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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Baiern und die Karlsbader Beschlüsse.
man kein Geheimniß daraus, daß die Karlsbader Beschlüsse von unserer Seite vorzüg-
lich provocirt worden seien." (Lerchenfeld, S. 132.) Ich kann es keineswegs unnatürlich
finden, daß der König einen Augenblick an die Zurücknahme eines Grundgesetzes, das
sich nicht zu bewähren schien, gedacht hat. Das Häßliche dieser Vorgänge liegt nur
darin, daß die Krone, während der Briefwechsel über den Staatsstreich noch schwebte,
sich in ihren Hofblättern beständig wegen ihrer Verfassungstreue preisen ließ. Ueber
diesen wunden Punkt geht Herr v. Lerchenfeld stillschweigend hinweg.

Nachdem die Karlsbader Versammlung mit Zustimmung des bairischen Bevoll-
mächtigten Rechberg die Ausnahmegesetze vereinbart und der Bundestag dieselben, aber-
mals mit unbedingter Zustimmung des bairischen Gesandten, genehmigt hatte, war
Baiern nach Bundesrecht verpflichtet diese Beschlüsse bekannt zu machen, und ein nach-
träglicher Widerstandsversuch versprach geringen Erfolg. Im Ministerium bestanden
zwei Parteien: auf der einen Seite Graf Rechberg, auf der anderen der Finanzminister
Freiherr v. Lerchenfeld, der an den Karlsbader Umtrieben ganz unbetheiligt war; der
König aber stand dem Minister des Auswärtigen näher als dem liberalen Finanzminister.
Am 15. Oktober berieth das Ministerium über die Veröffentlichung der Karlsbader Be-
schlüsse. Herr v. Lerchenfeld betrachtet das Ergebniß dieser Berathung als eine Nieder-
lage Rechberg's; ich sehe darin ein Compromiß und vermag dies Urtheil nicht zu ändern.
Herr v. Lerchenfeld übergeht nämlich ganz, daß der Berathung über die Publication
eine andere, höchst erregte Debatte vorausging. Ueber diese berichtet General Zastrow
am 20. Oktober, nach Rechberg's vertraulichen Mittheilungen, Folgendes: "Die In-
struktionen, welche dem Minister Rechberg nach Karlsbad zugeschickt worden und die ich
beim Fürsten Wrede selbst zu lesen Gelegenheit gehabt, haben die ausdrückliche Vorschrift
enthalten, auf nichts einzugehen, was die Constitution oder die Souveränität verletzen
könne. Demungeachtet hat der Minister, im Gefühl seiner Ueberzeugung, daß die da-
selbst genommenen Beschlüsse das allgemeine Beste sämmtlicher deutschen Staaten be-
zwecken, sich an jene Vorschrift nicht gebunden und geglaubt, daß man seinen gut-
gemeinten Gründen auch hier bei seiner Zurückkunft Gehör geben würde. Es hat
derselbe indessen die Gemüther im höchsten Grade aufgeregt gefunden, und haben be-
sonders die Minister v. Lerchenfeld und Graf Reigersberg ihm seine Nachgiebigkeit als
ein Verbrechen vorgeworfen. In der letzten Minister-Conferenz haben sie ihm Solches
aus den Akten beweisen wollen. Der Fürst Wrede hat aber die Hand darauf gelegt
und den Ministern erklärt, wie der ausdrückliche Wille des Königs dahin gehe, zu be-
rathen was fernerhin geschehen solle, ohne auf dasjenige zurückzugehen, was bereits
geschehen wäre, wodurch die Gemüther besänftigt wurden und eine Art von Aussöhnung
mit dem Grafen Rechberg stattgefunden hat." Ich halte diese Erzählung für durchaus
zuverlässig. Denn die Briefe, welche der Enkel mittheilt, beweisen, daß der Minister
Lerchenfeld allerdings, und mit Recht, das Verhalten seines Amtsgenossen in Karlsbad
als eine Pflichtverletzung betrachtete. An Rechberg's persönlicher Ehrenhaftigkeit aber
ist nicht zu zweifeln, wie unerfreulich auch seine politische Haltung erscheinen mag; alle
die vertraulichen Mittheilungen, die er dem preußischen Gesandten mit großer Offen-
herzigkeit zu geben pflegte, habe ich als wahrheitsgemäß erprobt, so weit ich sie contro-
liren konnte.

