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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 3. Preußens Mittelstellung.
mildeste und zwangloseste aller Staaten," die einzige legitime Kirche
des Christenthums, die römische, nur in der Form monarchisch, in ihrem
Geiste durchaus republikanisch sei. In einer Flugschrift "Satan und die
Revolution" erklärte er den Zeitgeist und seine Propheten kurzweg für
das Reich des Teufels, den Geist der Lüge.

An seinen Berliner Schülern durfte er seine Freude haben; denn
sie bekämpften nicht nur die Thorheiten des liberalen Vernunftrechts,
sondern auch den Begriff des Staates selber als eine philosophische Ab-
straction und fanden alles Ernstes in Mecklenburg den deutschen Muster-
staat, "eine frisch grünende Oase in der todten Sandwüste des Consti-
tutionalismus unserer Tage." Die Doctrinäre der "ständischen Monarchie"
bemerkten schon nicht mehr, daß auch Preußen einst fast in allen seinen
Territorien diese Herrlichkeit mecklenburgischer Adelslibertät gekannt hatte
und nur durch ihre Bändigung zur Großmacht emporgewachsen war. Das
Wochenblatt war vortrefflich geschrieben, gebildeter, anständiger als die große
Mehrzahl der liberalen Zeitungen, und seine tausend Abonnenten -- eine
für jene Tage beträchtliche Zahl -- gehörten durchweg den mächtigen, an-
gesehenen Ständen an. Von dem russischen Gesandten Ribeaupierre erhielt
Jarcke häufig werthvolle Mittheilungen. Kirchlichen Fragen ging er behut-
sam aus dem Wege; er wußte, daß er seine ultramontanen Hintergedanken
in Berlin nicht offen aussprechen durfte. Der König traute ihm nur halb
und ließ sich trotz der beständigen Fürbitten des Kronprinzen, Altenstein's,
Schmedding's nie bewegen, dem Convertiten einen ordentlichen Lehrstuhl zu
übertragen.*) Als Jarcke im November 1832 in die Stelle des verstorbenen
Gentz nach Wien berufen wurde, folgte er dem Rufe mit Freuden; dort
in der katholischen Luft konnte sich sein Talent freier entfalten und seine
fortdauernde Verbindung mit dem Wochenblatte wurde jetzt, seit er Metter-
nich's Weisungen empfing, nur um so bedeutsamer.

Um auch den gemäßigten Conservativen einen Sprechsaal zu eröffnen
berieth sich im Sommer 1831 der wackere Buchhändler Perthes mit Bern-
storff, Eichhorn, Savigny und den Generalen Witzleben, Krauseneck, Rühle.
Bald nachher erschien, von Ranke geleitet, die "Historisch-politische Zeit-
schrift", eine Revue großen Stils, reich an guten wissenschaftlichen Arbeiten,
unter denen die historischen Abhandlungen des Herausgebers den Preis
davon trugen. Auch den Tagespolitikern brachte Ranke reiche Belehrung:
zur Verwunderung der Liberalen schilderte er nach amtlichen Quellen die
noch ganz unbekannte Geschichte der neuesten preußischen Handelspolitik
zum ersten male der Wahrheit gemäß, und über den Charakter der Juli-
Revolution urtheilte er mit einer genialen Sicherheit wie Niemand sonst
unter den Zeitgenossen. Freilich konnte sein ganz auf das Schauen und
Erkennen gerichteter Geist nur auf die Einsicht, nicht, wie es die Auf-

*) Schmedding an Altenstein 1. Aug. 1829. Der Kronprinz an Altenstein 3. Febr.;
Antwort 10. Febr. 1832. Cabinetsordre an Altenstein, 18. Oct. 1832.

IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
mildeſte und zwangloſeſte aller Staaten,“ die einzige legitime Kirche
des Chriſtenthums, die römiſche, nur in der Form monarchiſch, in ihrem
Geiſte durchaus republikaniſch ſei. In einer Flugſchrift „Satan und die
Revolution“ erklärte er den Zeitgeiſt und ſeine Propheten kurzweg für
das Reich des Teufels, den Geiſt der Lüge.

An ſeinen Berliner Schülern durfte er ſeine Freude haben; denn
ſie bekämpften nicht nur die Thorheiten des liberalen Vernunftrechts,
ſondern auch den Begriff des Staates ſelber als eine philoſophiſche Ab-
ſtraction und fanden alles Ernſtes in Mecklenburg den deutſchen Muſter-
ſtaat, „eine friſch grünende Oaſe in der todten Sandwüſte des Conſti-
tutionalismus unſerer Tage.“ Die Doctrinäre der „ſtändiſchen Monarchie“
bemerkten ſchon nicht mehr, daß auch Preußen einſt faſt in allen ſeinen
Territorien dieſe Herrlichkeit mecklenburgiſcher Adelslibertät gekannt hatte
und nur durch ihre Bändigung zur Großmacht emporgewachſen war. Das
Wochenblatt war vortrefflich geſchrieben, gebildeter, anſtändiger als die große
Mehrzahl der liberalen Zeitungen, und ſeine tauſend Abonnenten — eine
für jene Tage beträchtliche Zahl — gehörten durchweg den mächtigen, an-
geſehenen Ständen an. Von dem ruſſiſchen Geſandten Ribeaupierre erhielt
Jarcke häufig werthvolle Mittheilungen. Kirchlichen Fragen ging er behut-
ſam aus dem Wege; er wußte, daß er ſeine ultramontanen Hintergedanken
in Berlin nicht offen ausſprechen durfte. Der König traute ihm nur halb
und ließ ſich trotz der beſtändigen Fürbitten des Kronprinzen, Altenſtein’s,
Schmedding’s nie bewegen, dem Convertiten einen ordentlichen Lehrſtuhl zu
übertragen.*) Als Jarcke im November 1832 in die Stelle des verſtorbenen
Gentz nach Wien berufen wurde, folgte er dem Rufe mit Freuden; dort
in der katholiſchen Luft konnte ſich ſein Talent freier entfalten und ſeine
fortdauernde Verbindung mit dem Wochenblatte wurde jetzt, ſeit er Metter-
nich’s Weiſungen empfing, nur um ſo bedeutſamer.

