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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die Radicalen im Elsaß.
schaarten sich freudig, neuen Kriegsruhms gewärtig, um die wiederaufge-
richtete Tricolore. Sofort ward nun den badischen Nachbarn die Herrlich-
keit französischer Bürgerfreiheit angepriesen. Der Straßburger "National-
gardist Gradaus" schilderte dem Bauern Vetter Michel die Wunder der
neuen Zeit in jenem behaglichen Biedermannstone, der seit Hebel's Volks-
kalendern den Badenern geläufig war. Dann erschien der "Widerhall
deutscher Volksstimme in Grüßen an das deutsche Vaterland", ein Libell
voll wüthender Anklagen gegen die "Spürnasen und gefütterten Hunds-
naturen" der Fürsten, gegen "das servile Corps einexercirter Potsdamer
Kamaschenknechte", das an den Grenzen Polens stehe, statt "im Staube
knieend den größten aller Soldaten, Kosciuszko," zu verehren -- und so
weiter eine ganze Reihe wüster Brandschriften, zumeist aus dem Verlage
von Silbermann in Straßburg. Der König von Württemberg erfuhr
bald durch seine wachsame Polizei, daß in Straßburg ein geheimes Re-
volutions-Comite bestand, das allwöchentlich zwei Boten nach Karlsruhe
und Stuttgart sendete; er befahl aber "dem Winter nichts zu sagen"
weil er ihm nicht über den Weg traute.*)

Der Straßburger Niederrheinische Curier brachte eine Beilage "das
constitutionelle Deutschland", die offenbar zur Aufwiegelung des deutschen
Südens bestimmt, von dem jungen Stralsunder Cornelius geleitet, durch
badische und pfälzische Radicale mit Beiträgen versorgt wurde. Hier
erklang wieder das alte Rheinbundslied, nur in neuer Tonart, zu Ehren
deutscher Macht und Herrlichkeit: "Gebt Deutschland eine Verfassung,
die es zur sechsten Großmacht erhebe. Laßt Preußen und Oesterreich,
deren Interessen nicht die unseren sind, ihre eigenen Bahnen gehen, aber
vereinigt Euch zu einem einzigen, herrlichen und mächtigen Volke"
unter einem auf Zeit gewählten Oberhaupte und Reichsständen. Auch
die französischen Zeitungen, zumal die bonapartistische Revolution ver-
standen klüglich bald dem Einheitsdrange der Deutschen zu schmeicheln
und die schmähliche, allein durch die kleinen Tyrannen verschuldete
Zersplitterung des großen deutschen Vaterlandes zu verhöhnen, bald
für sich die natürlichen Grenzen zurückzufordern: dann werde "Frank-
reich durch eine heilsame, großmüthige Einmischung, nöthigenfalls mit den
Waffen, den Kampf der beiden großen Staatsgedanken zu Gunsten der
Völker entscheiden."

Bei so frischem Westwinde mußten dem badischen Liberalismus wohl
die Segel schwellen. Unter Rotteck's und Itzstein's gewandter Führung
hatte sich die geschlagene Partei in der Stille gesammelt, und bei den
Landtagswahlen, die auf Winter's ausdrücklichen Befehl völlig unbelästigt
blieben, errang sie einen glänzenden Sieg. Die neue Zweite Kammer, die

*) K. Wilhelm, Weisung an Bismarck, mitgetheilt in Arnim's Bericht, Karlsruhe
25. Jan. 1831.
15*

Die Radicalen im Elſaß.
ſchaarten ſich freudig, neuen Kriegsruhms gewärtig, um die wiederaufge-
richtete Tricolore. Sofort ward nun den badiſchen Nachbarn die Herrlich-
keit franzöſiſcher Bürgerfreiheit angeprieſen. Der Straßburger „National-
gardiſt Gradaus“ ſchilderte dem Bauern Vetter Michel die Wunder der
neuen Zeit in jenem behaglichen Biedermannstone, der ſeit Hebel’s Volks-
kalendern den Badenern geläufig war. Dann erſchien der „Widerhall
deutſcher Volksſtimme in Grüßen an das deutſche Vaterland“, ein Libell
voll wüthender Anklagen gegen die „Spürnaſen und gefütterten Hunds-
naturen“ der Fürſten, gegen „das ſervile Corps einexercirter Potsdamer
Kamaſchenknechte“, das an den Grenzen Polens ſtehe, ſtatt „im Staube
knieend den größten aller Soldaten, Kosciuszko,“ zu verehren — und ſo
weiter eine ganze Reihe wüſter Brandſchriften, zumeiſt aus dem Verlage
von Silbermann in Straßburg. Der König von Württemberg erfuhr
bald durch ſeine wachſame Polizei, daß in Straßburg ein geheimes Re-
volutions-Comité beſtand, das allwöchentlich zwei Boten nach Karlsruhe
und Stuttgart ſendete; er befahl aber „dem Winter nichts zu ſagen“
weil er ihm nicht über den Weg traute.*)