Der unmittelbare Angriff auf Rechberg war also gescheitert. Nun erst begann die
Verhandlung über die Karlsbader Beschlüsse selbst. Minister Lerchenfeld und seine Freunde
hoben hervor, wieder mit Recht, daß die neuen Bundesgesetze sämmtlich -- mit Aus-
nahme des Gesetzes über die Universitäten -- der bairischen Verfassung zuwider liefen.
Gleichwohl beschloß der Ministerrath, die Karlsbader Beschlüsse zu veröffentlichen, nur
mit Auslassung der Executionsordnung und mit Hinzufügung des bekannten Vorbehalts:
"mit Rücksicht auf die Souveränität und nach der Verfassung" u. s. w. Dies war doch
sicherlich ein Compromiß. Beide Parteien hatten einen Theil ihrer Absichten durchge-
setzt. Rechberg erreichte, daß er wegen der Ueberschreitung seiner Instructionen nicht zur

Baiern und die Karlsbader Beſchlüſſe.
man kein Geheimniß daraus, daß die Karlsbader Beſchlüſſe von unſerer Seite vorzüg-
lich provocirt worden ſeien.“ (Lerchenfeld, S. 132.) Ich kann es keineswegs unnatürlich
finden, daß der König einen Augenblick an die Zurücknahme eines Grundgeſetzes, das
ſich nicht zu bewähren ſchien, gedacht hat. Das Häßliche dieſer Vorgänge liegt nur
darin, daß die Krone, während der Briefwechſel über den Staatsſtreich noch ſchwebte,
ſich in ihren Hofblättern beſtändig wegen ihrer Verfaſſungstreue preiſen ließ. Ueber
dieſen wunden Punkt geht Herr v. Lerchenfeld ſtillſchweigend hinweg.

Nachdem die Karlsbader Verſammlung mit Zuſtimmung des bairiſchen Bevoll-
mächtigten Rechberg die Ausnahmegeſetze vereinbart und der Bundestag dieſelben, aber-
mals mit unbedingter Zuſtimmung des bairiſchen Geſandten, genehmigt hatte, war
Baiern nach Bundesrecht verpflichtet dieſe Beſchlüſſe bekannt zu machen, und ein nach-
träglicher Widerſtandsverſuch verſprach geringen Erfolg. Im Miniſterium beſtanden
zwei Parteien: auf der einen Seite Graf Rechberg, auf der anderen der Finanzminiſter
Freiherr v. Lerchenfeld, der an den Karlsbader Umtrieben ganz unbetheiligt war; der
König aber ſtand dem Miniſter des Auswärtigen näher als dem liberalen Finanzminiſter.
Am 15. Oktober berieth das Miniſterium über die Veröffentlichung der Karlsbader Be-
ſchlüſſe. Herr v. Lerchenfeld betrachtet das Ergebniß dieſer Berathung als eine Nieder-
lage Rechberg’s; ich ſehe darin ein Compromiß und vermag dies Urtheil nicht zu ändern.
Herr v. Lerchenfeld übergeht nämlich ganz, daß der Berathung über die Publication
eine andere, höchſt erregte Debatte vorausging. Ueber dieſe berichtet General Zaſtrow
am 20. Oktober, nach Rechberg’s vertraulichen Mittheilungen, Folgendes: „Die In-
ſtruktionen, welche dem Miniſter Rechberg nach Karlsbad zugeſchickt worden und die ich
beim Fürſten Wrede ſelbſt zu leſen Gelegenheit gehabt, haben die ausdrückliche Vorſchrift
enthalten, auf nichts einzugehen, was die Conſtitution oder die Souveränität verletzen
könne. Demungeachtet hat der Miniſter, im Gefühl ſeiner Ueberzeugung, daß die da-
ſelbſt genommenen Beſchlüſſe das allgemeine Beſte ſämmtlicher deutſchen Staaten be-
zwecken, ſich an jene Vorſchrift nicht gebunden und geglaubt, daß man ſeinen gut-
gemeinten Gründen auch hier bei ſeiner Zurückkunft Gehör geben würde. Es hat
derſelbe indeſſen die Gemüther im höchſten Grade aufgeregt gefunden, und haben be-
ſonders die Miniſter v. Lerchenfeld und Graf Reigersberg ihm ſeine Nachgiebigkeit als
ein Verbrechen vorgeworfen. In der letzten Miniſter-Conferenz haben ſie ihm Solches
aus den Akten beweiſen wollen. Der Fürſt Wrede hat aber die Hand darauf gelegt
und den Miniſtern erklärt, wie der ausdrückliche Wille des Königs dahin gehe, zu be-
rathen was fernerhin geſchehen ſolle, ohne auf dasjenige zurückzugehen, was bereits
geſchehen wäre, wodurch die Gemüther beſänftigt wurden und eine Art von Ausſöhnung
mit dem Grafen Rechberg ſtattgefunden hat.“ Ich halte dieſe Erzählung für durchaus
zuverläſſig. Denn die Briefe, welche der Enkel mittheilt, beweiſen, daß der Miniſter
Lerchenfeld allerdings, und mit Recht, das Verhalten ſeines Amtsgenoſſen in Karlsbad
als eine Pflichtverletzung betrachtete. An Rechberg’s perſönlicher Ehrenhaftigkeit aber
iſt nicht zu zweifeln, wie unerfreulich auch ſeine politiſche Haltung erſcheinen mag; alle
die vertraulichen Mittheilungen, die er dem preußiſchen Geſandten mit großer Offen-
herzigkeit zu geben pflegte, habe ich als wahrheitsgemäß erprobt, ſo weit ich ſie contro-
liren konnte.

