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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Schließung der Staatsschuld.
ständigem Kampfe mit den anderen Behörden richtete sich Rother seinen
Wirkungskreis ein, und er erreichte, daß die Schuldenverwaltung ihren
Verpflichtungen mit höchster Pünktlichkeit nachkam, während in den Jahres-
budgets des Finanzministers die Unordnung noch lange fortwährte.*)

Die Börse nahm den Schulden-Etat wider Verhoffen freundlich auf;
die Kurse hielten sich auf ihrem alten Stande, da man in der Geschäfts-
welt nach allen den giftigen Gerüchten der letzten Wochen noch schlimmere
Enthüllungen erwartet hatte. Gleichwohl blieb der Credit des Staates
noch immer sehr unsicher und empfindlich. Als im Sommer 1820 dreißig
Millionen von den zurückbehaltenen Staatsschuldscheinen ausgegeben werden
sollten, durfte Rother nicht wagen die Papiere einfach an der Börse zu
verkaufen; die Kurse wären sonst zu tief gesunken. Er veranstaltete viel-
mehr mit Hilfe einiger deutschen Bankhäuser eine Prämienlotterie und
brachte also, die Kursdifferenzen geschickt benutzend, unter günstigen Be-
dingungen 27 Millionen Staatsschuldscheine im Publicum unter. Noch im
Jahre 1822 konnte eine neue Ausgabe von 24,5 Millionen Staatsschuld-
scheinen nur dadurch bewirkt werden, daß man die Scheine durch Ver-
mittlung der Seehandlung bei Rothschild in London verpfändete und der
König persönlich einen Schuldschein über 3,5 Mill. £ unterschrieb. Im
Ganzen sind nie mehr als 115 Mill. Staatsschuldscheine ausgefertigt wor-
den, und diese waren niemals sämmtlich im Umlauf. Es währte noch
lange bis die verrufenen preußischen Papiere sich wieder einiges Ansehen
errangen. Seit 1820 wurden die Staatsschuldscheine in Leipzig, seit 1824
auch in Hamburg und Frankfurt regelmäßig gehandelt und im Börsen-
Kurszettel notirt. Im Jahre 1821 ging der Kurs wieder bis auf 66 herab;
dann begann die Besserung, 1825 hielt er sich längere Zeit auf 90--91;
aber gleich darauf trat in Folge der Handelskrisis abermals ein Sinken
ein, erst 1828 wurde der frühere Stand wieder erreicht, und im De-
cember 1829 konnte Rother dem Könige triumphirend melden, daß die
Noth überstanden und der Pari-Kurs gesichert sei.

Durch die Schließung der Staatsschuld ward auch die seit Jahren
leidenschaftlich erörterte sogenannte Peräquationsfrage endlich entschieden.
Das verheißungsreiche Finanzedikt von 1810 hatte auch die Ausgleichung
aller Kriegsschulden der Provinzen versprochen, indeß ergab sich bald die
Unausführbarkeit dieser Zusage. Im Drange der Noth hatte jeder Lan-
destheil seine Kriegsschäden nach seiner eigenen Weise, oft sehr willkürlich,
abgeschätzt; wo fand sich ein Maßstab um diese Rechnungen in Einklang zu
bringen? Und durfte man die Rheinländer, die Polen, die Kursachsen, die
sich noch nicht als Preußen fühlten und schon die allgemeine Staatsschuld
wie eine aufgedrungene fremde Last betrachteten, aufs Neue erbittern, da

*) Hardenberg an das Staatsministerium, 26. Juni 1821, an Rother, Februar
1821, an den Schatzminister, Februar 1821 u. s. w.

Schließung der Staatsſchuld.
ſtändigem Kampfe mit den anderen Behörden richtete ſich Rother ſeinen
Wirkungskreis ein, und er erreichte, daß die Schuldenverwaltung ihren
Verpflichtungen mit höchſter Pünktlichkeit nachkam, während in den Jahres-
budgets des Finanzminiſters die Unordnung noch lange fortwährte.*)

Die Börſe nahm den Schulden-Etat wider Verhoffen freundlich auf;
die Kurſe hielten ſich auf ihrem alten Stande, da man in der Geſchäfts-
welt nach allen den giftigen Gerüchten der letzten Wochen noch ſchlimmere
Enthüllungen erwartet hatte. Gleichwohl blieb der Credit des Staates
noch immer ſehr unſicher und empfindlich. Als im Sommer 1820 dreißig
Millionen von den zurückbehaltenen Staatsſchuldſcheinen ausgegeben werden
ſollten, durfte Rother nicht wagen die Papiere einfach an der Börſe zu
verkaufen; die Kurſe wären ſonſt zu tief geſunken. Er veranſtaltete viel-
mehr mit Hilfe einiger deutſchen Bankhäuſer eine Prämienlotterie und
brachte alſo, die Kursdifferenzen geſchickt benutzend, unter günſtigen Be-
dingungen 27 Millionen Staatsſchuldſcheine im Publicum unter. Noch im
Jahre 1822 konnte eine neue Ausgabe von 24,5 Millionen Staatsſchuld-
ſcheinen nur dadurch bewirkt werden, daß man die Scheine durch Ver-
mittlung der Seehandlung bei Rothſchild in London verpfändete und der
König perſönlich einen Schuldſchein über 3,5 Mill. £ unterſchrieb. Im
Ganzen ſind nie mehr als 115 Mill. Staatsſchuldſcheine ausgefertigt wor-
den, und dieſe waren niemals ſämmtlich im Umlauf. Es währte noch
lange bis die verrufenen preußiſchen Papiere ſich wieder einiges Anſehen
errangen. Seit 1820 wurden die Staatsſchuldſcheine in Leipzig, ſeit 1824
auch in Hamburg und Frankfurt regelmäßig gehandelt und im Börſen-
Kurszettel notirt. Im Jahre 1821 ging der Kurs wieder bis auf 66 herab;
dann begann die Beſſerung, 1825 hielt er ſich längere Zeit auf 90—91;
aber gleich darauf trat in Folge der Handelskriſis abermals ein Sinken
ein, erſt 1828 wurde der frühere Stand wieder erreicht, und im De-
cember 1829 konnte Rother dem Könige triumphirend melden, daß die
Noth überſtanden und der Pari-Kurs geſichert ſei.

