bruch bewirkt, und hier zeigte sich zugleich mit erschreckender Klarheit, daß die Unsicherheit unseres öffentlichen Rechtes in der schimpflichen Ohnmacht des Bundestages ihren letzten Grund hatte. Gegen die Winkeltyrannei der schwächsten Reichsstände bot die alte Reichsverfassung immerhin einigen Schutz; mehrmals schritten Kaiser und Reich zur Absetzung unverbesser- licher kleiner Despoten, noch zur Zeit der französischen Revolution erschien zuweilen eine kaiserliche Debit-Commission in einem überschuldeten Fürsten- thume um von Reichswegen die Ordnung herzustellen. Seit aber die Bundesakte diesen kleinen Herren die Souveränität gewährt hatte, bestand für fürstliche Willkür keine Schranke mehr, und einmal doch mußte an einem ungerathenen Sohne des deutschen hohen Adels offenbar werden, wie tief der Genuß einer anspruchsvollen Würde ohne Macht ihren Träger entsittlichen kann.
Trotzend auf seine fürstliche Unverantwortlichkeit war Karl von Braun- schweig von Stufe zu Stufe gesunken. Er wußte, daß die Deutschen ihn verabscheuten, und fand bald eine boshafte Freude daran, seinen selbst- verschuldeten schlechten Ruf immer aufs Neue zu rechtfertigen. Schon vier Jahre vor seinem Sturze schrieb er seiner gütigen Freundin, der Prinzessin Amalie von Sachsen, die ihm vergeblich ins Gewissen redete: "Man hält es am Ende für einerlei etwas zu sein, wofür man schon lange gegolten hat. Jung, hübsch, mächtig und ganz unabhängig mir selbst überlassen" -- wie konnte ich anders werden?*) Die schlaffe Nach- sicht des Bundestags, der sich in dem Streite der beiden Welfenhäuser mit einer beinahe possenhaften Genugthuung zufrieden gab, mußte den dreisten Uebermuth des verblendeten Fürsten noch erhöhen**). Schon wieder lag seit Jahr und Tag eine Klage gegen Herzog Karl unerledigt in Frankfurt: die Bitte des landständischen Ausschusses um Aufrechter- haltung der unbestreitbar rechtmäßigen Landschaftsordnung von 1820. Wieder wußte Graf Münch, trotz der ungestümen Mahnungen des preu- ßischen Gesandten, die Entscheidung zu verzögern; daß Landstände gegen ihren Fürsten jemals Recht behalten könnten, schien der Wiener Hofburg ganz unfaßbar. Auch manche der anderen Bundesgesandten bezweifelten die Giltigkeit der neuen Verfassung, weil sie unter einer vormundschaft- lichen Regierung vereinbart worden sei, der Vormund aber nicht über das Vermögen des Mündels verfügen dürfe. Selbst Wangenheim und einige überfeine Köpfe unter den Liberalen theilten diese Zweifel; so mächtig war noch, Dank der privatrechtlichen Bildung unserer Juristen, jene alte patrimoniale Staatslehre, welche Land und Leute nur als fürstliches Haus- gut betrachtete. Also unter Bedenken und Gegenbedenken schleppte sich der Handel dahin, bis endlich im Spätsommer 1830 die Commission des
*) H. Karl von Braunschweig an Prinzessin Amalie von Sachsen, 21. Nov. 1826.
