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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Der Londoner Vertrag.
lichen Bundes wollte er schlechterdings nicht glauben. Nach mannich-
fachen diplomatischen Wendungen erklärte er sich bereit, die Unterhand-
lungen der beiden Mächte bei der Pforte zu unterstützen und begann nun
ein durchsichtiges Doppelspiel, das um so thörichter war, da er wußte,
daß der junge Czar ihn selber ebenso argwöhnisch beobachtete wie der greise
König von Frankreich. Während er die beiden verbündeten Höfe mit leeren
Versprechungen hinhielt, ließ er den Sultan durch Gentz's Hospodaren-
briefe und durch den Internuntius Ottenfels insgeheim zur Ausdauer
ermahnen. Der siegreiche Ibrahim Pascha hauste auf Morea wie der
Schnitter Tod; gewann der Sultan nur noch ein Jahr, so gelang es
vielleicht den Krummsäbeln der Aegypter, das meuterische kleine Griechen-
volk mit Kind und Kegel auszurotten, und dann hatte die griechische Frage
eine Lösung gefunden, welche schon durch ihre Einfachheit dem weichen
Herzen des Kaisers Franz wohlthun mußte.

England und Rußland aber ließen sich durch Metternich's Zauder-
künste nicht aufhalten. Um den Tuilerienhof für die Petersburger Ver-
abredung zu gewinnen ging Canning selbst nach Paris, und am 6. Juli
1827 schlossen die drei Mächte zu London einen förmlichen Vertrag. Sie
verpflichteten sich, den griechisch-türkischen Krieg durch gemeinsame Ver-
mittlung zu beendigen, zunächst einen Waffenstillstand herbeizuführen und
im Frieden die Errichtung eines autonomen griechischen Staates, der dem
Sultan nur Tribut zu zahlen hätte, durchzusetzen; besondere Vortheile
sollten keinem der drei Verbündeten aus diesem Vertrage erwachsen. Wurde
der Waffenstillstand nicht binnen Monatsfrist angenommen, so behielten
sich die drei Mächte weitere angemessene Mittel vor; für alle Fälle sen-
deten sie sogleich gemeinsam eine Flotte in das ionische Meer und gaben
den drei Admiralen sehr unbestimmte, dehnbare Vollmachten mit auf die
Reise. So hatte denn Metternich abermals falsch gerechnet; die Wir-
kungen des Petersburger Protokolls, das er so abschätzig beurtheilt, ließen
sich jetzt mit Händen greifen. In hochmüthigen Schmähreden gab er seine
Enttäuschung kund: dies kindische Werk ging von Menschen aus, die noch
im ABC der Begriffe steckten; "was zu viel ist ist zu viel, der Vertrags-
entwurf überbietet noch die Dummheit". Noch ausgiebiger verwerthete
der leidenschaftliche Gentz die reichen Vorräthe des deutschen Schimpf-
wörterbuchs; er donnerte wider diesen Gipfel der Verkehrtheit, der Un-
gereimtheit und Unverschämtheit, wider diese Treulosigkeit, Bosheit,
Schwäche, Blindheit, Sinnlosigkeit, und als sein getreues Echo erklärte
Prokesch den Londoner Vertrag für die Pandorabüchse, welche der Teufel
der Unordnung, Liberalismus genannt, in die Welt gebracht habe.

Alle Unbefangenen, weit über die Kreise des Liberalismus hinaus,
empfingen die Kunde von dem Londoner Vertrage mit gerechter Befrie-
digung: es war die höchste Zeit, daß das Ehrgefühl der Christenheit endlich
sich regte, daß einer Rotte afrikanischer Bluthunde nicht länger mehr ge-

Der Londoner Vertrag.
lichen Bundes wollte er ſchlechterdings nicht glauben. Nach mannich-
fachen diplomatiſchen Wendungen erklärte er ſich bereit, die Unterhand-
lungen der beiden Mächte bei der Pforte zu unterſtützen und begann nun
ein durchſichtiges Doppelſpiel, das um ſo thörichter war, da er wußte,
daß der junge Czar ihn ſelber ebenſo argwöhniſch beobachtete wie der greiſe
König von Frankreich. Während er die beiden verbündeten Höfe mit leeren
Verſprechungen hinhielt, ließ er den Sultan durch Gentz’s Hospodaren-
briefe und durch den Internuntius Ottenfels insgeheim zur Ausdauer
ermahnen. Der ſiegreiche Ibrahim Paſcha hauſte auf Morea wie der
Schnitter Tod; gewann der Sultan nur noch ein Jahr, ſo gelang es
vielleicht den Krummſäbeln der Aegypter, das meuteriſche kleine Griechen-
volk mit Kind und Kegel auszurotten, und dann hatte die griechiſche Frage
eine Löſung gefunden, welche ſchon durch ihre Einfachheit dem weichen
Herzen des Kaiſers Franz wohlthun mußte.

