Pommern für den weißen Adler beanspruchte. Ebenso roh und verlogen äußerte sich J. Czynski in der Schrift "Preußen im Jahre 1831" über die Behandlung seiner Landsleute. Mickiewicz aber, der gefeierte Dichter, theilte in "den Büchern des polnischen Volks" die ganze Weltgeschichte in zwei Abschnitte: "von Erschaffung der Welt bis zum Leidenstode der polnischen Nation", und dann die Zeit nachher. Den Charakter des Deutschen schilderte er also: "sein Vater ist der Arbeitsplatz und seine Mutter die Kneipe." Er schloß mit dem Gebete: "Erlöse uns, Herr, durch das Blut der Soldaten todtgeschlagen in Fischau von den Preußen!" Und diese wüthenden Angriffe der Todfeinde Deutschlands wurden von den süddeutschen Kammerrednern und Zeitungsschreibern eifrig nachgesprochen, obgleich zwei preußische Offiziere, Dankbahr und Brandt, beide Augen- zeugen, in verständigen Schriften den wirklichen Hergang längst wahrheits- getreu geschildert hatten. Was galten auch diesen fremdbrüderlichen Herzen die schlichten Worte deutscher Landsleute neben den Prahlereien "edler Polen"? So lautete das unerläßliche schmückende Beiwort in den liberalen Zeitungen, unedle Polen gab es nicht.
In Altpreußen ließen diese polnischen Händel zuletzt viel böses Blut zurück. Die langanhaltende Grenzbewachung störte den gewohnten Ver- kehr, und bei den Sperrmaßregeln gegen die Cholera konnten arge Miß- griffe nicht ausbleiben, da noch Niemand die räthselhafte Seuche kannte. Schön, der wie gewöhnlich Alles besser wußte, glaubte erkannt zu haben, daß die Cholera nicht ansteckend sei, und vermehrte die Verwirrung noch durch seine wohlgemeinten eigenmächtigen Vorschriften. Nach deutschem Brauche warf man alle Schuld auf die Regierung. Der Magistrat von Königsberg richtete im Juli 1831 eine sehr unehrerbietige Adresse an den König und verlangte völlige Absperrung gegen Rußland zu Lande wie zur See; eine höchst ungnädige Cabinetsordre verwies ihn zur Ruhe. Als nun endlich die Kriegswetter verrauschten, erstattete Rußland seinen Dank für Preußens freundnachbarliche Hilfe durch eine Verschärfung der Grenz- sperre, welche den gesetzlichen Handel zwischen den beiden Nachbarländern fast vernichtete. Die Provinz litt schwer, die Mißstimmung stieg, und um die Mitte der dreißiger Jahre erkannte man das gut königliche Königs- berg kaum mehr wieder. Die Stadt zerfiel fortan in zwei grimmig ver- feindete Parteien, die einander mit der ganzen Schroffheit der Altpreußen bekämpften, und die vordem so zahme Königsberger Zeitung redete jetzt über alle Schritte der Regierung mit einer Gehässigkeit, welche deutlich erkennen ließ, daß die schwere Willenskraft dieser Provinz leicht der Träger einer gefährlichen Opposition werden konnte. Wahrlich es war dringend geboten, allen diesen verhaltenen Gegensätzen endlich Thür und Thor zu öffnen; und Dahlmann traf den Nagel auf den Kopf, als er in der Han- noverschen Zeitung, in der "Rede eines Fürchtenden" sagte: "Wir haben einen Staat in Deutschland, der den wunderbaren Speer besitzt, welcher heilt
IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
Pommern für den weißen Adler beanſpruchte. Ebenſo roh und verlogen äußerte ſich J. Czynski in der Schrift „Preußen im Jahre 1831“ über die Behandlung ſeiner Landsleute. Mickiewicz aber, der gefeierte Dichter, theilte in „den Büchern des polniſchen Volks“ die ganze Weltgeſchichte in zwei Abſchnitte: „von Erſchaffung der Welt bis zum Leidenstode der polniſchen Nation“, und dann die Zeit nachher. Den Charakter des Deutſchen ſchilderte er alſo: „ſein Vater iſt der Arbeitsplatz und ſeine Mutter die Kneipe.“ Er ſchloß mit dem Gebete: „Erlöſe uns, Herr, durch das Blut der Soldaten todtgeſchlagen in Fiſchau von den Preußen!“ Und dieſe wüthenden Angriffe der Todfeinde Deutſchlands wurden von den ſüddeutſchen Kammerrednern und Zeitungsſchreibern eifrig nachgeſprochen, obgleich zwei preußiſche Offiziere, Dankbahr und Brandt, beide Augen- zeugen, in verſtändigen Schriften den wirklichen Hergang längſt wahrheits- getreu geſchildert hatten. Was galten auch dieſen fremdbrüderlichen Herzen die ſchlichten Worte deutſcher Landsleute neben den Prahlereien „edler Polen“? So lautete das unerläßliche ſchmückende Beiwort in den liberalen Zeitungen, unedle Polen gab es nicht.