**) s. o. III. 565.
7*
Klage der Braunſchweiger Landſtände.
bruch bewirkt, und hier zeigte ſich zugleich mit erſchreckender Klarheit, daß die Unſicherheit unſeres öffentlichen Rechtes in der ſchimpflichen Ohnmacht des Bundestages ihren letzten Grund hatte. Gegen die Winkeltyrannei der ſchwächſten Reichsſtände bot die alte Reichsverfaſſung immerhin einigen Schutz; mehrmals ſchritten Kaiſer und Reich zur Abſetzung unverbeſſer- licher kleiner Despoten, noch zur Zeit der franzöſiſchen Revolution erſchien zuweilen eine kaiſerliche Debit-Commiſſion in einem überſchuldeten Fürſten- thume um von Reichswegen die Ordnung herzuſtellen. Seit aber die Bundesakte dieſen kleinen Herren die Souveränität gewährt hatte, beſtand für fürſtliche Willkür keine Schranke mehr, und einmal doch mußte an einem ungerathenen Sohne des deutſchen hohen Adels offenbar werden, wie tief der Genuß einer anſpruchsvollen Würde ohne Macht ihren Träger entſittlichen kann.
Trotzend auf ſeine fürſtliche Unverantwortlichkeit war Karl von Braun- ſchweig von Stufe zu Stufe geſunken. Er wußte, daß die Deutſchen ihn verabſcheuten, und fand bald eine boshafte Freude daran, ſeinen ſelbſt- verſchuldeten ſchlechten Ruf immer aufs Neue zu rechtfertigen. Schon vier Jahre vor ſeinem Sturze ſchrieb er ſeiner gütigen Freundin, der Prinzeſſin Amalie von Sachſen, die ihm vergeblich ins Gewiſſen redete: „Man hält es am Ende für einerlei etwas zu ſein, wofür man ſchon lange gegolten hat. Jung, hübſch, mächtig und ganz unabhängig mir ſelbſt überlaſſen“ — wie konnte ich anders werden?*) Die ſchlaffe Nach- ſicht des Bundestags, der ſich in dem Streite der beiden Welfenhäuſer mit einer beinahe poſſenhaften Genugthuung zufrieden gab, mußte den dreiſten Uebermuth des verblendeten Fürſten noch erhöhen**). Schon wieder lag ſeit Jahr und Tag eine Klage gegen Herzog Karl unerledigt in Frankfurt: die Bitte des landſtändiſchen Ausſchuſſes um Aufrechter- haltung der unbeſtreitbar rechtmäßigen Landſchaftsordnung von 1820. Wieder wußte Graf Münch, trotz der ungeſtümen Mahnungen des preu- ßiſchen Geſandten, die Entſcheidung zu verzögern; daß Landſtände gegen ihren Fürſten jemals Recht behalten könnten, ſchien der Wiener Hofburg ganz unfaßbar. Auch manche der anderen Bundesgeſandten bezweifelten die Giltigkeit der neuen Verfaſſung, weil ſie unter einer vormundſchaft- lichen Regierung vereinbart worden ſei, der Vormund aber nicht über das Vermögen des Mündels verfügen dürfe. Selbſt Wangenheim und einige überfeine Köpfe unter den Liberalen theilten dieſe Zweifel; ſo mächtig war noch, Dank der privatrechtlichen Bildung unſerer Juriſten, jene alte patrimoniale Staatslehre, welche Land und Leute nur als fürſtliches Haus- gut betrachtete. Alſo unter Bedenken und Gegenbedenken ſchleppte ſich der Handel dahin, bis endlich im Spätſommer 1830 die Commiſſion des
*) H. Karl von Braunſchweig an Prinzeſſin Amalie von Sachſen, 21. Nov. 1826.
