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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
die Ausgleichung doch allein den schwer heimgesuchten alten Landen zu
gute gekommen wäre? Es blieb nichts übrig als das unbedachte Ver-
sprechen zurückzunehmen und alle eigentlichen Communalschulden, mit ein-
ziger Ausnahme der französischen Contributionsgelder, den Provinzen und
Gemeinden zu überlassen.*) Den Communen der westlichen Provinzen
wurde im Jahre 1822 die planmäßige Tilgung ihrer Schulden und die
Nachzahlung der Rückstände gesetzlich anbefohlen. Nur ausnahmsweise,
aus Billigkeitsgründen übernahm der Staat noch 7,9 Mill. Thlr. solcher
Kriegsschulden für einige gänzlich hilflose Landestheile: die Kur- und Neu-
mark, Ostpreußen und Litthauen; davon entfiel 1,1 Mill. auf das un-
glückliche Königsberg -- ein Tropfen auf einen heißen Stein. Ganz
eigene Schwierigkeiten bot die Ordnung des Danziger Schuldenwesens. Die
Stadt hatte in den sieben Jahren ihrer republikanischen Selbständigkeit
eine Schuld von beinahe 12 Mill. Thlr. aufnehmen müssen, ihre Obli-
gationen standen auf 33 1/3 , und Niemand wußte zu sagen, wie viel von
jener Summe als Staatsschuld, wie viel als Communalschuld zu be-
trachten sei. Die Gemeinde war gänzlich verarmt, der preußische Staat
aber konnte unmöglich zum Besten einer einzigen Stadt seine Staats-
schuld um den zwanzigsten Theil vermehren. So entschloß man sich denn,
in diesem einen Falle von dem Grundsatze der unbedingten Anerkennung
aller Staatsschulden abzugehen. Die Danziger Schuld wurde, dem Bör-
senkurse entsprechend, auf ein Drittel ihres Nennwerthes herabgesetzt; für
die Verzinsung und Tilgung zahlte das Gebiet des ehemaligen Freistaats
30,000 Thlr., der preußische Staat aber den ganzen Ueberschuß, den er
aus diesem Gebiete bezog, 115,000 Thlr. jährlich.

Alles in Allem betrug die Staatsschuld im Jahre 1822 etwa 20 Thlr.,
ihre Verzinsung etwa 25 Sgr. auf den Kopf der Bevölkerung, wahrlich
keine leichte Last für ein armes Volk. Aber sie ward ertragen. Bis zum
Jahre 1848 wurden 1731/2 Mill. Zinsen gezahlt, 801/2 Mill. vom Ka-
pital getilgt und daneben noch der neue Staatsschatz angesammelt, der
im Jahre 1835 über 40 Mill. enthielt. --

Fast noch wichtiger als der finanzielle war der politische Inhalt des
Staatsschuldengesetzes, das nach Hardenberg's Ansicht nicht blos die Ord-
nung im Staatshaushalte wieder herstellen, sondern auch den Abschluß
des Verfassungskampfes sichern sollte. Im dritten Artikel der Verord-
nung stand hinter der Bestimmung, daß der Staat mit allen seinen Do-
mänen für die Schuld Gewähr leiste, der unscheinbare Zusatz: "mit Aus-
nahme der Domänen, welche zur Aufbringung des jährlichen Bedarfs von
2,5 Mill. für den Unterhalt der königlichen Familie erforderlich sind."
Mit diesem beiläufigen Satze vollzog sich eine folgenreiche Veränderung
des preußischen Staatsrechts. Die Krone hatte bisher die Bedürfnisse

*) Protokolle des Staatsraths, 20., 27. März 1821 ff.

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
die Ausgleichung doch allein den ſchwer heimgeſuchten alten Landen zu
gute gekommen wäre? Es blieb nichts übrig als das unbedachte Ver-
ſprechen zurückzunehmen und alle eigentlichen Communalſchulden, mit ein-
ziger Ausnahme der franzöſiſchen Contributionsgelder, den Provinzen und
Gemeinden zu überlaſſen.*) Den Communen der weſtlichen Provinzen
wurde im Jahre 1822 die planmäßige Tilgung ihrer Schulden und die
Nachzahlung der Rückſtände geſetzlich anbefohlen. Nur ausnahmsweiſe,
aus Billigkeitsgründen übernahm der Staat noch 7,9 Mill. Thlr. ſolcher
Kriegsſchulden für einige gänzlich hilfloſe Landestheile: die Kur- und Neu-
mark, Oſtpreußen und Litthauen; davon entfiel 1,1 Mill. auf das un-
glückliche Königsberg — ein Tropfen auf einen heißen Stein. Ganz
eigene Schwierigkeiten bot die Ordnung des Danziger Schuldenweſens. Die
Stadt hatte in den ſieben Jahren ihrer republikaniſchen Selbſtändigkeit
eine Schuld von beinahe 12 Mill. Thlr. aufnehmen müſſen, ihre Obli-
gationen ſtanden auf 33⅓, und Niemand wußte zu ſagen, wie viel von
jener Summe als Staatsſchuld, wie viel als Communalſchuld zu be-
trachten ſei. Die Gemeinde war gänzlich verarmt, der preußiſche Staat
aber konnte unmöglich zum Beſten einer einzigen Stadt ſeine Staats-
ſchuld um den zwanzigſten Theil vermehren. So entſchloß man ſich denn,
in dieſem einen Falle von dem Grundſatze der unbedingten Anerkennung
aller Staatsſchulden abzugehen. Die Danziger Schuld wurde, dem Bör-
ſenkurſe entſprechend, auf ein Drittel ihres Nennwerthes herabgeſetzt; für
die Verzinſung und Tilgung zahlte das Gebiet des ehemaligen Freiſtaats
30,000 Thlr., der preußiſche Staat aber den ganzen Ueberſchuß, den er
aus dieſem Gebiete bezog, 115,000 Thlr. jährlich.

