Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Leopold von Baden. Winter. einen jener freundlichen Fußtritte, welche seinem nachtragenden Gemüthewohl thaten. Er haßte Berstett als persönlichen Feind und Verleumder noch von den Veroneser Zeiten her. Als nun Markgraf Wilhelm die Württem- bergische Prinzessin freite, schenkte der König dem badischen Hausminister die übliche Dose; er ließ sie aber nicht, wie der Brauch war, mit seinem Bildniß schmücken, sondern die offenbar höhnisch gemeinte Inschrift Loyaute et verite! darauf setzen. Berstett tobte über diese neue Beleidigung "des unversöhnlichen Nachbarkönigs"; er sendete das Danaergeschenk dem Gesandten General Bismarck mit einem stolzen Briefe zurück, klagte dem diplomatischen Corps sein Herzeleid. Der Arme mußte Temperirpulver nehmen um seinen Zorn zu bändigen, und das gesammte hohe Beamten- thum theilte seine Entrüstung. Nur der Großherzog wagte nicht, sich des gekränkten Ministers anzunehmen, und nun merkte Berstett endlich doch, daß seine Uhr abgelaufen sei. Gegen Ende des Jahres war sein und Berckheim's Rücktritt entschieden.*) Bald nachher verschwand auch Major Hennenhofer, jener zweideutige Günstling des alten Großherzogs, der sich auch dem Nachfolger schon durch seine Vielgeschäftigkeit unentbehrlich ge- macht hatte; eine Stuttgarter liberale Zeitung, der Hochwächter, brachte so arge Enthüllungen über seinen sittlichen Wandel, daß man ihn un- möglich länger halten konnte.**) Das alte System war gestürzt, das neue noch nicht befestigt. Winter *) Berstett an Bismarck 9. December, an Otterstedt 16. December; Otterstedt's Berichte 6. 16. 25. December 1830. **) Berichte Salviati's 19. Juni, Otterstedt's 14. Juni 1831. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 15
Leopold von Baden. Winter. einen jener freundlichen Fußtritte, welche ſeinem nachtragenden Gemüthewohl thaten. Er haßte Berſtett als perſönlichen Feind und Verleumder noch von den Veroneſer Zeiten her. Als nun Markgraf Wilhelm die Württem- bergiſche Prinzeſſin freite, ſchenkte der König dem badiſchen Hausminiſter die übliche Doſe; er ließ ſie aber nicht, wie der Brauch war, mit ſeinem Bildniß ſchmücken, ſondern die offenbar höhniſch gemeinte Inſchrift Loyauté et vérité! darauf ſetzen. Berſtett tobte über dieſe neue Beleidigung „des unverſöhnlichen Nachbarkönigs“; er ſendete das Danaergeſchenk dem Geſandten General Bismarck mit einem ſtolzen Briefe zurück, klagte dem diplomatiſchen Corps ſein Herzeleid. Der Arme mußte Temperirpulver nehmen um ſeinen Zorn zu bändigen, und das geſammte hohe Beamten- thum theilte ſeine Entrüſtung. Nur der Großherzog wagte nicht, ſich des gekränkten Miniſters anzunehmen, und nun merkte Berſtett endlich doch, daß ſeine Uhr abgelaufen ſei. Gegen Ende des Jahres war ſein und Berckheim’s Rücktritt entſchieden.*) Bald nachher verſchwand auch Major Hennenhofer, jener zweideutige Günſtling des alten Großherzogs, der ſich auch dem Nachfolger ſchon durch ſeine Vielgeſchäftigkeit unentbehrlich ge- macht hatte; eine Stuttgarter liberale Zeitung, der Hochwächter, brachte ſo arge Enthüllungen über ſeinen ſittlichen Wandel, daß man ihn un- möglich länger halten konnte.**) Das alte Syſtem war geſtürzt, das neue noch nicht befeſtigt. Winter *) Berſtett an Bismarck 9. December, an Otterſtedt 16. December; Otterſtedt’s Berichte 6. 16. 25. December 1830. **) Berichte Salviati’s 19. Juni, Otterſtedt’s 14. Juni 1831. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 15
