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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Nebenius und der deutsche Zollverein.
mindestens beweisen, daß jene Denkschrift auf die Entstehung des Zollvereins mittelbar oder
unmittelbar irgend einen Einfluß gehabt hätte. Will man behaupten, "der preußische
Grundsatz der Separatverhandlungen mit den einzelnen Staaten habe sich mit dem Ne-
benius'schen Gedanken des Zollvereins gleichsam vermählt", so muß man den Nachweis
führen, wo und wann denn besagte Vermählung vollzogen worden sei. Dieser Nachweis
ist aber von Roscher und seinen Meinungsgenossen nicht einmal versucht worden, und
er kann auch gar nicht geführt werden.

Nebenius war, als er jene Denkschrift schrieb, ein Gegner der preußischen Zollpo-
litik; er wähnte, "kein deutscher Staat außer Oesterreich vermöge sein Gebiet gegen fremde
Concurrenz wirksam zu schützen", während Maassen umgekehrt von der richtigen Ansicht
ausging, das preußische Zollgesetz werde diesen Schutz bewirken. Der Badener wollte
Beseitigung aller bestehenden deutschen Zollgesetze, auch des preußischen, und dafür ein
vereinbartes System von Bundeszöllen; die preußische Regierung dagegen verwarf das
Bundeszollwesen mit Recht als eine Utopie, sie wollte zunächst ihr eigenes Zollgesetz durch-
führen. Die Nebenius'sche Denkschrift wurde daher auf den Wiener Conferenzen von
dem Grafen Bernstorff nachdrücklich bekämpft, weil sie den Grundgedanken der preußi-
schen Handelspolitik zuwiderlief, und blieb nachher vierzehn Jahre lang völlig vergessen
in den Akten liegen. Kein einziges unter den tausenden von Schriftstücken, die ich im
Geh. Staatsarchiv zur Geschichte des Zollvereins durchsucht, erwähnt jener Arbeit, auch
in Motz's nachgelassenem Briefwechsel kommt Nebenius' Name gar nicht vor. Bei den
entscheidenden Verhandlungen von 1828--1833 war Nebenius weder selbst betheiligt,
noch empfing einer der dabei thätigen Staatsmänner von ihm Belehrungen.

Erst im Jahre 1833 erwies Nebenius der preußischen Handelspolitik einen wich-
tigen Dienst. Die Zollverträge zwischen dem preußisch-hessischen und dem bairisch-würt-
tembergischen Verbande, wurden soeben den Kammern in Stuttgart zur Genehmigung
vorgelegt; die Verhandlungen mit Baden schwebten noch. Da warf Nebenius seine
Schrift "über den Eintritt Badens in den Zollverein" auf den Markt hinaus. Er hatte
inzwischen seine früheren Irrthümer längst aufgegeben und empfahl nunmehr mit zwingenden
Gründen den Anschluß Süddeutschlands an das preußische System; er wollte durch seine
Flugschrift zugleich auf den württemberischen Landtag und auf die Stimmung in seiner
eigenen Heimath wirken. Als Anhang der neuen Denkschrift war jene längst vergessene
ältere von 1819 abgedruckt. Die badische Regierung wünschte ihrem trefflichen Geheimen
Rathe eine wohlverdiente Anerkennung zu verschaffen, sie gab die Schrift dem preußischen
Gesandten zur Mittheilung an seinen Hof. Es war was man in England fishing for
compliment
nennt. Das Berliner Kabinet mußte dem Verfasser einige freundliche Worte
sagen; man war ihm zu Danke verpflichtet und seine Stimme fiel bei der ernsten Ent-
scheidung, die in Karlsruhe bevorstand, schwer ins Gewicht. Eichhorn schrieb daher
(28. Novbr. 1833) an den Gesandten Otterstedt: die neue Denkschrift über Badens Bei-
tritt sei ihm "sehr interessant" gewesen. "Gewiß hat der Herr Verfasser durch diese
Schrift sich ein großes Verdienst für das richtige Verständniß der wichtigen Angelegen-
heit der Zollvereinigung in seinem Vaterlande und vielleicht auch in deutschen Nachbar-
staaten erworben. Zur gerechten Genugthuung wird es demselben gereichen, wenn er
aus den Verträgen der jetzt zu einem gemeinsamen Zoll- und Handelssysteme verbun-
denen Staaten ersehen wird, wie vollständig nunmehr die Ideen ins Leben getreten sind,
welche, nach dem Anhange seiner Denkschrift, von ihm schon im Jahre 1819 über die
Bedingungen eines deutschen Zollvereins gehegt und bekannt gemacht worden sind." Und
aus dieser fein berechneten Artigkeit zieht Nebenius' Biograph, Joseph Beck den Schluß,
Preußen selber habe den badischen Staatsmann als den Meister des Werkes anerkannt!
Ist es denn so ganz unbekannt, in welchem Tone gewandte Diplomaten zu reden pflegen,
wenn sie einen einflußreichen Mann bei guter Stimmung halten wollen? Oder sollte
Eichhorn etwa bei solchem Anlaß zu dem stark aufgetragenen Lobe noch die unhöfliche
Wahrheit hinzufügen, daß die Dinge doch anders gekommen seien als Nebenius gedacht?

