zunächst nur an einzelnen verhaßten Behörden und örtlichen Mißständen ausließ. Die Unruhen begannen hier schon vor der großen Woche der Pariser, als im Juni drei Tage lang das Jubelfest der Augsburgischen Confession gefeiert wurde. Ein geistliches Lied mahnte die Sachsen, auch das kommende Jahrhundert hindurch der Kirche heilige Güter treu zu beschirmen: "dann jubeln frei wie Ihr der Enkel freie Schaaren;" und manche der Festreden klang wie ein Protest des lutherischen Volkes gegen die jesuitischen Umtriebe, die man den ausländischen Hofgeistlichen des greisen Königs zutraute. Da die Behörden in Dresden und Leipzig sich dem volksthümlichen Feste unfreundlich zeigten, so kam es in beiden Städten zu kleinen Aufläufen und Straßenhändeln; zuweilen erklang aus der aufgeregten Menge sogar der in Sachsen unerhörte Ruf: hoch Friedrich Wilhelm der protestantische König! Die eingeleitete Untersuchung hüllte sich in tiefes Geheimniß, und eine heftige Flugschrift, die das Gebahren der wachsamen, aber groben Leipziger Polizei kurzweg als "Schatten ohne Licht" brandmarkte, mußte zur Beschämung der Kursachsen außer Landes, unter dem Schutze der strengen preußischen Censur erscheinen.
In den ersten Septembertagen brach der Groll von Neuem aus; an zwei Abenden hintereinander trieb der Leipziger Pöbel argen Unfug. Die Bürger sahen schadenfroh zu, und als der geängstete Stadtrath sie am 4. September zur Hilfe rief, hielten sie ihm zornig die Sünden seines Vettern-Regimentes vor, bis er endlich Rechenschaft von seiner Verwaltung abzulegen versprach. Die ganze nächste Nacht hindurch tobten die Massen wieder in den Straßen. Da und dort zeigte sich die französische Tricolore, und zuweilen erklang der Ruf: Freiheit, Paris, Lafayette! Im Grunde galt der Grimm nur den kleinen Stadttyrannen, und auch der Zunftgeist wollte in der erwerblosen Zeit sein Müthchen kühlen an gefährlichen Neben- buhlern. Die Wohnungen mehrerer Rathsherren und Polizeibeamten wurden "demolirt" -- so lautete die ausgegebene Losung -- desgleichen einige verrufene Häuser, deren Damen sich der geheimen Gunst der Stadt- behörden erfreuten; die Schlosser grollten, weil der Rath die eisernen Bettstellen für ein Krankenhaus auswärts bestellt hatte, die Drucker wollten die neue Schnellpresse zerstören, die ihnen das Brot vom Munde nahm, die Lohnkutscher den Eilwagen im königlichen Poststalle. Am folgenden Morgen that sich die Bürgerschaft zusammen und bildete eine Commu- nalgarde; Rector Krug berief die Studenten in die Paulinerkirche und ermahnte sie in feuriger Rede, mit den Bürgern vereint die Ordnung herzustellen. Dies gelang denn auch sogleich und ohne Widerstand. Die Communalgarde und die akademische Legion bezogen gemeinsam die Wachen -- denn kraft alter Privilegien brauchte Leipzig außer der Schloßwache der Pleißenburg keine Garnison aufzunehmen. Die Bürger trugen die weiße Armbinde, die Studenten ihre Schläger und die bunten Verbin- dungsuniformen, die sich nunmehr dem Verbote zum Trotz an den Tag
Unruhen in Leipzig.
zunächſt nur an einzelnen verhaßten Behörden und örtlichen Mißſtänden ausließ. Die Unruhen begannen hier ſchon vor der großen Woche der Pariſer, als im Juni drei Tage lang das Jubelfeſt der Augsburgiſchen Confeſſion gefeiert wurde. Ein geiſtliches Lied mahnte die Sachſen, auch das kommende Jahrhundert hindurch der Kirche heilige Güter treu zu beſchirmen: „dann jubeln frei wie Ihr der Enkel freie Schaaren;“ und manche der Feſtreden klang wie ein Proteſt des lutheriſchen Volkes gegen die jeſuitiſchen Umtriebe, die man den ausländiſchen Hofgeiſtlichen des greiſen Königs zutraute. Da die Behörden in Dresden und Leipzig ſich dem volksthümlichen Feſte unfreundlich zeigten, ſo kam es in beiden Städten zu kleinen Aufläufen und Straßenhändeln; zuweilen erklang aus der aufgeregten Menge ſogar der in Sachſen unerhörte Ruf: hoch Friedrich Wilhelm der proteſtantiſche König! Die eingeleitete Unterſuchung hüllte ſich in tiefes Geheimniß, und eine heftige Flugſchrift, die das Gebahren der wachſamen, aber groben Leipziger Polizei kurzweg als „Schatten ohne Licht“ brandmarkte, mußte zur Beſchämung der Kurſachſen außer Landes, unter dem Schutze der ſtrengen preußiſchen Cenſur erſcheinen.