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0239" n="225"/><fw place="top" type="header">Leopold von Baden. Winter.</fw><lb/> einen jener freundlichen Fußtritte, welche ſeinem nachtragenden Gemüthe<lb/> wohl thaten. Er haßte Berſtett als perſönlichen Feind und Verleumder noch<lb/> von den Veroneſer Zeiten her. Als nun Markgraf Wilhelm die Württem-<lb/> bergiſche Prinzeſſin freite, ſchenkte der König dem badiſchen Hausminiſter<lb/> die übliche Doſe; er ließ ſie aber nicht, wie der Brauch war, mit ſeinem<lb/> Bildniß ſchmücken, ſondern die offenbar höhniſch gemeinte Inſchrift <hi rendition="#aq">Loyauté<lb/> et vérité!</hi> darauf ſetzen. Berſtett tobte über dieſe neue Beleidigung „des<lb/> unverſöhnlichen Nachbarkönigs“; er ſendete das Danaergeſchenk dem<lb/> Geſandten General Bismarck mit einem ſtolzen Briefe zurück, klagte dem<lb/> diplomatiſchen Corps ſein Herzeleid. Der Arme mußte Temperirpulver<lb/> nehmen um ſeinen Zorn zu bändigen, und das geſammte hohe Beamten-<lb/> thum theilte ſeine Entrüſtung. Nur der Großherzog wagte nicht, ſich des<lb/> gekränkten Miniſters anzunehmen, und nun merkte Berſtett endlich doch,<lb/> daß ſeine Uhr abgelaufen ſei. Gegen Ende des Jahres war ſein und<lb/> Berckheim’s Rücktritt entſchieden.<note place="foot" n="*)">Berſtett an Bismarck 9. December, an Otterſtedt 16. December; Otterſtedt’s<lb/> Berichte 6. 16. 25. December 1830.</note> Bald nachher verſchwand auch Major<lb/> Hennenhofer, jener zweideutige Günſtling des alten Großherzogs, der ſich<lb/> auch dem Nachfolger ſchon durch ſeine Vielgeſchäftigkeit unentbehrlich ge-<lb/> macht hatte; eine Stuttgarter liberale Zeitung, der Hochwächter, brachte<lb/> ſo arge Enthüllungen über ſeinen ſittlichen Wandel, daß man ihn un-<lb/> möglich länger halten konnte.<note place="foot" n="**)">Berichte Salviati’s 19. Juni, Otterſtedt’s 14. Juni 1831.</note></p><lb/> <p>Das alte Syſtem war geſtürzt, das neue noch nicht befeſtigt. Winter<lb/> übernahm nunmehr förmlich die Leitung des Miniſteriums des Innern.<lb/> Er hegte die redliche Abſicht, ſtreng nach der Verfaſſung zu regieren und<lb/> trug ſich mit mannichfachen wohldurchdachten Reformplänen. Doch über<lb/> die Grenzen des Ländchens reichte ſein Blick nicht weit hinaus: genug,<lb/> wenn nur der Bundestag, deſſen erbärmliche Geſetze dem gewiegten Ge-<lb/> ſchäftsmanne wie elaſtiſcher Gummi vorkamen, durch eine behutſame<lb/> Politik verhindert wurde, ſich in die badiſchen Dinge einzumiſchen. Da<lb/> er ſelber an dem Ideale eines wohlverwalteten Mittelſtaates ſein Genügen<lb/> fand, ſo täuſchte er ſich gänzlich über die Macht des neuen Radicalismus,<lb/> der doch nur darum ſo drohend überhand nahm, weil das Volk die<lb/> Jämmerlichkeit der Kleinſtaaterei dunkel empfand und ſich nach einem<lb/> großen politiſchen Leben ſehnte. Er hielt eine Revolution in Deutſchland<lb/> für ganz undenkbar — ein verhängnißvoller Irrthum, der faſt allen den<lb/> gemäßigt conſervativen Miniſtern der conſtitutionellen Kleinſtaaten gemein<lb/> war — und ſuchte den Grund der allgemeinen Aufregung allein in den<lb/> Brandreden der „Impfer“: ſo nannte er in ſeiner volksthümlich derben<lb/> Redeweiſe jene liberalen Schwätzer, die dem Volke ſo lange von ſeinem<lb/> Unglück vorſprächen, bis es ſelber daran glaubte. Für dieſe Staatskunſt<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Treitſchke</hi>, Deutſche Geſchichte. <hi rendition="#aq">IV.</hi> 15</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [225/0239]
Leopold von Baden. Winter.