Nebenius und der deutſche Zollverein.
mindeſtens beweiſen, daß jene Denkſchrift auf die Entſtehung des Zollvereins mittelbar oder
unmittelbar irgend einen Einfluß gehabt hätte. Will man behaupten, „der preußiſche
Grundſatz der Separatverhandlungen mit den einzelnen Staaten habe ſich mit dem Ne-
benius’ſchen Gedanken des Zollvereins gleichſam vermählt“, ſo muß man den Nachweis
führen, wo und wann denn beſagte Vermählung vollzogen worden ſei. Dieſer Nachweis
iſt aber von Roſcher und ſeinen Meinungsgenoſſen nicht einmal verſucht worden, und
er kann auch gar nicht geführt werden.

Nebenius war, als er jene Denkſchrift ſchrieb, ein Gegner der preußiſchen Zollpo-
litik; er wähnte, „kein deutſcher Staat außer Oeſterreich vermöge ſein Gebiet gegen fremde
Concurrenz wirkſam zu ſchützen“, während Maaſſen umgekehrt von der richtigen Anſicht
ausging, das preußiſche Zollgeſetz werde dieſen Schutz bewirken. Der Badener wollte
Beſeitigung aller beſtehenden deutſchen Zollgeſetze, auch des preußiſchen, und dafür ein
vereinbartes Syſtem von Bundeszöllen; die preußiſche Regierung dagegen verwarf das
Bundeszollweſen mit Recht als eine Utopie, ſie wollte zunächſt ihr eigenes Zollgeſetz durch-
führen. Die Nebenius’ſche Denkſchrift wurde daher auf den Wiener Conferenzen von
dem Grafen Bernſtorff nachdrücklich bekämpft, weil ſie den Grundgedanken der preußi-
ſchen Handelspolitik zuwiderlief, und blieb nachher vierzehn Jahre lang völlig vergeſſen
in den Akten liegen. Kein einziges unter den tauſenden von Schriftſtücken, die ich im
Geh. Staatsarchiv zur Geſchichte des Zollvereins durchſucht, erwähnt jener Arbeit, auch
in Motz’s nachgelaſſenem Briefwechſel kommt Nebenius’ Name gar nicht vor. Bei den
entſcheidenden Verhandlungen von 1828—1833 war Nebenius weder ſelbſt betheiligt,
noch empfing einer der dabei thätigen Staatsmänner von ihm Belehrungen.

