und Schafsgeduld, bis sie selber an dies alberne Zerrbild deutschen Wesens glaubte und sich wirklich einbildete, das leidenschaftlichste Volk Europas, das Volk der furia tedesca sei phlegmatisch.
In diesen Jahren der Besudelung alles deutschen Wesens erhielt auch das nationale Scherzbild des deutschen Michels eine neue widerliche Gestalt. Der deutsche Michel der alten Zeit war, seinem kriegerischen Namen gemäß, ein gewaltiger Schlagetodt, grob und plump, aber tapfer und gradezu, ein lebensfroher Gesell, wie John Bull oder Robert Macaire, nicht unwürdig eines großen Volkes, das an sich selber glaubte und darum auch einmal über sich selber lachen durfte. Neuerdings wurde in Bild und Wort unter dem alten Namen ein feiger und fauler Philister dar- gestellt, der von aller Welt mißhandelt sich die Schlafmütze über die Ohren zog. Dies Spottbild war während der Kämpfe der Romantiker gegen die Philister aufgekommen, zuerst auf dem Titelblatte der Heidelberger Einsiedlerzeitung, aber Achim v. Arnim hatte dabei feierlich erklärt, mit diesem Faulpelz sei nur das wohlhabende lesende Publicum gemeint, "nicht mein Volk, das ich ehre, mit dem ich nimmermehr zu scherzen wage." Das junge radicale Geschlecht kannte solche Scheu nicht mehr und fand es nicht unehrenhaft, die Nation, welche soeben mit ihrem sieg- reichen Degen das napoleonische Weltreich gestürzt hatte, unter dem ekel- haften Bilde eines trägen Feiglings zu verhöhnen.
Die zerreibende und verhetzende Wirksamkeit des radicalen Judenthums war um so gefährlicher, da die Deutschen sich über den Charakter dieser neuen literarischen Macht lange täuschten. Sie hielten arglos für deutsche Aufklärung und deutschen Freisinn was in Wahrheit jüdischer Christen- haß und jüdisches Weltbürgerthum war. Nur Wolfgang Menzel und wenige andere Publicisten erkannten die Gefahr, doch da sie sämmtlich der hochkirchlichen Richtung angehörten, so wurden ihre Warnungen miß- achtet. Erst in einer weit späteren Zeit erkannte die Nation, daß seit dem Ende der zwanziger Jahre ein fremder Tropfen in ihr Blut gerathen war. Es war der Ruhm der Deutschen gewesen, daß sie niemals auf der Bank der Spötter gesessen hatten, daß ihre freien Köpfe mit Kühnheit, aber stets mit Ehrfurcht an das Heilige herangetreten waren. Jetzt ging dieser Ruhm verloren; auch Deutschland sollte Schriften sehen, die sich mit Voltaire's Frechheit, freilich nicht mit seinem Geiste messen konnten.
Der Ahnherr dieser jüdisch-deutschen Zwitter-Literatur war der Frank- furter Ludwig Börne, ein im Grunde ehrlicher, weicher, warmherziger Mann, der durch Schuld und Verhängniß niemals über die geschmacklose Vermischung deutscher Sentimentalität und jüdischer Witzelei hinauskam, der zwischen Vaterlandsliebe und Kosmopolitismus haltlos hin und her- geschleudert, weder einen bestimmten Glauben noch ein wirkliches Volks- thum zu finden vermochte und schließlich der Roheit eines wüsten, poltern- den Radicalismus anheimfiel. In einer Zeit einfacher, kräftiger Gesittung
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 45
Jüdiſche Selbſtverhöhnung.
und Schafsgeduld, bis ſie ſelber an dies alberne Zerrbild deutſchen Weſens glaubte und ſich wirklich einbildete, das leidenſchaftlichſte Volk Europas, das Volk der furia tedesca ſei phlegmatiſch.
In dieſen Jahren der Beſudelung alles deutſchen Weſens erhielt auch das nationale Scherzbild des deutſchen Michels eine neue widerliche Geſtalt. Der deutſche Michel der alten Zeit war, ſeinem kriegeriſchen Namen gemäß, ein gewaltiger Schlagetodt, grob und plump, aber tapfer und gradezu, ein lebensfroher Geſell, wie John Bull oder Robert Macaire, nicht unwürdig eines großen Volkes, das an ſich ſelber glaubte und darum auch einmal über ſich ſelber lachen durfte. Neuerdings wurde in Bild und Wort unter dem alten Namen ein feiger und fauler Philiſter dar- geſtellt, der von aller Welt mißhandelt ſich die Schlafmütze über die Ohren zog. Dies Spottbild war während der Kämpfe der Romantiker gegen die Philiſter aufgekommen, zuerſt auf dem Titelblatte der Heidelberger Einſiedlerzeitung, aber Achim v. Arnim hatte dabei feierlich erklärt, mit dieſem Faulpelz ſei nur das wohlhabende leſende Publicum gemeint, „nicht mein Volk, das ich ehre, mit dem ich nimmermehr zu ſcherzen wage.“ Das junge radicale Geſchlecht kannte ſolche Scheu nicht mehr und fand es nicht unehrenhaft, die Nation, welche ſoeben mit ihrem ſieg- reichen Degen das napoleoniſche Weltreich geſtürzt hatte, unter dem ekel- haften Bilde eines trägen Feiglings zu verhöhnen.
