Mit welchem Unwillen wäre zur Zeit des Pariser Friedens ein solches Buch von der öffentlichen Meinung empfangen worden! Aber auf die großen Epochen unserer neuen Geschichte folgen mit unheimlicher Regel- mäßigkeit Zeiten des Verdrusses, denen der nationale Stolz über dem kleinen Aerger des Parteistreits fast abhanden kommt, und gerade die Männer und die Thaten, die über allen Dank erhaben sind, verfallen dann am sichersten der Undankbarkeit der kurzlebigen Menschen. Fünf Jahre nach den Befreiungskriegen durfte der Verfasser des Manuscriptes zuversichtlich behaupten "Preußen gehört so wenig als Elsaß zu Deutsch- land", und überall in den kleinen Staaten fanden sich schon einzelne wohlmeinende Patrioten, die ihm zustimmten; ihnen schien es nicht lächer- lich, wenn er im Namen der Besiegten von Dennewitz und Wartenburg den Siegern sogar die kriegerische Tüchtigkeit absprach. Börne in Frankfurt hatte an dem Buche nur das Eine auszusetzen, daß es noch nicht die ganze Wahrheit sage. Der bairische Liberale F. v. Spaun, ein eifriger Vor- kämpfer des Illuminatenthums und des bajuvarischen Machtdünkels, ver- sicherte bald nachher in seinen "Glossen über den Zeitlauf": Süddeutsch- land hat den Alliirten gute Dienste geleistet, verdankt ihnen aber rein nichts; wir bedürfen des Deutschen Bundes nicht; wenn "unser Max" ruft, dann werden tausende der Helden, die bei Leipzig siegten, den blau- weißen Fahnen zulaufen!
So weit gingen freilich nur einzelne Verblendete. Selbst Wangen- heim wies die landesverrätherischen Hintergedanken des "Manuscripts" weit von sich. Er hielt zwar, wenn die Unabhängigkeit der Kleinstaaten bedroht schien, sogar die "immerhin bedenkliche" Anrufung der auswärtigen Ga- ranten der Bundesakte für erlaubt; doch an einen neuen Rheinbund dachte er niemals. Sein Bund der Mindermächtigen sollte auf dem Boden der Bundesakte erwachsen, friedlich, allein durch die moralische Macht der süddeutschen Kronen, durch die Anziehungskraft ihrer freien Verfassungen. In dieser abgeschwächten Fassung erschienen die Ideen des Manuscripts auch vielen anderen Liberalen verführerisch. Das sophistische Buch wirkte im Stillen sehr nachhaltig und nährte unter den süddeutschen Liberalen einen Dünkel, der um so schädlicher war, weil er sich nicht auf die wirk- lichen Vorzüge des oberdeutschen Lebens, auf seine alte Cultur, seine un- verwüstliche Poesie, seine heiteren, natürlichen, demokratischen Sitten, son- dern auf eine eingebildete politische Ueberlegenheit berief. Aus der trüben Quelle dieser Schrift entsprang auch die jahrzehntelang unablässig wieder- holte Parteilegende von den Karlsbader Conferenzen und dem heldenhaften Kampfe der treu verbündeten liberalen Kronen Baiern und Württem- berg wider die reaktionären Großmächte.
Den Preußen klang die Verherrlichung des Rheinbunds so unbegreiflich, daß sich Niemand dort zu einer öffentlichen Antwort herbeilassen mochte, obgleich das Buch in den Berliner literarischen Kreisen mit lebhaftem Un-
Urtheile über das Manuſcript.