Erſt im Jahre 1833 erwies Nebenius der preußiſchen Handelspolitik einen wich-
tigen Dienſt. Die Zollverträge zwiſchen dem preußiſch-heſſiſchen und dem bairiſch-würt-
tembergiſchen Verbande, wurden ſoeben den Kammern in Stuttgart zur Genehmigung
vorgelegt; die Verhandlungen mit Baden ſchwebten noch. Da warf Nebenius ſeine
Schrift „über den Eintritt Badens in den Zollverein“ auf den Markt hinaus. Er hatte
inzwiſchen ſeine früheren Irrthümer längſt aufgegeben und empfahl nunmehr mit zwingenden
Gründen den Anſchluß Süddeutſchlands an das preußiſche Syſtem; er wollte durch ſeine
Flugſchrift zugleich auf den württemberiſchen Landtag und auf die Stimmung in ſeiner
eigenen Heimath wirken. Als Anhang der neuen Denkſchrift war jene längſt vergeſſene
ältere von 1819 abgedruckt. Die badiſche Regierung wünſchte ihrem trefflichen Geheimen
Rathe eine wohlverdiente Anerkennung zu verſchaffen, ſie gab die Schrift dem preußiſchen
Geſandten zur Mittheilung an ſeinen Hof. Es war was man in England fishing for
compliment
nennt. Das Berliner Kabinet mußte dem Verfaſſer einige freundliche Worte
ſagen; man war ihm zu Danke verpflichtet und ſeine Stimme fiel bei der ernſten Ent-
ſcheidung, die in Karlsruhe bevorſtand, ſchwer ins Gewicht. Eichhorn ſchrieb daher
(28. Novbr. 1833) an den Geſandten Otterſtedt: die neue Denkſchrift über Badens Bei-
tritt ſei ihm „ſehr intereſſant“ geweſen. „Gewiß hat der Herr Verfaſſer durch dieſe
Schrift ſich ein großes Verdienſt für das richtige Verſtändniß der wichtigen Angelegen-
heit der Zollvereinigung in ſeinem Vaterlande und vielleicht auch in deutſchen Nachbar-
ſtaaten erworben. Zur gerechten Genugthuung wird es demſelben gereichen, wenn er
aus den Verträgen der jetzt zu einem gemeinſamen Zoll- und Handelsſyſteme verbun-
denen Staaten erſehen wird, wie vollſtändig nunmehr die Ideen ins Leben getreten ſind,
welche, nach dem Anhange ſeiner Denkſchrift, von ihm ſchon im Jahre 1819 über die
Bedingungen eines deutſchen Zollvereins gehegt und bekannt gemacht worden ſind.“ Und
aus dieſer fein berechneten Artigkeit zieht Nebenius’ Biograph, Joſeph Beck den Schluß,
Preußen ſelber habe den badiſchen Staatsmann als den Meiſter des Werkes anerkannt!
Iſt es denn ſo ganz unbekannt, in welchem Tone gewandte Diplomaten zu reden pflegen,
wenn ſie einen einflußreichen Mann bei guter Stimmung halten wollen? Oder ſollte
Eichhorn etwa bei ſolchem Anlaß zu dem ſtark aufgetragenen Lobe noch die unhöfliche
Wahrheit hinzufügen, daß die Dinge doch anders gekommen ſeien als Nebenius gedacht?

