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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Welcker verlangt ein deutsches Parlament.
Abgeordneten war ebenfalls an der Glückseligkeit ihres badischen Muster-
landes ungleich mehr gelegen als an der Zukunft Deutschlands; durch
vertrauliches Zureden ließen sie sich bewegen, den Welcker'schen Antrag
"in die Abtheilungen zu verweisen", das will sagen: ihn in der Stille
zu beerdigen. Welch ein unheimliches Schauspiel! Der Bundestag ver-
bot den Deutschen, ihm politische Adressen zu senden, und nun bestritt
eine sehr nachgiebige Regierung selbst den Landtagen das Recht, über
Bundesangelegenheiten auch nur mitzureden. Wenn man also der Nation
jeden gesetzlichen Weg zur Bundesreform versperrte, was blieb ihr schließ-
lich noch übrig als die Bahn der Revolution?

Nachdem Rotteck noch einmal in leidenschaftlicher Rede wider die
neuesten Bundesbeschlüsse, wider "das Joch Oesterreichs und Preußens"
gedonnert und über 34 aus allen Theilen des Landes eingelaufene Dank-
adressen triumphirend berichtet hatte, wurde der Landtag zu Ende Decem-
bers geschlossen. Ein Rausch der Freude ging durch das Land. Ueberall
Ehrenpforten und Ehrenjungfrauen, Festzüge und Festschmäuse für die
heimkehrenden Volksmänner. Auf dem Festkuchen der Stadt Heidelberg
stand, herrlich in Zucker gegossen, die Göttin des Ruhmes, am Munde
die Tuba, in der Hand eine Tafel mit den Namen der großen badischen
Landtagsredner; Europa schaute bewundernd zu diesen Namen empor,
während der Genius der Knechtschaft mit seiner Geißel trauernd abseits
saß. Am treuesten bekundete sich die Gesinnung des festlustigen Ländchens
in einem Liede, das beim Abschiedsmahle der Kammern in Karlsruhe
gesungen wurde:

Wohin ich blicke weit umher,
So schön wie hier ist's nirgends mehr!

Konnten die großen Mächte diesen selbstzufriedenen Liberalismus,
der sich so dreist über die Bundesverfassung hinwegsetzte, auf die Dauer
gewähren lassen? Der Berliner Hof zeigte sich anfangs sehr geduldig.
Er mahnte den Großherzog zu kräftiger Haltung, doch er warnte ihn
auch vor verfassungswidrigen Schritten und versicherte wiederholt, daß
Preußen sich in die badischen Händel nicht einmischen werde.*) Erst als
das Preßgesetz erschien schlug die Stimmung um. Eine Verhöhnung des
Bundesrechts wollte sich der König nicht bieten lassen; auch das Doppel-
spiel, das die Karlsruher Regierung zwischen dem Landtage und dem
Bundestage getrieben, widerte ihn an. Bald nach der Entlassung der Kam-
mern berichtete der badische Gesandte aus Berlin verzweifelnd: "Preußen
vertraut uns nicht mehr!" Er ahnte, daß sich über seiner Heimath ein
Unwetter zusammenzog, dem sie schwerlich widerstehen konnte. --


*) Ancillon, Weisung an Arnim, 21. Januar, an Otterstedt, 15. Juli; Bern-
storff, Weisung an Otterstedt, 18. November 1831.

Welcker verlangt ein deutſches Parlament.
Abgeordneten war ebenfalls an der Glückſeligkeit ihres badiſchen Muſter-
landes ungleich mehr gelegen als an der Zukunft Deutſchlands; durch
vertrauliches Zureden ließen ſie ſich bewegen, den Welcker’ſchen Antrag
„in die Abtheilungen zu verweiſen“, das will ſagen: ihn in der Stille
zu beerdigen. Welch ein unheimliches Schauſpiel! Der Bundestag ver-
bot den Deutſchen, ihm politiſche Adreſſen zu ſenden, und nun beſtritt
eine ſehr nachgiebige Regierung ſelbſt den Landtagen das Recht, über
Bundesangelegenheiten auch nur mitzureden. Wenn man alſo der Nation
jeden geſetzlichen Weg zur Bundesreform verſperrte, was blieb ihr ſchließ-
lich noch übrig als die Bahn der Revolution?

Nachdem Rotteck noch einmal in leidenſchaftlicher Rede wider die
neueſten Bundesbeſchlüſſe, wider „das Joch Oeſterreichs und Preußens“
gedonnert und über 34 aus allen Theilen des Landes eingelaufene Dank-
adreſſen triumphirend berichtet hatte, wurde der Landtag zu Ende Decem-
bers geſchloſſen. Ein Rauſch der Freude ging durch das Land. Ueberall
Ehrenpforten und Ehrenjungfrauen, Feſtzüge und Feſtſchmäuſe für die
heimkehrenden Volksmänner. Auf dem Feſtkuchen der Stadt Heidelberg
ſtand, herrlich in Zucker gegoſſen, die Göttin des Ruhmes, am Munde
die Tuba, in der Hand eine Tafel mit den Namen der großen badiſchen
Landtagsredner; Europa ſchaute bewundernd zu dieſen Namen empor,
während der Genius der Knechtſchaft mit ſeiner Geißel trauernd abſeits
ſaß. Am treueſten bekundete ſich die Geſinnung des feſtluſtigen Ländchens
in einem Liede, das beim Abſchiedsmahle der Kammern in Karlsruhe
geſungen wurde:

Wohin ich blicke weit umher,
So ſchön wie hier iſt’s nirgends mehr!