Die zerreibende und verhetzende Wirkſamkeit des radicalen Judenthums war um ſo gefährlicher, da die Deutſchen ſich über den Charakter dieſer neuen literariſchen Macht lange täuſchten. Sie hielten arglos für deutſche Aufklärung und deutſchen Freiſinn was in Wahrheit jüdiſcher Chriſten- haß und jüdiſches Weltbürgerthum war. Nur Wolfgang Menzel und wenige andere Publiciſten erkannten die Gefahr, doch da ſie ſämmtlich der hochkirchlichen Richtung angehörten, ſo wurden ihre Warnungen miß- achtet. Erſt in einer weit ſpäteren Zeit erkannte die Nation, daß ſeit dem Ende der zwanziger Jahre ein fremder Tropfen in ihr Blut gerathen war. Es war der Ruhm der Deutſchen geweſen, daß ſie niemals auf der Bank der Spötter geſeſſen hatten, daß ihre freien Köpfe mit Kühnheit, aber ſtets mit Ehrfurcht an das Heilige herangetreten waren. Jetzt ging dieſer Ruhm verloren; auch Deutſchland ſollte Schriften ſehen, die ſich mit Voltaire’s Frechheit, freilich nicht mit ſeinem Geiſte meſſen konnten.
Der Ahnherr dieſer jüdiſch-deutſchen Zwitter-Literatur war der Frank- furter Ludwig Börne, ein im Grunde ehrlicher, weicher, warmherziger Mann, der durch Schuld und Verhängniß niemals über die geſchmackloſe Vermiſchung deutſcher Sentimentalität und jüdiſcher Witzelei hinauskam, der zwiſchen Vaterlandsliebe und Kosmopolitismus haltlos hin und her- geſchleudert, weder einen beſtimmten Glauben noch ein wirkliches Volks- thum zu finden vermochte und ſchließlich der Roheit eines wüſten, poltern- den Radicalismus anheimfiel. In einer Zeit einfacher, kräftiger Geſittung
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 45
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und Schafsgeduld, bis ſie ſelber an dies alberne Zerrbild deutſchen Weſens
glaubte und ſich wirklich einbildete, das leidenſchaftlichſte Volk Europas,
das Volk der furia tedesca ſei phlegmatiſch.
In dieſen Jahren der Beſudelung alles deutſchen Weſens erhielt
auch das nationale Scherzbild des deutſchen Michels eine neue widerliche
Geſtalt. Der deutſche Michel der alten Zeit war, ſeinem kriegeriſchen
Namen gemäß, ein gewaltiger Schlagetodt, grob und plump, aber tapfer
und gradezu, ein lebensfroher Geſell, wie John Bull oder Robert Macaire,
nicht unwürdig eines großen Volkes, das an ſich ſelber glaubte und darum
auch einmal über ſich ſelber lachen durfte. Neuerdings wurde in Bild
und Wort unter dem alten Namen ein feiger und fauler Philiſter dar-
geſtellt, der von aller Welt mißhandelt ſich die Schlafmütze über die Ohren
zog. Dies Spottbild war während der Kämpfe der Romantiker gegen
die Philiſter aufgekommen, zuerſt auf dem Titelblatte der Heidelberger
Einſiedlerzeitung, aber Achim v. Arnim hatte dabei feierlich erklärt, mit
dieſem Faulpelz ſei nur das wohlhabende leſende Publicum gemeint,
„nicht mein Volk, das ich ehre, mit dem ich nimmermehr zu ſcherzen
wage.“ Das junge radicale Geſchlecht kannte ſolche Scheu nicht mehr
und fand es nicht unehrenhaft, die Nation, welche ſoeben mit ihrem ſieg-
reichen Degen das napoleoniſche Weltreich geſtürzt hatte, unter dem ekel-
haften Bilde eines trägen Feiglings zu verhöhnen.
Die zerreibende und verhetzende Wirkſamkeit des radicalen Judenthums
war um ſo gefährlicher, da die Deutſchen ſich über den Charakter dieſer
neuen literariſchen Macht lange täuſchten. Sie hielten arglos für deutſche
Aufklärung und deutſchen Freiſinn was in Wahrheit jüdiſcher Chriſten-
haß und jüdiſches Weltbürgerthum war. Nur Wolfgang Menzel und
wenige andere Publiciſten erkannten die Gefahr, doch da ſie ſämmtlich
der hochkirchlichen Richtung angehörten, ſo wurden ihre Warnungen miß-
achtet. Erſt in einer weit ſpäteren Zeit erkannte die Nation, daß ſeit
dem Ende der zwanziger Jahre ein fremder Tropfen in ihr Blut gerathen
war. Es war der Ruhm der Deutſchen geweſen, daß ſie niemals auf der
Bank der Spötter geſeſſen hatten, daß ihre freien Köpfe mit Kühnheit, aber
ſtets mit Ehrfurcht an das Heilige herangetreten waren. Jetzt ging dieſer
Ruhm verloren; auch Deutſchland ſollte Schriften ſehen, die ſich mit
Voltaire’s Frechheit, freilich nicht mit ſeinem Geiſte meſſen konnten.
Der Ahnherr dieſer jüdiſch-deutſchen Zwitter-Literatur war der Frank-
furter Ludwig Börne, ein im Grunde ehrlicher, weicher, warmherziger
Mann, der durch Schuld und Verhängniß niemals über die geſchmackloſe
Vermiſchung deutſcher Sentimentalität und jüdiſcher Witzelei hinauskam,
der zwiſchen Vaterlandsliebe und Kosmopolitismus haltlos hin und her-
geſchleudert, weder einen beſtimmten Glauben noch ein wirkliches Volks-
thum zu finden vermochte und ſchließlich der Roheit eines wüſten, poltern-
den Radicalismus anheimfiel. In einer Zeit einfacher, kräftiger Geſittung
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 705. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/721>, abgerufen am 25.11.2024.
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