In den erſten Septembertagen brach der Groll von Neuem aus; an zwei Abenden hintereinander trieb der Leipziger Pöbel argen Unfug. Die Bürger ſahen ſchadenfroh zu, und als der geängſtete Stadtrath ſie am 4. September zur Hilfe rief, hielten ſie ihm zornig die Sünden ſeines Vettern-Regimentes vor, bis er endlich Rechenſchaft von ſeiner Verwaltung abzulegen verſprach. Die ganze nächſte Nacht hindurch tobten die Maſſen wieder in den Straßen. Da und dort zeigte ſich die franzöſiſche Tricolore, und zuweilen erklang der Ruf: Freiheit, Paris, Lafayette! Im Grunde galt der Grimm nur den kleinen Stadttyrannen, und auch der Zunftgeiſt wollte in der erwerbloſen Zeit ſein Müthchen kühlen an gefährlichen Neben- buhlern. Die Wohnungen mehrerer Rathsherren und Polizeibeamten wurden „demolirt“ — ſo lautete die ausgegebene Loſung — desgleichen einige verrufene Häuſer, deren Damen ſich der geheimen Gunſt der Stadt- behörden erfreuten; die Schloſſer grollten, weil der Rath die eiſernen Bettſtellen für ein Krankenhaus auswärts beſtellt hatte, die Drucker wollten die neue Schnellpreſſe zerſtören, die ihnen das Brot vom Munde nahm, die Lohnkutſcher den Eilwagen im königlichen Poſtſtalle. Am folgenden Morgen that ſich die Bürgerſchaft zuſammen und bildete eine Commu- nalgarde; Rector Krug berief die Studenten in die Paulinerkirche und ermahnte ſie in feuriger Rede, mit den Bürgern vereint die Ordnung herzuſtellen. Dies gelang denn auch ſogleich und ohne Widerſtand. Die Communalgarde und die akademiſche Legion bezogen gemeinſam die Wachen — denn kraft alter Privilegien brauchte Leipzig außer der Schloßwache der Pleißenburg keine Garniſon aufzunehmen. Die Bürger trugen die weiße Armbinde, die Studenten ihre Schläger und die bunten Verbin- dungsuniformen, die ſich nunmehr dem Verbote zum Trotz an den Tag
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Unruhen in Leipzig.
zunächſt nur an einzelnen verhaßten Behörden und örtlichen Mißſtänden
ausließ. Die Unruhen begannen hier ſchon vor der großen Woche der
Pariſer, als im Juni drei Tage lang das Jubelfeſt der Augsburgiſchen
Confeſſion gefeiert wurde. Ein geiſtliches Lied mahnte die Sachſen, auch
das kommende Jahrhundert hindurch der Kirche heilige Güter treu zu
beſchirmen: „dann jubeln frei wie Ihr der Enkel freie Schaaren;“ und
manche der Feſtreden klang wie ein Proteſt des lutheriſchen Volkes gegen
die jeſuitiſchen Umtriebe, die man den ausländiſchen Hofgeiſtlichen des
greiſen Königs zutraute. Da die Behörden in Dresden und Leipzig ſich
dem volksthümlichen Feſte unfreundlich zeigten, ſo kam es in beiden Städten
zu kleinen Aufläufen und Straßenhändeln; zuweilen erklang aus der
aufgeregten Menge ſogar der in Sachſen unerhörte Ruf: hoch Friedrich
Wilhelm der proteſtantiſche König! Die eingeleitete Unterſuchung hüllte
ſich in tiefes Geheimniß, und eine heftige Flugſchrift, die das Gebahren
der wachſamen, aber groben Leipziger Polizei kurzweg als „Schatten ohne
Licht“ brandmarkte, mußte zur Beſchämung der Kurſachſen außer Landes,
unter dem Schutze der ſtrengen preußiſchen Cenſur erſcheinen.
In den erſten Septembertagen brach der Groll von Neuem aus; an
zwei Abenden hintereinander trieb der Leipziger Pöbel argen Unfug. Die
Bürger ſahen ſchadenfroh zu, und als der geängſtete Stadtrath ſie am
4. September zur Hilfe rief, hielten ſie ihm zornig die Sünden ſeines
Vettern-Regimentes vor, bis er endlich Rechenſchaft von ſeiner Verwaltung
abzulegen verſprach. Die ganze nächſte Nacht hindurch tobten die Maſſen
wieder in den Straßen. Da und dort zeigte ſich die franzöſiſche Tricolore,
und zuweilen erklang der Ruf: Freiheit, Paris, Lafayette! Im Grunde galt
der Grimm nur den kleinen Stadttyrannen, und auch der Zunftgeiſt
wollte in der erwerbloſen Zeit ſein Müthchen kühlen an gefährlichen Neben-
buhlern. Die Wohnungen mehrerer Rathsherren und Polizeibeamten
wurden „demolirt“ — ſo lautete die ausgegebene Loſung — desgleichen
einige verrufene Häuſer, deren Damen ſich der geheimen Gunſt der Stadt-
behörden erfreuten; die Schloſſer grollten, weil der Rath die eiſernen
Bettſtellen für ein Krankenhaus auswärts beſtellt hatte, die Drucker wollten
die neue Schnellpreſſe zerſtören, die ihnen das Brot vom Munde nahm,
die Lohnkutſcher den Eilwagen im königlichen Poſtſtalle. Am folgenden
Morgen that ſich die Bürgerſchaft zuſammen und bildete eine Commu-
nalgarde; Rector Krug berief die Studenten in die Paulinerkirche und
ermahnte ſie in feuriger Rede, mit den Bürgern vereint die Ordnung
herzuſtellen. Dies gelang denn auch ſogleich und ohne Widerſtand. Die
Communalgarde und die akademiſche Legion bezogen gemeinſam die Wachen
— denn kraft alter Privilegien brauchte Leipzig außer der Schloßwache
der Pleißenburg keine Garniſon aufzunehmen. Die Bürger trugen die
weiße Armbinde, die Studenten ihre Schläger und die bunten Verbin-
dungsuniformen, die ſich nunmehr dem Verbote zum Trotz an den Tag
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/157>, abgerufen am 12.12.2024.
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