dingungen Frieden zu schließen und ihn also zur Absendung von Bevoll- mächtigten zu bewegen. So konnte die Rechtschaffenheit des Königs sich wieder als eine Macht erweisen; ihr Ruf war auch bis zum Bosporus gedrungen. Wenn dieser Fürst im Namen seines Schwiegersohnes eine feierliche Erklärung abgab, so ließ sich vielleicht selbst das finstere Miß- trauen Sultan Machmud's überwinden.
General Müffling, der gelehrte Chef des Generalstabs, wurde mit dem schwierigen Auftrage betraut. Erst am 5. Juli, als er schon unter- wegs war und die fremden Mächte ihm am Bosporus nicht mehr zuvor- kommen konnten, erging an die Gesandtschaften der Befehl, die Höfe von Wien, London und Paris über den Zweck der Sendung zu unterrichten: Preußen wolle nicht Friedensvorschläge überreichen -- das würde die bald mißtrauische bald hochmüthige Pforte mißverstehen -- sondern nur den Sultan von den friedlichen Absichten des Czaren überzeugen. Noch be- stimmter sagte eine spätere Weisung: man kann die Pforte nur retten, wenn man sie vor sich selber rettet.*) Als Müffling am 4. August in Konstantinopel eintraf, fand er die Stadt in fieberischer Aufregung. Diebitsch hatte erreicht was noch keinem Feinde der Osmanen gelungen war, er hatte den Balkan überschritten. Unaufhaltsam wälzten sich seine Heersäulen durch Bulgarien südwärts, die Trümmer des türkischen Heeres flohen in wilder Auflösung, am 22. August kam gar die Nachricht von Diebitsch's Einzug in Adrianopel. Der Sultan war ohne Heer, denn die Wuth der rechtgläubigen Osmanen in der Hauptstadt richtete sich zu- nächst gegen ihn, der durch seine frevelhaften neuen Gesetze die Strafen Allahs auf das Reich herabgerufen habe; der mächtige Anhang der auf- gelösten Janitscharen murrte laut. Umsonst ließ Machmud die grüne Fahne des Propheten durch die Straßen tragen, Niemand wollte dem heiligen Feldzeichen zum Glaubenskriege folgen; die Rekruten aus Asien wurden an Kameele gebunden zur Hauptstadt geschleppt. Die inzwischen zurückgekehrten Gesandten der Westmächte Gordon und Guilleminot hielten Alles für verloren, nicht anders dachten Royer und der Internuntius Ottenfels; man fürchtete vornehmlich einen Pöbelaufstand. Eine englische Fregatte lag an der Serailspitze, um den Großherrn nach Asien hinüber- zuführen, und draußen vor dem Eingang des Hellesponts sammelte sich schon eine englische Flotte, bereit zur Einfahrt, falls die Russen gegen die alten Mauern der Komnenen heranrückten. Die Gefahr war furchtbar, das diplomatische Corps begrüßte den preußischen General wie einen Retter.
Müffling verfuhr nicht ohne Gewandtheit -- bedauerlich nur, daß er nachher dies Verdienst durch übertriebenes Selbstlob geschmälert hat. Er stieß zuerst hart zusammen mit dem Dünkel des Reis Effendi, der die Belehrungen des Preußen über die militärische Lage übel aufnahm; dann
*) Weisungen an die Gesandtschaften, 5. Juli, an Brockhausen 27. Aug. 1829.
Müffling’s Sendung.
dingungen Frieden zu ſchließen und ihn alſo zur Abſendung von Bevoll- mächtigten zu bewegen. So konnte die Rechtſchaffenheit des Königs ſich wieder als eine Macht erweiſen; ihr Ruf war auch bis zum Bosporus gedrungen. Wenn dieſer Fürſt im Namen ſeines Schwiegerſohnes eine feierliche Erklärung abgab, ſo ließ ſich vielleicht ſelbſt das finſtere Miß- trauen Sultan Machmud’s überwinden.
General Müffling, der gelehrte Chef des Generalſtabs, wurde mit dem ſchwierigen Auftrage betraut. Erſt am 5. Juli, als er ſchon unter- wegs war und die fremden Mächte ihm am Bosporus nicht mehr zuvor- kommen konnten, erging an die Geſandtſchaften der Befehl, die Höfe von Wien, London und Paris über den Zweck der Sendung zu unterrichten: Preußen wolle nicht Friedensvorſchläge überreichen — das würde die bald mißtrauiſche bald hochmüthige Pforte mißverſtehen — ſondern nur den Sultan von den friedlichen Abſichten des Czaren überzeugen. Noch be- ſtimmter ſagte eine ſpätere Weiſung: man kann die Pforte nur retten, wenn man ſie vor ſich ſelber rettet.*) Als Müffling am 4. Auguſt in Konſtantinopel eintraf, fand er die Stadt in fieberiſcher Aufregung. Diebitſch hatte erreicht was noch keinem Feinde der Osmanen gelungen war, er hatte den Balkan überſchritten. Unaufhaltſam wälzten ſich ſeine Heerſäulen durch Bulgarien ſüdwärts, die Trümmer des türkiſchen Heeres flohen in wilder Auflöſung, am 22. Auguſt kam gar die Nachricht von Diebitſch’s Einzug in Adrianopel. Der Sultan war ohne Heer, denn die Wuth der rechtgläubigen Osmanen in der Hauptſtadt richtete ſich zu- nächſt gegen ihn, der durch ſeine frevelhaften neuen Geſetze die Strafen Allahs auf das Reich herabgerufen habe; der mächtige Anhang der auf- gelöſten Janitſcharen murrte laut. Umſonſt ließ Machmud die grüne Fahne des Propheten durch die Straßen tragen, Niemand wollte dem heiligen Feldzeichen zum Glaubenskriege folgen; die Rekruten aus Aſien wurden an Kameele gebunden zur Hauptſtadt geſchleppt. Die inzwiſchen zurückgekehrten Geſandten der Weſtmächte Gordon und Guilleminot hielten Alles für verloren, nicht anders dachten Royer und der Internuntius Ottenfels; man fürchtete vornehmlich einen Pöbelaufſtand. Eine engliſche Fregatte lag an der Serailſpitze, um den Großherrn nach Aſien hinüber- zuführen, und draußen vor dem Eingang des Hellesponts ſammelte ſich ſchon eine engliſche Flotte, bereit zur Einfahrt, falls die Ruſſen gegen die alten Mauern der Komnenen heranrückten. Die Gefahr war furchtbar, das diplomatiſche Corps begrüßte den preußiſchen General wie einen Retter.
