zwungen, eine halbe Million Gulden aus seinen eigenen Mitteln vor- zuschießen.
Bei allen diesen Händeln trat wieder grell zu Tage, wie wenig der bairische Staat noch vermocht hatte den Gegensatz der Landschaften zu versöhnen. Die Pfälzer und die Franken standen fast sämmtlich zu der liberalen Fahne, allen voran der Advocat Schüler aus Bergzabern, "die Stütze des Volks, der Koloß an Geist und Charakter" -- wie die Zei- tungen ihn nannten -- in der That ein feiner Kopf, der seine radicalen Ansichten fast immer klug und mit vornehmem Anstand vertrat. Bei den Altbaiern dagegen herrschte die alte Begeisterung für Thron und Altar, mehr noch im Volke als unter den Abgeordneten. Die Münchener Bürger- schaft und die tausende von Arbeitern, welche der königliche Kunstfreund bei seinen Bauten beschäftigte, grollten über die Schmälerung der Civilliste und holten den Monarchen in feierlichem Zuge ein, als er von einer Reise heimkehrte. Die Gautinger Bauern schaarten sich zusammen unter der Führung des bergischen Freiherrn v. Hallberg, des allbekannten "Eremiten von Gauting", und sendeten eine geharnischte Adresse: der König möge seinen getreuen Bauern nur winken, "und in einer Stunde haben Ew. Majestät keine lebenden Feinde mehr!" Seitdem diente der Name der Gautinger, wie vormals am Rhein der Name der Hatzenporter, der liberalen Presse viele Jahre lang zur Bezeichnung des Bedientensinnes.
Eine schwierige Mittelstellung zwischen den Parteien behauptete der junge Freiherr v. Rotenhan aus der fränkischen Reichsritterschaft, ein Burschenschafter, von der Hochschule her mit Stüve und dem Jenenser Buchhändler Frommann befreundet, durch Blutsverwandtschaft und Ge- sinnungsgemeinschaft mit dem Berliner Präsidenten Grolman eng ver- bunden, ein edler Patriot von freiem, weitem Blicke, unabhängig nach oben wie nach unten. Die Liberalen wußten seinen Freimuth noch nicht zu schätzen, weil er ein gläubiger Protestant war und als besonnener Reformer den Brandreden der Demagogen oft sehr scharf entgegentrat. Gleich ihm dachte sein Freund Graf Giech, der Schwiegersohn des Freiherrn vom Stein. Die Beiden bildeten fast die einzige Brücke zwischen der historischen Staatsgesinnung des Nordens und dem vernunftrechtlichen Liberalismus des Südens. Wie weit die Kluft zwischen diesen Ansichten noch war, das empfand Christian Rauch sehr lebhaft, als er um jene Zeit zur Vollendung seines Königsdenkmals nach München kam; Thiersch und seine anderen bairischen Freunde betrachteten ihn fast wie einen Ko- saken, weil er als guter Preuße das gerühmte allgemeine Staatsrecht nicht bewundere, in den Polen nur die Feinde seines Vaterlandes sehen wollte.
Nach langem Feilschen kam das Budget doch noch zu Stande; die Abstriche waren so stark, daß man ein Fünftel der direkten Steuern erlassen konnte. Im Uebrigen leistete die lärmende Versammlung sehr
Die Oppoſition im bairiſchen Landtage.
zwungen, eine halbe Million Gulden aus ſeinen eigenen Mitteln vor- zuſchießen.
Bei allen dieſen Händeln trat wieder grell zu Tage, wie wenig der bairiſche Staat noch vermocht hatte den Gegenſatz der Landſchaften zu verſöhnen. Die Pfälzer und die Franken ſtanden faſt ſämmtlich zu der liberalen Fahne, allen voran der Advocat Schüler aus Bergzabern, „die Stütze des Volks, der Koloß an Geiſt und Charakter“ — wie die Zei- tungen ihn nannten — in der That ein feiner Kopf, der ſeine radicalen Anſichten faſt immer klug und mit vornehmem Anſtand vertrat. Bei den Altbaiern dagegen herrſchte die alte Begeiſterung für Thron und Altar, mehr noch im Volke als unter den Abgeordneten. Die Münchener Bürger- ſchaft und die tauſende von Arbeitern, welche der königliche Kunſtfreund bei ſeinen Bauten beſchäftigte, grollten über die Schmälerung der Civilliſte und holten den Monarchen in feierlichem Zuge ein, als er von einer Reiſe heimkehrte. Die Gautinger Bauern ſchaarten ſich zuſammen unter der Führung des bergiſchen Freiherrn v. Hallberg, des allbekannten „Eremiten von Gauting“, und ſendeten eine geharniſchte Adreſſe: der König möge ſeinen getreuen Bauern nur winken, „und in einer Stunde haben Ew. Majeſtät keine lebenden Feinde mehr!“ Seitdem diente der Name der Gautinger, wie vormals am Rhein der Name der Hatzenporter, der liberalen Preſſe viele Jahre lang zur Bezeichnung des Bedientenſinnes.
