IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
gebührenden Zugeständnisse gemacht haben." Nur Börne bewährte sich wieder als unersättlichen Radicalen und witzelte in seinen Pariser Briefen über das Flittergold der hessischen Freiheit. Am Bundestage dagegen war Jedermann entrüstet über dies revolutionärste aller deutschen Grund- gesetze und stimmte dem erbosten Blittersdorff zu, der schon beim Beginne der kurhessischen Bewegung vorausgesagt hatte: unsere gefürchteten süd- deutschen Verfassungen werden bald die illiberalsten in Deutschland sein!*)
Und doch sollte das vielgeprüfte Land kaum einige Tage lang seines neuen Grundgesetzes froh werden. Am 8. Januar 1831 versammelte sich der Landtag vor dem Throne. Der Kurfürst, der seinen Ingrimm nur mühsam verbiß, übergab dem Erbmarschall die Verfassungsurkunde und stammelte verlegen: ich wünsche Hessen Glück dazu; dann baten die Stände in überströmender Unterthänigkeit um die Erlaubniß, diesem Fürsten, als dem zweiten Gründer des Landesglücks seit Philipp dem Großmüthigen, ein Standbild errichten zu dürfen. Tags darauf zogen die Bürger mit Fackeln nach dem Schlosse, denn die geliebte Kur- fürstin war soeben zurückgekehrt; und als nun der Landesvater mit seiner Gemahlin am Arme auf dem Altane erschien, da jubelte Alles, mit der neuen Freiheit schien auch der häusliche Friede des Kurhauses endlich gesichert. Doch leider hatte Wilhelm schon dafür gesorgt, daß jenes würdige Gegenstück zu dem Standbilde des menschenverkaufenden pater patriae nie zu Stande kam. Noch in derselben Nacht fuhr ein Wagen Amschel Rothschild's auf Wilhelmshöhe vor, und ihm entstieg die Gräfin Reichenbach. Augenblicklich schlug die Stimmung in Cassel um, und aber- mals begann der "Krawall" -- so lautete der neue Ausdruck, der damals zuerst in diesen mitteldeutschen Landstrichen aufkam. Sie muß aus dem Lande -- hieß es überall; der Schutz des neuen Grundgesetzes sollte der verhaßten Frau nicht zu gute kommen, obgleich sie Hessin war, und die Kurfürstin selber sich jetzt bereit erklärte, sie als Gesellschafterin und Pflegerin ihres Gemahls neben sich zu dulden. Bei den Unruhen dieser Januartage hatte der Adel, ganz wie in Braunschweig, unverkennbar die Hände mit im Spiele; doch es bedurfte der Aufstiftung kaum. Selbst die Soldaten, die sonst trotz des gefährlichen doppelten Eides gute Manns- zucht hielten, theilten den allgemeinen Abscheu und sagten laut: Schlagt sie nur todt, wir lassen Euch nicht im Stich! Nach drei Tagen wachsen- der Aufregung sah sich die Gräfin gezwungen Wilhelmshöhe zu verlassen. Masaniello Herbold ritt selber hinaus um nachzusehen ob sie wirklich fort sei. Wilhelm aber gebärdete sich wie ein Rasender; alle politischen Wünsche hatte er seinem Völkchen erfüllt, und nun verwehrten ihm die Undank- baren, seinen persönlichen Neigungen zu folgen. In den nächsten Tagen mußte er noch, halb gezwungen durch drohende Schreiben der Bürger-
*) Blittersdorff's Bericht, 20. Oct. 1830.
IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
gebührenden Zugeſtändniſſe gemacht haben.“ Nur Börne bewährte ſich wieder als unerſättlichen Radicalen und witzelte in ſeinen Pariſer Briefen über das Flittergold der heſſiſchen Freiheit. Am Bundestage dagegen war Jedermann entrüſtet über dies revolutionärſte aller deutſchen Grund- geſetze und ſtimmte dem erboſten Blittersdorff zu, der ſchon beim Beginne der kurheſſiſchen Bewegung vorausgeſagt hatte: unſere gefürchteten ſüd- deutſchen Verfaſſungen werden bald die illiberalſten in Deutſchland ſein!*)
Und doch ſollte das vielgeprüfte Land kaum einige Tage lang ſeines neuen Grundgeſetzes froh werden. Am 8. Januar 1831 verſammelte ſich der Landtag vor dem Throne. Der Kurfürſt, der ſeinen Ingrimm nur mühſam verbiß, übergab dem Erbmarſchall die Verfaſſungsurkunde und ſtammelte verlegen: ich wünſche Heſſen Glück dazu; dann baten die Stände in überſtrömender Unterthänigkeit um die Erlaubniß, dieſem Fürſten, als dem zweiten Gründer des Landesglücks ſeit Philipp dem Großmüthigen, ein Standbild errichten zu dürfen. Tags darauf zogen die Bürger mit Fackeln nach dem Schloſſe, denn die geliebte Kur- fürſtin war ſoeben zurückgekehrt; und als nun der Landesvater mit ſeiner Gemahlin am Arme auf dem Altane erſchien, da jubelte Alles, mit der neuen Freiheit ſchien auch der häusliche Friede des Kurhauſes endlich geſichert. Doch leider hatte Wilhelm ſchon dafür geſorgt, daß jenes würdige Gegenſtück zu dem Standbilde des menſchenverkaufenden pater patriae nie zu Stande kam. Noch in derſelben Nacht fuhr ein Wagen Amſchel Rothſchild’s auf Wilhelmshöhe vor, und ihm entſtieg die Gräfin Reichenbach. Augenblicklich ſchlug die Stimmung in Caſſel um, und aber- mals begann der „Krawall“ — ſo lautete der neue Ausdruck, der damals zuerſt in dieſen mitteldeutſchen Landſtrichen aufkam. Sie muß aus dem Lande — hieß es überall; der Schutz des neuen Grundgeſetzes ſollte der verhaßten Frau nicht zu gute kommen, obgleich ſie Heſſin war, und die Kurfürſtin ſelber ſich jetzt bereit erklärte, ſie als Geſellſchafterin und Pflegerin ihres Gemahls neben ſich zu dulden. Bei den Unruhen dieſer Januartage hatte der Adel, ganz wie in Braunſchweig, unverkennbar die Hände mit im Spiele; doch es bedurfte der Aufſtiftung kaum. Selbſt die Soldaten, die ſonſt trotz des gefährlichen doppelten Eides gute Manns- zucht hielten, theilten den allgemeinen Abſcheu und ſagten laut: Schlagt ſie nur todt, wir laſſen Euch nicht im Stich! Nach drei Tagen wachſen- der Aufregung ſah ſich die Gräfin gezwungen Wilhelmshöhe zu verlaſſen. Maſaniello Herbold ritt ſelber hinaus um nachzuſehen ob ſie wirklich fort ſei. Wilhelm aber gebärdete ſich wie ein Raſender; alle politiſchen Wünſche hatte er ſeinem Völkchen erfüllt, und nun verwehrten ihm die Undank- baren, ſeinen perſönlichen Neigungen zu folgen. In den nächſten Tagen mußte er noch, halb gezwungen durch drohende Schreiben der Bürger-
*) Blittersdorff’s Bericht, 20. Oct. 1830.
