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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Veränderungen im Ministerium.
erfüllte die Hochconservativen mit Unmuth. Bernstorff aber stand fest im
Vertrauen des Königs, er besaß an General Witzleben einen treuen Rück-
halt, und selbst Fürst Wittgenstein hielt als Mann des Friedens jetzt zu
ihm. Als er im Frühjahre 1831, von langer Krankheit erschöpft, sein oft ge-
stelltes Abschiedsgesuch erneuerte, da antwortete Friedrich Wilhelm, er könne
ihn nicht entbehren, sei aber bereit zur Aushilfe einen zweiten Minister
anzustellen. Nun wurde Werther aus Paris berufen. Der feine Diplomat
fühlte jedoch selbst, daß er zum Führer nicht geschaffen war, und lehnte
ab. Bernstorff blieb im Amte, und auf seinen Antrag wurde Eichhorn,
der schon bisher die deutsche Politik Preußens geleitet hatte, förmlich an
die Spitze der zweiten Abtheilung des Ministeriums gestellt; die regel-
mäßige europäische Correspondenz führte Ancillon unter dem Titel eines
Staatssekretärs -- nicht immer zur Zufriedenheit des Ministers, der die
österreichischen Neigungen seines alten Mentors längst nicht mehr theilte. *)
Um so fester schloß sich Bernstorff an Eichhorn an; er ließ ihm in den
deutschen Dingen fast ganz freie Hand und lobte den der Hofburg so
tief verhaßten Demagogen überall als die Seele der preußischen Zoll-
politik. Kaum minder verrufen war in Wien Geh. Rath Kühne aus
dem Finanzministerium, und auch er gewann unter Motz's Nachfolger
Maassen noch stärkeren Einfluß. Da Schuckmann's bureaukratische Steif-
heit in so bewegter Zeit nicht mehr ausreichte, so wurde der alte Herr,
gegen seinen Wunsch, bewogen, in eine Theilung seines Departements
zu willigen, und dies neu abgezweigte Ministerium des Innern und der
Polizei dem Frhrn. v. Brenn anvertraut. Die erledigte Stelle des Kammer-
gerichtspräsidenten erhielt Grolman, der Bruder des Generals und Sohn
des berühmten alten Obertribunalspräsidenten, ein ausgezeichneter Jurist
von unabhängiger Gesinnung, der nun sogleich als Haupt des liberalen
Richterstandes in Verruf kam. An die Spitze des Generalstabs war
Krauseneck getreten, ein entschiedener Gegner der Anmaßungen Oester-
reichs **); selbst General Boyen, der Vielverleumdete, gewann allmählich
das Vertrauen des Monarchen wieder und ward zur Berathung der Militär-
gesetze zugezogen.

Auf den Universitäten durften alle Schulen der Wissenschaft in
voller Freiheit sich entfalten. Während Altenstein und sein Johannes
Schulze die Schüler Hegel's nach Kräften begünstigten und sogar dem
liberalen Rhetor Ed. Gans zu einem ordentlichen Lehrstuhle in Berlin
verhalfen, wurde der Todfeind der Hegelianer, Schleiermacher nach langer
Entfremdung vom Könige wieder ausgezeichnet. Er dankte tief gerührt,
da er doch einst im Agendenstreite dem Monarchen persönlich als lite-

*) Bernstorff's Berichte an den König 18., 27. April, 27. Juni. Werther an Bern-
storff 26. Juni. Cabinetsordres an Bernstorff 26. April, 4. Juni, 6. Juli 1831.
**) s. o. III. 330.
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 13

Veränderungen im Miniſterium.
erfüllte die Hochconſervativen mit Unmuth. Bernſtorff aber ſtand feſt im
Vertrauen des Königs, er beſaß an General Witzleben einen treuen Rück-
halt, und ſelbſt Fürſt Wittgenſtein hielt als Mann des Friedens jetzt zu
ihm. Als er im Frühjahre 1831, von langer Krankheit erſchöpft, ſein oft ge-
ſtelltes Abſchiedsgeſuch erneuerte, da antwortete Friedrich Wilhelm, er könne
ihn nicht entbehren, ſei aber bereit zur Aushilfe einen zweiten Miniſter
anzuſtellen. Nun wurde Werther aus Paris berufen. Der feine Diplomat
fühlte jedoch ſelbſt, daß er zum Führer nicht geſchaffen war, und lehnte
ab. Bernſtorff blieb im Amte, und auf ſeinen Antrag wurde Eichhorn,
der ſchon bisher die deutſche Politik Preußens geleitet hatte, förmlich an
die Spitze der zweiten Abtheilung des Miniſteriums geſtellt; die regel-
mäßige europäiſche Correſpondenz führte Ancillon unter dem Titel eines
Staatsſekretärs — nicht immer zur Zufriedenheit des Miniſters, der die
öſterreichiſchen Neigungen ſeines alten Mentors längſt nicht mehr theilte. *)
Um ſo feſter ſchloß ſich Bernſtorff an Eichhorn an; er ließ ihm in den
deutſchen Dingen faſt ganz freie Hand und lobte den der Hofburg ſo
tief verhaßten Demagogen überall als die Seele der preußiſchen Zoll-
politik. Kaum minder verrufen war in Wien Geh. Rath Kühne aus
dem Finanzminiſterium, und auch er gewann unter Motz’s Nachfolger
Maaſſen noch ſtärkeren Einfluß. Da Schuckmann’s bureaukratiſche Steif-
heit in ſo bewegter Zeit nicht mehr ausreichte, ſo wurde der alte Herr,
gegen ſeinen Wunſch, bewogen, in eine Theilung ſeines Departements
zu willigen, und dies neu abgezweigte Miniſterium des Innern und der
Polizei dem Frhrn. v. Brenn anvertraut. Die erledigte Stelle des Kammer-
gerichtspräſidenten erhielt Grolman, der Bruder des Generals und Sohn
des berühmten alten Obertribunalspräſidenten, ein ausgezeichneter Juriſt
von unabhängiger Geſinnung, der nun ſogleich als Haupt des liberalen
Richterſtandes in Verruf kam. An die Spitze des Generalſtabs war
Krauſeneck getreten, ein entſchiedener Gegner der Anmaßungen Oeſter-
reichs **); ſelbſt General Boyen, der Vielverleumdete, gewann allmählich
das Vertrauen des Monarchen wieder und ward zur Berathung der Militär-
geſetze zugezogen.

