letzten Zusatz hatte Preußen beantragt um freundnachbarlich dem geäng- stigten Baiernkönige aus der Noth zu helfen. Im Uebrigen war der Beschluß weit milder und versöhnlicher gehalten als die früheren Frank- furter Ausnahmebeschlüsse. Der Bundestag sprach zugleich die Erwartung aus, daß die Regierungen nicht blos gefährliche Nachgiebigkeit vermeiden, sondern auch begründeten Beschwerden ihrer Unterthanen landesväterlich abhelfen würden. Eine solche Anerkennung der Rechte des Volks war in der Geschichte der Bundesversammlung unerhört. In seinem beglei- tenden Vortrage mußte Nagler sogar -- auf Eichhorn's bestimmten Befehl und gegen seine persönliche Neigung -- rundheraus erklären, daß manche Staaten durch Vernachlässigung ihrer Bundespflichten, namentlich durch die unterlassene Einführung der Landstände, allerdings Anlaß zu Klagen gegeben hätten.
Leider folgte dem verständigen Beschlusse ein Nachspiel, das den be- rechtigten Unwillen der Liberalen erregte. Jetzt zum ersten male erdreistete sich Czar Nikolaus in die Bundespolitik einzugreifen, indem er der Frankfurter Versammlung seine Anerkennung für ihre weisen Beschlüsse aussprach; der Bundestag antwortete durch ein Dankschreiben, ohne zu erwägen, daß wer loben darf auch zum Tadeln berechtigt ist. Bald darauf setzte Preußen durch, daß die Contingente der allerkleinsten Staaten endlich zu einer Reserve-Infanteriedivision vereinigt und für den Kriegs- fall zur Besetzung der Bundesfestungen verwendet werden sollten. Leicht hielten solche Beschlüsse mit nichten, denn die Bundes-Militärcommission führte auch in diesen gefährlichen Zeiten ihr subalternes Stillleben weiter. Sie stritt sich über den Eid des Commandanten der noch immer nicht vollendeten Bundesfestung Landau; Württemberg hielt ihr einen aus- giebigen Vortrag über die Frage, wer ein beim Luxemburger Festungsbau gefallenes Pferd zu bezahlen habe, und gelangte zu dem Ergebniß, daß dieser schwierige Fall nirgends vorgesehen, also nur durch ein neues Bundes- gesetz zu entscheiden sei.*)
Als die Kriegsgefahr näher rückte, stellte König Friedrich Wilhelm dem Auswärtigen Amte die Anfrage (10. Nov.), wie die Ruhe in Deutsch- land für den Fall des Krieges zu sichern sei. Bernstorff ließ darauf durch Eichhorn in einer ausführlichen Denkschrift die leitenden Grundsätze seiner Bundespolitik zusammenstellen (29. Januar 1831). Unbefangen gestand er zu, daß die Unzufriedenheit in den kleinen Staaten nicht allein durch die Juli-Revolution hervorgerufen sei, sondern durch schwere Fehler der Regierungen und vornehmlich durch den Unwillen der Deut- schen über ihre Zerrissenheit; darum dürfe der Krieg gegen Frankreich nicht als ein Principienkampf für das legitime Recht geführt werden, sondern als ein Vertheidigungskrieg für die vaterländischen Grenzen; dann
*) Nagler's Berichte, 10. 22. November, 10. December 1830.
IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
letzten Zuſatz hatte Preußen beantragt um freundnachbarlich dem geäng- ſtigten Baiernkönige aus der Noth zu helfen. Im Uebrigen war der Beſchluß weit milder und verſöhnlicher gehalten als die früheren Frank- furter Ausnahmebeſchlüſſe. Der Bundestag ſprach zugleich die Erwartung aus, daß die Regierungen nicht blos gefährliche Nachgiebigkeit vermeiden, ſondern auch begründeten Beſchwerden ihrer Unterthanen landesväterlich abhelfen würden. Eine ſolche Anerkennung der Rechte des Volks war in der Geſchichte der Bundesverſammlung unerhört. In ſeinem beglei- tenden Vortrage mußte Nagler ſogar — auf Eichhorn’s beſtimmten Befehl und gegen ſeine perſönliche Neigung — rundheraus erklären, daß manche Staaten durch Vernachläſſigung ihrer Bundespflichten, namentlich durch die unterlaſſene Einführung der Landſtände, allerdings Anlaß zu Klagen gegeben hätten.
Leider folgte dem verſtändigen Beſchluſſe ein Nachſpiel, das den be- rechtigten Unwillen der Liberalen erregte. Jetzt zum erſten male erdreiſtete ſich Czar Nikolaus in die Bundespolitik einzugreifen, indem er der Frankfurter Verſammlung ſeine Anerkennung für ihre weiſen Beſchlüſſe ausſprach; der Bundestag antwortete durch ein Dankſchreiben, ohne zu erwägen, daß wer loben darf auch zum Tadeln berechtigt iſt. Bald darauf ſetzte Preußen durch, daß die Contingente der allerkleinſten Staaten endlich zu einer Reſerve-Infanteriediviſion vereinigt und für den Kriegs- fall zur Beſetzung der Bundesfeſtungen verwendet werden ſollten. Leicht hielten ſolche Beſchlüſſe mit nichten, denn die Bundes-Militärcommiſſion führte auch in dieſen gefährlichen Zeiten ihr ſubalternes Stillleben weiter. Sie ſtritt ſich über den Eid des Commandanten der noch immer nicht vollendeten Bundesfeſtung Landau; Württemberg hielt ihr einen aus- giebigen Vortrag über die Frage, wer ein beim Luxemburger Feſtungsbau gefallenes Pferd zu bezahlen habe, und gelangte zu dem Ergebniß, daß dieſer ſchwierige Fall nirgends vorgeſehen, alſo nur durch ein neues Bundes- geſetz zu entſcheiden ſei.*)
Als die Kriegsgefahr näher rückte, ſtellte König Friedrich Wilhelm dem Auswärtigen Amte die Anfrage (10. Nov.), wie die Ruhe in Deutſch- land für den Fall des Krieges zu ſichern ſei. Bernſtorff ließ darauf durch Eichhorn in einer ausführlichen Denkſchrift die leitenden Grundſätze ſeiner Bundespolitik zuſammenſtellen (29. Januar 1831). Unbefangen geſtand er zu, daß die Unzufriedenheit in den kleinen Staaten nicht allein durch die Juli-Revolution hervorgerufen ſei, ſondern durch ſchwere Fehler der Regierungen und vornehmlich durch den Unwillen der Deut- ſchen über ihre Zerriſſenheit; darum dürfe der Krieg gegen Frankreich nicht als ein Principienkampf für das legitime Recht geführt werden, ſondern als ein Vertheidigungskrieg für die vaterländiſchen Grenzen; dann
*) Nagler’s Berichte, 10. 22. November, 10. December 1830.
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IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
letzten Zuſatz hatte Preußen beantragt um freundnachbarlich dem geäng-
ſtigten Baiernkönige aus der Noth zu helfen. Im Uebrigen war der
Beſchluß weit milder und verſöhnlicher gehalten als die früheren Frank-
furter Ausnahmebeſchlüſſe. Der Bundestag ſprach zugleich die Erwartung
aus, daß die Regierungen nicht blos gefährliche Nachgiebigkeit vermeiden,
ſondern auch begründeten Beſchwerden ihrer Unterthanen landesväterlich
abhelfen würden. Eine ſolche Anerkennung der Rechte des Volks war
in der Geſchichte der Bundesverſammlung unerhört. In ſeinem beglei-
tenden Vortrage mußte Nagler ſogar — auf Eichhorn’s beſtimmten Befehl
und gegen ſeine perſönliche Neigung — rundheraus erklären, daß manche
Staaten durch Vernachläſſigung ihrer Bundespflichten, namentlich durch
die unterlaſſene Einführung der Landſtände, allerdings Anlaß zu Klagen
gegeben hätten.
Leider folgte dem verſtändigen Beſchluſſe ein Nachſpiel, das den be-
rechtigten Unwillen der Liberalen erregte. Jetzt zum erſten male erdreiſtete
ſich Czar Nikolaus in die Bundespolitik einzugreifen, indem er der
Frankfurter Verſammlung ſeine Anerkennung für ihre weiſen Beſchlüſſe
ausſprach; der Bundestag antwortete durch ein Dankſchreiben, ohne zu
erwägen, daß wer loben darf auch zum Tadeln berechtigt iſt. Bald
darauf ſetzte Preußen durch, daß die Contingente der allerkleinſten Staaten
endlich zu einer Reſerve-Infanteriediviſion vereinigt und für den Kriegs-
fall zur Beſetzung der Bundesfeſtungen verwendet werden ſollten. Leicht
hielten ſolche Beſchlüſſe mit nichten, denn die Bundes-Militärcommiſſion
führte auch in dieſen gefährlichen Zeiten ihr ſubalternes Stillleben weiter.
Sie ſtritt ſich über den Eid des Commandanten der noch immer nicht
vollendeten Bundesfeſtung Landau; Württemberg hielt ihr einen aus-
giebigen Vortrag über die Frage, wer ein beim Luxemburger Feſtungsbau
gefallenes Pferd zu bezahlen habe, und gelangte zu dem Ergebniß, daß dieſer
ſchwierige Fall nirgends vorgeſehen, alſo nur durch ein neues Bundes-
geſetz zu entſcheiden ſei. *)
Als die Kriegsgefahr näher rückte, ſtellte König Friedrich Wilhelm
dem Auswärtigen Amte die Anfrage (10. Nov.), wie die Ruhe in Deutſch-
land für den Fall des Krieges zu ſichern ſei. Bernſtorff ließ darauf
durch Eichhorn in einer ausführlichen Denkſchrift die leitenden Grundſätze
ſeiner Bundespolitik zuſammenſtellen (29. Januar 1831). Unbefangen
geſtand er zu, daß die Unzufriedenheit in den kleinen Staaten nicht
allein durch die Juli-Revolution hervorgerufen ſei, ſondern durch ſchwere
Fehler der Regierungen und vornehmlich durch den Unwillen der Deut-
ſchen über ihre Zerriſſenheit; darum dürfe der Krieg gegen Frankreich
nicht als ein Principienkampf für das legitime Recht geführt werden,
ſondern als ein Vertheidigungskrieg für die vaterländiſchen Grenzen; dann
*) Nagler’s Berichte, 10. 22. November, 10. December 1830.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/228>, abgerufen am 26.11.2024.
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