Baiern Grosse und Widmann, dann Dr. Butte und eine Schaar anonymer Schriftsteller, von denen keiner je das alte Deutschordensland betreten hatte. In seiner italienischen Abgeschiedenheit dichtete Platen seine wilden Polen- lieder, mit ungewohnter Wärme, aber auch mit vollendeter Unkenntniß aller Verhältnisse. Er glaubte im Ernst, daß "Rom und seine Jesuiten", die natürlich auf Seiten der rechtgläubigen Polen standen, mit den platt- nasigen Moskowitern Bruderküsse tauschten; denn die römische Mitra und die russische Knute galten den Liberalen ein für allemal als der Inbegriff alles politischen Verderbens. Und wenn der Dichter dem Czaren zurief:
Sohn eines Bankerts, Enkel einer Hure! Vernimmst Du nicht, daß Alle Dich begrüßen: Rehabeam, wie steht's mit Deinem Schwure? --
so vergaß er nur die Kleinigkeit, daß nicht Nikolaus, sondern die Polen ihren Schwur gebrochen hatten.
In Berlin bildeten die Polenfreunde den ersten schwachen Stamm einer liberalen Oppositionspartei. Sie versammelten sich täglich in der Conditorei von Steheli hinter dem Schauspielhause, lasen dort den Cour- rier polonais sowie das deutsche Warschauer Blatt und eiferten weidlich wider die russisch gesinnten Diplomaten und Offiziere des Adlichen Casinos am Pariser Platze, zumal wider den treuen Stägemann, der als guter Ostpreuße den alten Markmannenhaß gegen die Sarmaten in seinen anti-messenischen Oden ungescheut aussprach und kurzweg sagte:
Glimme der Feuerball, Der Polen hieß, zur Nacht geschleudert, Unter der Asche die letzte Gluth aus!
Außer Ed. Gans schürte namentlich Varnhagen mit seiner Rahel das Feuer der polnischen Begeisterung. Der hatte alle diese Jahre hindurch beharrlich versucht, durch freiwillige diplomatische Arbeiten die Gunst Bern- storff's wiederzugewinnen, unter Anderem durch eine Denkschrift, worin er vorschlug, man möge die preußische Verfassung insgeheim ausarbeiten, vorläufig nach ihr regieren und sie dann nach Jahresfrist veröffentlichen.*) Er war auch neuerdings von dem gutmüthigen Minister eine Zeit lang im Auswärtigen Amte beschäftigt, aber wegen seines unheilbaren politischen Dilettantismus bald wieder beseitigt worden und spielte nunmehr aber- mals den Freiheitshelden. Im Stillen übten diese polenfreundlichen Stim- mungen der gelehrten Welt eine starke Wirkung. Die Schrift des gut- müthigen Friedrich v. Raumer über "Polens Untergang" klang fast wie eine Anklage gegen Friedrich den Großen, und die Minister dachten schon an die Einleitung eines Strafverfahrens. Friedrich Wilhelm aber gewährte dem Historiker, nachdem er das Büchlein gelesen, eine königliche Genugthuung; er beauftragte ihn, als einen offenbar unparteiischen ehrlichen Schrift- steller, "Preußens Verhältnisse zu Polen in den Jahren 1830--32" nach amtlichen Quellen darzustellen. Raumer gehorchte und gab der Wahrheit
*) Varnhagen, Betrachtungen über die gegenwärtigen Verhältnisse, 29. Juni 1820.
Die Polenfreunde.
Baiern Groſſe und Widmann, dann Dr. Butte und eine Schaar anonymer Schriftſteller, von denen keiner je das alte Deutſchordensland betreten hatte. In ſeiner italieniſchen Abgeſchiedenheit dichtete Platen ſeine wilden Polen- lieder, mit ungewohnter Wärme, aber auch mit vollendeter Unkenntniß aller Verhältniſſe. Er glaubte im Ernſt, daß „Rom und ſeine Jeſuiten“, die natürlich auf Seiten der rechtgläubigen Polen ſtanden, mit den platt- naſigen Moskowitern Bruderküſſe tauſchten; denn die römiſche Mitra und die ruſſiſche Knute galten den Liberalen ein für allemal als der Inbegriff alles politiſchen Verderbens. Und wenn der Dichter dem Czaren zurief:
Sohn eines Bankerts, Enkel einer Hure! Vernimmſt Du nicht, daß Alle Dich begrüßen: Rehabeam, wie ſteht’s mit Deinem Schwure? —
ſo vergaß er nur die Kleinigkeit, daß nicht Nikolaus, ſondern die Polen ihren Schwur gebrochen hatten.
In Berlin bildeten die Polenfreunde den erſten ſchwachen Stamm einer liberalen Oppoſitionspartei. Sie verſammelten ſich täglich in der Conditorei von Steheli hinter dem Schauſpielhauſe, laſen dort den Cour- rier polonais ſowie das deutſche Warſchauer Blatt und eiferten weidlich wider die ruſſiſch geſinnten Diplomaten und Offiziere des Adlichen Caſinos am Pariſer Platze, zumal wider den treuen Stägemann, der als guter Oſtpreuße den alten Markmannenhaß gegen die Sarmaten in ſeinen anti-meſſeniſchen Oden ungeſcheut ausſprach und kurzweg ſagte:
Glimme der Feuerball, Der Polen hieß, zur Nacht geſchleudert, Unter der Aſche die letzte Gluth aus!
