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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland.
die Belgier, die sich leider nicht hinwegleugnen ließ, erschien diesem Ba-
dener wie eine unbegreifliche Verirrung: "Wäre Arndt nicht ein Mann
des Volkes, so könnte man glauben, dies Buch sei die erkaufte Stimme
eines feilen Cabinets-Lakaien oder Ministers." Das einzige unabhängige
badische Blatt, das sich der Uebermacht des Liberalismus entgegenstemmte,
die Mannheimer Zeitung, verspottete mit scharfem Witze Rotteck's vernunft-
rechtliche Gemeinplätze und die Selbstüberhebung seiner Genossen; in ein-
zelnen Artikeln verriethen sich die Federn geistreicher Heidelberger Professoren.
Indeß zeigte auch diese Zeitung, wie fast alle conservativen Organe des Sü-
dens, deutlich ihre clericalen Hintergedanken und schon darum konnte sie
in den protestantischen Landestheilen wenig Ansehen gewinnen.

Nicht minder laut lärmten die Zeitungen in den Nachbarländern. In
Württemberg hatte der Schwäbische Merkur, der namentlich über die deutsche
Handelspolitik sehr verständig urtheilte, einen schweren Stand neben der
Masse der neu aufgeschossenen radicalen Blätter. "Kein Ehrenmann wird
sich der Schmach bequemen" -- also stand auf dem Titel des Reutlinger
"Beobachters" zu lesen neben dem Bilde der Stange mit dem Geßler-
hute. "Der Hauptstrom, auf welchem der allgewaltige Zeitgeist einherfährt,"
fluthete natürlich wider den Damm der heiligen Allianz; alle Männer
von Kraft, Muth und festem Willen sollten in dem Beobachter ihren
Sprechsaal finden, und zugleich versprach er diesen Tapferen strenge
Geheimhaltung ihrer Namen: -- so unantastbar erschien bereits die ent-
sittlichende Anonymität der Presse. Die Rede dieser radicalen Schwaben
klang noch sehr bescheiden neben den Kraftworten der "Zeitschwingen",
die in Hanau dicht unter den schadenfrohen Augen des alten Kurfürsten,
von G. Stein herausgegeben und in Frankfurt, zum Schrecken des Bundes-
tags, durch geheime Stafetten verbreitet wurden. Hier ward die un-
bedingte Einheit des Vaterlandes, die Vernichtung aller Staaten und
Staatlein, mochten sie Preußen oder Hessen-Homburg heißen, stürmisch
gefordert, aber auch das angeborene Phlegma des deutschen Michels in
Börne's Weise verhöhnt und die Gesammtheit der constitutionellen Deutschen
ermahnt, nach dem Beispiele der Polen, "des Musterbildes der Völker",
den Kampf zu beginnen gegen Preußen: "Ich hasse den Feind; aber den
Heuchlerfreund, den hasse ich nicht, den verachte ich aufs tiefste. Wie Preußen
Deutschland überreden möchte, daß es selber der Schild der Freiheit sei,
so spiegelt es der Welt vor, es wolle den Frieden und das Glück Europas,
während es den nordischen Feind durch seinen Bund zum Herrn unseres
Glücks (ach, unseres Unglücks!) macht."

Das Alles ward aber weit überboten von der urkräftigen Sprache
der Zeitungen in der bairischen Rheinpfalz. Wieder einmal schuf sich
das zerfahrene politische Leben der Nation für kurze Zeit einen unnatür-
lichen Mittelpunkt: das entlegene pfälzische Grenzgebiet wurde, wie einst
Coblenz in der Zeit des Rheinischen Mercurs, Jena in den Tagen der

IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
die Belgier, die ſich leider nicht hinwegleugnen ließ, erſchien dieſem Ba-
dener wie eine unbegreifliche Verirrung: „Wäre Arndt nicht ein Mann
des Volkes, ſo könnte man glauben, dies Buch ſei die erkaufte Stimme
eines feilen Cabinets-Lakaien oder Miniſters.“ Das einzige unabhängige
badiſche Blatt, das ſich der Uebermacht des Liberalismus entgegenſtemmte,
die Mannheimer Zeitung, verſpottete mit ſcharfem Witze Rotteck’s vernunft-
rechtliche Gemeinplätze und die Selbſtüberhebung ſeiner Genoſſen; in ein-
zelnen Artikeln verriethen ſich die Federn geiſtreicher Heidelberger Profeſſoren.
Indeß zeigte auch dieſe Zeitung, wie faſt alle conſervativen Organe des Sü-
dens, deutlich ihre clericalen Hintergedanken und ſchon darum konnte ſie
in den proteſtantiſchen Landestheilen wenig Anſehen gewinnen.

