Verantwortung gezogen und daß die Karlsbader Beschlüsse im Wesentlichen veröffentlicht wurden. Die Verfassungspartei dagegen bewirkte jene Auslassung und jenen Vorbehalt; sie erreichte außerdem noch, daß in Baiern die Censur nur für politische Zeitschriften ein- geführt wurde.
Was bedeutete nun die Weglassung der Executionsordnung? Sie war merkwür- dig als ein Symptom der Verstimmung, die im bairischen Ministerrath herrschte, und verstieß gegen die in Karlsbad und Frankfurt gegebenen Zusagen, doch sie hatte keinen praktischen Werth. Denn die Executionsordnung war nicht ein Gesetz, das durch die bairische Regierung ausgeführt werden sollte; sie gab nur dem Bundestage eine Waffe, die er möglicherweise gegen Baiern oder gegen einen andern Bundesstaat anwenden konnte aber bekanntlich in jener Zeit niemals angewendet hat; sie bestand zu Recht, sobald der Bundestag sie veröffentlicht hatte, und es war rechtlich vollkommen gleichgültig, ob ein Bundesstaat die Bekanntmachung des Gesetzes unterließ. Daher hat auch die preußische Regierung, die sich so lebhaft über den bairischen Verfassungsvorbehalt beschwerte, über die Weglassung der Executionsordnung kein Wort verloren. Jener Vorbehalt freilich konnte sehr viel bedeuten, wenn man den verzweifelten Entschluß faßte ihn in vollem Ernst auszuführen. Aber ein solcher Entschluß war offenbar unmöglich, nachdem Baiern den Karlsbader Beschlüssen bereits zweimal zugestimmt hatte. Obgleich der Bestand der neuen Central-Untersuchungscommission den Vorschriften der bairischen Verfassung un- zweifelhaft widersprach, sendete die Münchener Regierung doch sogleich ihren Bevollmäch- tigten nach Mainz, und dieser Hörmann wurde, wie Jedermann weiß, der eigentliche Leiter der deutschen Demagogenverfolgung. Desgleichen die Beschränkung der Censur auf politische Zeitschriften mag immerhin als ein ehrenwerther Beweis bairischer Verfassungs- treue gelten. Aber praktischen Werth hatte auch diese Beschränkung nicht. Denn Zentner selbst gestand nachher in seiner Denkschrift über die Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse (28. Mai 1824): "Alle übrigen Schriften und sämmtliche Buchhandlungen unterliegen einer strengen Aussicht der Polizeibehörden, welche in der That eine Censur surrogirt. Es geschieht deßhalb in Baiern gewöhnlich, daß Schriften, welche gefährliche Lehren oder Grundsätze enthalten, sogleich in Beschlag genommen und außer Curs gesetzt werden. Auf jede Anzeige, welche vom Ausland oder andern Bundesstaaten über verdächtige Schriften gemacht wird, geschieht sogleich die sorgfältigste Nachforschung und es wird die Verbreitung einer solchen Schrift gehindert. Der durch das provisorische Preßgesetz bezielte Zweck wird durch diese Maßregel ebenso gut und oft noch besser erreicht als durch eine Censur." -- Naiver ließ sich doch nicht eingestehen, daß Baiern nur den Buchstaben, nicht den Geist seiner Verfassung wahren wollte.
