sich Marschall am 12. Juli 1832 zur Fortführung der braunschweigischen Stimme, indem er eine Vollmacht des Herzogs Wilhelm vorlegte. Der Bundestag aber beschloß sofort einstimmig, diese Vollmacht anzunehmen, "da nach den vorangegangenen Verhandlungen Se. Durchlaucht als stimm- führendes Bundesglied in der Bundesversammlung zu betrachten ist."
Mit diesem Possenspiele fanden die Bundesverhandlungen über die braunschweigische Frage ihren würdigen Abschluß. Der hochconservative Marschall nahm sich als Gesandter eines illegitimen Fürsten ganz ebenso seltsam aus wie die hohe Versammlung insgesammt, da sie einen Beschluß faßte, der einer Selbstverhöhnung gleichkam. Sie hatte am 2. December 1830 den Herzog Wilhelm gebeten, die Regierung "bis auf Weiteres" zu führen, und sodann am 11. Mai 1831 ihm ihren Unwillen über seine eigen- mächtige Thronbesteigung sehr unhöflich ausgesprochen; über alles Andere war sie nicht einig geworden, und gleichwohl behauptete sie jetzt, daß der Herzog nach den vorangegangenen Verhandlungen als Bundesglied zu betrachten sei! Zu solchen Widersprüchen führte der legitimistische Trotz, der die vollendeten Thatsachen wohl verwünschen, doch nicht streichen konnte. War es zu verwundern, wenn die Liberalen mehr und mehr in das Fahr- wasser des Partikularismus hinübertrieben? Von dieser Centralgewalt hatte die Nation selbst in dringender Nothlage nichts zu erwarten.
Die anhaltende Feindseligkeit des vertriebenen Herzogs zwang die welfischen Höfe unterdessen neue Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen. Am 24. October 1831 vereinbarten sie ein Hausgesetz, kraft dessen fortan für alle Ehen der Welfen die Einwilligung des regierenden Herrn der Linie nachgesucht werden mußte. Alle englischen Prinzen unterzeichneten das Gesetz, der hannoversche Thronfolger Ernst August von Cumberland frei- lich erst nach langem Sträuben. Dieser fanatische Legitimist wollte von dem Aufstande der Braunschweiger und allen seinen Folgen nichts hören; erst nach Jahren versöhnte er sich mit dem Usurpator Wilhelm, und sein Leben lang hielt er fest an der Meinung, daß den Nachkommen des älteren Bruders die Thronfolge gebühre.*) Karl's Unterschrift fehlte natürlich, und da er zudem sich selber für den regierenden Herrn seiner Linie ansah, so blieb die braunschweigische Erbfolgefrage auch jetzt noch unentschieden. Durch seine Rüstungen nöthigte er sodann die Agnaten sein Vermögen unter Curatel zu stellen -- ein hartes Verfahren, das zu widerwärtigen Processen führte und von den französischen Gerichten nicht als rechtsgiltig anerkannt wurde. Dabei stellte sich heraus, daß er nahezu 350000 Thaler dem Lande entwendet hatte -- 118000 Thlr. englische Subsidien, das Uebrige durch widerrechtlichen Verkauf von Kammergütern -- immerhin weit weniger als sein erbittertes Völkchen glaubte. Auch das herrliche Man- tuanische Onyxgefäß und andere Kleinodien des Hauses Bevern hatte er ins Ausland mitgenommen.
*) Canitz's Bericht, Hannover 10. Jan. 1838.
Ausgleichung am Bundestage.
ſich Marſchall am 12. Juli 1832 zur Fortführung der braunſchweigiſchen Stimme, indem er eine Vollmacht des Herzogs Wilhelm vorlegte. Der Bundestag aber beſchloß ſofort einſtimmig, dieſe Vollmacht anzunehmen, „da nach den vorangegangenen Verhandlungen Se. Durchlaucht als ſtimm- führendes Bundesglied in der Bundesverſammlung zu betrachten iſt.“
Mit dieſem Poſſenſpiele fanden die Bundesverhandlungen über die braunſchweigiſche Frage ihren würdigen Abſchluß. Der hochconſervative Marſchall nahm ſich als Geſandter eines illegitimen Fürſten ganz ebenſo ſeltſam aus wie die hohe Verſammlung insgeſammt, da ſie einen Beſchluß faßte, der einer Selbſtverhöhnung gleichkam. Sie hatte am 2. December 1830 den Herzog Wilhelm gebeten, die Regierung „bis auf Weiteres“ zu führen, und ſodann am 11. Mai 1831 ihm ihren Unwillen über ſeine eigen- mächtige Thronbeſteigung ſehr unhöflich ausgeſprochen; über alles Andere war ſie nicht einig geworden, und gleichwohl behauptete ſie jetzt, daß der Herzog nach den vorangegangenen Verhandlungen als Bundesglied zu betrachten ſei! Zu ſolchen Widerſprüchen führte der legitimiſtiſche Trotz, der die vollendeten Thatſachen wohl verwünſchen, doch nicht ſtreichen konnte. War es zu verwundern, wenn die Liberalen mehr und mehr in das Fahr- waſſer des Partikularismus hinübertrieben? Von dieſer Centralgewalt hatte die Nation ſelbſt in dringender Nothlage nichts zu erwarten.
