drängende Künstelei. Er zählte auf, daß in der ersten Kammer sogar einige der von der Krone ernannten Mitglieder gegen das Gesetz gestimmt hätten, und in seinem Parteihasse verstieg sich der Held der unentwegten Ueberzeugungstreue bis zu der Behauptung: diese Mitglieder seien ver- pflichtet ihre Ueberzeugung den Ministern zu opfern! Da der Präsident die Schmähungen ungerügt ließ, so beschwerte sich die beleidigte Erste Kammer. Rotteck aber verweigerte jede Genugthuung und rief unter donnerndem Beifall: "Zum Höfling bin ich verdorben, ich bin Volksvertreter!" -- ein geflügeltes Wort, das fortan auf zahllosen Ehrenbechern und Dank- adressen prangte. Schließlich mußte man sich doch zu einigen kleinen Zu- geständnissen an die Grundherren bequemen; der Fürst von Fürstenberg, ein feingebildeter, wohlwollender Aristokrat, vermittelte zwischen beiden Kammern. Zwei Ablösungsgesetze, über die Frohnden und den Neubruch- Zehnten, kamen zu Stande, andere standen in sicherer Aussicht, und Rotteck behielt das Verdienst, der agrarischen Reform die Bahn gebrochen zu haben.
Auch in minder wichtigen Fragen bekundete sich der Uebermuth der Liberalen. Auf ihr Verlangen mußte ein Censor, der sich beim Schoppen einige offenherzige Worte über Ludwig Philipp und die Fran- zosen erlaubt hatte, sofort seines Amtes enthoben werden; jeder Zweifel an der Tugend des messianischen Freiheitsvolkes galt schon als Verrath. Die in Karlsruhe üblichen Motionen auf Beseitigung des Cölibats fehlten auch diesmal nicht, obwohl weder Rotteck noch irgend einer seiner katholischen Freunde gesonnen war, der römischen Kirche den Gehorsam aufzusagen. Der allen liberalen Gemüthern theure Verfassungseid des Heeres wurde ebenfalls gefordert, aber zum Glück noch abgewendet; nur die Offiziere erhielten durch eine neue Dienstpragmatik dieselbe rechtliche Stellung wie die übrigen Staatsdiener und "verwandelten sich also, wie Rotteck rühmte, aus willenlosen Waffenknechten oder blinden Werkzeugen der Gewalt in vaterländische Wehrmänner." Sehr stürmisch verliefen die Verhandlungen über die Ausgaben des Heerwesens. Großherzog Ludwig hatte jahrelang die Besoldungen des Chefs der Armee und des Kriegsministers für sich bezogen, und die Kammern waren bisher über dies unfürstliche Verhalten stillschweigend hinweggegangen, da der alte Herr jene beiden Aemter in der That verwaltet hatte. Jetzt aber wurde die abgethane Sache mit großem Lärm ans Licht gezogen, der Kriegsminister sogar, wie es der Brauch des Tages war, mit einer Anklage bedroht. Itzstein entleerte einen Köcher voll vergifteter Pfeile gegen den Hof und schloß seine von Bosheit triefende Rede mit den erhabenen Worten: "Der jüngst ver- storbene Regent ruht im Grabe, als sprechender Beweis, daß Fürsten zu bloßem Staube zurückkehren wie ihre Unterthanen."
Das für die Zukunft folgenreichste Ereigniß dieser Tagung war eine Motion Welcker's auf "organische Entwicklung des Deutschen Bundes".
Rotteck und die Handvoll Junker.
drängende Künſtelei. Er zählte auf, daß in der erſten Kammer ſogar einige der von der Krone ernannten Mitglieder gegen das Geſetz geſtimmt hätten, und in ſeinem Parteihaſſe verſtieg ſich der Held der unentwegten Ueberzeugungstreue bis zu der Behauptung: dieſe Mitglieder ſeien ver- pflichtet ihre Ueberzeugung den Miniſtern zu opfern! Da der Präſident die Schmähungen ungerügt ließ, ſo beſchwerte ſich die beleidigte Erſte Kammer. Rotteck aber verweigerte jede Genugthuung und rief unter donnerndem Beifall: „Zum Höfling bin ich verdorben, ich bin Volksvertreter!“ — ein geflügeltes Wort, das fortan auf zahlloſen Ehrenbechern und Dank- adreſſen prangte. Schließlich mußte man ſich doch zu einigen kleinen Zu- geſtändniſſen an die Grundherren bequemen; der Fürſt von Fürſtenberg, ein feingebildeter, wohlwollender Ariſtokrat, vermittelte zwiſchen beiden Kammern. Zwei Ablöſungsgeſetze, über die Frohnden und den Neubruch- Zehnten, kamen zu Stande, andere ſtanden in ſicherer Ausſicht, und Rotteck behielt das Verdienſt, der agrariſchen Reform die Bahn gebrochen zu haben.
