dürften, da „als Bürger alle Erdbewohner gleiche Rechte“ hätten. Um die preu- ßiſchen Rheinländer ebenfalls aufzuwiegeln, ließ man in Zweibrücken eine Schrift erſcheinen „Rheinpreußiſche Glückſeligkeit“, ein hohles Machwerk, das an der preußiſchen Verwaltung eigentlich nichts zu tadeln fand als die Tyrannei der Cenſoren, denen „der Staat ihre Ketten von dem Bürger- ſchweiße vergoldete“, und gleichwohl zu dem Schluſſe gelangte, die Rhein- länder ſeien Waiſenkinder, zwar nicht ohne Mutter, aber ohne Vater. Hier war die Mühe freilich umſonſt. Die Rheinländer ſtanden, bis auf ver- ſchwindende Ausnahmen, feſt zum preußiſchen Staate, ſo daß Präſident Ruppenthal, ſeit Daniels’ Tode der anerkannt erſte rheiniſche Juriſt, bei der Eröffnung der Aſſiſen von 1832 die unwandelbare Treue der Provinz mit gerechtem Stolze rühmen konnte.
Um ſo kläglicher zeigte ſich die Hilfloſigkeit der Kleinſtaaterei in dem coburgiſchen Fürſtenthum Lichtenberg, dem fruchtbaren Heimathlande der falſchen Sechſer. Die Lichtenberger klagten ihrem Herzoge in einer ſtür- miſchen Adreſſe, daß ſie baare 10000 Gulden für das Heer bezahlen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0267"n="253"/><fwplace="top"type="header">Wirth und Siebenpfeiffer.</fw><lb/>
Geſchäftsleuten Darlehen gewähren. Wirth weigerte ſich ſein Blatt den<lb/>
Cenſoren zu unterwerfen, forderte alle deutſchen Schriftſteller öffentlich<lb/>
auf, ihm die von der Cenſur geſtrichenen Stellen zum Abdruck zu über-<lb/>
geben, verlegte ſeine Zeitung von einer pfälziſchen Stadt zur anderen,<lb/>ſobald ihm ſeine Handpreſſe verſiegelt wurde, und führte gegen die Polizei-<lb/>
behörden einen kleinen Krieg, der das Volk um ſo ſtärker erbittern mußte,<lb/>
weil die Gerichte ſich in mehreren Fällen des gehetzten Mannes annahmen.<lb/>
Die pfälziſchen Richter wurden allgemein als die natürlichen Vertheidiger<lb/>
der Landesfreiheit verherrlicht, und ſie ſetzten auch ihren Stolz darein,<lb/>
durch milde, zuweilen recht anfechtbare Urtheile der Welt zu beweiſen,<lb/>
daß unter der Herrſchaft der napoleoniſchen Codes den politiſchen Käm-<lb/>
pfern mehr erlaubt ſei als in Altbaiern.</p><lb/><p>Von nah und fern drängten ſich nunmehr radicale junge Schrift-<lb/>ſteller an jene beiden Führer heran: der Herausgeber der Speierſchen<lb/>
Zeitung, Kolb, der Braunſchweiger Georg Fein, Sauerwein in Frankfurt<lb/>
und viele Andere, von denen keiner über die Mittelmäßigkeit herausragte.<lb/>
Ermuthigt durch das Beiſpiel der Pfälzer ließ der Mecklenburger Hundt-<lb/>
Radowsky in irgend einem Winkel des Südens „die Geißel“ erſcheinen,<lb/>
worin gleich zum Eingang „die Geiſterſtimmen der Ermordeten an Nickel<lb/>
und ſeine Verbündeten“ erklangen. Die heſſiſchen Liberalen gründeten<lb/>
unter dem Schutze der ſchlaffen pfälziſchen Cenſur das „heſſiſche Volks-<lb/>
blatt“, das nur von Heſſen geſchrieben, die Miniſter in Darmſtadt ſchwer<lb/>
beunruhigte. Aus ſicherer Ferne half auch Börne mit, deſſen Pariſer<lb/>
Briefe täglich frecher, höhniſcher, roher ſprachen.</p><lb/><p>Bald wurden auch die Truppen bearbeitet; im Zweibrückener All-<lb/>
gemeinen Anzeiger ſetzte ein angeblicher Unteroffizier ſeinen Kameraden<lb/>
auseinander, daß ſie ſich gegen Bürger nicht gebrauchen laſſen dürften,<lb/>
da „als Bürger alle Erdbewohner gleiche Rechte“ hätten. Um die preu-<lb/>
ßiſchen Rheinländer ebenfalls aufzuwiegeln, ließ man in Zweibrücken eine<lb/>
Schrift erſcheinen „Rheinpreußiſche Glückſeligkeit“, ein hohles Machwerk,<lb/>
das an der preußiſchen Verwaltung eigentlich nichts zu tadeln fand als die<lb/>
Tyrannei der Cenſoren, denen „der Staat ihre Ketten von dem Bürger-<lb/>ſchweiße vergoldete“, und gleichwohl zu dem Schluſſe gelangte, die Rhein-<lb/>
länder ſeien Waiſenkinder, zwar nicht ohne Mutter, aber ohne Vater. Hier<lb/>
war die Mühe freilich umſonſt. Die Rheinländer ſtanden, bis auf ver-<lb/>ſchwindende Ausnahmen, feſt zum preußiſchen Staate, ſo daß Präſident<lb/>
Ruppenthal, ſeit Daniels’ Tode der anerkannt erſte rheiniſche Juriſt, bei<lb/>
der Eröffnung der Aſſiſen von 1832 die unwandelbare Treue der Provinz<lb/>
mit gerechtem Stolze rühmen konnte.</p><lb/><p>Um ſo kläglicher zeigte ſich die Hilfloſigkeit der Kleinſtaaterei in dem<lb/>
coburgiſchen Fürſtenthum Lichtenberg, dem fruchtbaren Heimathlande der<lb/>
falſchen Sechſer. Die Lichtenberger klagten ihrem Herzoge in einer ſtür-<lb/>
miſchen Adreſſe, daß ſie baare 10000 Gulden für das Heer bezahlen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[253/0267]
Wirth und Siebenpfeiffer.