Nicht minder laut lärmten die Zeitungen in den Nachbarländern. In
Württemberg hatte der Schwäbiſche Merkur, der namentlich über die deutſche
Handelspolitik ſehr verſtändig urtheilte, einen ſchweren Stand neben der
Maſſe der neu aufgeſchoſſenen radicalen Blätter. „Kein Ehrenmann wird
ſich der Schmach bequemen“ — alſo ſtand auf dem Titel des Reutlinger
„Beobachters“ zu leſen neben dem Bilde der Stange mit dem Geßler-
hute. „Der Hauptſtrom, auf welchem der allgewaltige Zeitgeiſt einherfährt,“
fluthete natürlich wider den Damm der heiligen Allianz; alle Männer
von Kraft, Muth und feſtem Willen ſollten in dem Beobachter ihren
Sprechſaal finden, und zugleich verſprach er dieſen Tapferen ſtrenge
Geheimhaltung ihrer Namen: — ſo unantaſtbar erſchien bereits die ent-
ſittlichende Anonymität der Preſſe. Die Rede dieſer radicalen Schwaben
klang noch ſehr beſcheiden neben den Kraftworten der „Zeitſchwingen“,
die in Hanau dicht unter den ſchadenfrohen Augen des alten Kurfürſten,
von G. Stein herausgegeben und in Frankfurt, zum Schrecken des Bundes-
tags, durch geheime Stafetten verbreitet wurden. Hier ward die un-
bedingte Einheit des Vaterlandes, die Vernichtung aller Staaten und
Staatlein, mochten ſie Preußen oder Heſſen-Homburg heißen, ſtürmiſch
gefordert, aber auch das angeborene Phlegma des deutſchen Michels in
Börne’s Weiſe verhöhnt und die Geſammtheit der conſtitutionellen Deutſchen
ermahnt, nach dem Beiſpiele der Polen, „des Muſterbildes der Völker“,
den Kampf zu beginnen gegen Preußen: „Ich haſſe den Feind; aber den
Heuchlerfreund, den haſſe ich nicht, den verachte ich aufs tiefſte. Wie Preußen
Deutſchland überreden möchte, daß es ſelber der Schild der Freiheit ſei,
ſo ſpiegelt es der Welt vor, es wolle den Frieden und das Glück Europas,
während es den nordiſchen Feind durch ſeinen Bund zum Herrn unſeres
Glücks (ach, unſeres Unglücks!) macht.“

Das Alles ward aber weit überboten von der urkräftigen Sprache
der Zeitungen in der bairiſchen Rheinpfalz. Wieder einmal ſchuf ſich
das zerfahrene politiſche Leben der Nation für kurze Zeit einen unnatür-
lichen Mittelpunkt: das entlegene pfälziſche Grenzgebiet wurde, wie einſt
Coblenz in der Zeit des Rheiniſchen Mercurs, Jena in den Tagen der

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[250/0264] IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland. die Belgier, die ſich leider nicht hinwegleugnen ließ, erſchien dieſem Ba- dener wie eine unbegreifliche Verirrung: „Wäre Arndt nicht ein Mann des Volkes, ſo könnte man glauben, dies Buch ſei die erkaufte Stimme eines feilen Cabinets-Lakaien oder Miniſters.“ Das einzige unabhängige badiſche Blatt, das ſich der Uebermacht des Liberalismus entgegenſtemmte, die Mannheimer Zeitung, verſpottete mit ſcharfem Witze Rotteck’s vernunft- rechtliche Gemeinplätze und die Selbſtüberhebung ſeiner Genoſſen; in ein- zelnen Artikeln verriethen ſich die Federn geiſtreicher Heidelberger Profeſſoren. Indeß zeigte auch dieſe Zeitung, wie faſt alle conſervativen Organe des Sü- dens, deutlich ihre clericalen Hintergedanken und ſchon darum konnte ſie in den proteſtantiſchen Landestheilen wenig Anſehen gewinnen. Nicht minder laut lärmten die Zeitungen in den Nachbarländern. In Württemberg hatte der Schwäbiſche Merkur, der namentlich über die deutſche Handelspolitik ſehr verſtändig urtheilte, einen ſchweren Stand neben der Maſſe der neu aufgeſchoſſenen radicalen Blätter. „Kein Ehrenmann wird ſich der Schmach bequemen“ — alſo ſtand auf dem Titel des Reutlinger „Beobachters“ zu leſen neben dem Bilde der Stange mit dem Geßler- hute. „Der Hauptſtrom, auf welchem der allgewaltige Zeitgeiſt einherfährt,“ fluthete natürlich wider den Damm der heiligen Allianz; alle Männer von Kraft, Muth und feſtem Willen ſollten in dem Beobachter ihren Sprechſaal finden, und zugleich verſprach er dieſen Tapferen ſtrenge Geheimhaltung ihrer Namen: — ſo unantaſtbar erſchien bereits die ent- ſittlichende Anonymität der Preſſe. Die Rede dieſer radicalen Schwaben klang noch ſehr beſcheiden neben den Kraftworten der „Zeitſchwingen“, die in Hanau dicht unter den ſchadenfrohen Augen des alten Kurfürſten, von G. Stein herausgegeben und in Frankfurt, zum Schrecken des Bundes- tags, durch geheime Stafetten verbreitet wurden. Hier ward die un- bedingte Einheit des Vaterlandes, die Vernichtung aller Staaten und Staatlein, mochten ſie Preußen oder Heſſen-Homburg heißen, ſtürmiſch gefordert, aber auch das angeborene Phlegma des deutſchen Michels in Börne’s Weiſe verhöhnt und die Geſammtheit der conſtitutionellen Deutſchen ermahnt, nach dem Beiſpiele der Polen, „des Muſterbildes der Völker“, den Kampf zu beginnen gegen Preußen: „Ich haſſe den Feind; aber den Heuchlerfreund, den haſſe ich nicht, den verachte ich aufs tiefſte. Wie Preußen Deutſchland überreden möchte, daß es ſelber der Schild der Freiheit ſei, ſo ſpiegelt es der Welt vor, es wolle den Frieden und das Glück Europas, während es den nordiſchen Feind durch ſeinen Bund zum Herrn unſeres Glücks (ach, unſeres Unglücks!) macht.“ Das Alles ward aber weit überboten von der urkräftigen Sprache der Zeitungen in der bairiſchen Rheinpfalz. Wieder einmal ſchuf ſich das zerfahrene politiſche Leben der Nation für kurze Zeit einen unnatür- lichen Mittelpunkt: das entlegene pfälziſche Grenzgebiet wurde, wie einſt Coblenz in der Zeit des Rheiniſchen Mercurs, Jena in den Tagen der

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/264>, abgerufen am 24.11.2024.