Auch in minder wichtigen Fragen bekundete ſich der Uebermuth der Liberalen. Auf ihr Verlangen mußte ein Cenſor, der ſich beim Schoppen einige offenherzige Worte über Ludwig Philipp und die Fran- zoſen erlaubt hatte, ſofort ſeines Amtes enthoben werden; jeder Zweifel an der Tugend des meſſianiſchen Freiheitsvolkes galt ſchon als Verrath. Die in Karlsruhe üblichen Motionen auf Beſeitigung des Cölibats fehlten auch diesmal nicht, obwohl weder Rotteck noch irgend einer ſeiner katholiſchen Freunde geſonnen war, der römiſchen Kirche den Gehorſam aufzuſagen. Der allen liberalen Gemüthern theure Verfaſſungseid des Heeres wurde ebenfalls gefordert, aber zum Glück noch abgewendet; nur die Offiziere erhielten durch eine neue Dienſtpragmatik dieſelbe rechtliche Stellung wie die übrigen Staatsdiener und „verwandelten ſich alſo, wie Rotteck rühmte, aus willenloſen Waffenknechten oder blinden Werkzeugen der Gewalt in vaterländiſche Wehrmänner.“ Sehr ſtürmiſch verliefen die Verhandlungen über die Ausgaben des Heerweſens. Großherzog Ludwig hatte jahrelang die Beſoldungen des Chefs der Armee und des Kriegsminiſters für ſich bezogen, und die Kammern waren bisher über dies unfürſtliche Verhalten ſtillſchweigend hinweggegangen, da der alte Herr jene beiden Aemter in der That verwaltet hatte. Jetzt aber wurde die abgethane Sache mit großem Lärm ans Licht gezogen, der Kriegsminiſter ſogar, wie es der Brauch des Tages war, mit einer Anklage bedroht. Itzſtein entleerte einen Köcher voll vergifteter Pfeile gegen den Hof und ſchloß ſeine von Bosheit triefende Rede mit den erhabenen Worten: „Der jüngſt ver- ſtorbene Regent ruht im Grabe, als ſprechender Beweis, daß Fürſten zu bloßem Staube zurückkehren wie ihre Unterthanen.“
Das für die Zukunft folgenreichſte Ereigniß dieſer Tagung war eine Motion Welcker’s auf „organiſche Entwicklung des Deutſchen Bundes“.
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Rotteck und die Handvoll Junker.
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einige der von der Krone ernannten Mitglieder gegen das Geſetz geſtimmt
hätten, und in ſeinem Parteihaſſe verſtieg ſich der Held der unentwegten
Ueberzeugungstreue bis zu der Behauptung: dieſe Mitglieder ſeien ver-
pflichtet ihre Ueberzeugung den Miniſtern zu opfern! Da der Präſident die
Schmähungen ungerügt ließ, ſo beſchwerte ſich die beleidigte Erſte Kammer.
Rotteck aber verweigerte jede Genugthuung und rief unter donnerndem
Beifall: „Zum Höfling bin ich verdorben, ich bin Volksvertreter!“ —
ein geflügeltes Wort, das fortan auf zahlloſen Ehrenbechern und Dank-
adreſſen prangte. Schließlich mußte man ſich doch zu einigen kleinen Zu-
geſtändniſſen an die Grundherren bequemen; der Fürſt von Fürſtenberg,
ein feingebildeter, wohlwollender Ariſtokrat, vermittelte zwiſchen beiden
Kammern. Zwei Ablöſungsgeſetze, über die Frohnden und den Neubruch-
Zehnten, kamen zu Stande, andere ſtanden in ſicherer Ausſicht, und
Rotteck behielt das Verdienſt, der agrariſchen Reform die Bahn gebrochen
zu haben.
Auch in minder wichtigen Fragen bekundete ſich der Uebermuth
der Liberalen. Auf ihr Verlangen mußte ein Cenſor, der ſich beim
Schoppen einige offenherzige Worte über Ludwig Philipp und die Fran-
zoſen erlaubt hatte, ſofort ſeines Amtes enthoben werden; jeder Zweifel an
der Tugend des meſſianiſchen Freiheitsvolkes galt ſchon als Verrath. Die
in Karlsruhe üblichen Motionen auf Beſeitigung des Cölibats fehlten auch
diesmal nicht, obwohl weder Rotteck noch irgend einer ſeiner katholiſchen
Freunde geſonnen war, der römiſchen Kirche den Gehorſam aufzuſagen.
Der allen liberalen Gemüthern theure Verfaſſungseid des Heeres wurde
ebenfalls gefordert, aber zum Glück noch abgewendet; nur die Offiziere
erhielten durch eine neue Dienſtpragmatik dieſelbe rechtliche Stellung wie
die übrigen Staatsdiener und „verwandelten ſich alſo, wie Rotteck rühmte,
aus willenloſen Waffenknechten oder blinden Werkzeugen der Gewalt in
vaterländiſche Wehrmänner.“ Sehr ſtürmiſch verliefen die Verhandlungen
über die Ausgaben des Heerweſens. Großherzog Ludwig hatte jahrelang
die Beſoldungen des Chefs der Armee und des Kriegsminiſters für ſich
bezogen, und die Kammern waren bisher über dies unfürſtliche Verhalten
ſtillſchweigend hinweggegangen, da der alte Herr jene beiden Aemter in
der That verwaltet hatte. Jetzt aber wurde die abgethane Sache mit
großem Lärm ans Licht gezogen, der Kriegsminiſter ſogar, wie es der
Brauch des Tages war, mit einer Anklage bedroht. Itzſtein entleerte
einen Köcher voll vergifteter Pfeile gegen den Hof und ſchloß ſeine von
Bosheit triefende Rede mit den erhabenen Worten: „Der jüngſt ver-
ſtorbene Regent ruht im Grabe, als ſprechender Beweis, daß Fürſten zu
bloßem Staube zurückkehren wie ihre Unterthanen.“
Das für die Zukunft folgenreichſte Ereigniß dieſer Tagung war eine
Motion Welcker’s auf „organiſche Entwicklung des Deutſchen Bundes“.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/249>, abgerufen am 28.11.2024.
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