des vorsichtigen, wohlwollenden Particularismus fand Winter nur wenige zuverlässige Gehilfen. Da das kleine Land kein anderes diplomatisches Talent besaß, so mußte Blittersdorff auf dem wichtigen Frankfurter Posten bleiben, und der Heißsporn der Reaktion trug kein Bedenken, eigenmächtig, oft gegen seine Weisungen, den österreichischen Bundesgesandten zu unterstützen, so daß der Karlsruher Hof bald in den Ruf der Zwei- züngigkeit gerieth. In das Auswärtige Amt ward Frhr. v. Türckheim berufen, derselbe, der vor zwölf Jahren die Vorrechte des Adels so leb- haft gegen Winter's Angriffe vertheidigt hatte,*) ein Staatsmann von feiner Bildung und gemäßigten Grundsätzen, aber ein Aristokrat, dem bei der ganz bürgerlichen Weltanschauung des leitenden Beamten nicht immer wohl zu Muthe war.
Und diese gespaltene Regierung stand fortwährend unter dem Kreuz- feuer der überlegenen Nachbarhöfe. Gleich seinem Vorgänger wollte auch Großherzog Leopold sich treu an Preußen anschließen, schon weil er Schutz brauchte gegen die bairischen Anschläge; er bat den König herzlich um die Bewahrung "der gütigen Gesinnungen, die meinem Hause und Lande von jeher als Stützpunkt zugewendet waren."**) Aber während Otterstedt für den Zollverein und die Neugestaltung des Bundesheeres arbeitete, wirkte der österreichische Gesandte Graf Buol, den man doch auch nicht verletzen wollte, heimlich dagegen; dazwischen hinein kamen scharfe Droh- ungen vom Bundestage, der Münchener Hof meldete seine Erbansprüche an, und der französische Gesandte empfahl beharrlich einen neuen, neu- tralen Rheinbund.
Und dazu die Macht der unaufhaltsam aus dem Auslande ein- dringenden revolutionären Ideen. Hier an der langgestreckten offenen Grenze war selbst die Karlsbader Censur machtlos. Die radicalen Schweizer Zei- tungen überschwemmten das Oberland, sie predigten allesammt den Fürsten- haß und vornehmlich den Kampf wider den preußischen Zollverein. Noch schädlicher wirkte die Nachbarschaft Frankreichs. Nunmehr da die über- müthige Kriegslust der Franzosen wieder auflebte, empfand man erst ganz, welch ein Pfahl im deutschen Fleische das französische Straßburg war. Dies drohende Ausfallsthor dicht vor dem schutzlosen deutschen Oberlande raubte den süddeutschen Höfen allen die ruhige Sicherheit, und zugleich ward die alte Reichsstadt der Herd einer gewissenlosen Propaganda, welche jetzt weit erfolgreicher arbeitete als einst in den Tagen der ersten Republik. Da die Elsasser erst seit den Agrargesetzen der Revolution und seit den Waffenthaten des Kaiserreichs sich als Franzosen fühlten, so hegten sie für das alte Königshaus wenig Theilnahme, beseitigten nach den Juli- tagen alsbald die königlichen Lilien aus dem Straßburger Wappen und
*) s. o. II. 517.
**) Großh. Leopold an K. Friedrich Wilhelm, 22. Juni 1830.
IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
des vorſichtigen, wohlwollenden Particularismus fand Winter nur wenige zuverläſſige Gehilfen. Da das kleine Land kein anderes diplomatiſches Talent beſaß, ſo mußte Blittersdorff auf dem wichtigen Frankfurter Poſten bleiben, und der Heißſporn der Reaktion trug kein Bedenken, eigenmächtig, oft gegen ſeine Weiſungen, den öſterreichiſchen Bundesgeſandten zu unterſtützen, ſo daß der Karlsruher Hof bald in den Ruf der Zwei- züngigkeit gerieth. In das Auswärtige Amt ward Frhr. v. Türckheim berufen, derſelbe, der vor zwölf Jahren die Vorrechte des Adels ſo leb- haft gegen Winter’s Angriffe vertheidigt hatte,*) ein Staatsmann von feiner Bildung und gemäßigten Grundſätzen, aber ein Ariſtokrat, dem bei der ganz bürgerlichen Weltanſchauung des leitenden Beamten nicht immer wohl zu Muthe war.
Und dieſe geſpaltene Regierung ſtand fortwährend unter dem Kreuz- feuer der überlegenen Nachbarhöfe. Gleich ſeinem Vorgänger wollte auch Großherzog Leopold ſich treu an Preußen anſchließen, ſchon weil er Schutz brauchte gegen die bairiſchen Anſchläge; er bat den König herzlich um die Bewahrung „der gütigen Geſinnungen, die meinem Hauſe und Lande von jeher als Stützpunkt zugewendet waren.“**) Aber während Otterſtedt für den Zollverein und die Neugeſtaltung des Bundesheeres arbeitete, wirkte der öſterreichiſche Geſandte Graf Buol, den man doch auch nicht verletzen wollte, heimlich dagegen; dazwiſchen hinein kamen ſcharfe Droh- ungen vom Bundestage, der Münchener Hof meldete ſeine Erbanſprüche an, und der franzöſiſche Geſandte empfahl beharrlich einen neuen, neu- tralen Rheinbund.
