Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

Prinz Friedrich August Mitregent.
über die Communalgarden, die nun in allen größeren Städten zusammen-
traten und beim Anblick des Fürsten mit der weißen Bürgerbinde ihre
eigene Größe erst ganz empfanden. In überschwänglichen Dithyramben
wurde "der Hochgeweihte und sein Johannes ihm zur Seite" gefeiert,
und als diese "sächsischen Dioskuren im Zenithe von Leipzig erschienen",
fand Krug kaum Worte genug für seine liberale Begeisterung.

Der leitende Kopf bei der Arbeit der Reform war der Geh. Rath
v. Lindenau. Herzog Bernhard hieß er bei dem dankbaren thüringischen
Volke noch von den Tagen her, da er sein Heimathland Gotha-Altenburg
während einer Zwischenherrschaft allein regiert hatte; und die gleiche Liebe
erwarb er sich bald auch in Kursachsen, zumal unter den Bauern, ob-
gleich der schlichte Aristokrat alle Künste der Volksschmeichelei verschmähte.
Ein Hauch von Schwermuth lag über seinem Wesen; er hatte in der
Jugend seine Geliebte verloren, blieb unvermählt, verwendete die Ein-
künfte seines ansehnlichen Vermögens und vier Fünftel seines Gehalts
für gemeinnützige Zwecke, mied die Gesellschaft so sehr, daß ihm selbst die
Mitglieder des diplomatischen Corps nicht alle bekannt wurden, und
widmete seine freien Stunden ganz der Wissenschaft. Die Astronomen
schätzen ihn als einen glücklichen Forscher, seiner Leitung verdankte die
Sternwarte auf dem Seeberge bei Gotha zum guten Theile ihren Ruf.
Zu Zeiten konnte sich der hochherzige Idealist wohl in unmögliche Pläne
verlieren, schließlich kehrte er doch immer auf den Boden des Wirklichen
zurück. So entsagte er jetzt der Politik des mitteldeutschen Handelsvereins,
an den er einst so viel patriotischen Eifer verschwendet hatte, und gestand
dem preußischen Gesandten Jordan offen: Der Wiener Hof hat uns
glänzende Anerbietungen für eine handelspolitische Verbindung gemacht,
wir werden ihnen aber nicht Folge leisten, sondern uns dem preußischen
Zollvereine anschließen.*) Auch für die Ablösung der bäuerlichen Lasten,
für die Neugestaltung der Verwaltung und des Städtewesens nahm er
sich die preußischen Gesetze zum Muster. Die Verfassung, die er plante,
sollte zwar, wie es die Meinung des Tages forderte, die Form einer
Charte erhalten, aber von den altständischen Ueberlieferungen nicht allzu-
weit abweichen; denn mehr ließ sich von dem alten Landtage voraus-
sichtlich nicht erlangen, und dessen Mitwirkung war unumgänglich, da
der Prinzregent und seine Räthe ihren Stolz darein setzten, daß die neue
Ordnung rechtlich unantastbar dastehen müsse.**)

So viele Jahre daher war Sachsen der stillste aller Mittelstaaten
geblieben; begreiflich genug, daß der Wiener Hof durch die so ganz uner-
warteten jüngsten Vorfälle schwer beängstigt wurde. Auch aus den be-
nachbarten Kleinstaaten liefen bedenkliche Nachrichten ein: aus Köthen

*) Jordan's Bericht, 25. Sept. 1830. Vgl. o. III. 652.
**) Jordan's Bericht, 1. Februar 1831.
10*

Prinz Friedrich Auguſt Mitregent.
über die Communalgarden, die nun in allen größeren Städten zuſammen-
traten und beim Anblick des Fürſten mit der weißen Bürgerbinde ihre
eigene Größe erſt ganz empfanden. In überſchwänglichen Dithyramben
wurde „der Hochgeweihte und ſein Johannes ihm zur Seite“ gefeiert,
und als dieſe „ſächſiſchen Dioskuren im Zenithe von Leipzig erſchienen“,
fand Krug kaum Worte genug für ſeine liberale Begeiſterung.

