Vive le Roi, vive sa loi, La liberte cherie! Vive le Roi, vive sa loi, Vive notre patrie!
Der König stiftete ein besonderes Ehrenzeichen für die Kämpfer und dankte dem wackeren Völkchen mit warmen Worten: "Diese kleine Gegend hat Europa eine Lehre und ein Beispiel gegeben, welche nicht verloren sein und ihr eine ehrenvolle Stelle in der Geschichte erringen werden." *) Aber er dankte auch der Tagsatzung für ihre eidgenössische Hilfe.**) Nicht so ruhig dachten seine begeisterten Anhänger unter den Herrengeschlechtern; hier war nur eine Stimme der Entrüstung über die Angriffe der schweizeri- schen Presse und die wühlerischen Umtriebe in den Nachbarcantonen. Der Oberst der Milizen, Graf Ludwig Pourtales, schrieb an Otterstedt, den Gesandten bei der Eidgenossenschaft: "Die Beleidigungen der Schweizer ekeln uns an. Die Schweiz will, daß wir uns von unserem König oder von ihr lossagen sollen. Nun wohl, die Wahl ist leicht. Wir wollen unseren König, die Kränkung hat uns diesen feindseligen Bundesgenossen entfremdet." Wir wollen nicht die jacobinische Ansteckung; und sollte selbst unsere Trennung von der Eidgenossenschaft zu einer europäischen Frage werden, "um so besser; ich glaube die Intervention ist die einzige Planke der Rettung für die Schweiz." ***) Im selben Sinne sprach eine Flugschrift, die aus diesen royalistischen Kreisen stammte: Les Suisses deliberent sur le sort de Neuchatel; ne saurous-nous pas en decider nous-memes? Das preußische Auswärtige Amt verwarf solche Pläne gänzlich. Man wußte wohl, wie viel die Verbindung des Fürstenthums mit der Eidgenossenschaft an Werth verloren hatte seit dem Erwachen des schweizerischen Radicalismus. Aber der König wollte weder den Rechts- boden der europäischen Verträge verlassen noch das waffenlose Ländchen dicht an Frankreichs Grenze einem ungewissen Schicksal preisgeben; er wollte auch einen Fuß im Bügel der Eidgenossenschaft behalten, da die Diplomaten des Bürgerkönigs sich so geflissentlich bemühten, die Schweiz wieder, wie in den bourbonischen Zeiten, unter Frankreichs Vormundschaft zu stellen, und befahl daher strenge Zurückhaltung nach beiden Seiten. +) Auf seinen Befehl verstummten die Heißsporne der Royalisten. Der Can- ton erfüllte seine Pflichten gegen den Bund so gewissenhaft, daß während der nächsten zehn Jahre trotz der herausfordernden Haltung der Radicalen der offene Kampf mit der Tagsatzung noch vermieden wurde.
Trotzdem verwickelte sich Preußens schweizerische Politik mehr und mehr in einen tragischen Widerspruch. Bei gutem Willen hüben und
*) Cabinetsordre an Pfuel, 31. Dec. 1831.
**) Ancillon, Weisungen an Otterstedt, 4. Oct. 25. Nov. 1831.
***) Pourtales an Otterstedt, 8. 25. Jan. 1832.
+) Otterstedt's Bericht 14. Jan. Ancillon, Weisung an Otterstedt 7. Febr. und Bericht an den König 17. März 1832.
Niederwerfung des Neuenburger Aufſtandes.
Vive le Roi, vive sa loi, La liberté chérie! Vive le Roi, vive sa loi, Vive notre patrie!
Der König ſtiftete ein beſonderes Ehrenzeichen für die Kämpfer und dankte dem wackeren Völkchen mit warmen Worten: „Dieſe kleine Gegend hat Europa eine Lehre und ein Beiſpiel gegeben, welche nicht verloren ſein und ihr eine ehrenvolle Stelle in der Geſchichte erringen werden.“ *) Aber er dankte auch der Tagſatzung für ihre eidgenöſſiſche Hilfe.**) Nicht ſo ruhig dachten ſeine begeiſterten Anhänger unter den Herrengeſchlechtern; hier war nur eine Stimme der Entrüſtung über die Angriffe der ſchweizeri- ſchen Preſſe und die wühleriſchen Umtriebe in den Nachbarcantonen. Der Oberſt der Milizen, Graf Ludwig Pourtalès, ſchrieb an Otterſtedt, den Geſandten bei der Eidgenoſſenſchaft: „Die Beleidigungen der Schweizer ekeln uns an. Die Schweiz will, daß wir uns von unſerem König oder von ihr losſagen ſollen. Nun wohl, die Wahl iſt leicht. Wir wollen unſeren König, die Kränkung hat uns dieſen feindſeligen Bundesgenoſſen entfremdet.“ Wir wollen nicht die jacobiniſche Anſteckung; und ſollte ſelbſt unſere Trennung von der Eidgenoſſenſchaft zu einer europäiſchen Frage werden, „um ſo beſſer; ich glaube die Intervention iſt die einzige Planke der Rettung für die Schweiz.“ ***) Im ſelben Sinne ſprach eine Flugſchrift, die aus dieſen royaliſtiſchen Kreiſen ſtammte: Les Suisses délibèrent sur le sort de Neuchâtel; ne saurous-nous pas en décider nous-mêmes? Das preußiſche Auswärtige Amt verwarf ſolche Pläne gänzlich. Man wußte wohl, wie viel die Verbindung des Fürſtenthums mit der Eidgenoſſenſchaft an Werth verloren hatte ſeit dem Erwachen des ſchweizeriſchen Radicalismus. Aber der König wollte weder den Rechts- boden der europäiſchen Verträge verlaſſen noch das waffenloſe Ländchen dicht an Frankreichs Grenze einem ungewiſſen Schickſal preisgeben; er wollte auch einen Fuß im Bügel der Eidgenoſſenſchaft behalten, da die Diplomaten des Bürgerkönigs ſich ſo gefliſſentlich bemühten, die Schweiz wieder, wie in den bourboniſchen Zeiten, unter Frankreichs Vormundſchaft zu ſtellen, und befahl daher ſtrenge Zurückhaltung nach beiden Seiten. †) Auf ſeinen Befehl verſtummten die Heißſporne der Royaliſten. Der Can- ton erfüllte ſeine Pflichten gegen den Bund ſo gewiſſenhaft, daß während der nächſten zehn Jahre trotz der herausfordernden Haltung der Radicalen der offene Kampf mit der Tagſatzung noch vermieden wurde.
