Unterdessen ward auch der Nassauer Landtag von Stürmen heim- gesucht. Es war der alte widerliche Zank um das Eigenthum des Kammer- guts, der die ganze Verfassungsgeschichte dieses mißhandelten Landes ausfüllte.*) Herzog Wilhelm nannte sich selbst einen von den Wiener Grundsätzen durchtränkten Ultraroyalisten, er erklärte es für "eine leere Floskel", daß die Gesetze regieren sollten, und hoffte auf die Zeit, da man mit Hilfe des Bundes "ohne Widerstand und mit gutem Gewissen die modernen Constitutionen Deutschlands aufheben" könne.**) Einer solchen Regierung gegenüber konnte der Landtag, der sich im Januar 1831 versammelte, wenig ausrichten; er trat bescheiden auf, verwahrte aber das Recht des Landes auf die Kammergüter und wurde darum nach einigen Monaten vertagt. Selbst der preußische Geschäftsträger Heinrich von Arnim, ein geistreicher Romantiker aus dem Kreise des Kronprinzen, konnte nicht leugnen, daß die tiefe Verstimmung des Volkes wesentlich durch den falschen Stolz und den Eigennutz des Herzogs sowie durch das Pascha-Regiment seines Ministers Marschall verschuldet war.***)
Sobald die Stände im Herbst sich wieder versammelten, vermehrte der Herzog die Zahl der Mitglieder der Herrencurie von sechs auf siebzehn, um bei den gemeinsamen Sitzungen des Landtags immer der Mehrheit sicher zu sein. Die zweite Kammer plante eine Steuerverweigerung, da sie nicht einmal einen Rechenschaftsbericht über die Einnahmen des Kammer- gutes mitgetheilt erhielt. Sie wurde aufgelöst, und als der neugewählte Landtag im April 1832 zusammentrat, wußte er sich gegen den bösen Willen der Regierung nicht mehr zu helfen. Die große Mehrheit der zweiten Kammer erklärte nach eintägiger Sitzung ihren Austritt. Nur fünf Ge- treue Marschall's blieben auf ihren Plätzen, und diese Fünfmännerschaft hatte den verzweifelten Muth, das von dem Minister vorgelegte Budget bis auf wenige Abstriche zu bewilligen. Einige Volksaufläufe in Wiesbaden und anderen Städten wurden leicht unterdrückt; aber im Lande herrschte, wie Arnim selbst gestand, "allgemeine Empörung". Ein so persönlicher Streit zwischen der Habgier des Fürstenhauses und dem Rechtsbewußtsein des Landes mußte selbst dies friedfertige Völkchen erbittern. Sogar das allmächtige Beamtenthum konnte sich der wohlberechtigten Aufregung des Volkes nicht entziehen.+) Gehässige Untersuchungen, welche Marschall gegen den wackeren Kammer-Präsidenten Herber und die anderen ausgetretenen Abgeordneten einleiten ließ, gossen nur Oel ins Feuer. Der Herzog be- lohnte die ergebenen Mitglieder der Herrencurie, schalt auf sein unge-
*) Vgl. II. 373.
**) Witzleben's Tagebuch, 12. September 1825. Arnim's Bericht, 18. Septem- ber 1832.
Unterdeſſen ward auch der Naſſauer Landtag von Stürmen heim- geſucht. Es war der alte widerliche Zank um das Eigenthum des Kammer- guts, der die ganze Verfaſſungsgeſchichte dieſes mißhandelten Landes ausfüllte.*) Herzog Wilhelm nannte ſich ſelbſt einen von den Wiener Grundſätzen durchtränkten Ultraroyaliſten, er erklärte es für „eine leere Floskel“, daß die Geſetze regieren ſollten, und hoffte auf die Zeit, da man mit Hilfe des Bundes „ohne Widerſtand und mit gutem Gewiſſen die modernen Conſtitutionen Deutſchlands aufheben“ könne.**) Einer ſolchen Regierung gegenüber konnte der Landtag, der ſich im Januar 1831 verſammelte, wenig ausrichten; er trat beſcheiden auf, verwahrte aber das Recht des Landes auf die Kammergüter und wurde darum nach einigen Monaten vertagt. Selbſt der preußiſche Geſchäftsträger Heinrich von Arnim, ein geiſtreicher Romantiker aus dem Kreiſe des Kronprinzen, konnte nicht leugnen, daß die tiefe Verſtimmung des Volkes weſentlich durch den falſchen Stolz und den Eigennutz des Herzogs ſowie durch das Paſcha-Regiment ſeines Miniſters Marſchall verſchuldet war.***)