Der leitende Kopf bei der Arbeit der Reform war der Geh. Rath
v. Lindenau. Herzog Bernhard hieß er bei dem dankbaren thüringiſchen
Volke noch von den Tagen her, da er ſein Heimathland Gotha-Altenburg
während einer Zwiſchenherrſchaft allein regiert hatte; und die gleiche Liebe
erwarb er ſich bald auch in Kurſachſen, zumal unter den Bauern, ob-
gleich der ſchlichte Ariſtokrat alle Künſte der Volksſchmeichelei verſchmähte.
Ein Hauch von Schwermuth lag über ſeinem Weſen; er hatte in der
Jugend ſeine Geliebte verloren, blieb unvermählt, verwendete die Ein-
künfte ſeines anſehnlichen Vermögens und vier Fünftel ſeines Gehalts
für gemeinnützige Zwecke, mied die Geſellſchaft ſo ſehr, daß ihm ſelbſt die
Mitglieder des diplomatiſchen Corps nicht alle bekannt wurden, und
widmete ſeine freien Stunden ganz der Wiſſenſchaft. Die Aſtronomen
ſchätzen ihn als einen glücklichen Forſcher, ſeiner Leitung verdankte die
Sternwarte auf dem Seeberge bei Gotha zum guten Theile ihren Ruf.
Zu Zeiten konnte ſich der hochherzige Idealiſt wohl in unmögliche Pläne
verlieren, ſchließlich kehrte er doch immer auf den Boden des Wirklichen
zurück. So entſagte er jetzt der Politik des mitteldeutſchen Handelsvereins,
an den er einſt ſo viel patriotiſchen Eifer verſchwendet hatte, und geſtand
dem preußiſchen Geſandten Jordan offen: Der Wiener Hof hat uns
glänzende Anerbietungen für eine handelspolitiſche Verbindung gemacht,
wir werden ihnen aber nicht Folge leiſten, ſondern uns dem preußiſchen
Zollvereine anſchließen.*) Auch für die Ablöſung der bäuerlichen Laſten,
für die Neugeſtaltung der Verwaltung und des Städteweſens nahm er
ſich die preußiſchen Geſetze zum Muſter. Die Verfaſſung, die er plante,
ſollte zwar, wie es die Meinung des Tages forderte, die Form einer
Charte erhalten, aber von den altſtändiſchen Ueberlieferungen nicht allzu-
weit abweichen; denn mehr ließ ſich von dem alten Landtage voraus-
ſichtlich nicht erlangen, und deſſen Mitwirkung war unumgänglich, da
der Prinzregent und ſeine Räthe ihren Stolz darein ſetzten, daß die neue
Ordnung rechtlich unantaſtbar daſtehen müſſe.**)

So viele Jahre daher war Sachſen der ſtillſte aller Mittelſtaaten
geblieben; begreiflich genug, daß der Wiener Hof durch die ſo ganz uner-
warteten jüngſten Vorfälle ſchwer beängſtigt wurde. Auch aus den be-
nachbarten Kleinſtaaten liefen bedenkliche Nachrichten ein: aus Köthen