Müffling verfuhr nicht ohne Gewandtheit — bedauerlich nur, daß er nachher dies Verdienſt durch übertriebenes Selbſtlob geſchmälert hat. Er ſtieß zuerſt hart zuſammen mit dem Dünkel des Reis Effendi, der die Belehrungen des Preußen über die militäriſche Lage übel aufnahm; dann
*) Weiſungen an die Geſandtſchaften, 5. Juli, an Brockhauſen 27. Aug. 1829.
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mächtigten zu bewegen. So konnte die Rechtſchaffenheit des Königs ſich
wieder als eine Macht erweiſen; ihr Ruf war auch bis zum Bosporus
gedrungen. Wenn dieſer Fürſt im Namen ſeines Schwiegerſohnes eine
feierliche Erklärung abgab, ſo ließ ſich vielleicht ſelbſt das finſtere Miß-
trauen Sultan Machmud’s überwinden.
General Müffling, der gelehrte Chef des Generalſtabs, wurde mit
dem ſchwierigen Auftrage betraut. Erſt am 5. Juli, als er ſchon unter-
wegs war und die fremden Mächte ihm am Bosporus nicht mehr zuvor-
kommen konnten, erging an die Geſandtſchaften der Befehl, die Höfe von
Wien, London und Paris über den Zweck der Sendung zu unterrichten:
Preußen wolle nicht Friedensvorſchläge überreichen — das würde die bald
mißtrauiſche bald hochmüthige Pforte mißverſtehen — ſondern nur den
Sultan von den friedlichen Abſichten des Czaren überzeugen. Noch be-
ſtimmter ſagte eine ſpätere Weiſung: man kann die Pforte nur retten,
wenn man ſie vor ſich ſelber rettet. *) Als Müffling am 4. Auguſt in
Konſtantinopel eintraf, fand er die Stadt in fieberiſcher Aufregung.
Diebitſch hatte erreicht was noch keinem Feinde der Osmanen gelungen
war, er hatte den Balkan überſchritten. Unaufhaltſam wälzten ſich ſeine
Heerſäulen durch Bulgarien ſüdwärts, die Trümmer des türkiſchen Heeres
flohen in wilder Auflöſung, am 22. Auguſt kam gar die Nachricht von
Diebitſch’s Einzug in Adrianopel. Der Sultan war ohne Heer, denn
die Wuth der rechtgläubigen Osmanen in der Hauptſtadt richtete ſich zu-
nächſt gegen ihn, der durch ſeine frevelhaften neuen Geſetze die Strafen
Allahs auf das Reich herabgerufen habe; der mächtige Anhang der auf-
gelöſten Janitſcharen murrte laut. Umſonſt ließ Machmud die grüne
Fahne des Propheten durch die Straßen tragen, Niemand wollte dem
heiligen Feldzeichen zum Glaubenskriege folgen; die Rekruten aus Aſien
wurden an Kameele gebunden zur Hauptſtadt geſchleppt. Die inzwiſchen
zurückgekehrten Geſandten der Weſtmächte Gordon und Guilleminot hielten
Alles für verloren, nicht anders dachten Royer und der Internuntius
Ottenfels; man fürchtete vornehmlich einen Pöbelaufſtand. Eine engliſche
Fregatte lag an der Serailſpitze, um den Großherrn nach Aſien hinüber-
zuführen, und draußen vor dem Eingang des Hellesponts ſammelte ſich
ſchon eine engliſche Flotte, bereit zur Einfahrt, falls die Ruſſen gegen die
alten Mauern der Komnenen heranrückten. Die Gefahr war furchtbar,
das diplomatiſche Corps begrüßte den preußiſchen General wie einen Retter.
Müffling verfuhr nicht ohne Gewandtheit — bedauerlich nur, daß er
nachher dies Verdienſt durch übertriebenes Selbſtlob geſchmälert hat. Er
ſtieß zuerſt hart zuſammen mit dem Dünkel des Reis Effendi, der die
Belehrungen des Preußen über die militäriſche Lage übel aufnahm; dann
*) Weiſungen an die Geſandtſchaften, 5. Juli, an Brockhauſen 27. Aug. 1829.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 743. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/759>, abgerufen am 24.11.2024.
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