In Altpreußen ließen dieſe polniſchen Händel zuletzt viel böſes Blut zurück. Die langanhaltende Grenzbewachung ſtörte den gewohnten Ver- kehr, und bei den Sperrmaßregeln gegen die Cholera konnten arge Miß- griffe nicht ausbleiben, da noch Niemand die räthſelhafte Seuche kannte. Schön, der wie gewöhnlich Alles beſſer wußte, glaubte erkannt zu haben, daß die Cholera nicht anſteckend ſei, und vermehrte die Verwirrung noch durch ſeine wohlgemeinten eigenmächtigen Vorſchriften. Nach deutſchem Brauche warf man alle Schuld auf die Regierung. Der Magiſtrat von Königsberg richtete im Juli 1831 eine ſehr unehrerbietige Adreſſe an den König und verlangte völlige Abſperrung gegen Rußland zu Lande wie zur See; eine höchſt ungnädige Cabinetsordre verwies ihn zur Ruhe. Als nun endlich die Kriegswetter verrauſchten, erſtattete Rußland ſeinen Dank für Preußens freundnachbarliche Hilfe durch eine Verſchärfung der Grenz- ſperre, welche den geſetzlichen Handel zwiſchen den beiden Nachbarländern faſt vernichtete. Die Provinz litt ſchwer, die Mißſtimmung ſtieg, und um die Mitte der dreißiger Jahre erkannte man das gut königliche Königs- berg kaum mehr wieder. Die Stadt zerfiel fortan in zwei grimmig ver- feindete Parteien, die einander mit der ganzen Schroffheit der Altpreußen bekämpften, und die vordem ſo zahme Königsberger Zeitung redete jetzt über alle Schritte der Regierung mit einer Gehäſſigkeit, welche deutlich erkennen ließ, daß die ſchwere Willenskraft dieſer Provinz leicht der Träger einer gefährlichen Oppoſition werden konnte. Wahrlich es war dringend geboten, allen dieſen verhaltenen Gegenſätzen endlich Thür und Thor zu öffnen; und Dahlmann traf den Nagel auf den Kopf, als er in der Han- noverſchen Zeitung, in der „Rede eines Fürchtenden“ ſagte: „Wir haben einen Staat in Deutſchland, der den wunderbaren Speer beſitzt, welcher heilt
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IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
Pommern für den weißen Adler beanſpruchte. Ebenſo roh und verlogen
äußerte ſich J. Czynski in der Schrift „Preußen im Jahre 1831“ über
die Behandlung ſeiner Landsleute. Mickiewicz aber, der gefeierte Dichter,
theilte in „den Büchern des polniſchen Volks“ die ganze Weltgeſchichte
in zwei Abſchnitte: „von Erſchaffung der Welt bis zum Leidenstode der
polniſchen Nation“, und dann die Zeit nachher. Den Charakter des
Deutſchen ſchilderte er alſo: „ſein Vater iſt der Arbeitsplatz und ſeine
Mutter die Kneipe.“ Er ſchloß mit dem Gebete: „Erlöſe uns, Herr, durch
das Blut der Soldaten todtgeſchlagen in Fiſchau von den Preußen!“ Und
dieſe wüthenden Angriffe der Todfeinde Deutſchlands wurden von den
ſüddeutſchen Kammerrednern und Zeitungsſchreibern eifrig nachgeſprochen,
obgleich zwei preußiſche Offiziere, Dankbahr und Brandt, beide Augen-
zeugen, in verſtändigen Schriften den wirklichen Hergang längſt wahrheits-
getreu geſchildert hatten. Was galten auch dieſen fremdbrüderlichen Herzen
die ſchlichten Worte deutſcher Landsleute neben den Prahlereien „edler
Polen“? So lautete das unerläßliche ſchmückende Beiwort in den liberalen
Zeitungen, unedle Polen gab es nicht.
In Altpreußen ließen dieſe polniſchen Händel zuletzt viel böſes Blut
zurück. Die langanhaltende Grenzbewachung ſtörte den gewohnten Ver-
kehr, und bei den Sperrmaßregeln gegen die Cholera konnten arge Miß-
griffe nicht ausbleiben, da noch Niemand die räthſelhafte Seuche kannte.
Schön, der wie gewöhnlich Alles beſſer wußte, glaubte erkannt zu haben,
daß die Cholera nicht anſteckend ſei, und vermehrte die Verwirrung noch
durch ſeine wohlgemeinten eigenmächtigen Vorſchriften. Nach deutſchem
Brauche warf man alle Schuld auf die Regierung. Der Magiſtrat von
Königsberg richtete im Juli 1831 eine ſehr unehrerbietige Adreſſe an den
König und verlangte völlige Abſperrung gegen Rußland zu Lande wie zur
See; eine höchſt ungnädige Cabinetsordre verwies ihn zur Ruhe. Als nun
endlich die Kriegswetter verrauſchten, erſtattete Rußland ſeinen Dank für
Preußens freundnachbarliche Hilfe durch eine Verſchärfung der Grenz-
ſperre, welche den geſetzlichen Handel zwiſchen den beiden Nachbarländern
faſt vernichtete. Die Provinz litt ſchwer, die Mißſtimmung ſtieg, und
um die Mitte der dreißiger Jahre erkannte man das gut königliche Königs-
berg kaum mehr wieder. Die Stadt zerfiel fortan in zwei grimmig ver-
feindete Parteien, die einander mit der ganzen Schroffheit der Altpreußen
bekämpften, und die vordem ſo zahme Königsberger Zeitung redete jetzt
über alle Schritte der Regierung mit einer Gehäſſigkeit, welche deutlich
erkennen ließ, daß die ſchwere Willenskraft dieſer Provinz leicht der Träger
einer gefährlichen Oppoſition werden konnte. Wahrlich es war dringend
geboten, allen dieſen verhaltenen Gegenſätzen endlich Thür und Thor zu
öffnen; und Dahlmann traf den Nagel auf den Kopf, als er in der Han-
noverſchen Zeitung, in der „Rede eines Fürchtenden“ ſagte: „Wir haben
einen Staat in Deutſchland, der den wunderbaren Speer beſitzt, welcher heilt
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/224>, abgerufen am 26.11.2024.
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