Noch in einem Falle weicht Herrn v. Lerchenfeld's Darstellung von der meinigen ab. Er erzählt, die Verfassungspartei im Ministerium habe durchgesetzt, daß Zentner, nicht Rechberg auf die Wiener Ministerconferenzen gesendet wurde. Zastrow dagegen be- richtet, wieder nach Rechberg's Mittheilungen: Graf Rechberg will nicht nach Wien gehen, weil es gegen seine Ehre wäre dort anders zu sprechen als in Karlsbad; auch glaubt er von hier aus mehr Gutes stiften zu können, indem er sich dann im Stande befinden würde, persönlich auf den König zu wirken und dem Bevollmächtigten in Wien die er- forderliche Direktion zu geben, wogegen er, wenn er sich dort befände, diese Direktion an- nehmen und hier demokratisch gesinnten Personen Einfluß einräumen müßte." Diesem Berichte bin ich in meiner Darstellung gefolgt, da ich die andere Quelle nicht kannte. Indem ich jetzt die beiden Erzählungen vergleiche, gelange ich zu dem Schluß, daß beide wahr sind; sie ergänzen einander, doch sie widersprechen sich nicht. Wenn zwei feind- liche Parteien in einem Cabinet zusammengedrängt sind, dann geschieht es zuweilen, daß sie sich über einen gemeinsamen Beschluß einigen, während jede dabei ihre eigenen Ab- sichten verfolgt. So auch hier. Die Verfassungspartei wollte den Grafen Rechberg nicht nach Wien ziehen lassen, damit er nicht wieder seine Instruktionen überschritte; er selber aber hoffte von München aus sicherer für seine Zwecke wirken zu können. Daß es wirk-
Baiern und die Karlsbader Beſchlüſſe.
Verantwortung gezogen und daß die Karlsbader Beſchlüſſe im Weſentlichen veröffentlicht wurden. Die Verfaſſungspartei dagegen bewirkte jene Auslaſſung und jenen Vorbehalt; ſie erreichte außerdem noch, daß in Baiern die Cenſur nur für politiſche Zeitſchriften ein- geführt wurde.
Was bedeutete nun die Weglaſſung der Executionsordnung? Sie war merkwür- dig als ein Symptom der Verſtimmung, die im bairiſchen Miniſterrath herrſchte, und verſtieß gegen die in Karlsbad und Frankfurt gegebenen Zuſagen, doch ſie hatte keinen praktiſchen Werth. Denn die Executionsordnung war nicht ein Geſetz, das durch die bairiſche Regierung ausgeführt werden ſollte; ſie gab nur dem Bundestage eine Waffe, die er möglicherweiſe gegen Baiern oder gegen einen andern Bundesſtaat anwenden konnte aber bekanntlich in jener Zeit niemals angewendet hat; ſie beſtand zu Recht, ſobald der Bundestag ſie veröffentlicht hatte, und es war rechtlich vollkommen gleichgültig, ob ein Bundesſtaat die Bekanntmachung des Geſetzes unterließ. Daher hat auch die preußiſche Regierung, die ſich ſo lebhaft über den bairiſchen Verfaſſungsvorbehalt beſchwerte, über die Weglaſſung der Executionsordnung kein Wort verloren. Jener Vorbehalt freilich konnte ſehr viel bedeuten, wenn man den verzweifelten Entſchluß faßte ihn in vollem Ernſt auszuführen. Aber ein ſolcher Entſchluß war offenbar unmöglich, nachdem Baiern den Karlsbader Beſchlüſſen bereits zweimal zugeſtimmt hatte. Obgleich der Beſtand der neuen Central-Unterſuchungscommiſſion den Vorſchriften der bairiſchen Verfaſſung un- zweifelhaft widerſprach, ſendete die Münchener Regierung doch ſogleich ihren Bevollmäch- tigten nach Mainz, und dieſer Hörmann wurde, wie Jedermann weiß, der eigentliche Leiter der deutſchen Demagogenverfolgung. Desgleichen die Beſchränkung der Cenſur auf politiſche Zeitſchriften mag immerhin als ein ehrenwerther Beweis bairiſcher Verfaſſungs- treue gelten. Aber praktiſchen Werth hatte auch dieſe Beſchränkung nicht. Denn Zentner ſelbſt geſtand nachher in ſeiner Denkſchrift über die Verlängerung der Karlsbader Beſchlüſſe (28. Mai 1824): „Alle übrigen Schriften und ſämmtliche Buchhandlungen unterliegen einer ſtrengen Auſſicht der Polizeibehörden, welche in der That eine Cenſur ſurrogirt. Es geſchieht deßhalb in Baiern gewöhnlich, daß Schriften, welche gefährliche Lehren oder Grundſätze enthalten, ſogleich in Beſchlag genommen und außer Curs geſetzt werden. Auf jede Anzeige, welche vom Ausland oder andern Bundesſtaaten über verdächtige Schriften gemacht wird, geſchieht ſogleich die ſorgfältigſte Nachforſchung und es wird die Verbreitung einer ſolchen Schrift gehindert. Der durch das proviſoriſche Preßgeſetz bezielte Zweck wird durch dieſe Maßregel ebenſo gut und oft noch beſſer erreicht als durch eine Cenſur.“ — Naiver ließ ſich doch nicht eingeſtehen, daß Baiern nur den Buchſtaben, nicht den Geiſt ſeiner Verfaſſung wahren wollte.