einen jener freundlichen Fußtritte, welche ſeinem nachtragenden Gemüthe
wohl thaten. Er haßte Berſtett als perſönlichen Feind und Verleumder noch
von den Veroneſer Zeiten her. Als nun Markgraf Wilhelm die Württem-
bergiſche Prinzeſſin freite, ſchenkte der König dem badiſchen Hausminiſter
die übliche Doſe; er ließ ſie aber nicht, wie der Brauch war, mit ſeinem
Bildniß ſchmücken, ſondern die offenbar höhniſch gemeinte Inſchrift Loyauté
et vérité! darauf ſetzen. Berſtett tobte über dieſe neue Beleidigung „des
unverſöhnlichen Nachbarkönigs“; er ſendete das Danaergeſchenk dem
Geſandten General Bismarck mit einem ſtolzen Briefe zurück, klagte dem
diplomatiſchen Corps ſein Herzeleid. Der Arme mußte Temperirpulver
nehmen um ſeinen Zorn zu bändigen, und das geſammte hohe Beamten-
thum theilte ſeine Entrüſtung. Nur der Großherzog wagte nicht, ſich des
gekränkten Miniſters anzunehmen, und nun merkte Berſtett endlich doch,
daß ſeine Uhr abgelaufen ſei. Gegen Ende des Jahres war ſein und
Berckheim’s Rücktritt entſchieden. *) Bald nachher verſchwand auch Major
Hennenhofer, jener zweideutige Günſtling des alten Großherzogs, der ſich
auch dem Nachfolger ſchon durch ſeine Vielgeſchäftigkeit unentbehrlich ge-
macht hatte; eine Stuttgarter liberale Zeitung, der Hochwächter, brachte
ſo arge Enthüllungen über ſeinen ſittlichen Wandel, daß man ihn un-
möglich länger halten konnte. **)
Das alte Syſtem war geſtürzt, das neue noch nicht befeſtigt. Winter
übernahm nunmehr förmlich die Leitung des Miniſteriums des Innern.
Er hegte die redliche Abſicht, ſtreng nach der Verfaſſung zu regieren und
trug ſich mit mannichfachen wohldurchdachten Reformplänen. Doch über
die Grenzen des Ländchens reichte ſein Blick nicht weit hinaus: genug,
wenn nur der Bundestag, deſſen erbärmliche Geſetze dem gewiegten Ge-
ſchäftsmanne wie elaſtiſcher Gummi vorkamen, durch eine behutſame
Politik verhindert wurde, ſich in die badiſchen Dinge einzumiſchen. Da
er ſelber an dem Ideale eines wohlverwalteten Mittelſtaates ſein Genügen
fand, ſo täuſchte er ſich gänzlich über die Macht des neuen Radicalismus,
der doch nur darum ſo drohend überhand nahm, weil das Volk die
Jämmerlichkeit der Kleinſtaaterei dunkel empfand und ſich nach einem
großen politiſchen Leben ſehnte. Er hielt eine Revolution in Deutſchland
für ganz undenkbar — ein verhängnißvoller Irrthum, der faſt allen den
gemäßigt conſervativen Miniſtern der conſtitutionellen Kleinſtaaten gemein
war — und ſuchte den Grund der allgemeinen Aufregung allein in den
Brandreden der „Impfer“: ſo nannte er in ſeiner volksthümlich derben
Redeweiſe jene liberalen Schwätzer, die dem Volke ſo lange von ſeinem
Unglück vorſprächen, bis es ſelber daran glaubte. Für dieſe Staatskunſt
*) Berſtett an Bismarck 9. December, an Otterſtedt 16. December; Otterſtedt’s
Berichte 6. 16. 25. December 1830.
**) Berichte Salviati’s 19. Juni, Otterſtedt’s 14. Juni 1831.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 15
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |