murrten noch immer über diese Neuerung; sie klagten: ein Monarch, der eine unüberschreitbare Summe für seinen Hofhalt beziehe, sei ein stipen- diary, ein insulated king und habe nicht mehr das Recht Gnaden zu erweisen. Der gutherzige König fühlte sich daher peinlich überrascht, als er seine bescheidenen deutschen Unterthanen desselben Weges gehen sah wie die Reformer der Whigpartei. Endlich gab er nach und willigte in die Kassenvereinigung. Mit einem Zuge fiel der Vorhang von den wun- dersamen Geheimnissen dieses Finanzwesens. Nun erst konnte der Landtag die gesammten Staatsausgaben übersehen und einen deutlichen Begriff gewinnen von allen den "pensionirten Fähnrichen mit Premierleutnants- Charakter", von allen den Geheimeraths-Waisen und Staats-Pfründnern, welche an der gastlichen Krippe der alten Adels-Oligarchie gefüttert wurden.
Nach diesem entscheidenden Erfolge zeigten sich die Stände überaus bescheiden in ihren Ansprüchen. Die Regierung erkannte wohl, daß in jedem geordneten Staate die meisten Ausgaben dem Rechtsgrunde nach, viele auch dem Betrage nach gesetzlich feststehen und mithin von den Kammern nicht eigentlich bewilligt, sondern nur rechnungsmäßig geprüft werden können. Sie schlug daher vor, daß die Besoldungen sowie die anderen regelmäßigen Ausgaben der einzelnen Verwaltungszweige durch vereinbarte Regulative ein- für allemal bestimmt, und also nur 1 1/2 Mill., streng genommen nur 200000 Thaler, jährlich der freien Bewilligung des Landtags unterliegen sollten. Der Vorschlag war in den einfachen Verhältnissen eines Kleinstaats wohl durchführbar, er raubte den Stän- den nichts, sondern sprach nur aus was schon zu Recht bestand; aber er vertrug sich schlechterdings nicht mit der herrschenden Doctrin des con- stitutionellen Staatsrechts, welche kurzerhand den Landtagen die Befugniß zuschrieb, bei jeder Budgetberathung die Staatsgläubiger ihrer Zinsen, die Beamten ihrer Gehalte zu berauben. Darum ward der Streit sehr lebhaft, und der Kammerpräsident Rumann mußte von der liberalen Presse harte Vorwürfe hören, als er schließlich mit seiner Präsidialstimme muthig den Ausschlag gab zu Gunsten der Regierung. Auch dem Gesetz- gebungsrechte der Stände ward eine feste Schranke gezogen. Sie sollten zwar über den ganzen wesentlichen Inhalt neuer Gesetze entscheiden und auch selber nach Belieben Gesetzentwürfe vorlegen; der Regierung aber blieb überlassen das also Vereinbarte "näher zu bearbeiten", denn Stüve und seine geschäftskundigen Freunde wußten aus Erfahrung, wie leicht die Einzelbestimmungen der Gesetze durch das unberechenbare Spiel der par- lamentarischen Abstimmungen verwirrt und verschoben werden. Die öffentliche Berathung wurde dem Landtage nur gestattet, nicht vorge- schrieben; und die erste Kammer machte von dieser Erlaubniß keinen Ge- brauch, sie ließ sogar in ihren veröffentlichten Protokollen die Namen der Redner weg. Tagegelder galten in der deutschen liberalen Doctrin für ein natürliches Recht der Volksvertreter; der König aber huldigte der
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 11
Das hannoverſche Staatsgrundgeſetz.
murrten noch immer über dieſe Neuerung; ſie klagten: ein Monarch, der eine unüberſchreitbare Summe für ſeinen Hofhalt beziehe, ſei ein stipen- diary, ein insulated king und habe nicht mehr das Recht Gnaden zu erweiſen. Der gutherzige König fühlte ſich daher peinlich überraſcht, als er ſeine beſcheidenen deutſchen Unterthanen deſſelben Weges gehen ſah wie die Reformer der Whigpartei. Endlich gab er nach und willigte in die Kaſſenvereinigung. Mit einem Zuge fiel der Vorhang von den wun- derſamen Geheimniſſen dieſes Finanzweſens. Nun erſt konnte der Landtag die geſammten Staatsausgaben überſehen und einen deutlichen Begriff gewinnen von allen den „penſionirten Fähnrichen mit Premierleutnants- Charakter“, von allen den Geheimeraths-Waiſen und Staats-Pfründnern, welche an der gaſtlichen Krippe der alten Adels-Oligarchie gefüttert wurden.
Nach dieſem entſcheidenden Erfolge zeigten ſich die Stände überaus beſcheiden in ihren Anſprüchen. Die Regierung erkannte wohl, daß in jedem geordneten Staate die meiſten Ausgaben dem Rechtsgrunde nach, viele auch dem Betrage nach geſetzlich feſtſtehen und mithin von den Kammern nicht eigentlich bewilligt, ſondern nur rechnungsmäßig geprüft werden können. Sie ſchlug daher vor, daß die Beſoldungen ſowie die anderen regelmäßigen Ausgaben der einzelnen Verwaltungszweige durch vereinbarte Regulative ein- für allemal beſtimmt, und alſo nur 1 ½ Mill., ſtreng genommen nur 200000 Thaler, jährlich der freien Bewilligung des Landtags unterliegen ſollten. Der Vorſchlag war in den einfachen Verhältniſſen eines Kleinſtaats wohl durchführbar, er raubte den Stän- den nichts, ſondern ſprach nur aus was ſchon zu Recht beſtand; aber er vertrug ſich ſchlechterdings nicht mit der herrſchenden Doctrin des con- ſtitutionellen Staatsrechts, welche kurzerhand den Landtagen die Befugniß zuſchrieb, bei jeder Budgetberathung die Staatsgläubiger ihrer Zinſen, die Beamten ihrer Gehalte zu berauben. Darum ward der Streit ſehr lebhaft, und der Kammerpräſident Rumann mußte von der liberalen Preſſe harte Vorwürfe hören, als er ſchließlich mit ſeiner Präſidialſtimme muthig den Ausſchlag gab zu Gunſten der Regierung. Auch dem Geſetz- gebungsrechte der Stände ward eine feſte Schranke gezogen. Sie ſollten zwar über den ganzen weſentlichen Inhalt neuer Geſetze entſcheiden und auch ſelber nach Belieben Geſetzentwürfe vorlegen; der Regierung aber blieb überlaſſen das alſo Vereinbarte „näher zu bearbeiten“, denn Stüve und ſeine geſchäftskundigen Freunde wußten aus Erfahrung, wie leicht die Einzelbeſtimmungen der Geſetze durch das unberechenbare Spiel der par- lamentariſchen Abſtimmungen verwirrt und verſchoben werden. Die öffentliche Berathung wurde dem Landtage nur geſtattet, nicht vorge- ſchrieben; und die erſte Kammer machte von dieſer Erlaubniß keinen Ge- brauch, ſie ließ ſogar in ihren veröffentlichten Protokollen die Namen der Redner weg. Tagegelder galten in der deutſchen liberalen Doctrin für ein natürliches Recht der Volksvertreter; der König aber huldigte der
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 11
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Das hannoverſche Staatsgrundgeſetz.
murrten noch immer über dieſe Neuerung; ſie klagten: ein Monarch, der
eine unüberſchreitbare Summe für ſeinen Hofhalt beziehe, ſei ein stipen-
diary, ein insulated king und habe nicht mehr das Recht Gnaden zu
erweiſen. Der gutherzige König fühlte ſich daher peinlich überraſcht, als
er ſeine beſcheidenen deutſchen Unterthanen deſſelben Weges gehen ſah
wie die Reformer der Whigpartei. Endlich gab er nach und willigte in
die Kaſſenvereinigung. Mit einem Zuge fiel der Vorhang von den wun-
derſamen Geheimniſſen dieſes Finanzweſens. Nun erſt konnte der Landtag
die geſammten Staatsausgaben überſehen und einen deutlichen Begriff
gewinnen von allen den „penſionirten Fähnrichen mit Premierleutnants-
Charakter“, von allen den Geheimeraths-Waiſen und Staats-Pfründnern,
welche an der gaſtlichen Krippe der alten Adels-Oligarchie gefüttert wurden.
Nach dieſem entſcheidenden Erfolge zeigten ſich die Stände überaus
beſcheiden in ihren Anſprüchen. Die Regierung erkannte wohl, daß in
jedem geordneten Staate die meiſten Ausgaben dem Rechtsgrunde nach,
viele auch dem Betrage nach geſetzlich feſtſtehen und mithin von den
Kammern nicht eigentlich bewilligt, ſondern nur rechnungsmäßig geprüft
werden können. Sie ſchlug daher vor, daß die Beſoldungen ſowie die
anderen regelmäßigen Ausgaben der einzelnen Verwaltungszweige durch
vereinbarte Regulative ein- für allemal beſtimmt, und alſo nur 1 ½ Mill.,
ſtreng genommen nur 200000 Thaler, jährlich der freien Bewilligung
des Landtags unterliegen ſollten. Der Vorſchlag war in den einfachen
Verhältniſſen eines Kleinſtaats wohl durchführbar, er raubte den Stän-
den nichts, ſondern ſprach nur aus was ſchon zu Recht beſtand; aber er
vertrug ſich ſchlechterdings nicht mit der herrſchenden Doctrin des con-
ſtitutionellen Staatsrechts, welche kurzerhand den Landtagen die Befugniß
zuſchrieb, bei jeder Budgetberathung die Staatsgläubiger ihrer Zinſen,
die Beamten ihrer Gehalte zu berauben. Darum ward der Streit ſehr
lebhaft, und der Kammerpräſident Rumann mußte von der liberalen
Preſſe harte Vorwürfe hören, als er ſchließlich mit ſeiner Präſidialſtimme
muthig den Ausſchlag gab zu Gunſten der Regierung. Auch dem Geſetz-
gebungsrechte der Stände ward eine feſte Schranke gezogen. Sie ſollten
zwar über den ganzen weſentlichen Inhalt neuer Geſetze entſcheiden und
auch ſelber nach Belieben Geſetzentwürfe vorlegen; der Regierung aber blieb
überlaſſen das alſo Vereinbarte „näher zu bearbeiten“, denn Stüve und
ſeine geſchäftskundigen Freunde wußten aus Erfahrung, wie leicht die
Einzelbeſtimmungen der Geſetze durch das unberechenbare Spiel der par-
lamentariſchen Abſtimmungen verwirrt und verſchoben werden. Die
öffentliche Berathung wurde dem Landtage nur geſtattet, nicht vorge-
ſchrieben; und die erſte Kammer machte von dieſer Erlaubniß keinen Ge-
brauch, ſie ließ ſogar in ihren veröffentlichten Protokollen die Namen der
Redner weg. Tagegelder galten in der deutſchen liberalen Doctrin für
ein natürliches Recht der Volksvertreter; der König aber huldigte der
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 11
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/175>, abgerufen am 04.12.2024.
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