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gebührenden Zugeſtändniſſe gemacht haben.“ Nur Börne bewährte ſich
wieder als unerſättlichen Radicalen und witzelte in ſeinen Pariſer Briefen
über das Flittergold der heſſiſchen Freiheit. Am Bundestage dagegen
war Jedermann entrüſtet über dies revolutionärſte aller deutſchen Grund-
geſetze und ſtimmte dem erboſten Blittersdorff zu, der ſchon beim Beginne
der kurheſſiſchen Bewegung vorausgeſagt hatte: unſere gefürchteten ſüd-
deutſchen Verfaſſungen werden bald die illiberalſten in Deutſchland ſein! *)
Und doch ſollte das vielgeprüfte Land kaum einige Tage lang ſeines
neuen Grundgeſetzes froh werden. Am 8. Januar 1831 verſammelte
ſich der Landtag vor dem Throne. Der Kurfürſt, der ſeinen Ingrimm
nur mühſam verbiß, übergab dem Erbmarſchall die Verfaſſungsurkunde
und ſtammelte verlegen: ich wünſche Heſſen Glück dazu; dann baten die
Stände in überſtrömender Unterthänigkeit um die Erlaubniß, dieſem
Fürſten, als dem zweiten Gründer des Landesglücks ſeit Philipp dem
Großmüthigen, ein Standbild errichten zu dürfen. Tags darauf zogen
die Bürger mit Fackeln nach dem Schloſſe, denn die geliebte Kur-
fürſtin war ſoeben zurückgekehrt; und als nun der Landesvater mit
ſeiner Gemahlin am Arme auf dem Altane erſchien, da jubelte Alles,
mit der neuen Freiheit ſchien auch der häusliche Friede des Kurhauſes
endlich geſichert. Doch leider hatte Wilhelm ſchon dafür geſorgt, daß jenes
würdige Gegenſtück zu dem Standbilde des menſchenverkaufenden pater
patriae nie zu Stande kam. Noch in derſelben Nacht fuhr ein Wagen
Amſchel Rothſchild’s auf Wilhelmshöhe vor, und ihm entſtieg die Gräfin
Reichenbach. Augenblicklich ſchlug die Stimmung in Caſſel um, und aber-
mals begann der „Krawall“ — ſo lautete der neue Ausdruck, der damals
zuerſt in dieſen mitteldeutſchen Landſtrichen aufkam. Sie muß aus dem
Lande — hieß es überall; der Schutz des neuen Grundgeſetzes ſollte der
verhaßten Frau nicht zu gute kommen, obgleich ſie Heſſin war, und die
Kurfürſtin ſelber ſich jetzt bereit erklärte, ſie als Geſellſchafterin und
Pflegerin ihres Gemahls neben ſich zu dulden. Bei den Unruhen dieſer
Januartage hatte der Adel, ganz wie in Braunſchweig, unverkennbar die
Hände mit im Spiele; doch es bedurfte der Aufſtiftung kaum. Selbſt
die Soldaten, die ſonſt trotz des gefährlichen doppelten Eides gute Manns-
zucht hielten, theilten den allgemeinen Abſcheu und ſagten laut: Schlagt
ſie nur todt, wir laſſen Euch nicht im Stich! Nach drei Tagen wachſen-
der Aufregung ſah ſich die Gräfin gezwungen Wilhelmshöhe zu verlaſſen.
Maſaniello Herbold ritt ſelber hinaus um nachzuſehen ob ſie wirklich fort
ſei. Wilhelm aber gebärdete ſich wie ein Raſender; alle politiſchen Wünſche
hatte er ſeinem Völkchen erfüllt, und nun verwehrten ihm die Undank-
baren, ſeinen perſönlichen Neigungen zu folgen. In den nächſten Tagen
mußte er noch, halb gezwungen durch drohende Schreiben der Bürger-
*) Blittersdorff’s Bericht, 20. Oct. 1830.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/150>, abgerufen am 05.12.2024.
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