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[775/0791] Nebenius und der deutſche Zollverein. mindeſtens beweiſen, daß jene Denkſchrift auf die Entſtehung des Zollvereins mittelbar oder unmittelbar irgend einen Einfluß gehabt hätte. Will man behaupten, „der preußiſche Grundſatz der Separatverhandlungen mit den einzelnen Staaten habe ſich mit dem Ne- benius’ſchen Gedanken des Zollvereins gleichſam vermählt“, ſo muß man den Nachweis führen, wo und wann denn beſagte Vermählung vollzogen worden ſei. Dieſer Nachweis iſt aber von Roſcher und ſeinen Meinungsgenoſſen nicht einmal verſucht worden, und er kann auch gar nicht geführt werden. Nebenius war, als er jene Denkſchrift ſchrieb, ein Gegner der preußiſchen Zollpo- litik; er wähnte, „kein deutſcher Staat außer Oeſterreich vermöge ſein Gebiet gegen fremde Concurrenz wirkſam zu ſchützen“, während Maaſſen umgekehrt von der richtigen Anſicht ausging, das preußiſche Zollgeſetz werde dieſen Schutz bewirken. Der Badener wollte Beſeitigung aller beſtehenden deutſchen Zollgeſetze, auch des preußiſchen, und dafür ein vereinbartes Syſtem von Bundeszöllen; die preußiſche Regierung dagegen verwarf das Bundeszollweſen mit Recht als eine Utopie, ſie wollte zunächſt ihr eigenes Zollgeſetz durch- führen. Die Nebenius’ſche Denkſchrift wurde daher auf den Wiener Conferenzen von dem Grafen Bernſtorff nachdrücklich bekämpft, weil ſie den Grundgedanken der preußi- ſchen Handelspolitik zuwiderlief, und blieb nachher vierzehn Jahre lang völlig vergeſſen in den Akten liegen. Kein einziges unter den tauſenden von Schriftſtücken, die ich im Geh. Staatsarchiv zur Geſchichte des Zollvereins durchſucht, erwähnt jener Arbeit, auch in Motz’s nachgelaſſenem Briefwechſel kommt Nebenius’ Name gar nicht vor. Bei den entſcheidenden Verhandlungen von 1828—1833 war Nebenius weder ſelbſt betheiligt, noch empfing einer der dabei thätigen Staatsmänner von ihm Belehrungen. Erſt im Jahre 1833 erwies Nebenius der preußiſchen Handelspolitik einen wich- tigen Dienſt. Die Zollverträge zwiſchen dem preußiſch-heſſiſchen und dem bairiſch-würt- tembergiſchen Verbande, wurden ſoeben den Kammern in Stuttgart zur Genehmigung vorgelegt; die Verhandlungen mit Baden ſchwebten noch. Da warf Nebenius ſeine Schrift „über den Eintritt Badens in den Zollverein“ auf den Markt hinaus. Er hatte inzwiſchen ſeine früheren Irrthümer längſt aufgegeben und empfahl nunmehr mit zwingenden Gründen den Anſchluß Süddeutſchlands an das preußiſche Syſtem; er wollte durch ſeine Flugſchrift zugleich auf den württemberiſchen Landtag und auf die Stimmung in ſeiner eigenen Heimath wirken. Als Anhang der neuen Denkſchrift war jene längſt vergeſſene ältere von 1819 abgedruckt. Die badiſche Regierung wünſchte ihrem trefflichen Geheimen Rathe eine wohlverdiente Anerkennung zu verſchaffen, ſie gab die Schrift dem preußiſchen Geſandten zur Mittheilung an ſeinen Hof. Es war was man in England fishing for compliment nennt. Das Berliner Kabinet mußte dem Verfaſſer einige freundliche Worte ſagen; man war ihm zu Danke verpflichtet und ſeine Stimme fiel bei der ernſten Ent- ſcheidung, die in Karlsruhe bevorſtand, ſchwer ins Gewicht. Eichhorn ſchrieb daher (28. Novbr. 1833) an den Geſandten Otterſtedt: die neue Denkſchrift über Badens Bei- tritt ſei ihm „ſehr intereſſant“ geweſen. „Gewiß hat der Herr Verfaſſer durch dieſe Schrift ſich ein großes Verdienſt für das richtige Verſtändniß der wichtigen Angelegen- heit der Zollvereinigung in ſeinem Vaterlande und vielleicht auch in deutſchen Nachbar- ſtaaten erworben. Zur gerechten Genugthuung wird es demſelben gereichen, wenn er aus den Verträgen der jetzt zu einem gemeinſamen Zoll- und Handelsſyſteme verbun- denen Staaten erſehen wird, wie vollſtändig nunmehr die Ideen ins Leben getreten ſind, welche, nach dem Anhange ſeiner Denkſchrift, von ihm ſchon im Jahre 1819 über die Bedingungen eines deutſchen Zollvereins gehegt und bekannt gemacht worden ſind.“ Und aus dieſer fein berechneten Artigkeit zieht Nebenius’ Biograph, Joſeph Beck den Schluß, Preußen ſelber habe den badiſchen Staatsmann als den Meiſter des Werkes anerkannt! Iſt es denn ſo ganz unbekannt, in welchem Tone gewandte Diplomaten zu reden pflegen, wenn ſie einen einflußreichen Mann bei guter Stimmung halten wollen? Oder ſollte Eichhorn etwa bei ſolchem Anlaß zu dem ſtark aufgetragenen Lobe noch die unhöfliche Wahrheit hinzufügen, daß die Dinge doch anders gekommen ſeien als Nebenius gedacht?

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 775. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/791>, abgerufen am 25.11.2024.