Auf den Univerſitäten durften alle Schulen der Wiſſenſchaft in
voller Freiheit ſich entfalten. Während Altenſtein und ſein Johannes
Schulze die Schüler Hegel’s nach Kräften begünſtigten und ſogar dem
liberalen Rhetor Ed. Gans zu einem ordentlichen Lehrſtuhle in Berlin
verhalfen, wurde der Todfeind der Hegelianer, Schleiermacher nach langer
Entfremdung vom Könige wieder ausgezeichnet. Er dankte tief gerührt,
da er doch einſt im Agendenſtreite dem Monarchen perſönlich als lite-

*) Bernſtorff’s Berichte an den König 18., 27. April, 27. Juni. Werther an Bern-
ſtorff 26. Juni. Cabinetsordres an Bernſtorff 26. April, 4. Juni, 6. Juli 1831.
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[193/0207] Veränderungen im Miniſterium. erfüllte die Hochconſervativen mit Unmuth. Bernſtorff aber ſtand feſt im Vertrauen des Königs, er beſaß an General Witzleben einen treuen Rück- halt, und ſelbſt Fürſt Wittgenſtein hielt als Mann des Friedens jetzt zu ihm. Als er im Frühjahre 1831, von langer Krankheit erſchöpft, ſein oft ge- ſtelltes Abſchiedsgeſuch erneuerte, da antwortete Friedrich Wilhelm, er könne ihn nicht entbehren, ſei aber bereit zur Aushilfe einen zweiten Miniſter anzuſtellen. Nun wurde Werther aus Paris berufen. Der feine Diplomat fühlte jedoch ſelbſt, daß er zum Führer nicht geſchaffen war, und lehnte ab. Bernſtorff blieb im Amte, und auf ſeinen Antrag wurde Eichhorn, der ſchon bisher die deutſche Politik Preußens geleitet hatte, förmlich an die Spitze der zweiten Abtheilung des Miniſteriums geſtellt; die regel- mäßige europäiſche Correſpondenz führte Ancillon unter dem Titel eines Staatsſekretärs — nicht immer zur Zufriedenheit des Miniſters, der die öſterreichiſchen Neigungen ſeines alten Mentors längſt nicht mehr theilte. *) Um ſo feſter ſchloß ſich Bernſtorff an Eichhorn an; er ließ ihm in den deutſchen Dingen faſt ganz freie Hand und lobte den der Hofburg ſo tief verhaßten Demagogen überall als die Seele der preußiſchen Zoll- politik. Kaum minder verrufen war in Wien Geh. Rath Kühne aus dem Finanzminiſterium, und auch er gewann unter Motz’s Nachfolger Maaſſen noch ſtärkeren Einfluß. Da Schuckmann’s bureaukratiſche Steif- heit in ſo bewegter Zeit nicht mehr ausreichte, ſo wurde der alte Herr, gegen ſeinen Wunſch, bewogen, in eine Theilung ſeines Departements zu willigen, und dies neu abgezweigte Miniſterium des Innern und der Polizei dem Frhrn. v. Brenn anvertraut. Die erledigte Stelle des Kammer- gerichtspräſidenten erhielt Grolman, der Bruder des Generals und Sohn des berühmten alten Obertribunalspräſidenten, ein ausgezeichneter Juriſt von unabhängiger Geſinnung, der nun ſogleich als Haupt des liberalen Richterſtandes in Verruf kam. An die Spitze des Generalſtabs war Krauſeneck getreten, ein entſchiedener Gegner der Anmaßungen Oeſter- reichs **); ſelbſt General Boyen, der Vielverleumdete, gewann allmählich das Vertrauen des Monarchen wieder und ward zur Berathung der Militär- geſetze zugezogen. Auf den Univerſitäten durften alle Schulen der Wiſſenſchaft in voller Freiheit ſich entfalten. Während Altenſtein und ſein Johannes Schulze die Schüler Hegel’s nach Kräften begünſtigten und ſogar dem liberalen Rhetor Ed. Gans zu einem ordentlichen Lehrſtuhle in Berlin verhalfen, wurde der Todfeind der Hegelianer, Schleiermacher nach langer Entfremdung vom Könige wieder ausgezeichnet. Er dankte tief gerührt, da er doch einſt im Agendenſtreite dem Monarchen perſönlich als lite- *) Bernſtorff’s Berichte an den König 18., 27. April, 27. Juni. Werther an Bern- ſtorff 26. Juni. Cabinetsordres an Bernſtorff 26. April, 4. Juni, 6. Juli 1831. **) ſ. o. III. 330. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 13

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/207>, abgerufen am 28.11.2024.