*) Jordan’s Bericht, 25. Sept. 1830. Vgl. o. III. 652.
**) Jordan’s Bericht, 1. Februar 1831.
10*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0161" n="147"/><fw place="top" type="header">Prinz Friedrich Augu&#x017F;t Mitregent.</fw><lb/>
über die Communalgarden, die nun in allen größeren Städten zu&#x017F;ammen-<lb/>
traten und beim Anblick des Für&#x017F;ten mit der weißen Bürgerbinde ihre<lb/>
eigene Größe er&#x017F;t ganz empfanden. In über&#x017F;chwänglichen Dithyramben<lb/>
wurde &#x201E;der Hochgeweihte und &#x017F;ein Johannes ihm zur Seite&#x201C; gefeiert,<lb/>
und als die&#x017F;e &#x201E;&#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen Dioskuren im Zenithe von Leipzig er&#x017F;chienen&#x201C;,<lb/>
fand Krug kaum Worte genug für &#x017F;eine liberale Begei&#x017F;terung.</p><lb/>
          <p>Der leitende Kopf bei der Arbeit der Reform war der Geh. Rath<lb/>
v. Lindenau. Herzog Bernhard hieß er bei dem dankbaren thüringi&#x017F;chen<lb/>
Volke noch von den Tagen her, da er &#x017F;ein Heimathland Gotha-Altenburg<lb/>
während einer Zwi&#x017F;chenherr&#x017F;chaft allein regiert hatte; und die gleiche Liebe<lb/>
erwarb er &#x017F;ich bald auch in Kur&#x017F;ach&#x017F;en, zumal unter den Bauern, ob-<lb/>
gleich der &#x017F;chlichte Ari&#x017F;tokrat alle Kün&#x017F;te der Volks&#x017F;chmeichelei ver&#x017F;chmähte.<lb/>
Ein Hauch von Schwermuth lag über &#x017F;einem We&#x017F;en; er hatte in der<lb/>
Jugend &#x017F;eine Geliebte verloren, blieb unvermählt, verwendete die Ein-<lb/>
künfte &#x017F;eines an&#x017F;ehnlichen Vermögens und vier Fünftel &#x017F;eines Gehalts<lb/>
für gemeinnützige Zwecke, mied die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;o &#x017F;ehr, daß ihm &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Mitglieder des diplomati&#x017F;chen Corps nicht alle bekannt wurden, und<lb/>
widmete &#x017F;eine freien Stunden ganz der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft. Die A&#x017F;tronomen<lb/>
&#x017F;chätzen ihn als einen glücklichen For&#x017F;cher, &#x017F;einer Leitung verdankte die<lb/>
Sternwarte auf dem Seeberge bei Gotha zum guten Theile ihren Ruf.<lb/>
Zu Zeiten konnte &#x017F;ich der hochherzige Ideali&#x017F;t wohl in unmögliche Pläne<lb/>
verlieren, &#x017F;chließlich kehrte er doch immer auf den Boden des Wirklichen<lb/>
zurück. So ent&#x017F;agte er jetzt der Politik des mitteldeut&#x017F;chen Handelsvereins,<lb/>
an den er ein&#x017F;t &#x017F;o viel patrioti&#x017F;chen Eifer ver&#x017F;chwendet hatte, und ge&#x017F;tand<lb/>
dem preußi&#x017F;chen Ge&#x017F;andten Jordan offen: Der Wiener Hof hat uns<lb/>
glänzende Anerbietungen für eine handelspoliti&#x017F;che Verbindung gemacht,<lb/>
wir werden ihnen aber nicht Folge lei&#x017F;ten, &#x017F;ondern uns dem preußi&#x017F;chen<lb/>
Zollvereine an&#x017F;chließen.<note place="foot" n="*)">Jordan&#x2019;s Bericht, 25. Sept. 1830. Vgl. o. <hi rendition="#aq">III.</hi> 652.</note> Auch für die Ablö&#x017F;ung der bäuerlichen La&#x017F;ten,<lb/>
für die Neuge&#x017F;taltung der Verwaltung und des Städtewe&#x017F;ens nahm er<lb/>
&#x017F;ich die preußi&#x017F;chen Ge&#x017F;etze zum Mu&#x017F;ter. Die Verfa&#x017F;&#x017F;ung, die er plante,<lb/>
&#x017F;ollte zwar, wie es die Meinung des Tages forderte, die Form einer<lb/>
Charte erhalten, aber von den alt&#x017F;tändi&#x017F;chen Ueberlieferungen nicht allzu-<lb/>
weit abweichen; denn mehr ließ &#x017F;ich von dem alten Landtage voraus-<lb/>
&#x017F;ichtlich nicht erlangen, und de&#x017F;&#x017F;en Mitwirkung war unumgänglich, da<lb/>
der Prinzregent und &#x017F;eine Räthe ihren Stolz darein &#x017F;etzten, daß die neue<lb/>