Alles in Allem betrug die Staatsſchuld im Jahre 1822 etwa 20 Thlr.,
ihre Verzinſung etwa 25 Sgr. auf den Kopf der Bevölkerung, wahrlich
keine leichte Laſt für ein armes Volk. Aber ſie ward ertragen. Bis zum
Jahre 1848 wurden 173½ Mill. Zinſen gezahlt, 80½ Mill. vom Ka-
pital getilgt und daneben noch der neue Staatsſchatz angeſammelt, der
im Jahre 1835 über 40 Mill. enthielt. —

Faſt noch wichtiger als der finanzielle war der politiſche Inhalt des
Staatsſchuldengeſetzes, das nach Hardenberg’s Anſicht nicht blos die Ord-
nung im Staatshaushalte wieder herſtellen, ſondern auch den Abſchluß
des Verfaſſungskampfes ſichern ſollte. Im dritten Artikel der Verord-
nung ſtand hinter der Beſtimmung, daß der Staat mit allen ſeinen Do-
mänen für die Schuld Gewähr leiſte, der unſcheinbare Zuſatz: „mit Aus-
nahme der Domänen, welche zur Aufbringung des jährlichen Bedarfs von
2,5 Mill. für den Unterhalt der königlichen Familie erforderlich ſind.“
Mit dieſem beiläufigen Satze vollzog ſich eine folgenreiche Veränderung
des preußiſchen Staatsrechts. Die Krone hatte bisher die Bedürfniſſe

*) Protokolle des Staatsraths, 20., 27. März 1821 ff.
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[76/0092] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. die Ausgleichung doch allein den ſchwer heimgeſuchten alten Landen zu gute gekommen wäre? Es blieb nichts übrig als das unbedachte Ver- ſprechen zurückzunehmen und alle eigentlichen Communalſchulden, mit ein- ziger Ausnahme der franzöſiſchen Contributionsgelder, den Provinzen und Gemeinden zu überlaſſen. *) Den Communen der weſtlichen Provinzen wurde im Jahre 1822 die planmäßige Tilgung ihrer Schulden und die Nachzahlung der Rückſtände geſetzlich anbefohlen. Nur ausnahmsweiſe, aus Billigkeitsgründen übernahm der Staat noch 7,9 Mill. Thlr. ſolcher Kriegsſchulden für einige gänzlich hilfloſe Landestheile: die Kur- und Neu- mark, Oſtpreußen und Litthauen; davon entfiel 1,1 Mill. auf das un- glückliche Königsberg — ein Tropfen auf einen heißen Stein. Ganz eigene Schwierigkeiten bot die Ordnung des Danziger Schuldenweſens. Die Stadt hatte in den ſieben Jahren ihrer republikaniſchen Selbſtändigkeit eine Schuld von beinahe 12 Mill. Thlr. aufnehmen müſſen, ihre Obli- gationen ſtanden auf 33⅓, und Niemand wußte zu ſagen, wie viel von jener Summe als Staatsſchuld, wie viel als Communalſchuld zu be- trachten ſei. Die Gemeinde war gänzlich verarmt, der preußiſche Staat aber konnte unmöglich zum Beſten einer einzigen Stadt ſeine Staats- ſchuld um den zwanzigſten Theil vermehren. So entſchloß man ſich denn, in dieſem einen Falle von dem Grundſatze der unbedingten Anerkennung aller Staatsſchulden abzugehen. Die Danziger Schuld wurde, dem Bör- ſenkurſe entſprechend, auf ein Drittel ihres Nennwerthes herabgeſetzt; für die Verzinſung und Tilgung zahlte das Gebiet des ehemaligen Freiſtaats 30,000 Thlr., der preußiſche Staat aber den ganzen Ueberſchuß, den er aus dieſem Gebiete bezog, 115,000 Thlr. jährlich. Alles in Allem betrug die Staatsſchuld im Jahre 1822 etwa 20 Thlr., ihre Verzinſung etwa 25 Sgr. auf den Kopf der Bevölkerung, wahrlich keine leichte Laſt für ein armes Volk. Aber ſie ward ertragen. Bis zum Jahre 1848 wurden 173½ Mill. Zinſen gezahlt, 80½ Mill. vom Ka- pital getilgt und daneben noch der neue Staatsſchatz angeſammelt, der im Jahre 1835 über 40 Mill. enthielt. — Faſt noch wichtiger als der finanzielle war der politiſche Inhalt des Staatsſchuldengeſetzes, das nach Hardenberg’s Anſicht nicht blos die Ord- nung im Staatshaushalte wieder herſtellen, ſondern auch den Abſchluß des Verfaſſungskampfes ſichern ſollte. Im dritten Artikel der Verord- nung ſtand hinter der Beſtimmung, daß der Staat mit allen ſeinen Do- mänen für die Schuld Gewähr leiſte, der unſcheinbare Zuſatz: „mit Aus- nahme der Domänen, welche zur Aufbringung des jährlichen Bedarfs von 2,5 Mill. für den Unterhalt der königlichen Familie erforderlich ſind.“ Mit dieſem beiläufigen Satze vollzog ſich eine folgenreiche Veränderung des preußiſchen Staatsrechts. Die Krone hatte bisher die Bedürfniſſe *) Protokolle des Staatsraths, 20., 27. März 1821 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/92>, abgerufen am 25.11.2024.