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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
und Lieferungsscheine, Kalkreuth'sche Danziger Obligationen u. s. w. -- in
Staatsschuldscheine umgeschrieben. Man verfuhr dabei mit einer Ehr-
lichkeit, die in der europäischen Finanzgeschichte kaum ihres Gleichen findet.
So hatte König Jerome die mit seinen altpreußischen Provinzen übernom-
menen Landesschuldverschreibungen auf ein Drittel ihres Nennwerthes
herabgesetzt. Als die Lande dann zu ihrem alten Herrscher zurückkehrten,
war der Gewaltstreich längst verschmerzt, und Preußen nach Völkerrecht
unzweifelhaft nur verpflichtet, seinen Antheil an der westphälischen Schuld,
wie sie lag, zu übernehmen; der König aber wollte keinen Makel auf dem
preußischen Namen dulden und ließ trotz der Noth der Finanzen die Schuld
wieder nach ihrem vollen Werthe (7,2 Mill.) anerkennen, auch den über-
raschten Gläubigern die Zinsen für 1814 und 1815 nachzahlen. Und
selbst diese That peinlicher Rechtschaffenheit ward von der verstimmten
vornehmen Gesellschaft mit übler Nachrede belohnt; Marwitz polterte, da
habe der Staatskanzler seinen Lieblingen, den Wucherern, wieder einmal
ein Geschenk in den Rachen geworfen.

Der Schulden-Etat gestand zu, daß nur ein Theil der Staatsschuld-
scheine bereits im Umlaufe, ein anderer für die außerordentlichen Bedürf-
nisse der nächsten Zukunft noch zurückbehalten sei, jedoch er verschwieg die
Höhe dieser letzteren Summe und -- er mußte sie verschweigen. Denn
im Januar 1820 hatte der Staat von den 119,5 Millionen Staatsschuld-
scheinen erst 59,685 Mill. ausgegeben, wovon 4 Mill. bereits wieder ein-
gelöst waren, er behielt also die volle Hälfte, an 60 Mill. noch in der
Hand um die Straßen- und Festungsbauten der nächsten Jahre zu be-
streiten und vornehmlich um seine ihm selber noch unbekannten Schuld-
posten zu decken. Der veröffentlichte Etat gab nicht eine Uebersicht über
die wirkliche Schuldenlast, sondern lediglich einen Voranschlag, wie ihn
Rother mit erstaunlichem Geschick, annähernd richtig, aber großentheils
nur nach Vermuthungen aufgestellt hatte. Der unbeschreibliche Wirrwarr
der aus so vielen Territorien zusammengeronnenen Schuldenmasse ließ
sich noch immer nicht sicher übersehen, und -- so tief lag der Unter-
nehmungsgeist in diesem verarmten und entmuthigten Geschlechte darnieder
-- selbst die Gläubiger zeigten bei der Abwicklung des Schuldenwesens
eine unbegreifliche Saumseligkeit; umsonst setzte der Staat wiederholt
Präclusivtermine für die Anmeldung alter Schuldforderungen, die An-
zeigen liefen niemals vollständig ein. Welch eine Arbeit, bis man nur
die Gewißheit erlangte, daß die Staatsschuld des Herzogthums Sachsen
sich auf 11,29 Mill. belief; da galt es zunächst mit der Krone Sachsen,
die sich begreiflicherweise sehr ungefällig benahm, peinliche Verhand-
lungen zu führen, und dann mußte man noch mit sieben ständischen
Körperschaften abrechnen, denn jeder der sieben kursächsischen Landestheile
besaß seine eigene Staatsschuld und außerdem noch einen Antheil an den
Centralschulden des kleinen Königreichs. Was Preußen von den Central-

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
und Lieferungsſcheine, Kalkreuth’ſche Danziger Obligationen u. ſ. w. — in
Staatsſchuldſcheine umgeſchrieben. Man verfuhr dabei mit einer Ehr-
lichkeit, die in der europäiſchen Finanzgeſchichte kaum ihres Gleichen findet.
So hatte König Jerome die mit ſeinen altpreußiſchen Provinzen übernom-
menen Landesſchuldverſchreibungen auf ein Drittel ihres Nennwerthes
herabgeſetzt. Als die Lande dann zu ihrem alten Herrſcher zurückkehrten,
war der Gewaltſtreich längſt verſchmerzt, und Preußen nach Völkerrecht
unzweifelhaft nur verpflichtet, ſeinen Antheil an der weſtphäliſchen Schuld,
wie ſie lag, zu übernehmen; der König aber wollte keinen Makel auf dem
preußiſchen Namen dulden und ließ trotz der Noth der Finanzen die Schuld
wieder nach ihrem vollen Werthe (7,2 Mill.) anerkennen, auch den über-
raſchten Gläubigern die Zinſen für 1814 und 1815 nachzahlen. Und
ſelbſt dieſe That peinlicher Rechtſchaffenheit ward von der verſtimmten
vornehmen Geſellſchaft mit übler Nachrede belohnt; Marwitz polterte, da
habe der Staatskanzler ſeinen Lieblingen, den Wucherern, wieder einmal
ein Geſchenk in den Rachen geworfen.