Geſchäftsleuten Darlehen gewähren. Wirth weigerte ſich ſein Blatt den
Cenſoren zu unterwerfen, forderte alle deutſchen Schriftſteller öffentlich
auf, ihm die von der Cenſur geſtrichenen Stellen zum Abdruck zu über-
geben, verlegte ſeine Zeitung von einer pfälziſchen Stadt zur anderen,
ſobald ihm ſeine Handpreſſe verſiegelt wurde, und führte gegen die Polizei-
behörden einen kleinen Krieg, der das Volk um ſo ſtärker erbittern mußte,
weil die Gerichte ſich in mehreren Fällen des gehetzten Mannes annahmen.
Die pfälziſchen Richter wurden allgemein als die natürlichen Vertheidiger
der Landesfreiheit verherrlicht, und ſie ſetzten auch ihren Stolz darein,
durch milde, zuweilen recht anfechtbare Urtheile der Welt zu beweiſen,
daß unter der Herrſchaft der napoleoniſchen Codes den politiſchen Käm-
pfern mehr erlaubt ſei als in Altbaiern.
Von nah und fern drängten ſich nunmehr radicale junge Schrift-
ſteller an jene beiden Führer heran: der Herausgeber der Speierſchen
Zeitung, Kolb, der Braunſchweiger Georg Fein, Sauerwein in Frankfurt
und viele Andere, von denen keiner über die Mittelmäßigkeit herausragte.
Ermuthigt durch das Beiſpiel der Pfälzer ließ der Mecklenburger Hundt-
Radowsky in irgend einem Winkel des Südens „die Geißel“ erſcheinen,
worin gleich zum Eingang „die Geiſterſtimmen der Ermordeten an Nickel
und ſeine Verbündeten“ erklangen. Die heſſiſchen Liberalen gründeten
unter dem Schutze der ſchlaffen pfälziſchen Cenſur das „heſſiſche Volks-
blatt“, das nur von Heſſen geſchrieben, die Miniſter in Darmſtadt ſchwer
beunruhigte. Aus ſicherer Ferne half auch Börne mit, deſſen Pariſer
Briefe täglich frecher, höhniſcher, roher ſprachen.
Bald wurden auch die Truppen bearbeitet; im Zweibrückener All-
gemeinen Anzeiger ſetzte ein angeblicher Unteroffizier ſeinen Kameraden
auseinander, daß ſie ſich gegen Bürger nicht gebrauchen laſſen dürften,
da „als Bürger alle Erdbewohner gleiche Rechte“ hätten. Um die preu-
ßiſchen Rheinländer ebenfalls aufzuwiegeln, ließ man in Zweibrücken eine
Schrift erſcheinen „Rheinpreußiſche Glückſeligkeit“, ein hohles Machwerk,
das an der preußiſchen Verwaltung eigentlich nichts zu tadeln fand als die
Tyrannei der Cenſoren, denen „der Staat ihre Ketten von dem Bürger-
ſchweiße vergoldete“, und gleichwohl zu dem Schluſſe gelangte, die Rhein-
länder ſeien Waiſenkinder, zwar nicht ohne Mutter, aber ohne Vater. Hier
war die Mühe freilich umſonſt. Die Rheinländer ſtanden, bis auf ver-
ſchwindende Ausnahmen, feſt zum preußiſchen Staate, ſo daß Präſident
Ruppenthal, ſeit Daniels’ Tode der anerkannt erſte rheiniſche Juriſt, bei
der Eröffnung der Aſſiſen von 1832 die unwandelbare Treue der Provinz
mit gerechtem Stolze rühmen konnte.
Um ſo kläglicher zeigte ſich die Hilfloſigkeit der Kleinſtaaterei in dem
coburgiſchen Fürſtenthum Lichtenberg, dem fruchtbaren Heimathlande der
falſchen Sechſer. Die Lichtenberger klagten ihrem Herzoge in einer ſtür-
miſchen Adreſſe, daß ſie baare 10000 Gulden für das Heer bezahlen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/267>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.