Trotzdem verwickelte ſich Preußens ſchweizeriſche Politik mehr und mehr in einen tragiſchen Widerſpruch. Bei gutem Willen hüben und
*) Cabinetsordre an Pfuel, 31. Dec. 1831.
**) Ancillon, Weiſungen an Otterſtedt, 4. Oct. 25. Nov. 1831.
***) Pourtalès an Otterſtedt, 8. 25. Jan. 1832.
†) Otterſtedt’s Bericht 14. Jan. Ancillon, Weiſung an Otterſtedt 7. Febr. und Bericht an den König 17. März 1832.
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Niederwerfung des Neuenburger Aufſtandes.
Vive le Roi, vive sa loi,
La liberté chérie!
Vive le Roi, vive sa loi,
Vive notre patrie!
Der König ſtiftete ein beſonderes Ehrenzeichen für die Kämpfer und
dankte dem wackeren Völkchen mit warmen Worten: „Dieſe kleine Gegend
hat Europa eine Lehre und ein Beiſpiel gegeben, welche nicht verloren
ſein und ihr eine ehrenvolle Stelle in der Geſchichte erringen werden.“ *)
Aber er dankte auch der Tagſatzung für ihre eidgenöſſiſche Hilfe. **) Nicht ſo
ruhig dachten ſeine begeiſterten Anhänger unter den Herrengeſchlechtern;
hier war nur eine Stimme der Entrüſtung über die Angriffe der ſchweizeri-
ſchen Preſſe und die wühleriſchen Umtriebe in den Nachbarcantonen. Der
Oberſt der Milizen, Graf Ludwig Pourtalès, ſchrieb an Otterſtedt, den
Geſandten bei der Eidgenoſſenſchaft: „Die Beleidigungen der Schweizer
ekeln uns an. Die Schweiz will, daß wir uns von unſerem König oder
von ihr losſagen ſollen. Nun wohl, die Wahl iſt leicht. Wir wollen
unſeren König, die Kränkung hat uns dieſen feindſeligen Bundesgenoſſen
entfremdet.“ Wir wollen nicht die jacobiniſche Anſteckung; und ſollte
ſelbſt unſere Trennung von der Eidgenoſſenſchaft zu einer europäiſchen
Frage werden, „um ſo beſſer; ich glaube die Intervention iſt die einzige
Planke der Rettung für die Schweiz.“ ***) Im ſelben Sinne ſprach eine
Flugſchrift, die aus dieſen royaliſtiſchen Kreiſen ſtammte: Les Suisses
délibèrent sur le sort de Neuchâtel; ne saurous-nous pas en décider
nous-mêmes? Das preußiſche Auswärtige Amt verwarf ſolche Pläne
gänzlich. Man wußte wohl, wie viel die Verbindung des Fürſtenthums
mit der Eidgenoſſenſchaft an Werth verloren hatte ſeit dem Erwachen
des ſchweizeriſchen Radicalismus. Aber der König wollte weder den Rechts-
boden der europäiſchen Verträge verlaſſen noch das waffenloſe Ländchen
dicht an Frankreichs Grenze einem ungewiſſen Schickſal preisgeben; er
wollte auch einen Fuß im Bügel der Eidgenoſſenſchaft behalten, da die
Diplomaten des Bürgerkönigs ſich ſo gefliſſentlich bemühten, die Schweiz
wieder, wie in den bourboniſchen Zeiten, unter Frankreichs Vormundſchaft
zu ſtellen, und befahl daher ſtrenge Zurückhaltung nach beiden Seiten. †)
Auf ſeinen Befehl verſtummten die Heißſporne der Royaliſten. Der Can-
ton erfüllte ſeine Pflichten gegen den Bund ſo gewiſſenhaft, daß während
der nächſten zehn Jahre trotz der herausfordernden Haltung der Radicalen
der offene Kampf mit der Tagſatzung noch vermieden wurde.
Trotzdem verwickelte ſich Preußens ſchweizeriſche Politik mehr und
mehr in einen tragiſchen Widerſpruch. Bei gutem Willen hüben und
*) Cabinetsordre an Pfuel, 31. Dec. 1831.
**) Ancillon, Weiſungen an Otterſtedt, 4. Oct. 25. Nov. 1831.
***) Pourtalès an Otterſtedt, 8. 25. Jan. 1832.
†) Otterſtedt’s Bericht 14. Jan. Ancillon, Weiſung an Otterſtedt 7. Febr. und
Bericht an den König 17. März 1832.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/197>, abgerufen am 29.11.2024.
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