Mit welchem Unwillen wäre zur Zeit des Pariſer Friedens ein ſolches Buch von der öffentlichen Meinung empfangen worden! Aber auf die großen Epochen unſerer neuen Geſchichte folgen mit unheimlicher Regel- mäßigkeit Zeiten des Verdruſſes, denen der nationale Stolz über dem kleinen Aerger des Parteiſtreits faſt abhanden kommt, und gerade die Männer und die Thaten, die über allen Dank erhaben ſind, verfallen dann am ſicherſten der Undankbarkeit der kurzlebigen Menſchen. Fünf Jahre nach den Befreiungskriegen durfte der Verfaſſer des Manuſcriptes zuverſichtlich behaupten „Preußen gehört ſo wenig als Elſaß zu Deutſch- land“, und überall in den kleinen Staaten fanden ſich ſchon einzelne wohlmeinende Patrioten, die ihm zuſtimmten; ihnen ſchien es nicht lächer- lich, wenn er im Namen der Beſiegten von Dennewitz und Wartenburg den Siegern ſogar die kriegeriſche Tüchtigkeit abſprach. Börne in Frankfurt hatte an dem Buche nur das Eine auszuſetzen, daß es noch nicht die ganze Wahrheit ſage. Der bairiſche Liberale F. v. Spaun, ein eifriger Vor- kämpfer des Illuminatenthums und des bajuvariſchen Machtdünkels, ver- ſicherte bald nachher in ſeinen „Gloſſen über den Zeitlauf“: Süddeutſch- land hat den Alliirten gute Dienſte geleiſtet, verdankt ihnen aber rein nichts; wir bedürfen des Deutſchen Bundes nicht; wenn „unſer Max“ ruft, dann werden tauſende der Helden, die bei Leipzig ſiegten, den blau- weißen Fahnen zulaufen!
So weit gingen freilich nur einzelne Verblendete. Selbſt Wangen- heim wies die landesverrätheriſchen Hintergedanken des „Manuſcripts“ weit von ſich. Er hielt zwar, wenn die Unabhängigkeit der Kleinſtaaten bedroht ſchien, ſogar die „immerhin bedenkliche“ Anrufung der auswärtigen Ga- ranten der Bundesakte für erlaubt; doch an einen neuen Rheinbund dachte er niemals. Sein Bund der Mindermächtigen ſollte auf dem Boden der Bundesakte erwachſen, friedlich, allein durch die moraliſche Macht der ſüddeutſchen Kronen, durch die Anziehungskraft ihrer freien Verfaſſungen. In dieſer abgeſchwächten Faſſung erſchienen die Ideen des Manuſcripts auch vielen anderen Liberalen verführeriſch. Das ſophiſtiſche Buch wirkte im Stillen ſehr nachhaltig und nährte unter den ſüddeutſchen Liberalen einen Dünkel, der um ſo ſchädlicher war, weil er ſich nicht auf die wirk- lichen Vorzüge des oberdeutſchen Lebens, auf ſeine alte Cultur, ſeine un- verwüſtliche Poeſie, ſeine heiteren, natürlichen, demokratiſchen Sitten, ſon- dern auf eine eingebildete politiſche Ueberlegenheit berief. Aus der trüben Quelle dieſer Schrift entſprang auch die jahrzehntelang unabläſſig wieder- holte Parteilegende von den Karlsbader Conferenzen und dem heldenhaften Kampfe der treu verbündeten liberalen Kronen Baiern und Württem- berg wider die reaktionären Großmächte.