Eine ſchwierige Mittelſtellung zwiſchen den Parteien behauptete der junge Freiherr v. Rotenhan aus der fränkiſchen Reichsritterſchaft, ein Burſchenſchafter, von der Hochſchule her mit Stüve und dem Jenenſer Buchhändler Frommann befreundet, durch Blutsverwandtſchaft und Ge- ſinnungsgemeinſchaft mit dem Berliner Präſidenten Grolman eng ver- bunden, ein edler Patriot von freiem, weitem Blicke, unabhängig nach oben wie nach unten. Die Liberalen wußten ſeinen Freimuth noch nicht zu ſchätzen, weil er ein gläubiger Proteſtant war und als beſonnener Reformer den Brandreden der Demagogen oft ſehr ſcharf entgegentrat. Gleich ihm dachte ſein Freund Graf Giech, der Schwiegerſohn des Freiherrn vom Stein. Die Beiden bildeten faſt die einzige Brücke zwiſchen der hiſtoriſchen Staatsgeſinnung des Nordens und dem vernunftrechtlichen Liberalismus des Südens. Wie weit die Kluft zwiſchen dieſen Anſichten noch war, das empfand Chriſtian Rauch ſehr lebhaft, als er um jene Zeit zur Vollendung ſeines Königsdenkmals nach München kam; Thierſch und ſeine anderen bairiſchen Freunde betrachteten ihn faſt wie einen Ko- ſaken, weil er als guter Preuße das gerühmte allgemeine Staatsrecht nicht bewundere, in den Polen nur die Feinde ſeines Vaterlandes ſehen wollte.
Nach langem Feilſchen kam das Budget doch noch zu Stande; die Abſtriche waren ſo ſtark, daß man ein Fünftel der direkten Steuern erlaſſen konnte. Im Uebrigen leiſtete die lärmende Verſammlung ſehr
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0259"n="245"/><fwplace="top"type="header">Die Oppoſition im bairiſchen Landtage.</fw><lb/>
zwungen, eine halbe Million Gulden aus ſeinen eigenen Mitteln vor-<lb/>
zuſchießen.</p><lb/><p>Bei allen dieſen Händeln trat wieder grell zu Tage, wie wenig der<lb/>
bairiſche Staat noch vermocht hatte den Gegenſatz der Landſchaften zu<lb/>
verſöhnen. Die Pfälzer und die Franken ſtanden faſt ſämmtlich zu der<lb/>
liberalen Fahne, allen voran der Advocat Schüler aus Bergzabern, „die<lb/>
Stütze des Volks, der Koloß an Geiſt und Charakter“— wie die Zei-<lb/>
tungen ihn nannten — in der That ein feiner Kopf, der ſeine radicalen<lb/>
Anſichten faſt immer klug und mit vornehmem Anſtand vertrat. Bei den<lb/>
Altbaiern dagegen herrſchte die alte Begeiſterung für Thron und Altar,<lb/>
mehr noch im Volke als unter den Abgeordneten. Die Münchener Bürger-<lb/>ſchaft und die tauſende von Arbeitern, welche der königliche Kunſtfreund<lb/>
bei ſeinen Bauten beſchäftigte, grollten über die Schmälerung der Civilliſte<lb/>
und holten den Monarchen in feierlichem Zuge ein, als er von einer<lb/>
Reiſe heimkehrte. Die Gautinger Bauern ſchaarten ſich zuſammen unter<lb/>
der Führung des bergiſchen Freiherrn v. Hallberg, des allbekannten<lb/>„Eremiten von Gauting“, und ſendeten eine geharniſchte Adreſſe: der<lb/>
König möge ſeinen getreuen Bauern nur winken, „und in einer Stunde<lb/>
haben Ew. Majeſtät keine lebenden Feinde mehr!“ Seitdem diente der<lb/>
Name der Gautinger, wie vormals am Rhein der Name der Hatzenporter,<lb/>
der liberalen Preſſe viele Jahre lang zur Bezeichnung des Bedientenſinnes.</p><lb/><p>Eine ſchwierige Mittelſtellung zwiſchen den Parteien behauptete der<lb/>
junge Freiherr v. Rotenhan aus der fränkiſchen Reichsritterſchaft, ein<lb/>
Burſchenſchafter, von der Hochſchule her mit Stüve und dem Jenenſer<lb/>
Buchhändler Frommann befreundet, durch Blutsverwandtſchaft und Ge-<lb/>ſinnungsgemeinſchaft mit dem Berliner Präſidenten Grolman eng ver-<lb/>
bunden, ein edler Patriot von freiem, weitem Blicke, unabhängig nach<lb/>
oben wie nach unten. Die Liberalen wußten ſeinen Freimuth noch nicht<lb/>
zu ſchätzen, weil er ein gläubiger Proteſtant war und als beſonnener<lb/>
Reformer den Brandreden der Demagogen oft ſehr ſcharf entgegentrat.<lb/>
Gleich ihm dachte ſein Freund Graf Giech, der Schwiegerſohn des Freiherrn<lb/>
vom Stein. Die Beiden bildeten faſt die einzige Brücke zwiſchen der<lb/>
hiſtoriſchen Staatsgeſinnung des Nordens und dem vernunftrechtlichen<lb/>
Liberalismus des Südens. Wie weit die Kluft zwiſchen dieſen Anſichten<lb/>
noch war, das empfand Chriſtian Rauch ſehr lebhaft, als er um jene<lb/>
Zeit zur Vollendung ſeines Königsdenkmals nach München kam; Thierſch<lb/>
und ſeine anderen bairiſchen Freunde betrachteten ihn faſt wie einen Ko-<lb/>ſaken, weil er als guter Preuße das gerühmte allgemeine Staatsrecht<lb/>
nicht bewundere, in den Polen nur die Feinde ſeines Vaterlandes ſehen<lb/>
wollte.</p><lb/><p>Nach langem Feilſchen kam das Budget doch noch zu Stande; die<lb/>
Abſtriche waren ſo ſtark, daß man ein Fünftel der direkten Steuern<lb/>
erlaſſen konnte. Im Uebrigen leiſtete die lärmende Verſammlung ſehr<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[245/0259]
Die Oppoſition im bairiſchen Landtage.
