lässig bis sie seinem feinen und sicheren Sprachgefühle genügten; jener höchste Künstlerfleiß aber, der sich jahrelang mit gesammelter Kraft in einen mächtigen Stoff zu versenken vermag, war ihm unerreichbar. Ihm fehlte die Gabe der Architektonik, die den Meister macht; von allen seinen geplanten größeren Werken kam keines zu Ende, nicht einmal der viel- verheißende Anfang der Geschichte des Rabbi von Bacharach. Weil er dies Unvermögen insgeheim fühlte, so trug er seine Zerrissenheit prahlerisch zur Schau. Er nannte sich selber einen aufopfernden Schwärmer, im Gegensatze zu Goethe's Selbstsucht; indeß war er doch zu weltklug und auch zu sehr ein Künstler, um, wie Börne, den Altmeister öffentlich zu lästern. Seine beflissenen journalistischen Kameraden priesen ihn als den Dichter mit der lachenden Thräne im Wappen, der das Geheimniß ent- deckt habe, zugleich durchnäßt und verbrannt zu sein, und nannten es er- habenen Weltschmerz, wenn er zwischen Spott und Sehnsucht haltlos schwankte. Dieser Weltschmerz aber entstammte nicht der Verzweiflung eines starken und trotzigen Geistes, sondern der Unfähigkeit die poetische Stim- mung ausdauernd festzuhalten.
Heine begann mit weichlichen Minneliedern auf wunnevolle Magedein und mit allerhand süßlich witzelnden Feuilleton-Artikeln. Erst seine Harz- reise (1826) erregte einen Sturm des Beifalls, dem sich selbst die höfische Gesellschaft nicht entzog. Der burschikose Humor, der hier sein aus- gelassenes Wesen trieb, Alles von der lächerlichen Seite nahm, Hoch und Niedrig mit seinen Pritschenschlägen traf, erschien in dem dumpfen und gedrückten Leben dieser Tage fast wie eine befreiende That. In den Nordseegedichten bewährte er sodann sein Talent der Naturschilderung auf einem noch ganz unbebauten Gebiete. Alle unsere Dichter bisher waren Binnenländer, Heine zuerst schilderte den Deutschen die Majestät des Weltmeeres. Aber die Fortsetzung der Reisebilder entsprach dem glänzen- den Anfang nicht. Die Gestaltungskraft des Dichters erlahmte sichtlich. Er reihte nur noch sentimentale Nachklänge aus Yorick's empfindsamer Reise, novellistische Bruchstücke, politische und philosophische Betrachtungen locker aneinander; und diese geschmacklose Vermischung von Poesie und Prosa behagte, weil sie gar so bequem war, der Trägheit der Schrift- steller wie der Leser, so daß die deutsche Poesie des nächsten Jahrzehnts sich fast ganz in pikante Feuilleton-Plauderei verflüchtigte. Eigenthümlich war in den letzten Bänden der Reisebilder nur die Frechheit der Unzucht; sodomitische Schmutzereien, wie sie Heine in seiner niederträchtigen Polemik gegen Platen vorbrachte, hatten den Tempel der deutschen Dichtung bisher noch niemals geschändet. Mit dem Schatten Napoleon's trieb er einen Götzendienst, der selbst die Schmeichelreden des napoleonischen Senats noch überbot, und diese Bedientengesinnung erschien um so ekelhafter, da sie offenbar gutentheils der Gefallsucht entsprang: durch die Verherrlichung des Genius wollte der eitle Dichter zugleich seine eigene Größe verklären.
III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.
läſſig bis ſie ſeinem feinen und ſicheren Sprachgefühle genügten; jener höchſte Künſtlerfleiß aber, der ſich jahrelang mit geſammelter Kraft in einen mächtigen Stoff zu verſenken vermag, war ihm unerreichbar. Ihm fehlte die Gabe der Architektonik, die den Meiſter macht; von allen ſeinen geplanten größeren Werken kam keines zu Ende, nicht einmal der viel- verheißende Anfang der Geſchichte des Rabbi von Bacharach. Weil er dies Unvermögen insgeheim fühlte, ſo trug er ſeine Zerriſſenheit prahleriſch zur Schau. Er nannte ſich ſelber einen aufopfernden Schwärmer, im Gegenſatze zu Goethe’s Selbſtſucht; indeß war er doch zu weltklug und auch zu ſehr ein Künſtler, um, wie Börne, den Altmeiſter öffentlich zu läſtern. Seine befliſſenen journaliſtiſchen Kameraden prieſen ihn als den Dichter mit der lachenden Thräne im Wappen, der das Geheimniß ent- deckt habe, zugleich durchnäßt und verbrannt zu ſein, und nannten es er- habenen Weltſchmerz, wenn er zwiſchen Spott und Sehnſucht haltlos ſchwankte. Dieſer Weltſchmerz aber entſtammte nicht der Verzweiflung eines ſtarken und trotzigen Geiſtes, ſondern der Unfähigkeit die poetiſche Stim- mung ausdauernd feſtzuhalten.