Den Preußen klang die Verherrlichung des Rheinbunds ſo unbegreiflich, daß ſich Niemand dort zu einer öffentlichen Antwort herbeilaſſen mochte, obgleich das Buch in den Berliner literariſchen Kreiſen mit lebhaftem Un-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0073"n="57"/><fwplace="top"type="header">Urtheile über das Manuſcript.</fw><lb/><p>Mit welchem Unwillen wäre zur Zeit des Pariſer Friedens ein ſolches<lb/>
Buch von der öffentlichen Meinung empfangen worden! Aber auf die<lb/>
großen Epochen unſerer neuen Geſchichte folgen mit unheimlicher Regel-<lb/>
mäßigkeit Zeiten des Verdruſſes, denen der nationale Stolz über dem<lb/>
kleinen Aerger des Parteiſtreits faſt abhanden kommt, und gerade die<lb/>
Männer und die Thaten, die über allen Dank erhaben ſind, verfallen<lb/>
dann am ſicherſten der Undankbarkeit der kurzlebigen Menſchen. Fünf<lb/>
Jahre nach den Befreiungskriegen durfte der Verfaſſer des Manuſcriptes<lb/>
zuverſichtlich behaupten „Preußen gehört ſo wenig als Elſaß zu Deutſch-<lb/>
land“, und überall in den kleinen Staaten fanden ſich ſchon einzelne<lb/>
wohlmeinende Patrioten, die ihm zuſtimmten; ihnen ſchien es nicht lächer-<lb/>
lich, wenn er im Namen der Beſiegten von Dennewitz und Wartenburg<lb/>
den Siegern ſogar die kriegeriſche Tüchtigkeit abſprach. Börne in Frankfurt<lb/>
hatte an dem Buche nur das Eine auszuſetzen, daß es noch nicht die ganze<lb/>
Wahrheit ſage. Der bairiſche Liberale F. v. Spaun, ein eifriger Vor-<lb/>
kämpfer des Illuminatenthums und des bajuvariſchen Machtdünkels, ver-<lb/>ſicherte bald nachher in ſeinen „Gloſſen über den Zeitlauf“: Süddeutſch-<lb/>
land hat den Alliirten gute Dienſte geleiſtet, verdankt ihnen aber rein<lb/>
nichts; wir bedürfen des Deutſchen Bundes nicht; wenn „unſer Max“<lb/>
ruft, dann werden tauſende der Helden, die bei Leipzig ſiegten, den blau-<lb/>
weißen Fahnen zulaufen!</p><lb/><p>So weit gingen freilich nur einzelne Verblendete. Selbſt Wangen-<lb/>
heim wies die landesverrätheriſchen Hintergedanken des „Manuſcripts“ weit<lb/>
von ſich. Er hielt zwar, wenn die Unabhängigkeit der Kleinſtaaten bedroht<lb/>ſchien, ſogar die „immerhin bedenkliche“ Anrufung der auswärtigen Ga-<lb/>
ranten der Bundesakte für erlaubt; doch an einen neuen Rheinbund dachte<lb/>
er niemals. Sein Bund der Mindermächtigen ſollte auf dem Boden<lb/>
der Bundesakte erwachſen, friedlich, allein durch die moraliſche Macht der<lb/>ſüddeutſchen Kronen, durch die Anziehungskraft ihrer freien Verfaſſungen.<lb/>
In dieſer abgeſchwächten Faſſung erſchienen die Ideen des Manuſcripts<lb/>
auch vielen anderen Liberalen verführeriſch. Das ſophiſtiſche Buch wirkte<lb/>
im Stillen ſehr nachhaltig und nährte unter den ſüddeutſchen Liberalen<lb/>
einen Dünkel, der um ſo ſchädlicher war, weil er ſich nicht auf die wirk-<lb/>
lichen Vorzüge des oberdeutſchen Lebens, auf ſeine alte Cultur, ſeine un-<lb/>
verwüſtliche Poeſie, ſeine heiteren, natürlichen, demokratiſchen Sitten, ſon-<lb/>
dern auf eine eingebildete politiſche Ueberlegenheit berief. Aus der trüben<lb/>
Quelle dieſer Schrift entſprang auch die jahrzehntelang unabläſſig wieder-<lb/>
holte Parteilegende von den Karlsbader Conferenzen und dem heldenhaften<lb/>
Kampfe der treu verbündeten liberalen Kronen Baiern und Württem-<lb/>
berg wider die reaktionären Großmächte.</p><lb/><p>Den Preußen klang die Verherrlichung des Rheinbunds ſo unbegreiflich,<lb/>
daß ſich Niemand dort zu einer öffentlichen Antwort herbeilaſſen mochte,<lb/>
obgleich das Buch in den Berliner literariſchen Kreiſen mit lebhaftem Un-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[57/0073]
Urtheile über das Manuſcript.
Mit welchem Unwillen wäre zur Zeit des Pariſer Friedens ein ſolches
Buch von der öffentlichen Meinung empfangen worden! Aber auf die
großen Epochen unſerer neuen Geſchichte folgen mit unheimlicher Regel-
mäßigkeit Zeiten des Verdruſſes, denen der nationale Stolz über dem
kleinen Aerger des Parteiſtreits faſt abhanden kommt, und gerade die
Männer und die Thaten, die über allen Dank erhaben ſind, verfallen
dann am ſicherſten der Undankbarkeit der kurzlebigen Menſchen. Fünf
Jahre nach den Befreiungskriegen durfte der Verfaſſer des Manuſcriptes
zuverſichtlich behaupten „Preußen gehört ſo wenig als Elſaß zu Deutſch-
land“, und überall in den kleinen Staaten fanden ſich ſchon einzelne
wohlmeinende Patrioten, die ihm zuſtimmten; ihnen ſchien es nicht lächer-
lich, wenn er im Namen der Beſiegten von Dennewitz und Wartenburg
den Siegern ſogar die kriegeriſche Tüchtigkeit abſprach. Börne in Frankfurt
hatte an dem Buche nur das Eine auszuſetzen, daß es noch nicht die ganze
Wahrheit ſage. Der bairiſche Liberale F. v. Spaun, ein eifriger Vor-
kämpfer des Illuminatenthums und des bajuvariſchen Machtdünkels, ver-
ſicherte bald nachher in ſeinen „Gloſſen über den Zeitlauf“: Süddeutſch-
land hat den Alliirten gute Dienſte geleiſtet, verdankt ihnen aber rein
nichts; wir bedürfen des Deutſchen Bundes nicht; wenn „unſer Max“
ruft, dann werden tauſende der Helden, die bei Leipzig ſiegten, den blau-
weißen Fahnen zulaufen!
So weit gingen freilich nur einzelne Verblendete. Selbſt Wangen-
heim wies die landesverrätheriſchen Hintergedanken des „Manuſcripts“ weit
von ſich. Er hielt zwar, wenn die Unabhängigkeit der Kleinſtaaten bedroht
ſchien, ſogar die „immerhin bedenkliche“ Anrufung der auswärtigen Ga-
ranten der Bundesakte für erlaubt; doch an einen neuen Rheinbund dachte
er niemals. Sein Bund der Mindermächtigen ſollte auf dem Boden
der Bundesakte erwachſen, friedlich, allein durch die moraliſche Macht der
ſüddeutſchen Kronen, durch die Anziehungskraft ihrer freien Verfaſſungen.
In dieſer abgeſchwächten Faſſung erſchienen die Ideen des Manuſcripts
auch vielen anderen Liberalen verführeriſch. Das ſophiſtiſche Buch wirkte
im Stillen ſehr nachhaltig und nährte unter den ſüddeutſchen Liberalen
einen Dünkel, der um ſo ſchädlicher war, weil er ſich nicht auf die wirk-
lichen Vorzüge des oberdeutſchen Lebens, auf ſeine alte Cultur, ſeine un-
verwüſtliche Poeſie, ſeine heiteren, natürlichen, demokratiſchen Sitten, ſon-
dern auf eine eingebildete politiſche Ueberlegenheit berief. Aus der trüben
Quelle dieſer Schrift entſprang auch die jahrzehntelang unabläſſig wieder-
holte Parteilegende von den Karlsbader Conferenzen und dem heldenhaften
Kampfe der treu verbündeten liberalen Kronen Baiern und Württem-
berg wider die reaktionären Großmächte.
Den Preußen klang die Verherrlichung des Rheinbunds ſo unbegreiflich,
daß ſich Niemand dort zu einer öffentlichen Antwort herbeilaſſen mochte,
obgleich das Buch in den Berliner literariſchen Kreiſen mit lebhaftem Un-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/73>, abgerufen am 26.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.