England und Rußland aber ließen ſich durch Metternich’s Zauder-
künſte nicht aufhalten. Um den Tuilerienhof für die Petersburger Ver-
abredung zu gewinnen ging Canning ſelbſt nach Paris, und am 6. Juli
1827 ſchloſſen die drei Mächte zu London einen förmlichen Vertrag. Sie
verpflichteten ſich, den griechiſch-türkiſchen Krieg durch gemeinſame Ver-
mittlung zu beendigen, zunächſt einen Waffenſtillſtand herbeizuführen und
im Frieden die Errichtung eines autonomen griechiſchen Staates, der dem
Sultan nur Tribut zu zahlen hätte, durchzuſetzen; beſondere Vortheile
ſollten keinem der drei Verbündeten aus dieſem Vertrage erwachſen. Wurde
der Waffenſtillſtand nicht binnen Monatsfriſt angenommen, ſo behielten
ſich die drei Mächte weitere angemeſſene Mittel vor; für alle Fälle ſen-
deten ſie ſogleich gemeinſam eine Flotte in das ioniſche Meer und gaben
den drei Admiralen ſehr unbeſtimmte, dehnbare Vollmachten mit auf die
Reiſe. So hatte denn Metternich abermals falſch gerechnet; die Wir-
kungen des Petersburger Protokolls, das er ſo abſchätzig beurtheilt, ließen
ſich jetzt mit Händen greifen. In hochmüthigen Schmähreden gab er ſeine
Enttäuſchung kund: dies kindiſche Werk ging von Menſchen aus, die noch
im ABC der Begriffe ſteckten; „was zu viel iſt iſt zu viel, der Vertrags-
entwurf überbietet noch die Dummheit“. Noch ausgiebiger verwerthete
der leidenſchaftliche Gentz die reichen Vorräthe des deutſchen Schimpf-
wörterbuchs; er donnerte wider dieſen Gipfel der Verkehrtheit, der Un-
gereimtheit und Unverſchämtheit, wider dieſe Treuloſigkeit, Bosheit,
Schwäche, Blindheit, Sinnloſigkeit, und als ſein getreues Echo erklärte
Prokeſch den Londoner Vertrag für die Pandorabüchſe, welche der Teufel
der Unordnung, Liberalismus genannt, in die Welt gebracht habe.

Alle Unbefangenen, weit über die Kreiſe des Liberalismus hinaus,
empfingen die Kunde von dem Londoner Vertrage mit gerechter Befrie-
digung: es war die höchſte Zeit, daß das Ehrgefühl der Chriſtenheit endlich
ſich regte, daß einer Rotte afrikaniſcher Bluthunde nicht länger mehr ge-

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[731/0747] Der Londoner Vertrag. lichen Bundes wollte er ſchlechterdings nicht glauben. Nach mannich- fachen diplomatiſchen Wendungen erklärte er ſich bereit, die Unterhand- lungen der beiden Mächte bei der Pforte zu unterſtützen und begann nun ein durchſichtiges Doppelſpiel, das um ſo thörichter war, da er wußte, daß der junge Czar ihn ſelber ebenſo argwöhniſch beobachtete wie der greiſe König von Frankreich. Während er die beiden verbündeten Höfe mit leeren Verſprechungen hinhielt, ließ er den Sultan durch Gentz’s Hospodaren- briefe und durch den Internuntius Ottenfels insgeheim zur Ausdauer ermahnen. Der ſiegreiche Ibrahim Paſcha hauſte auf Morea wie der Schnitter Tod; gewann der Sultan nur noch ein Jahr, ſo gelang es vielleicht den Krummſäbeln der Aegypter, das meuteriſche kleine Griechen- volk mit Kind und Kegel auszurotten, und dann hatte die griechiſche Frage eine Löſung gefunden, welche ſchon durch ihre Einfachheit dem weichen Herzen des Kaiſers Franz wohlthun mußte. England und Rußland aber ließen ſich durch Metternich’s Zauder- künſte nicht aufhalten. Um den Tuilerienhof für die Petersburger Ver- abredung zu gewinnen ging Canning ſelbſt nach Paris, und am 6. Juli 1827 ſchloſſen die drei Mächte zu London einen förmlichen Vertrag. Sie verpflichteten ſich, den griechiſch-türkiſchen Krieg durch gemeinſame Ver- mittlung zu beendigen, zunächſt einen Waffenſtillſtand herbeizuführen und im Frieden die Errichtung eines autonomen griechiſchen Staates, der dem Sultan nur Tribut zu zahlen hätte, durchzuſetzen; beſondere Vortheile ſollten keinem der drei Verbündeten aus dieſem Vertrage erwachſen. Wurde der Waffenſtillſtand nicht binnen Monatsfriſt angenommen, ſo behielten ſich die drei Mächte weitere angemeſſene Mittel vor; für alle Fälle ſen- deten ſie ſogleich gemeinſam eine Flotte in das ioniſche Meer und gaben den drei Admiralen ſehr unbeſtimmte, dehnbare Vollmachten mit auf die Reiſe. So hatte denn Metternich abermals falſch gerechnet; die Wir- kungen des Petersburger Protokolls, das er ſo abſchätzig beurtheilt, ließen ſich jetzt mit Händen greifen. In hochmüthigen Schmähreden gab er ſeine Enttäuſchung kund: dies kindiſche Werk ging von Menſchen aus, die noch im ABC der Begriffe ſteckten; „was zu viel iſt iſt zu viel, der Vertrags- entwurf überbietet noch die Dummheit“. Noch ausgiebiger verwerthete der leidenſchaftliche Gentz die reichen Vorräthe des deutſchen Schimpf- wörterbuchs; er donnerte wider dieſen Gipfel der Verkehrtheit, der Un- gereimtheit und Unverſchämtheit, wider dieſe Treuloſigkeit, Bosheit, Schwäche, Blindheit, Sinnloſigkeit, und als ſein getreues Echo erklärte Prokeſch den Londoner Vertrag für die Pandorabüchſe, welche der Teufel der Unordnung, Liberalismus genannt, in die Welt gebracht habe. Alle Unbefangenen, weit über die Kreiſe des Liberalismus hinaus, empfingen die Kunde von dem Londoner Vertrage mit gerechter Befrie- digung: es war die höchſte Zeit, daß das Ehrgefühl der Chriſtenheit endlich ſich regte, daß einer Rotte afrikaniſcher Bluthunde nicht länger mehr ge-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 731. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/747>, abgerufen am 25.11.2024.