Noch in einem Falle weicht Herrn v. Lerchenfeld’s Darſtellung von der meinigen ab. Er erzählt, die Verfaſſungspartei im Miniſterium habe durchgeſetzt, daß Zentner, nicht Rechberg auf die Wiener Miniſterconferenzen geſendet wurde. Zaſtrow dagegen be- richtet, wieder nach Rechberg’s Mittheilungen: Graf Rechberg will nicht nach Wien gehen, weil es gegen ſeine Ehre wäre dort anders zu ſprechen als in Karlsbad; auch glaubt er von hier aus mehr Gutes ſtiften zu können, indem er ſich dann im Stande befinden würde, perſönlich auf den König zu wirken und dem Bevollmächtigten in Wien die er- forderliche Direktion zu geben, wogegen er, wenn er ſich dort befände, dieſe Direktion an- nehmen und hier demokratiſch geſinnten Perſonen Einfluß einräumen müßte.“ Dieſem Berichte bin ich in meiner Darſtellung gefolgt, da ich die andere Quelle nicht kannte. Indem ich jetzt die beiden Erzählungen vergleiche, gelange ich zu dem Schluß, daß beide wahr ſind; ſie ergänzen einander, doch ſie widerſprechen ſich nicht. Wenn zwei feind- liche Parteien in einem Cabinet zuſammengedrängt ſind, dann geſchieht es zuweilen, daß ſie ſich über einen gemeinſamen Beſchluß einigen, während jede dabei ihre eigenen Ab- ſichten verfolgt. So auch hier. Die Verfaſſungspartei wollte den Grafen Rechberg nicht nach Wien ziehen laſſen, damit er nicht wieder ſeine Inſtruktionen überſchritte; er ſelber aber hoffte von München aus ſicherer für ſeine Zwecke wirken zu können. Daß es wirk-
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Baiern und die Karlsbader Beſchlüſſe.
Verantwortung gezogen und daß die Karlsbader Beſchlüſſe im Weſentlichen veröffentlicht
wurden. Die Verfaſſungspartei dagegen bewirkte jene Auslaſſung und jenen Vorbehalt;
ſie erreichte außerdem noch, daß in Baiern die Cenſur nur für politiſche Zeitſchriften ein-
geführt wurde.
Was bedeutete nun die Weglaſſung der Executionsordnung? Sie war merkwür-
dig als ein Symptom der Verſtimmung, die im bairiſchen Miniſterrath herrſchte, und
verſtieß gegen die in Karlsbad und Frankfurt gegebenen Zuſagen, doch ſie hatte keinen
praktiſchen Werth. Denn die Executionsordnung war nicht ein Geſetz, das durch die
bairiſche Regierung ausgeführt werden ſollte; ſie gab nur dem Bundestage eine Waffe,
die er möglicherweiſe gegen Baiern oder gegen einen andern Bundesſtaat anwenden konnte
aber bekanntlich in jener Zeit niemals angewendet hat; ſie beſtand zu Recht, ſobald der
Bundestag ſie veröffentlicht hatte, und es war rechtlich vollkommen gleichgültig, ob ein
Bundesſtaat die Bekanntmachung des Geſetzes unterließ. Daher hat auch die preußiſche
Regierung, die ſich ſo lebhaft über den bairiſchen Verfaſſungsvorbehalt beſchwerte, über
die Weglaſſung der Executionsordnung kein Wort verloren. Jener Vorbehalt freilich
konnte ſehr viel bedeuten, wenn man den verzweifelten Entſchluß faßte ihn in vollem
Ernſt auszuführen. Aber ein ſolcher Entſchluß war offenbar unmöglich, nachdem Baiern
den Karlsbader Beſchlüſſen bereits zweimal zugeſtimmt hatte. Obgleich der Beſtand der