Ordnung rechtlich unanta&#x017F;tbar da&#x017F;tehen mü&#x017F;&#x017F;e.<note place="foot" n="**)">Jordan&#x2019;s Bericht, 1. Februar 1831.</note></p><lb/>
          <p>So viele Jahre daher war Sach&#x017F;en der &#x017F;till&#x017F;te aller Mittel&#x017F;taaten<lb/>
geblieben; begreiflich genug, daß der Wiener Hof durch die &#x017F;o ganz uner-<lb/>
warteten jüng&#x017F;ten Vorfälle &#x017F;chwer beäng&#x017F;tigt wurde. Auch aus den be-<lb/>
nachbarten Klein&#x017F;taaten liefen bedenkliche Nachrichten ein: aus Köthen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0161] Prinz Friedrich Auguſt Mitregent. über die Communalgarden, die nun in allen größeren Städten zuſammen- traten und beim Anblick des Fürſten mit der weißen Bürgerbinde ihre eigene Größe erſt ganz empfanden. In überſchwänglichen Dithyramben wurde „der Hochgeweihte und ſein Johannes ihm zur Seite“ gefeiert, und als dieſe „ſächſiſchen Dioskuren im Zenithe von Leipzig erſchienen“, fand Krug kaum Worte genug für ſeine liberale Begeiſterung. Der leitende Kopf bei der Arbeit der Reform war der Geh. Rath v. Lindenau. Herzog Bernhard hieß er bei dem dankbaren thüringiſchen Volke noch von den Tagen her, da er ſein Heimathland Gotha-Altenburg während einer Zwiſchenherrſchaft allein regiert hatte; und die gleiche Liebe erwarb er ſich bald auch in Kurſachſen, zumal unter den Bauern, ob- gleich der ſchlichte Ariſtokrat alle Künſte der Volksſchmeichelei verſchmähte. Ein Hauch von Schwermuth lag über ſeinem Weſen; er hatte in der Jugend ſeine Geliebte verloren, blieb unvermählt, verwendete die Ein- künfte ſeines anſehnlichen Vermögens und vier Fünftel ſeines Gehalts für gemeinnützige Zwecke, mied die Geſellſchaft ſo ſehr, daß ihm ſelbſt die Mitglieder des diplomatiſchen Corps nicht alle bekannt wurden, und widmete ſeine freien Stunden ganz der Wiſſenſchaft. Die Aſtronomen ſchätzen ihn als einen glücklichen Forſcher, ſeiner Leitung verdankte die Sternwarte auf dem Seeberge bei Gotha zum guten Theile ihren Ruf. Zu Zeiten konnte ſich der hochherzige Idealiſt wohl in unmögliche Pläne verlieren, ſchließlich kehrte er doch immer auf den Boden des Wirklichen zurück. So entſagte er jetzt der Politik des mitteldeutſchen Handelsvereins, an den er einſt ſo viel patriotiſchen Eifer verſchwendet hatte, und geſtand dem preußiſchen Geſandten Jordan offen: Der Wiener Hof hat uns glänzende Anerbietungen für eine handelspolitiſche Verbindung gemacht, wir werden ihnen aber nicht Folge leiſten, ſondern uns dem preußiſchen Zollvereine anſchließen. *) Auch für die Ablöſung der bäuerlichen Laſten, für die Neugeſtaltung der Verwaltung und des Städteweſens nahm er ſich die preußiſchen Geſetze zum Muſter. Die Verfaſſung, die er plante, ſollte zwar, wie es die Meinung des Tages forderte, die Form einer Charte erhalten, aber von den altſtändiſchen Ueberlieferungen nicht allzu- weit abweichen; denn mehr ließ ſich von dem alten Landtage voraus- ſichtlich nicht erlangen, und deſſen Mitwirkung war unumgänglich, da der Prinzregent und ſeine Räthe ihren Stolz darein ſetzten, daß die neue Ordnung rechtlich unantaſtbar daſtehen müſſe. **) So viele Jahre daher war Sachſen der ſtillſte aller Mittelſtaaten geblieben; begreiflich genug, daß der Wiener Hof durch die ſo ganz uner- warteten jüngſten Vorfälle ſchwer beängſtigt wurde. Auch aus den be- nachbarten Kleinſtaaten liefen bedenkliche Nachrichten ein: aus Köthen *) Jordan’s Bericht, 25. Sept. 1830. Vgl. o. III. 652. **) Jordan’s Bericht, 1. Februar 1831. 10*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/161
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/161>, abgerufen am 04.12.2024.