Konnten die großen Mächte dieſen ſelbſtzufriedenen Liberalismus,
der ſich ſo dreiſt über die Bundesverfaſſung hinwegſetzte, auf die Dauer
gewähren laſſen? Der Berliner Hof zeigte ſich anfangs ſehr geduldig.
Er mahnte den Großherzog zu kräftiger Haltung, doch er warnte ihn
auch vor verfaſſungswidrigen Schritten und verſicherte wiederholt, daß
Preußen ſich in die badiſchen Händel nicht einmiſchen werde.*) Erſt als
das Preßgeſetz erſchien ſchlug die Stimmung um. Eine Verhöhnung des
Bundesrechts wollte ſich der König nicht bieten laſſen; auch das Doppel-
ſpiel, das die Karlsruher Regierung zwiſchen dem Landtage und dem
Bundestage getrieben, widerte ihn an. Bald nach der Entlaſſung der Kam-
mern berichtete der badiſche Geſandte aus Berlin verzweifelnd: „Preußen
vertraut uns nicht mehr!“ Er ahnte, daß ſich über ſeiner Heimath ein
Unwetter zuſammenzog, dem ſie ſchwerlich widerſtehen konnte. —


*) Ancillon, Weiſung an Arnim, 21. Januar, an Otterſtedt, 15. Juli; Bern-
ſtorff, Weiſung an Otterſtedt, 18. November 1831.
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[237/0251] Welcker verlangt ein deutſches Parlament. Abgeordneten war ebenfalls an der Glückſeligkeit ihres badiſchen Muſter- landes ungleich mehr gelegen als an der Zukunft Deutſchlands; durch vertrauliches Zureden ließen ſie ſich bewegen, den Welcker’ſchen Antrag „in die Abtheilungen zu verweiſen“, das will ſagen: ihn in der Stille zu beerdigen. Welch ein unheimliches Schauſpiel! Der Bundestag ver- bot den Deutſchen, ihm politiſche Adreſſen zu ſenden, und nun beſtritt eine ſehr nachgiebige Regierung ſelbſt den Landtagen das Recht, über Bundesangelegenheiten auch nur mitzureden. Wenn man alſo der Nation jeden geſetzlichen Weg zur Bundesreform verſperrte, was blieb ihr ſchließ- lich noch übrig als die Bahn der Revolution? Nachdem Rotteck noch einmal in leidenſchaftlicher Rede wider die neueſten Bundesbeſchlüſſe, wider „das Joch Oeſterreichs und Preußens“ gedonnert und über 34 aus allen Theilen des Landes eingelaufene Dank- adreſſen triumphirend berichtet hatte, wurde der Landtag zu Ende Decem- bers geſchloſſen. Ein Rauſch der Freude ging durch das Land. Ueberall Ehrenpforten und Ehrenjungfrauen, Feſtzüge und Feſtſchmäuſe für die heimkehrenden Volksmänner. Auf dem Feſtkuchen der Stadt Heidelberg ſtand, herrlich in Zucker gegoſſen, die Göttin des Ruhmes, am Munde die Tuba, in der Hand eine Tafel mit den Namen der großen badiſchen Landtagsredner; Europa ſchaute bewundernd zu dieſen Namen empor, während der Genius der Knechtſchaft mit ſeiner Geißel trauernd abſeits ſaß. Am treueſten bekundete ſich die Geſinnung des feſtluſtigen Ländchens in einem Liede, das beim Abſchiedsmahle der Kammern in Karlsruhe geſungen wurde: Wohin ich blicke weit umher, So ſchön wie hier iſt’s nirgends mehr! Konnten die großen Mächte dieſen ſelbſtzufriedenen Liberalismus, der ſich ſo dreiſt über die Bundesverfaſſung hinwegſetzte, auf die Dauer gewähren laſſen? Der Berliner Hof zeigte ſich anfangs ſehr geduldig. Er mahnte den Großherzog zu kräftiger Haltung, doch er warnte ihn auch vor verfaſſungswidrigen Schritten und verſicherte wiederholt, daß Preußen ſich in die badiſchen Händel nicht einmiſchen werde. *) Erſt als das Preßgeſetz erſchien ſchlug die Stimmung um. Eine Verhöhnung des Bundesrechts wollte ſich der König nicht bieten laſſen; auch das Doppel- ſpiel, das die Karlsruher Regierung zwiſchen dem Landtage und dem Bundestage getrieben, widerte ihn an. Bald nach der Entlaſſung der Kam- mern berichtete der badiſche Geſandte aus Berlin verzweifelnd: „Preußen vertraut uns nicht mehr!“ Er ahnte, daß ſich über ſeiner Heimath ein Unwetter zuſammenzog, dem ſie ſchwerlich widerſtehen konnte. — *) Ancillon, Weiſung an Arnim, 21. Januar, an Otterſtedt, 15. Juli; Bern- ſtorff, Weiſung an Otterſtedt, 18. November 1831.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/251>, abgerufen am 24.11.2024.