neuen Central-Unterſuchungscommiſſion den Vorſchriften der bairiſchen Verfaſſung un-
zweifelhaft widerſprach, ſendete die Münchener Regierung doch ſogleich ihren Bevollmäch-
tigten nach Mainz, und dieſer Hörmann wurde, wie Jedermann weiß, der eigentliche
Leiter der deutſchen Demagogenverfolgung. Desgleichen die Beſchränkung der Cenſur auf
politiſche Zeitſchriften mag immerhin als ein ehrenwerther Beweis bairiſcher Verfaſſungs-
treue gelten. Aber praktiſchen Werth hatte auch dieſe Beſchränkung nicht. Denn Zentner
ſelbſt geſtand nachher in ſeiner Denkſchrift über die Verlängerung der Karlsbader Beſchlüſſe
(28. Mai 1824): „Alle übrigen Schriften und ſämmtliche Buchhandlungen unterliegen
einer ſtrengen Auſſicht der Polizeibehörden, welche in der That eine Cenſur ſurrogirt.
Es geſchieht deßhalb in Baiern gewöhnlich, daß Schriften, welche gefährliche Lehren oder
Grundſätze enthalten, ſogleich in Beſchlag genommen und außer Curs geſetzt werden.
Auf jede Anzeige, welche vom Ausland oder andern Bundesſtaaten über verdächtige
Schriften gemacht wird, geſchieht ſogleich die ſorgfältigſte Nachforſchung und es wird
die Verbreitung einer ſolchen Schrift gehindert. Der durch das proviſoriſche Preßgeſetz
bezielte Zweck wird durch dieſe Maßregel ebenſo gut und oft noch beſſer erreicht als durch
eine Cenſur.“ — Naiver ließ ſich doch nicht eingeſtehen, daß Baiern nur den Buchſtaben,
nicht den Geiſt ſeiner Verfaſſung wahren wollte.
Noch in einem Falle weicht Herrn v. Lerchenfeld’s Darſtellung von der meinigen
ab. Er erzählt, die Verfaſſungspartei im Miniſterium habe durchgeſetzt, daß Zentner,
nicht Rechberg auf die Wiener Miniſterconferenzen geſendet wurde. Zaſtrow dagegen be-
richtet, wieder nach Rechberg’s Mittheilungen: Graf Rechberg will nicht nach Wien gehen,
weil es gegen ſeine Ehre wäre dort anders zu ſprechen als in Karlsbad; auch glaubt
er von hier aus mehr Gutes ſtiften zu können, indem er ſich dann im Stande befinden
würde, perſönlich auf den König zu wirken und dem Bevollmächtigten in Wien die er-
forderliche Direktion zu geben, wogegen er, wenn er ſich dort befände, dieſe Direktion an-
nehmen und hier demokratiſch geſinnten Perſonen Einfluß einräumen müßte.“ Dieſem
Berichte bin ich in meiner Darſtellung gefolgt, da ich die andere Quelle nicht kannte.
Indem ich jetzt die beiden Erzählungen vergleiche, gelange ich zu dem Schluß, daß beide
wahr ſind; ſie ergänzen einander, doch ſie widerſprechen ſich nicht. Wenn zwei feind-
liche Parteien in einem Cabinet zuſammengedrängt ſind, dann geſchieht es zuweilen, daß
ſie ſich über einen gemeinſamen Beſchluß einigen, während jede dabei ihre eigenen Ab-
ſichten verfolgt. So auch hier. Die Verfaſſungspartei wollte den Grafen Rechberg nicht
nach Wien ziehen laſſen, damit er nicht wieder ſeine Inſtruktionen überſchritte; er ſelber
aber hoffte von München aus ſicherer für ſeine Zwecke wirken zu können. Daß es wirk-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 766. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/782>, abgerufen am 24.11.2024.
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