Der unmittelbare Angriff auf Rechberg war alſo geſcheitert. Nun erſt begann die
Verhandlung über die Karlsbader Beſchlüſſe ſelbſt. Miniſter Lerchenfeld und ſeine Freunde
hoben hervor, wieder mit Recht, daß die neuen Bundesgeſetze ſämmtlich — mit Aus-
nahme des Geſetzes über die Univerſitäten — der bairiſchen Verfaſſung zuwider liefen.
Gleichwohl beſchloß der Miniſterrath, die Karlsbader Beſchlüſſe zu veröffentlichen, nur
mit Auslaſſung der Executionsordnung und mit Hinzufügung des bekannten Vorbehalts:
„mit Rückſicht auf die Souveränität und nach der Verfaſſung“ u. ſ. w. Dies war doch
ſicherlich ein Compromiß. Beide Parteien hatten einen Theil ihrer Abſichten durchge-
ſetzt. Rechberg erreichte, daß er wegen der Ueberſchreitung ſeiner Inſtructionen nicht zur

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[765/0781] Baiern und die Karlsbader Beſchlüſſe. man kein Geheimniß daraus, daß die Karlsbader Beſchlüſſe von unſerer Seite vorzüg- lich provocirt worden ſeien.“ (Lerchenfeld, S. 132.) Ich kann es keineswegs unnatürlich finden, daß der König einen Augenblick an die Zurücknahme eines Grundgeſetzes, das ſich nicht zu bewähren ſchien, gedacht hat. Das Häßliche dieſer Vorgänge liegt nur darin, daß die Krone, während der Briefwechſel über den Staatsſtreich noch ſchwebte, ſich in ihren Hofblättern beſtändig wegen ihrer Verfaſſungstreue preiſen ließ. Ueber dieſen wunden Punkt geht Herr v. Lerchenfeld ſtillſchweigend hinweg. Nachdem die Karlsbader Verſammlung mit Zuſtimmung des bairiſchen Bevoll- mächtigten Rechberg die Ausnahmegeſetze vereinbart und der Bundestag dieſelben, aber- mals mit unbedingter Zuſtimmung des bairiſchen Geſandten, genehmigt hatte, war Baiern nach Bundesrecht verpflichtet dieſe Beſchlüſſe bekannt zu machen, und ein nach- träglicher Widerſtandsverſuch verſprach geringen Erfolg. Im Miniſterium beſtanden zwei Parteien: auf der einen Seite Graf Rechberg, auf der anderen der Finanzminiſter Freiherr v. Lerchenfeld, der an den Karlsbader Umtrieben ganz unbetheiligt war; der König aber ſtand dem Miniſter des Auswärtigen näher als dem liberalen Finanzminiſter. Am 15. Oktober berieth das Miniſterium über die Veröffentlichung der Karlsbader Be- ſchlüſſe. Herr v. Lerchenfeld betrachtet das Ergebniß dieſer Berathung als eine Nieder- lage Rechberg’s; ich ſehe darin ein Compromiß und vermag dies Urtheil nicht zu ändern. Herr v. Lerchenfeld übergeht nämlich ganz, daß der Berathung über die Publication eine andere, höchſt erregte Debatte vorausging. Ueber dieſe berichtet General Zaſtrow am 20. Oktober, nach Rechberg’s vertraulichen Mittheilungen, Folgendes: „Die In- ſtruktionen, welche dem Miniſter Rechberg