Die anhaltende Feindſeligkeit des vertriebenen Herzogs zwang die welfiſchen Höfe unterdeſſen neue Vorſichtsmaßregeln zu ergreifen. Am 24. October 1831 vereinbarten ſie ein Hausgeſetz, kraft deſſen fortan für alle Ehen der Welfen die Einwilligung des regierenden Herrn der Linie nachgeſucht werden mußte. Alle engliſchen Prinzen unterzeichneten das Geſetz, der hannoverſche Thronfolger Ernſt Auguſt von Cumberland frei- lich erſt nach langem Sträuben. Dieſer fanatiſche Legitimiſt wollte von dem Aufſtande der Braunſchweiger und allen ſeinen Folgen nichts hören; erſt nach Jahren verſöhnte er ſich mit dem Uſurpator Wilhelm, und ſein Leben lang hielt er feſt an der Meinung, daß den Nachkommen des älteren Bruders die Thronfolge gebühre.*) Karl’s Unterſchrift fehlte natürlich, und da er zudem ſich ſelber für den regierenden Herrn ſeiner Linie anſah, ſo blieb die braunſchweigiſche Erbfolgefrage auch jetzt noch unentſchieden. Durch ſeine Rüſtungen nöthigte er ſodann die Agnaten ſein Vermögen unter Curatel zu ſtellen — ein hartes Verfahren, das zu widerwärtigen Proceſſen führte und von den franzöſiſchen Gerichten nicht als rechtsgiltig anerkannt wurde. Dabei ſtellte ſich heraus, daß er nahezu 350000 Thaler dem Lande entwendet hatte — 118000 Thlr. engliſche Subſidien, das Uebrige durch widerrechtlichen Verkauf von Kammergütern — immerhin weit weniger als ſein erbittertes Völkchen glaubte. Auch das herrliche Man- tuaniſche Onyxgefäß und andere Kleinodien des Hauſes Bevern hatte er ins Ausland mitgenommen.
*) Canitz’s Bericht, Hannover 10. Jan. 1838.
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Ausgleichung am Bundestage.
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Stimme, indem er eine Vollmacht des Herzogs Wilhelm vorlegte. Der
Bundestag aber beſchloß ſofort einſtimmig, dieſe Vollmacht anzunehmen,
„da nach den vorangegangenen Verhandlungen Se. Durchlaucht als ſtimm-
führendes Bundesglied in der Bundesverſammlung zu betrachten iſt.“
Mit dieſem Poſſenſpiele fanden die Bundesverhandlungen über die
braunſchweigiſche Frage ihren würdigen Abſchluß. Der hochconſervative
Marſchall nahm ſich als Geſandter eines illegitimen Fürſten ganz ebenſo
ſeltſam aus wie die hohe Verſammlung insgeſammt, da ſie einen Beſchluß
faßte, der einer Selbſtverhöhnung gleichkam. Sie hatte am 2. December
1830 den Herzog Wilhelm gebeten, die Regierung „bis auf Weiteres“ zu
führen, und ſodann am 11. Mai 1831 ihm ihren Unwillen über ſeine eigen-
mächtige Thronbeſteigung ſehr unhöflich ausgeſprochen; über alles Andere
war ſie nicht einig geworden, und gleichwohl behauptete ſie jetzt, daß der
Herzog nach den vorangegangenen Verhandlungen als Bundesglied zu
betrachten ſei! Zu ſolchen Widerſprüchen führte der legitimiſtiſche Trotz,
der die vollendeten Thatſachen wohl verwünſchen, doch nicht ſtreichen konnte.
War es zu verwundern, wenn die Liberalen mehr und mehr in das Fahr-
waſſer des Partikularismus hinübertrieben? Von dieſer Centralgewalt
hatte die Nation ſelbſt in dringender Nothlage nichts zu erwarten.
Die anhaltende Feindſeligkeit des vertriebenen Herzogs zwang die
welfiſchen Höfe unterdeſſen neue Vorſichtsmaßregeln zu ergreifen. Am
24. October 1831 vereinbarten ſie ein Hausgeſetz, kraft deſſen fortan für
alle Ehen der Welfen die Einwilligung des regierenden Herrn der Linie
nachgeſucht werden mußte. Alle engliſchen Prinzen unterzeichneten das
Geſetz, der hannoverſche Thronfolger Ernſt Auguſt von Cumberland frei-
lich erſt nach langem Sträuben. Dieſer fanatiſche Legitimiſt wollte von
dem Aufſtande der Braunſchweiger und allen ſeinen Folgen nichts hören;
erſt nach Jahren verſöhnte er ſich mit dem Uſurpator Wilhelm, und ſein
Leben lang hielt er feſt an der Meinung, daß den Nachkommen des älteren
Bruders die Thronfolge gebühre. *) Karl’s Unterſchrift fehlte natürlich,
und da er zudem ſich ſelber für den regierenden Herrn ſeiner Linie anſah,
ſo blieb die braunſchweigiſche Erbfolgefrage auch jetzt noch unentſchieden.
Durch ſeine Rüſtungen nöthigte er ſodann die Agnaten ſein Vermögen unter
Curatel zu ſtellen — ein hartes Verfahren, das zu widerwärtigen Proceſſen
führte und von den franzöſiſchen Gerichten nicht als rechtsgiltig anerkannt
wurde. Dabei ſtellte ſich heraus, daß er nahezu 350000 Thaler dem
Lande entwendet hatte — 118000 Thlr. engliſche Subſidien, das Uebrige
durch widerrechtlichen Verkauf von Kammergütern — immerhin weit
weniger als ſein erbittertes Völkchen glaubte. Auch das herrliche Man-
tuaniſche Onyxgefäß und andere Kleinodien des Hauſes Bevern hatte er
ins Ausland mitgenommen.
*) Canitz’s Bericht, Hannover 10. Jan. 1838.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/137>, abgerufen am 22.12.2024.
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