Heine begann mit weichlichen Minneliedern auf wunnevolle Magedein und mit allerhand ſüßlich witzelnden Feuilleton-Artikeln. Erſt ſeine Harz- reiſe (1826) erregte einen Sturm des Beifalls, dem ſich ſelbſt die höfiſche Geſellſchaft nicht entzog. Der burſchikoſe Humor, der hier ſein aus- gelaſſenes Weſen trieb, Alles von der lächerlichen Seite nahm, Hoch und Niedrig mit ſeinen Pritſchenſchlägen traf, erſchien in dem dumpfen und gedrückten Leben dieſer Tage faſt wie eine befreiende That. In den Nordſeegedichten bewährte er ſodann ſein Talent der Naturſchilderung auf einem noch ganz unbebauten Gebiete. Alle unſere Dichter bisher waren Binnenländer, Heine zuerſt ſchilderte den Deutſchen die Majeſtät des Weltmeeres. Aber die Fortſetzung der Reiſebilder entſprach dem glänzen- den Anfang nicht. Die Geſtaltungskraft des Dichters erlahmte ſichtlich. Er reihte nur noch ſentimentale Nachklänge aus Yorick’s empfindſamer Reiſe, novelliſtiſche Bruchſtücke, politiſche und philoſophiſche Betrachtungen locker aneinander; und dieſe geſchmackloſe Vermiſchung von Poeſie und Proſa behagte, weil ſie gar ſo bequem war, der Trägheit der Schrift- ſteller wie der Leſer, ſo daß die deutſche Poeſie des nächſten Jahrzehnts ſich faſt ganz in pikante Feuilleton-Plauderei verflüchtigte. Eigenthümlich war in den letzten Bänden der Reiſebilder nur die Frechheit der Unzucht; ſodomitiſche Schmutzereien, wie ſie Heine in ſeiner niederträchtigen Polemik gegen Platen vorbrachte, hatten den Tempel der deutſchen Dichtung bisher noch niemals geſchändet. Mit dem Schatten Napoleon’s trieb er einen Götzendienſt, der ſelbſt die Schmeichelreden des napoleoniſchen Senats noch überbot, und dieſe Bedientengeſinnung erſchien um ſo ekelhafter, da ſie offenbar gutentheils der Gefallſucht entſprang: durch die Verherrlichung des Genius wollte der eitle Dichter zugleich ſeine eigene Größe verklären.
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höchſte Künſtlerfleiß aber, der ſich jahrelang mit geſammelter Kraft in
einen mächtigen Stoff zu verſenken vermag, war ihm unerreichbar. Ihm
fehlte die Gabe der Architektonik, die den Meiſter macht; von allen ſeinen
geplanten größeren Werken kam keines zu Ende, nicht einmal der viel-
verheißende Anfang der Geſchichte des Rabbi von Bacharach. Weil er
dies Unvermögen insgeheim fühlte, ſo trug er ſeine Zerriſſenheit prahleriſch
zur Schau. Er nannte ſich ſelber einen aufopfernden Schwärmer, im
Gegenſatze zu Goethe’s Selbſtſucht; indeß war er doch zu weltklug und
auch zu ſehr ein Künſtler, um, wie Börne, den Altmeiſter öffentlich zu
läſtern. Seine befliſſenen journaliſtiſchen Kameraden prieſen ihn als den
Dichter mit der lachenden Thräne im Wappen, der das Geheimniß ent-
deckt habe, zugleich durchnäßt und verbrannt zu ſein, und nannten es er-
habenen Weltſchmerz, wenn er zwiſchen Spott und Sehnſucht haltlos
ſchwankte. Dieſer Weltſchmerz aber entſtammte nicht der Verzweiflung eines
ſtarken und trotzigen Geiſtes, ſondern der Unfähigkeit die poetiſche Stim-
mung ausdauernd feſtzuhalten.
Heine begann mit weichlichen Minneliedern auf wunnevolle Magedein
und mit allerhand ſüßlich witzelnden Feuilleton-Artikeln. Erſt ſeine Harz-
reiſe (1826) erregte einen Sturm des Beifalls, dem ſich ſelbſt die höfiſche
Geſellſchaft nicht entzog. Der burſchikoſe Humor, der hier ſein aus-
gelaſſenes Weſen trieb, Alles von der lächerlichen Seite nahm, Hoch und
Niedrig mit ſeinen Pritſchenſchlägen traf, erſchien in dem dumpfen und
gedrückten Leben dieſer Tage faſt wie eine befreiende That. In den
Nordſeegedichten bewährte er ſodann ſein Talent der Naturſchilderung auf
einem noch ganz unbebauten Gebiete. Alle unſere Dichter bisher waren
Binnenländer, Heine zuerſt ſchilderte den Deutſchen die Majeſtät des
Weltmeeres. Aber die Fortſetzung der Reiſebilder entſprach dem glänzen-
den Anfang nicht. Die Geſtaltungskraft des Dichters erlahmte ſichtlich.
Er reihte nur noch ſentimentale Nachklänge aus Yorick’s empfindſamer
Reiſe, novelliſtiſche Bruchſtücke, politiſche und philoſophiſche Betrachtungen
locker aneinander; und dieſe geſchmackloſe Vermiſchung von Poeſie und
Proſa behagte, weil ſie gar ſo bequem war, der Trägheit der Schrift-
ſteller wie der Leſer, ſo daß die deutſche Poeſie des nächſten Jahrzehnts
ſich faſt ganz in pikante Feuilleton-Plauderei verflüchtigte. Eigenthümlich
war in den letzten Bänden der Reiſebilder nur die Frechheit der Unzucht;
ſodomitiſche Schmutzereien, wie ſie Heine in ſeiner niederträchtigen Polemik
gegen Platen vorbrachte, hatten den Tempel der deutſchen Dichtung bisher
noch niemals geſchändet. Mit dem Schatten Napoleon’s trieb er einen
Götzendienſt, der ſelbſt die Schmeichelreden des napoleoniſchen Senats noch
überbot, und dieſe Bedientengeſinnung erſchien um ſo ekelhafter, da ſie
offenbar gutentheils der Gefallſucht entſprang: durch die Verherrlichung
des Genius wollte der eitle Dichter zugleich ſeine eigene Größe verklären.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 712. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/728>, abgerufen am 16.02.2025.
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