Sobald die Stände im Herbſt ſich wieder verſammelten, vermehrte der Herzog die Zahl der Mitglieder der Herrencurie von ſechs auf ſiebzehn, um bei den gemeinſamen Sitzungen des Landtags immer der Mehrheit ſicher zu ſein. Die zweite Kammer plante eine Steuerverweigerung, da ſie nicht einmal einen Rechenſchaftsbericht über die Einnahmen des Kammer- gutes mitgetheilt erhielt. Sie wurde aufgelöſt, und als der neugewählte Landtag im April 1832 zuſammentrat, wußte er ſich gegen den böſen Willen der Regierung nicht mehr zu helfen. Die große Mehrheit der zweiten Kammer erklärte nach eintägiger Sitzung ihren Austritt. Nur fünf Ge- treue Marſchall’s blieben auf ihren Plätzen, und dieſe Fünfmännerſchaft hatte den verzweifelten Muth, das von dem Miniſter vorgelegte Budget bis auf wenige Abſtriche zu bewilligen. Einige Volksaufläufe in Wiesbaden und anderen Städten wurden leicht unterdrückt; aber im Lande herrſchte, wie Arnim ſelbſt geſtand, „allgemeine Empörung“. Ein ſo perſönlicher Streit zwiſchen der Habgier des Fürſtenhauſes und dem Rechtsbewußtſein des Landes mußte ſelbſt dies friedfertige Völkchen erbittern. Sogar das allmächtige Beamtenthum konnte ſich der wohlberechtigten Aufregung des Volkes nicht entziehen.†) Gehäſſige Unterſuchungen, welche Marſchall gegen den wackeren Kammer-Präſidenten Herber und die anderen ausgetretenen Abgeordneten einleiten ließ, goſſen nur Oel ins Feuer. Der Herzog be- lohnte die ergebenen Mitglieder der Herrencurie, ſchalt auf ſein unge-
*) Vgl. II. 373.
**) Witzleben’s Tagebuch, 12. September 1825. Arnim’s Bericht, 18. Septem- ber 1832.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0252"n="238"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">IV.</hi> 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.</fw><lb/><p>Unterdeſſen ward auch der Naſſauer Landtag von Stürmen heim-<lb/>
geſucht. Es war der alte widerliche Zank um das Eigenthum des Kammer-<lb/>
guts, der die ganze Verfaſſungsgeſchichte dieſes mißhandelten Landes<lb/>
ausfüllte.<noteplace="foot"n="*)">Vgl. <hirendition="#aq">II.</hi> 373.</note> Herzog Wilhelm nannte ſich ſelbſt einen von den Wiener<lb/>
Grundſätzen durchtränkten Ultraroyaliſten, er erklärte es für „eine leere<lb/>
Floskel“, daß die Geſetze regieren ſollten, und hoffte auf die Zeit, da<lb/>
man mit Hilfe des Bundes „ohne Widerſtand und mit gutem Gewiſſen<lb/>
die modernen Conſtitutionen Deutſchlands aufheben“ könne.<noteplace="foot"n="**)">Witzleben’s Tagebuch, 12. September 1825. Arnim’s Bericht, 18. Septem-<lb/>
ber 1832.</note> Einer<lb/>ſolchen Regierung gegenüber konnte der Landtag, der ſich im Januar<lb/>
1831 verſammelte, wenig ausrichten; er trat beſcheiden auf, verwahrte<lb/>
aber das Recht des Landes auf die Kammergüter und wurde darum<lb/>
nach einigen Monaten vertagt. Selbſt der preußiſche Geſchäftsträger<lb/>
Heinrich von Arnim, ein geiſtreicher Romantiker aus dem Kreiſe des<lb/>
Kronprinzen, konnte nicht leugnen, daß die tiefe Verſtimmung des Volkes<lb/>
weſentlich durch den falſchen Stolz und den Eigennutz des Herzogs<lb/>ſowie durch das Paſcha-Regiment ſeines Miniſters Marſchall verſchuldet<lb/>
war.<noteplace="foot"n="***)">Arnim’s Berichte, 13. Mai 1831 ff.</note></p><lb/><p>Sobald die Stände im Herbſt ſich wieder verſammelten, vermehrte<lb/>
der Herzog die Zahl der Mitglieder der Herrencurie von ſechs auf ſiebzehn,<lb/>
um bei den gemeinſamen Sitzungen des Landtags immer der Mehrheit<lb/>ſicher zu ſein. Die zweite Kammer plante eine Steuerverweigerung, da<lb/>ſie nicht einmal einen Rechenſchaftsbericht über die Einnahmen des Kammer-<lb/>
gutes mitgetheilt erhielt. Sie wurde aufgelöſt, und als der neugewählte<lb/>
Landtag im April 1832 zuſammentrat, wußte er ſich gegen den böſen Willen<lb/>
der Regierung nicht mehr zu helfen. Die große Mehrheit der zweiten<lb/>
Kammer erklärte nach eintägiger Sitzung ihren Austritt. Nur fünf Ge-<lb/>
treue Marſchall’s blieben auf ihren Plätzen, und dieſe Fünfmännerſchaft<lb/>
hatte den verzweifelten Muth, das von dem Miniſter vorgelegte Budget bis<lb/>