Außer Ed. Gans ſchürte namentlich Varnhagen mit ſeiner Rahel das Feuer der polniſchen Begeiſterung. Der hatte alle dieſe Jahre hindurch beharrlich verſucht, durch freiwillige diplomatiſche Arbeiten die Gunſt Bern- ſtorff’s wiederzugewinnen, unter Anderem durch eine Denkſchrift, worin er vorſchlug, man möge die preußiſche Verfaſſung insgeheim ausarbeiten, vorläufig nach ihr regieren und ſie dann nach Jahresfriſt veröffentlichen.*) Er war auch neuerdings von dem gutmüthigen Miniſter eine Zeit lang im Auswärtigen Amte beſchäftigt, aber wegen ſeines unheilbaren politiſchen Dilettantismus bald wieder beſeitigt worden und ſpielte nunmehr aber- mals den Freiheitshelden. Im Stillen übten dieſe polenfreundlichen Stim- mungen der gelehrten Welt eine ſtarke Wirkung. Die Schrift des gut- müthigen Friedrich v. Raumer über „Polens Untergang“ klang faſt wie eine Anklage gegen Friedrich den Großen, und die Miniſter dachten ſchon an die Einleitung eines Strafverfahrens. Friedrich Wilhelm aber gewährte dem Hiſtoriker, nachdem er das Büchlein geleſen, eine königliche Genugthuung; er beauftragte ihn, als einen offenbar unparteiiſchen ehrlichen Schrift- ſteller, „Preußens Verhältniſſe zu Polen in den Jahren 1830—32“ nach amtlichen Quellen darzuſtellen. Raumer gehorchte und gab der Wahrheit
*) Varnhagen, Betrachtungen über die gegenwärtigen Verhältniſſe, 29. Juni 1820.
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Schriftſteller, von denen keiner je das alte Deutſchordensland betreten hatte.
In ſeiner italieniſchen Abgeſchiedenheit dichtete Platen ſeine wilden Polen-
lieder, mit ungewohnter Wärme, aber auch mit vollendeter Unkenntniß
aller Verhältniſſe. Er glaubte im Ernſt, daß „Rom und ſeine Jeſuiten“,
die natürlich auf Seiten der rechtgläubigen Polen ſtanden, mit den platt-
naſigen Moskowitern Bruderküſſe tauſchten; denn die römiſche Mitra und
die ruſſiſche Knute galten den Liberalen ein für allemal als der Inbegriff
alles politiſchen Verderbens. Und wenn der Dichter dem Czaren zurief:
Sohn eines Bankerts, Enkel einer Hure!
Vernimmſt Du nicht, daß Alle Dich begrüßen:
Rehabeam, wie ſteht’s mit Deinem Schwure? —
ſo vergaß er nur die Kleinigkeit, daß nicht Nikolaus, ſondern die Polen
ihren Schwur gebrochen hatten.
In Berlin bildeten die Polenfreunde den erſten ſchwachen Stamm
einer liberalen Oppoſitionspartei. Sie verſammelten ſich täglich in der
Conditorei von Steheli hinter dem Schauſpielhauſe, laſen dort den Cour-
rier polonais ſowie das deutſche Warſchauer Blatt und eiferten weidlich
wider die ruſſiſch geſinnten Diplomaten und Offiziere des Adlichen Caſinos
am Pariſer Platze, zumal wider den treuen Stägemann, der als guter
Oſtpreuße den alten Markmannenhaß gegen die Sarmaten in ſeinen
anti-meſſeniſchen Oden ungeſcheut ausſprach und kurzweg ſagte:
Glimme der Feuerball,
Der Polen hieß, zur Nacht geſchleudert,
Unter der Aſche die letzte Gluth aus!
Außer Ed. Gans ſchürte namentlich Varnhagen mit ſeiner Rahel das
Feuer der polniſchen Begeiſterung. Der hatte alle dieſe Jahre hindurch
beharrlich verſucht, durch freiwillige diplomatiſche Arbeiten die Gunſt Bern-
ſtorff’s wiederzugewinnen, unter Anderem durch eine Denkſchrift, worin
er vorſchlug, man möge die preußiſche Verfaſſung insgeheim ausarbeiten,
vorläufig nach ihr regieren und ſie dann nach Jahresfriſt veröffentlichen. *)
Er war auch neuerdings von dem gutmüthigen Miniſter eine Zeit lang
im Auswärtigen Amte beſchäftigt, aber wegen ſeines unheilbaren politiſchen
Dilettantismus bald wieder beſeitigt worden und ſpielte nunmehr aber-
mals den Freiheitshelden. Im Stillen übten dieſe polenfreundlichen Stim-
mungen der gelehrten Welt eine ſtarke Wirkung. Die Schrift des gut-
müthigen Friedrich v. Raumer über „Polens Untergang“ klang faſt wie eine
Anklage gegen Friedrich den Großen, und die Miniſter dachten ſchon an die
Einleitung eines Strafverfahrens. Friedrich Wilhelm aber gewährte dem
Hiſtoriker, nachdem er das Büchlein geleſen, eine königliche Genugthuung;
er beauftragte ihn, als einen offenbar unparteiiſchen ehrlichen Schrift-
ſteller, „Preußens Verhältniſſe zu Polen in den Jahren 1830—32“ nach
amtlichen Quellen darzuſtellen. Raumer gehorchte und gab der Wahrheit
*) Varnhagen, Betrachtungen über die gegenwärtigen Verhältniſſe, 29. Juni 1820.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/221>, abgerufen am 27.11.2024.
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