Um die Geschichte der dreißiger Jahre hat sich ein vierfacher Sagen- kreis gelagert. Die französisch-polnischen und die nahe verwandten parti- cularistisch-liberalen Märchen gerathen zwar allmählich in Vergessenheit; die englisch-coburgische Legende aber und die Legende des Literatenthums behaupten noch einen Theil ihrer alten Macht. Leicht ist es nicht, durch diese Fabelwelt zu einer unbefangenen, schlicht deutschen Auffassung der Ereignisse hindurchzudringen; noch schwieriger, die unendliche Bedingtheit alles historischen Lebens auch in den verworrenen Parteikämpfen dieses Jahrzehntes zu erkennen und getreu zu schildern, wie Deutschlands Ein- heit gewiß nicht durch den Liberalismus, doch ebenso gewiß nicht ohne ihn möglich wurde, wie bald die Kronen bald die Opposition das nationale Leben gehemmt oder gefördert haben. So weit mein Scharfsinn reichte habe ich mich bemüht Licht und Schatten gerecht zu vertheilen.
Eine unerwartete Fülle dankenswerther vertraulicher Mittheilungen von Landsleuten aus Nord und Süd erleichterte mir die Arbeit. Außer den schon früher benutzten Archiven hat mir diesmal auch das Staats- archiv in Hannover mannichfache Belehrung geboten.
Die Vorwürfe, die mir in zahlreichen Briefen zukamen, habe ich ernstlich erwogen, ohne sie immer beherzigen zu können. Die meisten dieser Zuschriften liefen darauf hinaus, daß wohl alles Uebrige zu billigen, aber die Heimath des Tadelnden schlecht behandelt sei. Jakob Grimm sagte über sein Kurhessen, keine deutsche Landschaft würde von ihren Söhnen so leidenschaftlich geliebt. Das Gleiche behauptet auch der Ost- preuße und der Schlesier, der Baier und der Schwabe, der Westphale und der Kursachse von seinem Heimathlande. Den hohen Ansprüchen dieser Heimathliebe kann eine Darstellung, welche das Leben der gesammten Nation zu würdigen sucht, wohl niemals völlig genügen.
Vorwort.
Um die Geſchichte der dreißiger Jahre hat ſich ein vierfacher Sagen- kreis gelagert. Die franzöſiſch-polniſchen und die nahe verwandten parti- culariſtiſch-liberalen Märchen gerathen zwar allmählich in Vergeſſenheit; die engliſch-coburgiſche Legende aber und die Legende des Literatenthums behaupten noch einen Theil ihrer alten Macht. Leicht iſt es nicht, durch dieſe Fabelwelt zu einer unbefangenen, ſchlicht deutſchen Auffaſſung der Ereigniſſe hindurchzudringen; noch ſchwieriger, die unendliche Bedingtheit alles hiſtoriſchen Lebens auch in den verworrenen Parteikämpfen dieſes Jahrzehntes zu erkennen und getreu zu ſchildern, wie Deutſchlands Ein- heit gewiß nicht durch den Liberalismus, doch ebenſo gewiß nicht ohne ihn möglich wurde, wie bald die Kronen bald die Oppoſition das nationale Leben gehemmt oder gefördert haben. So weit mein Scharfſinn reichte habe ich mich bemüht Licht und Schatten gerecht zu vertheilen.
Eine unerwartete Fülle dankenswerther vertraulicher Mittheilungen von Landsleuten aus Nord und Süd erleichterte mir die Arbeit. Außer den ſchon früher benutzten Archiven hat mir diesmal auch das Staats- archiv in Hannover mannichfache Belehrung geboten.
Die Vorwürfe, die mir in zahlreichen Briefen zukamen, habe ich ernſtlich erwogen, ohne ſie immer beherzigen zu können. Die meiſten dieſer Zuſchriften liefen darauf hinaus, daß wohl alles Uebrige zu billigen, aber die Heimath des Tadelnden ſchlecht behandelt ſei. Jakob Grimm ſagte über ſein Kurheſſen, keine deutſche Landſchaft würde von ihren Söhnen ſo leidenſchaftlich geliebt. Das Gleiche behauptet auch der Oſt- preuße und der Schleſier, der Baier und der Schwabe, der Weſtphale und der Kurſachſe von ſeinem Heimathlande. Den hohen Anſprüchen dieſer Heimathliebe kann eine Darſtellung, welche das Leben der geſammten Nation zu würdigen ſucht, wohl niemals völlig genügen.
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Vorwort.
Um die Geſchichte der dreißiger Jahre hat ſich ein vierfacher Sagen-
kreis gelagert. Die franzöſiſch-polniſchen und die nahe verwandten parti-
culariſtiſch-liberalen Märchen gerathen zwar allmählich in Vergeſſenheit;
die engliſch-coburgiſche Legende aber und die Legende des Literatenthums
behaupten noch einen Theil ihrer alten Macht. Leicht iſt es nicht, durch
dieſe Fabelwelt zu einer unbefangenen, ſchlicht deutſchen Auffaſſung der
Ereigniſſe hindurchzudringen; noch ſchwieriger, die unendliche Bedingtheit
alles hiſtoriſchen Lebens auch in den verworrenen Parteikämpfen dieſes
Jahrzehntes zu erkennen und getreu zu ſchildern, wie Deutſchlands Ein-
heit gewiß nicht durch den Liberalismus, doch ebenſo gewiß nicht ohne ihn
möglich wurde, wie bald die Kronen bald die Oppoſition das nationale
Leben gehemmt oder gefördert haben. So weit mein Scharfſinn reichte
habe ich mich bemüht Licht und Schatten gerecht zu vertheilen.
Eine unerwartete Fülle dankenswerther vertraulicher Mittheilungen
von Landsleuten aus Nord und Süd erleichterte mir die Arbeit. Außer
den ſchon früher benutzten Archiven hat mir diesmal auch das Staats-
archiv in Hannover mannichfache Belehrung geboten.
Die Vorwürfe, die mir in zahlreichen Briefen zukamen, habe ich
ernſtlich erwogen, ohne ſie immer beherzigen zu können. Die meiſten
dieſer Zuſchriften liefen darauf hinaus, daß wohl alles Uebrige zu billigen,
aber die Heimath des Tadelnden ſchlecht behandelt ſei. Jakob Grimm
ſagte über ſein Kurheſſen, keine deutſche Landſchaft würde von ihren
Söhnen ſo leidenſchaftlich geliebt. Das Gleiche behauptet auch der Oſt-
preuße und der Schleſier, der Baier und der Schwabe, der Weſtphale
und der Kurſachſe von ſeinem Heimathlande. Den hohen Anſprüchen
dieſer Heimathliebe kann eine Darſtellung, welche das Leben der geſammten
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. [V]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/11>, abgerufen am 22.12.2024.
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