auf wenige Abſtriche zu bewilligen. Einige Volksaufläufe in Wiesbaden<lb/>
und anderen Städten wurden leicht unterdrückt; aber im Lande herrſchte,<lb/>
wie Arnim ſelbſt geſtand, „allgemeine Empörung“. Ein ſo perſönlicher<lb/>
Streit zwiſchen der Habgier des Fürſtenhauſes und dem Rechtsbewußtſein<lb/>
des Landes mußte ſelbſt dies friedfertige Völkchen erbittern. Sogar das<lb/>
allmächtige Beamtenthum konnte ſich der wohlberechtigten Aufregung des<lb/>
Volkes nicht entziehen.<noteplace="foot"n="†)">Arnim’s Berichte, 16. 17. Mai, 19. Juni, 2. Sept. 1832.</note> Gehäſſige Unterſuchungen, welche Marſchall gegen<lb/>
den wackeren Kammer-Präſidenten Herber und die anderen ausgetretenen<lb/>
Abgeordneten einleiten ließ, goſſen nur Oel ins Feuer. Der Herzog be-<lb/>
lohnte die ergebenen Mitglieder der Herrencurie, ſchalt auf ſein unge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[238/0252]
IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
Unterdeſſen ward auch der Naſſauer Landtag von Stürmen heim-
geſucht. Es war der alte widerliche Zank um das Eigenthum des Kammer-
guts, der die ganze Verfaſſungsgeſchichte dieſes mißhandelten Landes
ausfüllte. *) Herzog Wilhelm nannte ſich ſelbſt einen von den Wiener
Grundſätzen durchtränkten Ultraroyaliſten, er erklärte es für „eine leere
Floskel“, daß die Geſetze regieren ſollten, und hoffte auf die Zeit, da
man mit Hilfe des Bundes „ohne Widerſtand und mit gutem Gewiſſen
die modernen Conſtitutionen Deutſchlands aufheben“ könne. **) Einer
ſolchen Regierung gegenüber konnte der Landtag, der ſich im Januar
1831 verſammelte, wenig ausrichten; er trat beſcheiden auf, verwahrte
aber das Recht des Landes auf die Kammergüter und wurde darum
nach einigen Monaten vertagt. Selbſt der preußiſche Geſchäftsträger
Heinrich von Arnim, ein geiſtreicher Romantiker aus dem Kreiſe des
Kronprinzen, konnte nicht leugnen, daß die tiefe Verſtimmung des Volkes
weſentlich durch den falſchen Stolz und den Eigennutz des Herzogs
ſowie durch das Paſcha-Regiment ſeines Miniſters Marſchall verſchuldet
war. ***)
Sobald die Stände im Herbſt ſich wieder verſammelten, vermehrte
der Herzog die Zahl der Mitglieder der Herrencurie von ſechs auf ſiebzehn,
um bei den gemeinſamen Sitzungen des Landtags immer der Mehrheit
ſicher zu ſein. Die zweite Kammer plante eine Steuerverweigerung, da
ſie nicht einmal einen Rechenſchaftsbericht über die Einnahmen des Kammer-
gutes mitgetheilt erhielt. Sie wurde aufgelöſt, und als der neugewählte
Landtag im April 1832 zuſammentrat, wußte er ſich gegen den böſen Willen
der Regierung nicht mehr zu helfen. Die große Mehrheit der zweiten
Kammer erklärte nach eintägiger Sitzung ihren Austritt. Nur fünf Ge-
treue Marſchall’s blieben auf ihren Plätzen, und dieſe Fünfmännerſchaft
hatte den verzweifelten Muth, das von dem Miniſter vorgelegte Budget bis
auf wenige Abſtriche zu bewilligen. Einige Volksaufläufe in Wiesbaden
und anderen Städten wurden leicht unterdrückt; aber im Lande herrſchte,
wie Arnim ſelbſt geſtand, „allgemeine Empörung“. Ein ſo perſönlicher
Streit zwiſchen der Habgier des Fürſtenhauſes und dem Rechtsbewußtſein
des Landes mußte ſelbſt dies friedfertige Völkchen erbittern. Sogar das
allmächtige Beamtenthum konnte ſich der wohlberechtigten Aufregung des
Volkes nicht entziehen. †) Gehäſſige Unterſuchungen, welche Marſchall gegen
den wackeren Kammer-Präſidenten Herber und die anderen ausgetretenen
Abgeordneten einleiten ließ, goſſen nur Oel ins Feuer. Der Herzog be-
lohnte die ergebenen Mitglieder der Herrencurie, ſchalt auf ſein unge-
*) Vgl. II. 373.
**) Witzleben’s Tagebuch, 12. September 1825. Arnim’s Bericht, 18. Septem-
ber 1832.
***) Arnim’s Berichte, 13. Mai 1831 ff.
†) Arnim’s Berichte, 16. 17. Mai, 19. Juni, 2. Sept. 1832.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/252>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.