**) ſ. o. III. 565.
7*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0113"n="99"/><fwplace="top"type="header">Klage der Braunſchweiger Landſtände.</fw><lb/>
bruch bewirkt, und hier zeigte ſich zugleich mit erſchreckender Klarheit, daß<lb/>
die Unſicherheit unſeres öffentlichen Rechtes in der ſchimpflichen Ohnmacht<lb/>
des Bundestages ihren letzten Grund hatte. Gegen die Winkeltyrannei<lb/>
der ſchwächſten Reichsſtände bot die alte Reichsverfaſſung immerhin einigen<lb/>
Schutz; mehrmals ſchritten Kaiſer und Reich zur Abſetzung unverbeſſer-<lb/>
licher kleiner Despoten, noch zur Zeit der franzöſiſchen Revolution erſchien<lb/>
zuweilen eine kaiſerliche Debit-Commiſſion in einem überſchuldeten Fürſten-<lb/>
thume um von Reichswegen die Ordnung herzuſtellen. Seit aber die<lb/>
Bundesakte dieſen kleinen Herren die Souveränität gewährt hatte, beſtand<lb/>
für fürſtliche Willkür keine Schranke mehr, und einmal doch mußte an<lb/>
einem ungerathenen Sohne des deutſchen hohen Adels offenbar werden,<lb/>
wie tief der Genuß einer anſpruchsvollen Würde ohne Macht ihren Träger<lb/>
entſittlichen kann.</p><lb/><p>Trotzend auf ſeine fürſtliche Unverantwortlichkeit war Karl von Braun-<lb/>ſchweig von Stufe zu Stufe geſunken. Er wußte, daß die Deutſchen ihn<lb/>
verabſcheuten, und fand bald eine boshafte Freude daran, ſeinen ſelbſt-<lb/>
verſchuldeten ſchlechten Ruf immer aufs Neue zu rechtfertigen. Schon<lb/>
vier Jahre vor ſeinem Sturze ſchrieb er ſeiner gütigen Freundin, der<lb/>
Prinzeſſin Amalie von Sachſen, die ihm vergeblich ins Gewiſſen redete:<lb/>„Man hält es am Ende für einerlei etwas zu ſein, wofür man ſchon<lb/>
lange gegolten hat. Jung, hübſch, mächtig und ganz unabhängig mir<lb/>ſelbſt überlaſſen“— wie konnte ich anders werden?<noteplace="foot"n="*)">H. Karl von Braunſchweig an Prinzeſſin Amalie von Sachſen, 21. Nov. 1826.</note> Die ſchlaffe Nach-<lb/>ſicht des Bundestags, der ſich in dem Streite der beiden Welfenhäuſer<lb/>
mit einer beinahe poſſenhaften Genugthuung zufrieden gab, mußte den<lb/>
dreiſten Uebermuth des verblendeten Fürſten noch erhöhen<noteplace="foot"n="**)">ſ. o. <hirendition="#aq">III.</hi> 565.</note>. Schon<lb/>
wieder lag ſeit Jahr und Tag eine Klage gegen Herzog Karl unerledigt<lb/>
in Frankfurt: die Bitte des landſtändiſchen Ausſchuſſes um Aufrechter-<lb/>
haltung der unbeſtreitbar rechtmäßigen Landſchaftsordnung von 1820.<lb/>
Wieder wußte Graf Münch, trotz der ungeſtümen Mahnungen des preu-<lb/>
ßiſchen Geſandten, die Entſcheidung zu verzögern; daß Landſtände gegen<lb/>
ihren Fürſten jemals Recht behalten könnten, ſchien der Wiener Hofburg<lb/>
ganz unfaßbar. Auch manche der anderen Bundesgeſandten bezweifelten<lb/>
die Giltigkeit der neuen Verfaſſung, weil ſie unter einer vormundſchaft-<lb/>
lichen Regierung vereinbart worden ſei, der Vormund aber nicht über das<lb/>
Vermögen des Mündels verfügen dürfe. Selbſt Wangenheim und einige<lb/>
überfeine Köpfe unter den Liberalen theilten dieſe Zweifel; ſo mächtig<lb/>
war noch, Dank der privatrechtlichen Bildung unſerer Juriſten, jene alte<lb/>
patrimoniale Staatslehre, welche Land und Leute nur als fürſtliches Haus-<lb/>
gut betrachtete. Alſo unter Bedenken und Gegenbedenken ſchleppte ſich<lb/>
der Handel dahin, bis endlich im Spätſommer 1830 die Commiſſion des<lb/><fwplace="bottom"type="sig">7*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[99/0113]
Klage der Braunſchweiger Landſtände.