Durch die Schließung der Staatsſchuld ward auch die ſeit Jahren
leidenſchaftlich erörterte ſogenannte Peräquationsfrage endlich entſchieden.
Das verheißungsreiche Finanzedikt von 1810 hatte auch die Ausgleichung
aller Kriegsſchulden der Provinzen verſprochen, indeß ergab ſich bald die
Unausführbarkeit dieſer Zuſage. Im Drange der Noth hatte jeder Lan-
destheil ſeine Kriegsſchäden nach ſeiner eigenen Weiſe, oft ſehr willkürlich,
abgeſchätzt; wo fand ſich ein Maßſtab um dieſe Rechnungen in Einklang zu
bringen? Und durfte man die Rheinländer, die Polen, die Kurſachſen, die
ſich noch nicht als Preußen fühlten und ſchon die allgemeine Staatsſchuld
wie eine aufgedrungene fremde Laſt betrachteten, aufs Neue erbittern, da

*) Hardenberg an das Staatsminiſterium, 26. Juni 1821, an Rother, Februar
1821, an den Schatzminiſter, Februar 1821 u. ſ. w.
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[75/0091] Schließung der Staatsſchuld. ſtändigem Kampfe mit den anderen Behörden richtete ſich Rother ſeinen Wirkungskreis ein, und er erreichte, daß die Schuldenverwaltung ihren Verpflichtungen mit höchſter Pünktlichkeit nachkam, während in den Jahres- budgets des Finanzminiſters die Unordnung noch lange fortwährte. *) Die Börſe nahm den Schulden-Etat wider Verhoffen freundlich auf; die Kurſe hielten ſich auf ihrem alten Stande, da man in der Geſchäfts- welt nach allen den giftigen Gerüchten der letzten Wochen noch ſchlimmere Enthüllungen erwartet hatte. Gleichwohl blieb der Credit des Staates noch immer ſehr unſicher und empfindlich. Als im Sommer 1820 dreißig Millionen von den zurückbehaltenen Staatsſchuldſcheinen ausgegeben werden ſollten, durfte Rother nicht wagen die Papiere einfach an der Börſe zu verkaufen; die Kurſe wären ſonſt zu tief geſunken. Er veranſtaltete viel- mehr mit Hilfe einiger deutſchen Bankhäuſer eine Prämienlotterie und brachte alſo, die Kursdifferenzen geſchickt benutzend, unter günſtigen Be- dingungen 27 Millionen Staatsſchuldſcheine im Publicum unter. Noch im Jahre 1822 konnte eine neue Ausgabe von 24,5 Millionen Staatsſchuld- ſcheinen nur dadurch bewirkt werden, daß man die Scheine durch Ver- mittlung der Seehandlung bei Rothſchild in London verpfändete und der König perſönlich einen Schuldſchein über 3,5 Mill. £ unterſchrieb. Im Ganzen ſind nie mehr als 115 Mill. Staatsſchuldſcheine ausgefertigt wor- den, und dieſe waren niemals ſämmtlich im Umlauf. Es währte noch lange bis die verrufenen preußiſchen Papiere ſich wieder einiges Anſehen errangen. Seit 1820 wurden die Staatsſchuldſcheine in Leipzig, ſeit 1824 auch in Hamburg und Frankfurt regelmäßig gehandelt und im Börſen- Kurszettel notirt. Im Jahre 1821 ging der Kurs wieder bis auf 66 herab; dann begann die Beſſerung, 1825 hielt er ſich längere Zeit auf 90—91; aber gleich darauf trat in Folge der Handelskriſis abermals ein Sinken ein, erſt 1828 wurde der frühere Stand wieder erreicht, und im De- cember 1829 konnte Rother dem Könige triumphirend melden, daß die Noth überſtanden und der Pari-Kurs geſichert ſei. Durch die Schließung der Staatsſchuld ward auch die ſeit Jahren leidenſchaftlich erörterte ſogenannte Peräquationsfrage endlich entſchieden. Das verheißungsreiche Finanzedikt von 1810 hatte auch die Ausgleichung aller Kriegsſchulden der Provinzen verſprochen, indeß ergab ſich bald die Unausführbarkeit dieſer Zuſage. Im Drange der Noth hatte jeder Lan- destheil ſeine Kriegsſchäden nach ſeiner eigenen Weiſe, oft ſehr willkürlich, abgeſchätzt; wo fand ſich ein Maßſtab um dieſe Rechnungen in Einklang zu bringen? Und durfte man die Rheinländer, die Polen, die Kurſachſen, die ſich noch nicht als Preußen fühlten und ſchon die allgemeine Staatsſchuld wie eine aufgedrungene fremde Laſt betrachteten, aufs Neue erbittern, da *) Hardenberg an das Staatsminiſterium, 26. Juni 1821, an Rother, Februar 1821, an den Schatzminiſter, Februar 1821 u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/91>, abgerufen am 22.11.2024.