Um auch den gemäßigten Conſervativen einen Sprechſaal zu eröffnen
berieth ſich im Sommer 1831 der wackere Buchhändler Perthes mit Bern-
ſtorff, Eichhorn, Savigny und den Generalen Witzleben, Krauſeneck, Rühle.
Bald nachher erſchien, von Ranke geleitet, die „Hiſtoriſch-politiſche Zeit-
ſchrift“, eine Revue großen Stils, reich an guten wiſſenſchaftlichen Arbeiten,
unter denen die hiſtoriſchen Abhandlungen des Herausgebers den Preis
davon trugen. Auch den Tagespolitikern brachte Ranke reiche Belehrung:
zur Verwunderung der Liberalen ſchilderte er nach amtlichen Quellen die
noch ganz unbekannte Geſchichte der neueſten preußiſchen Handelspolitik
zum erſten male der Wahrheit gemäß, und über den Charakter der Juli-
Revolution urtheilte er mit einer genialen Sicherheit wie Niemand ſonſt
unter den Zeitgenoſſen. Freilich konnte ſein ganz auf das Schauen und
Erkennen gerichteter Geiſt nur auf die Einſicht, nicht, wie es die Auf-

*) Schmedding an Altenſtein 1. Aug. 1829. Der Kronprinz an Altenſtein 3. Febr.;
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[204/0218] IV. 3. Preußens Mittelſtellung. mildeſte und zwangloſeſte aller Staaten,“ die einzige legitime Kirche des Chriſtenthums, die römiſche, nur in der Form monarchiſch, in ihrem Geiſte durchaus republikaniſch ſei. In einer Flugſchrift „Satan und die Revolution“ erklärte er den Zeitgeiſt und ſeine Propheten kurzweg für das Reich des Teufels, den Geiſt der Lüge. An ſeinen Berliner Schülern durfte er ſeine Freude haben; denn ſie bekämpften nicht nur die Thorheiten des liberalen Vernunftrechts, ſondern auch den Begriff des Staates ſelber als eine philoſophiſche Ab- ſtraction und fanden alles Ernſtes in Mecklenburg den deutſchen Muſter- ſtaat, „eine friſch grünende Oaſe in der todten Sandwüſte des Conſti- tutionalismus unſerer Tage.“ Die Doctrinäre der „ſtändiſchen Monarchie“ bemerkten ſchon nicht mehr, daß auch Preußen einſt faſt in allen ſeinen Territorien dieſe Herrlichkeit mecklenburgiſcher Adelslibertät gekannt hatte und nur durch ihre Bändigung zur Großmacht emporgewachſen war. Das Wochenblatt war vortrefflich geſchrieben, gebildeter, anſtändiger als die große Mehrzahl der liberalen Zeitungen, und ſeine tauſend Abonnenten — eine für jene Tage beträchtliche Zahl — gehörten durchweg den mächtigen, an- geſehenen Ständen an. Von dem ruſſiſchen Geſandten Ribeaupierre erhielt Jarcke häufig werthvolle Mittheilungen. Kirchlichen Fragen ging er behut- ſam aus dem Wege; er wußte, daß er ſeine ultramontanen Hintergedanken in Berlin nicht offen ausſprechen durfte. Der König traute ihm nur halb und ließ ſich trotz der beſtändigen Fürbitten des Kronprinzen, Altenſtein’s, Schmedding’s nie bewegen, dem Convertiten einen ordentlichen Lehrſtuhl zu übertragen. *) Als Jarcke im November 1832 in die Stelle des verſtorbenen Gentz nach Wien berufen wurde, folgte er dem Rufe mit Freuden; dort in der katholiſchen Luft konnte ſich ſein Talent freier entfalten und ſeine fortdauernde Verbindung mit dem Wochenblatte wurde jetzt, ſeit er Metter- nich’s Weiſungen empfing, nur um ſo bedeutſamer. Um auch den gemäßigten Conſervativen einen Sprechſaal zu eröffnen berieth ſich im Sommer 1831 der wackere Buchhändler Perthes mit Bern- ſtorff, Eichhorn, Savigny und den Generalen Witzleben, Krauſeneck, Rühle. Bald nachher erſchien, von Ranke geleitet, die „Hiſtoriſch-politiſche Zeit- ſchrift“, eine Revue großen Stils, reich an guten wiſſenſchaftlichen Arbeiten, unter denen die hiſtoriſchen Abhandlungen des Herausgebers den Preis davon trugen. Auch den Tagespolitikern brachte Ranke reiche Belehrung: zur Verwunderung der Liberalen ſchilderte er nach amtlichen Quellen die noch ganz unbekannte Geſchichte der neueſten preußiſchen Handelspolitik zum erſten male der Wahrheit gemäß, und über den Charakter der Juli- Revolution urtheilte er mit einer genialen Sicherheit wie Niemand ſonſt unter den Zeitgenoſſen. Freilich konnte ſein ganz auf das Schauen und Erkennen gerichteter Geiſt nur auf die Einſicht, nicht, wie es die Auf- *) Schmedding an Altenſtein 1. Aug. 1829. Der Kronprinz an Altenſtein 3. Febr.; Antwort 10. Febr. 1832. Cabinetsordre an Altenſtein, 18. Oct. 1832.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/218>, abgerufen am 27.11.2024.