bruch bewirkt, und hier zeigte ſich zugleich mit erſchreckender Klarheit, daß
die Unſicherheit unſeres öffentlichen Rechtes in der ſchimpflichen Ohnmacht
des Bundestages ihren letzten Grund hatte. Gegen die Winkeltyrannei
der ſchwächſten Reichsſtände bot die alte Reichsverfaſſung immerhin einigen
Schutz; mehrmals ſchritten Kaiſer und Reich zur Abſetzung unverbeſſer-
licher kleiner Despoten, noch zur Zeit der franzöſiſchen Revolution erſchien
zuweilen eine kaiſerliche Debit-Commiſſion in einem überſchuldeten Fürſten-
thume um von Reichswegen die Ordnung herzuſtellen. Seit aber die
Bundesakte dieſen kleinen Herren die Souveränität gewährt hatte, beſtand
für fürſtliche Willkür keine Schranke mehr, und einmal doch mußte an
einem ungerathenen Sohne des deutſchen hohen Adels offenbar werden,
wie tief der Genuß einer anſpruchsvollen Würde ohne Macht ihren Träger
entſittlichen kann.
Trotzend auf ſeine fürſtliche Unverantwortlichkeit war Karl von Braun-
ſchweig von Stufe zu Stufe geſunken. Er wußte, daß die Deutſchen ihn
verabſcheuten, und fand bald eine boshafte Freude daran, ſeinen ſelbſt-
verſchuldeten ſchlechten Ruf immer aufs Neue zu rechtfertigen. Schon
vier Jahre vor ſeinem Sturze ſchrieb er ſeiner gütigen Freundin, der
Prinzeſſin Amalie von Sachſen, die ihm vergeblich ins Gewiſſen redete:
„Man hält es am Ende für einerlei etwas zu ſein, wofür man ſchon
lange gegolten hat. Jung, hübſch, mächtig und ganz unabhängig mir
ſelbſt überlaſſen“ — wie konnte ich anders werden? *) Die ſchlaffe Nach-
ſicht des Bundestags, der ſich in dem Streite der beiden Welfenhäuſer
mit einer beinahe poſſenhaften Genugthuung zufrieden gab, mußte den
dreiſten Uebermuth des verblendeten Fürſten noch erhöhen **). Schon
wieder lag ſeit Jahr und Tag eine Klage gegen Herzog Karl unerledigt
in Frankfurt: die Bitte des landſtändiſchen Ausſchuſſes um Aufrechter-
haltung der unbeſtreitbar rechtmäßigen Landſchaftsordnung von 1820.
Wieder wußte Graf Münch, trotz der ungeſtümen Mahnungen des preu-
ßiſchen Geſandten, die Entſcheidung zu verzögern; daß Landſtände gegen
ihren Fürſten jemals Recht behalten könnten, ſchien der Wiener Hofburg
ganz unfaßbar. Auch manche der anderen Bundesgeſandten bezweifelten
die Giltigkeit der neuen Verfaſſung, weil ſie unter einer vormundſchaft-
lichen Regierung vereinbart worden ſei, der Vormund aber nicht über das
Vermögen des Mündels verfügen dürfe. Selbſt Wangenheim und einige
überfeine Köpfe unter den Liberalen theilten dieſe Zweifel; ſo mächtig
war noch, Dank der privatrechtlichen Bildung unſerer Juriſten, jene alte
patrimoniale Staatslehre, welche Land und Leute nur als fürſtliches Haus-
gut betrachtete. Alſo unter Bedenken und Gegenbedenken ſchleppte ſich
der Handel dahin, bis endlich im Spätſommer 1830 die Commiſſion des
*) H. Karl von Braunſchweig an Prinzeſſin Amalie von Sachſen, 21. Nov. 1826.
**) ſ. o. III. 565.
7*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/113>, abgerufen am 30.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.