Und dazu die Macht der unaufhaltſam aus dem Auslande ein- dringenden revolutionären Ideen. Hier an der langgeſtreckten offenen Grenze war ſelbſt die Karlsbader Cenſur machtlos. Die radicalen Schweizer Zei- tungen überſchwemmten das Oberland, ſie predigten alleſammt den Fürſten- haß und vornehmlich den Kampf wider den preußiſchen Zollverein. Noch ſchädlicher wirkte die Nachbarſchaft Frankreichs. Nunmehr da die über- müthige Kriegsluſt der Franzoſen wieder auflebte, empfand man erſt ganz, welch ein Pfahl im deutſchen Fleiſche das franzöſiſche Straßburg war. Dies drohende Ausfallsthor dicht vor dem ſchutzloſen deutſchen Oberlande raubte den ſüddeutſchen Höfen allen die ruhige Sicherheit, und zugleich ward die alte Reichsſtadt der Herd einer gewiſſenloſen Propaganda, welche jetzt weit erfolgreicher arbeitete als einſt in den Tagen der erſten Republik. Da die Elſaſſer erſt ſeit den Agrargeſetzen der Revolution und ſeit den Waffenthaten des Kaiſerreichs ſich als Franzoſen fühlten, ſo hegten ſie für das alte Königshaus wenig Theilnahme, beſeitigten nach den Juli- tagen alsbald die königlichen Lilien aus dem Straßburger Wappen und
*) ſ. o. II. 517.
**) Großh. Leopold an K. Friedrich Wilhelm, 22. Juni 1830.
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des vorſichtigen, wohlwollenden Particularismus fand Winter nur wenige
zuverläſſige Gehilfen. Da das kleine Land kein anderes diplomatiſches
Talent beſaß, ſo mußte Blittersdorff auf dem wichtigen Frankfurter
Poſten bleiben, und der Heißſporn der Reaktion trug kein Bedenken,
eigenmächtig, oft gegen ſeine Weiſungen, den öſterreichiſchen Bundesgeſandten
zu unterſtützen, ſo daß der Karlsruher Hof bald in den Ruf der Zwei-
züngigkeit gerieth. In das Auswärtige Amt ward Frhr. v. Türckheim
berufen, derſelbe, der vor zwölf Jahren die Vorrechte des Adels ſo leb-
haft gegen Winter’s Angriffe vertheidigt hatte, *) ein Staatsmann von
feiner Bildung und gemäßigten Grundſätzen, aber ein Ariſtokrat, dem
bei der ganz bürgerlichen Weltanſchauung des leitenden Beamten nicht
immer wohl zu Muthe war.
Und dieſe geſpaltene Regierung ſtand fortwährend unter dem Kreuz-
feuer der überlegenen Nachbarhöfe. Gleich ſeinem Vorgänger wollte auch
Großherzog Leopold ſich treu an Preußen anſchließen, ſchon weil er Schutz
brauchte gegen die bairiſchen Anſchläge; er bat den König herzlich um
die Bewahrung „der gütigen Geſinnungen, die meinem Hauſe und Lande
von jeher als Stützpunkt zugewendet waren.“ **) Aber während Otterſtedt
für den Zollverein und die Neugeſtaltung des Bundesheeres arbeitete,
wirkte der öſterreichiſche Geſandte Graf Buol, den man doch auch nicht
verletzen wollte, heimlich dagegen; dazwiſchen hinein kamen ſcharfe Droh-
ungen vom Bundestage, der Münchener Hof meldete ſeine Erbanſprüche
an, und der franzöſiſche Geſandte empfahl beharrlich einen neuen, neu-
tralen Rheinbund.
Und dazu die Macht der unaufhaltſam aus dem Auslande ein-
dringenden revolutionären Ideen. Hier an der langgeſtreckten offenen Grenze
war ſelbſt die Karlsbader Cenſur machtlos. Die radicalen Schweizer Zei-
tungen überſchwemmten das Oberland, ſie predigten alleſammt den Fürſten-
haß und vornehmlich den Kampf wider den preußiſchen Zollverein. Noch
ſchädlicher wirkte die Nachbarſchaft Frankreichs. Nunmehr da die über-
müthige Kriegsluſt der Franzoſen wieder auflebte, empfand man erſt ganz,
welch ein Pfahl im deutſchen Fleiſche das franzöſiſche Straßburg war.
Dies drohende Ausfallsthor dicht vor dem ſchutzloſen deutſchen Oberlande
raubte den ſüddeutſchen Höfen allen die ruhige Sicherheit, und zugleich
ward die alte Reichsſtadt der Herd einer gewiſſenloſen Propaganda, welche
jetzt weit erfolgreicher arbeitete als einſt in den Tagen der erſten Republik.
Da die Elſaſſer erſt ſeit den Agrargeſetzen der Revolution und ſeit den
Waffenthaten des Kaiſerreichs ſich als Franzoſen fühlten, ſo hegten ſie
für das alte Königshaus wenig Theilnahme, beſeitigten nach den Juli-
tagen alsbald die königlichen Lilien aus dem Straßburger Wappen und
*) ſ. o. II. 517.
**) Großh. Leopold an K. Friedrich Wilhelm, 22. Juni 1830.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/240>, abgerufen am 25.11.2024.
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