Der Straßburger Niederrheiniſche Curier brachte eine Beilage „das
conſtitutionelle Deutſchland“, die offenbar zur Aufwiegelung des deutſchen
Südens beſtimmt, von dem jungen Stralſunder Cornelius geleitet, durch
badiſche und pfälziſche Radicale mit Beiträgen verſorgt wurde. Hier
erklang wieder das alte Rheinbundslied, nur in neuer Tonart, zu Ehren
deutſcher Macht und Herrlichkeit: „Gebt Deutſchland eine Verfaſſung,
die es zur ſechſten Großmacht erhebe. Laßt Preußen und Oeſterreich,
deren Intereſſen nicht die unſeren ſind, ihre eigenen Bahnen gehen, aber
vereinigt Euch zu einem einzigen, herrlichen und mächtigen Volke“
unter einem auf Zeit gewählten Oberhaupte und Reichsſtänden. Auch
die franzöſiſchen Zeitungen, zumal die bonapartiſtiſche Révolution ver-
ſtanden klüglich bald dem Einheitsdrange der Deutſchen zu ſchmeicheln
und die ſchmähliche, allein durch die kleinen Tyrannen verſchuldete
Zerſplitterung des großen deutſchen Vaterlandes zu verhöhnen, bald
für ſich die natürlichen Grenzen zurückzufordern: dann werde „Frank-
reich durch eine heilſame, großmüthige Einmiſchung, nöthigenfalls mit den
Waffen, den Kampf der beiden großen Staatsgedanken zu Gunſten der
Völker entſcheiden.“

Bei ſo friſchem Weſtwinde mußten dem badiſchen Liberalismus wohl
die Segel ſchwellen. Unter Rotteck’s und Itzſtein’s gewandter Führung
hatte ſich die geſchlagene Partei in der Stille geſammelt, und bei den
Landtagswahlen, die auf Winter’s ausdrücklichen Befehl völlig unbeläſtigt
blieben, errang ſie einen glänzenden Sieg. Die neue Zweite Kammer, die

*) K. Wilhelm, Weiſung an Bismarck, mitgetheilt in Arnim’s Bericht, Karlsruhe
25. Jan. 1831.
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[227/0241] Die Radicalen im Elſaß. ſchaarten ſich freudig, neuen Kriegsruhms gewärtig, um die wiederaufge- richtete Tricolore. Sofort ward nun den badiſchen Nachbarn die Herrlich- keit franzöſiſcher Bürgerfreiheit angeprieſen. Der Straßburger „National- gardiſt Gradaus“ ſchilderte dem Bauern Vetter Michel die Wunder der neuen Zeit in jenem behaglichen Biedermannstone, der ſeit Hebel’s Volks- kalendern den Badenern geläufig war. Dann erſchien der „Widerhall deutſcher Volksſtimme in Grüßen an das deutſche Vaterland“, ein Libell voll wüthender Anklagen gegen die „Spürnaſen und gefütterten Hunds- naturen“ der Fürſten, gegen „das ſervile Corps einexercirter Potsdamer Kamaſchenknechte“, das an den Grenzen Polens ſtehe, ſtatt „im Staube knieend den größten aller Soldaten, Kosciuszko,“ zu verehren — und ſo weiter eine ganze Reihe wüſter Brandſchriften, zumeiſt aus dem Verlage von Silbermann in Straßburg. Der König von Württemberg erfuhr bald durch ſeine wachſame Polizei, daß in Straßburg ein geheimes Re- volutions-Comité beſtand, das allwöchentlich zwei Boten nach Karlsruhe und Stuttgart ſendete; er befahl aber „dem Winter nichts zu ſagen“ weil er ihm nicht über den Weg traute. *) Der Straßburger Niederrheiniſche Curier brachte eine Beilage „das conſtitutionelle Deutſchland“, die offenbar zur Aufwiegelung des deutſchen Südens beſtimmt, von dem jungen Stralſunder Cornelius geleitet, durch badiſche und pfälziſche Radicale mit Beiträgen verſorgt wurde. Hier erklang wieder das alte Rheinbundslied, nur in neuer Tonart, zu Ehren deutſcher Macht und Herrlichkeit: „Gebt Deutſchland eine Verfaſſung, die es zur ſechſten Großmacht erhebe. Laßt Preußen und Oeſterreich, deren Intereſſen nicht die unſeren ſind, ihre eigenen Bahnen gehen, aber vereinigt Euch zu einem einzigen, herrlichen und mächtigen Volke“ unter einem auf Zeit gewählten Oberhaupte und Reichsſtänden. Auch die franzöſiſchen Zeitungen, zumal die bonapartiſtiſche Révolution ver- ſtanden klüglich bald dem Einheitsdrange der Deutſchen zu ſchmeicheln und die ſchmähliche, allein durch die kleinen Tyrannen verſchuldete Zerſplitterung des großen deutſchen Vaterlandes zu verhöhnen, bald für ſich die natürlichen Grenzen zurückzufordern: dann werde „Frank- reich durch eine heilſame, großmüthige Einmiſchung, nöthigenfalls mit den Waffen, den Kampf der beiden großen Staatsgedanken zu Gunſten der Völker entſcheiden.“ Bei ſo friſchem Weſtwinde mußten dem badiſchen Liberalismus wohl die Segel ſchwellen. Unter Rotteck’s und Itzſtein’s gewandter Führung hatte ſich die geſchlagene Partei in der Stille geſammelt, und bei den Landtagswahlen, die auf Winter’s ausdrücklichen Befehl völlig unbeläſtigt blieben, errang ſie einen glänzenden Sieg. Die neue Zweite Kammer, die *) K. Wilhelm, Weiſung an Bismarck, mitgetheilt in Arnim’s Bericht, Karlsruhe 25. Jan. 1831. 15*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/241>, abgerufen am 28.11.2024.