zwungen, eine halbe Million Gulden aus ſeinen eigenen Mitteln vor-
zuſchießen.
Bei allen dieſen Händeln trat wieder grell zu Tage, wie wenig der
bairiſche Staat noch vermocht hatte den Gegenſatz der Landſchaften zu
verſöhnen. Die Pfälzer und die Franken ſtanden faſt ſämmtlich zu der
liberalen Fahne, allen voran der Advocat Schüler aus Bergzabern, „die
Stütze des Volks, der Koloß an Geiſt und Charakter“ — wie die Zei-
tungen ihn nannten — in der That ein feiner Kopf, der ſeine radicalen
Anſichten faſt immer klug und mit vornehmem Anſtand vertrat. Bei den
Altbaiern dagegen herrſchte die alte Begeiſterung für Thron und Altar,
mehr noch im Volke als unter den Abgeordneten. Die Münchener Bürger-
ſchaft und die tauſende von Arbeitern, welche der königliche Kunſtfreund
bei ſeinen Bauten beſchäftigte, grollten über die Schmälerung der Civilliſte
und holten den Monarchen in feierlichem Zuge ein, als er von einer
Reiſe heimkehrte. Die Gautinger Bauern ſchaarten ſich zuſammen unter
der Führung des bergiſchen Freiherrn v. Hallberg, des allbekannten
„Eremiten von Gauting“, und ſendeten eine geharniſchte Adreſſe: der
König möge ſeinen getreuen Bauern nur winken, „und in einer Stunde
haben Ew. Majeſtät keine lebenden Feinde mehr!“ Seitdem diente der
Name der Gautinger, wie vormals am Rhein der Name der Hatzenporter,
der liberalen Preſſe viele Jahre lang zur Bezeichnung des Bedientenſinnes.
Eine ſchwierige Mittelſtellung zwiſchen den Parteien behauptete der
junge Freiherr v. Rotenhan aus der fränkiſchen Reichsritterſchaft, ein
Burſchenſchafter, von der Hochſchule her mit Stüve und dem Jenenſer
Buchhändler Frommann befreundet, durch Blutsverwandtſchaft und Ge-
ſinnungsgemeinſchaft mit dem Berliner Präſidenten Grolman eng ver-
bunden, ein edler Patriot von freiem, weitem Blicke, unabhängig nach
oben wie nach unten. Die Liberalen wußten ſeinen Freimuth noch nicht
zu ſchätzen, weil er ein gläubiger Proteſtant war und als beſonnener
Reformer den Brandreden der Demagogen oft ſehr ſcharf entgegentrat.
Gleich ihm dachte ſein Freund Graf Giech, der Schwiegerſohn des Freiherrn
vom Stein. Die Beiden bildeten faſt die einzige Brücke zwiſchen der
hiſtoriſchen Staatsgeſinnung des Nordens und dem vernunftrechtlichen
Liberalismus des Südens. Wie weit die Kluft zwiſchen dieſen Anſichten
noch war, das empfand Chriſtian Rauch ſehr lebhaft, als er um jene
Zeit zur Vollendung ſeines Königsdenkmals nach München kam; Thierſch
und ſeine anderen bairiſchen Freunde betrachteten ihn faſt wie einen Ko-
ſaken, weil er als guter Preuße das gerühmte allgemeine Staatsrecht
nicht bewundere, in den Polen nur die Feinde ſeines Vaterlandes ſehen
wollte.
Nach langem Feilſchen kam das Budget doch noch zu Stande; die
Abſtriche waren ſo ſtark, daß man ein Fünftel der direkten Steuern
erlaſſen konnte. Im Uebrigen leiſtete die lärmende Verſammlung ſehr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/259>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.