Der Schulden-Etat geſtand zu, daß nur ein Theil der Staatsſchuld-
ſcheine bereits im Umlaufe, ein anderer für die außerordentlichen Bedürf-
niſſe der nächſten Zukunft noch zurückbehalten ſei, jedoch er verſchwieg die
Höhe dieſer letzteren Summe und — er mußte ſie verſchweigen. Denn
im Januar 1820 hatte der Staat von den 119,5 Millionen Staatsſchuld-
ſcheinen erſt 59,685 Mill. ausgegeben, wovon 4 Mill. bereits wieder ein-
gelöſt waren, er behielt alſo die volle Hälfte, an 60 Mill. noch in der
Hand um die Straßen- und Feſtungsbauten der nächſten Jahre zu be-
ſtreiten und vornehmlich um ſeine ihm ſelber noch unbekannten Schuld-
poſten zu decken. Der veröffentlichte Etat gab nicht eine Ueberſicht über
die wirkliche Schuldenlaſt, ſondern lediglich einen Voranſchlag, wie ihn
Rother mit erſtaunlichem Geſchick, annähernd richtig, aber großentheils
nur nach Vermuthungen aufgeſtellt hatte. Der unbeſchreibliche Wirrwarr
der aus ſo vielen Territorien zuſammengeronnenen Schuldenmaſſe ließ
ſich noch immer nicht ſicher überſehen, und — ſo tief lag der Unter-
nehmungsgeiſt in dieſem verarmten und entmuthigten Geſchlechte darnieder
— ſelbſt die Gläubiger zeigten bei der Abwicklung des Schuldenweſens
eine unbegreifliche Saumſeligkeit; umſonſt ſetzte der Staat wiederholt
Präcluſivtermine für die Anmeldung alter Schuldforderungen, die An-
zeigen liefen niemals vollſtändig ein. Welch eine Arbeit, bis man nur
die Gewißheit erlangte, daß die Staatsſchuld des Herzogthums Sachſen
ſich auf 11,29 Mill. belief; da galt es zunächſt mit der Krone Sachſen,
die ſich begreiflicherweiſe ſehr ungefällig benahm, peinliche Verhand-
lungen zu führen, und dann mußte man noch mit ſieben ſtändiſchen
Körperſchaften abrechnen, denn jeder der ſieben kurſächſiſchen Landestheile
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[72/0088] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. und Lieferungsſcheine, Kalkreuth’ſche Danziger Obligationen u. ſ. w. — in Staatsſchuldſcheine umgeſchrieben. Man verfuhr dabei mit einer Ehr- lichkeit, die in der europäiſchen Finanzgeſchichte kaum ihres Gleichen findet. So hatte König Jerome die mit ſeinen altpreußiſchen Provinzen übernom- menen Landesſchuldverſchreibungen auf ein Drittel ihres Nennwerthes herabgeſetzt. Als die Lande dann zu ihrem alten Herrſcher zurückkehrten, war der Gewaltſtreich längſt verſchmerzt, und Preußen nach Völkerrecht unzweifelhaft nur verpflichtet, ſeinen Antheil an der weſtphäliſchen Schuld, wie ſie lag, zu übernehmen; der König aber wollte keinen Makel auf dem preußiſchen Namen dulden und ließ trotz der Noth der Finanzen die Schuld wieder nach ihrem vollen Werthe (7,2 Mill.) anerkennen, auch den über- raſchten Gläubigern die Zinſen für 1814 und 1815 nachzahlen. Und ſelbſt dieſe That peinlicher Rechtſchaffenheit ward von der verſtimmten vornehmen Geſellſchaft mit übler Nachrede belohnt; Marwitz polterte, da habe der Staatskanzler ſeinen Lieblingen, den Wucherern, wieder einmal ein Geſchenk in den Rachen geworfen. Der Schulden-Etat geſtand zu, daß nur ein Theil der Staatsſchuld- ſcheine bereits im Umlaufe, ein anderer für die außerordentlichen Bedürf- niſſe der nächſten Zukunft noch zurückbehalten ſei, jedoch er verſchwieg die Höhe dieſer letzteren Summe und — er mußte ſie verſchweigen. Denn im Januar 1820 hatte der Staat von den 119,5 Millionen Staatsſchuld- ſcheinen erſt 59,685 Mill. ausgegeben, wovon 4 Mill. bereits wieder ein- gelöſt waren, er behielt alſo die volle Hälfte, an 60 Mill. noch in der Hand um die Straßen- und Feſtungsbauten der nächſten Jahre zu be- ſtreiten und vornehmlich um ſeine ihm ſelber noch unbekannten Schuld- poſten zu decken. Der veröffentlichte Etat gab nicht eine Ueberſicht über die wirkliche Schuldenlaſt, ſondern lediglich einen Voranſchlag, wie ihn Rother mit erſtaunlichem Geſchick, annähernd richtig, aber großentheils nur nach Vermuthungen aufgeſtellt hatte. Der unbeſchreibliche Wirrwarr der aus ſo vielen Territorien zuſammengeronnenen Schuldenmaſſe ließ ſich noch immer nicht ſicher überſehen, und — ſo tief lag der Unter- nehmungsgeiſt in dieſem verarmten und entmuthigten Geſchlechte darnieder — ſelbſt die Gläubiger zeigten bei der Abwicklung des Schuldenweſens eine unbegreifliche Saumſeligkeit; umſonſt ſetzte der Staat wiederholt Präcluſivtermine für die Anmeldung alter Schuldforderungen, die An- zeigen liefen niemals vollſtändig ein. Welch eine Arbeit, bis man nur die Gewißheit erlangte, daß die Staatsſchuld des Herzogthums Sachſen ſich auf 11,29 Mill. belief; da galt es zunächſt mit der Krone Sachſen, die ſich begreiflicherweiſe ſehr ungefällig benahm, peinliche Verhand- lungen zu führen, und dann mußte man noch mit ſieben ſtändiſchen Körperſchaften abrechnen, denn jeder der ſieben kurſächſiſchen Landestheile beſaß ſeine eigene Staatsſchuld und außerdem noch einen Antheil an den Centralſchulden des kleinen Königreichs. Was Preußen von den Central-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/88>, abgerufen am 25.11.2024.