nach Karlsbad zugeſchickt worden und die ich beim Fürſten Wrede ſelbſt zu leſen Gelegenheit gehabt, haben die ausdrückliche Vorſchrift enthalten, auf nichts einzugehen, was die Conſtitution oder die Souveränität verletzen könne. Demungeachtet hat der Miniſter, im Gefühl ſeiner Ueberzeugung, daß die da- ſelbſt genommenen Beſchlüſſe das allgemeine Beſte ſämmtlicher deutſchen Staaten be- zwecken, ſich an jene Vorſchrift nicht gebunden und geglaubt, daß man ſeinen gut- gemeinten Gründen auch hier bei ſeiner Zurückkunft Gehör geben würde. Es hat derſelbe indeſſen die Gemüther im höchſten Grade aufgeregt gefunden, und haben be- ſonders die Miniſter v. Lerchenfeld und Graf Reigersberg ihm ſeine Nachgiebigkeit als ein Verbrechen vorgeworfen. In der letzten Miniſter-Conferenz haben ſie ihm Solches aus den Akten beweiſen wollen. Der Fürſt Wrede hat aber die Hand darauf gelegt und den Miniſtern erklärt, wie der ausdrückliche Wille des Königs dahin gehe, zu be- rathen was fernerhin geſchehen ſolle, ohne auf dasjenige zurückzugehen, was bereits geſchehen wäre, wodurch die Gemüther beſänftigt wurden und eine Art von Ausſöhnung mit dem Grafen Rechberg ſtattgefunden hat.“ Ich halte dieſe Erzählung für durchaus zuverläſſig. Denn die Briefe, welche der Enkel mittheilt, beweiſen, daß der Miniſter Lerchenfeld allerdings, und mit Recht, das Verhalten ſeines Amtsgenoſſen in Karlsbad als eine Pflichtverletzung betrachtete. An Rechberg’s perſönlicher Ehrenhaftigkeit aber iſt nicht zu zweifeln, wie unerfreulich auch ſeine politiſche Haltung erſcheinen mag; alle die vertraulichen Mittheilungen, die er dem preußiſchen Geſandten mit großer Offen- herzigkeit zu geben pflegte, habe ich als wahrheitsgemäß erprobt, ſo weit ich ſie contro- liren konnte. Der unmittelbare Angriff auf Rechberg war alſo geſcheitert. Nun erſt begann die Verhandlung über die Karlsbader Beſchlüſſe ſelbſt. Miniſter Lerchenfeld und ſeine Freunde hoben hervor, wieder mit Recht, daß die neuen Bundesgeſetze ſämmtlich — mit Aus- nahme des Geſetzes über die Univerſitäten — der bairiſchen Verfaſſung zuwider liefen. Gleichwohl beſchloß der Miniſterrath, die Karlsbader Beſchlüſſe zu veröffentlichen, nur mit Auslaſſung der Executionsordnung und mit Hinzufügung des bekannten Vorbehalts: „mit Rückſicht auf die Souveränität und nach der Verfaſſung“ u. ſ. w. Dies war doch ſicherlich ein Compromiß. Beide Parteien hatten einen Theil ihrer Abſichten durchge- ſetzt. Rechberg erreichte, daß er wegen der Ueberſchreitung ſeiner Inſtructionen nicht zur

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 765. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/781>, abgerufen am 28.11.2024.