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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 1. Die Wiener Conferenzen.
gehören ihrer neunzehn den fremden Mächten Oesterreich, Preußen, Eng-
land, Dänemark, Holland; seine besten Häfen sind in der Hand der nor-
dischen Barbaresken, der Hanseaten, ein hors d'oeuvre am deutschen
Körper, die Beute einer Kaufmannskaste, die in Englands Solde steht.
Den rein deutschen Staaten bleibt mithin nur eine Rettung: sie müssen sich
losreißen von den Fremden und unter sich den freien Bund selbständiger
Stämme, der Deutschlands ursprüngliche Verfassung war, erneuern. Die
Führung des Bundes gebührt den Baiern und den Alemannen, den beiden
Kernstämmen, die sich soeben unter ihren neuen Königskronen wieder zu-
sammengefunden haben. Die großen Staatsmänner des Südens erkannten
zuerst, daß Deutschlands Wiedergeburt nur durch Frankreichs Hilfe mög-
lich war, aus Liebe zu Deutschland wurden sie Frankreichs Freunde;
als die Krieger Württembergs und Baierns vereint mit den Franzosen
unsterbliche Siege erfochten, dienten sie dem Geiste des Jahrhunderts und
sicherten die Unabhängigkeit des Vaterlandes für immer, darum tragen
sie noch mit Stolz das Kreuz der Ehrenlegion. So ist auch heute wieder
Württemberg "das Asyl deutscher Freiheit und Selbständigkeit" geworden,
sein König gab das große, unsterbliche Beispiel einer vertragsmäßigen Ver-
fassung; die beiden Könige des Südens haben das von Gott eingesetzte
demokratische Princip anerkannt, in Karlsbad und Wien die deutsche Frei-
heit beschützt, Deutschland huldigt ihnen als den Garanten seiner Natio-
nal-Unabhängigkeit. Zwischen den Zeilen ward darauf noch die Hoff-
nung ausgesprochen, Preußen möge seine westlichen Provinzen an den
König von Sachsen abtreten, dann erst werde der Bund des reinen
Deutschlands seinen natürlichen Beruf erfüllen, als ein "Zwischenstaat"
das Gleichgewicht zwischen Frankreich, Preußen und Oesterreich wahren.

So lange der Deutsche Bund bestand, war ein so dreister Angriff
gegen die Grundlagen des Bundesrechts noch nie gewagt worden. Der
Anwalt der deutschen Trias ging der kaum geschaffenen neuen Verfassung
Deutschlands ebenso feindselig zu Leibe wie einst Hippolithus a Lapide
dem altersschwachen heiligen Reiche. Von dem Gedankenreichthum, von
dem hinreißenden rhetorischen Ungestüm jenes leidenschaftlichen Vor-
kämpfers der schwedisch-französischen Partei besaß der gewandte Epigone
freilich gar nichts; aber in der Willkür seiner Geschichtsconstruktionen, in
der Gewissenlosigkeit seiner Staatsräson that er es dem alten Publicisten
gleich. Der ganze ekle Bodensatz der Fremdherrschaft trat in dem "Manu-
scripte" wieder zu Tage; Alles darin war bonapartistisch, der Grundge-
danke der troisieme Allemagne so gut wie die demokratischen Schlag-
worte, die Ausfälle auf die Hansestädte und der Vorschlag, Preußen in
den Osten zu schieben. Fast mit den nämlichen Worten hatte Dalberg
einst den Rheinbund verherrlicht, und anders als durch Frankreichs Hilfe
konnte offenbar auch dieser neue Bund des reinen Deutschlands niemals
ins Leben treten.

III. 1. Die Wiener Conferenzen.
gehören ihrer neunzehn den fremden Mächten Oeſterreich, Preußen, Eng-
land, Dänemark, Holland; ſeine beſten Häfen ſind in der Hand der nor-
diſchen Barbaresken, der Hanſeaten, ein hors d’oeuvre am deutſchen
Körper, die Beute einer Kaufmannskaſte, die in Englands Solde ſteht.
Den rein deutſchen Staaten bleibt mithin nur eine Rettung: ſie müſſen ſich
losreißen von den Fremden und unter ſich den freien Bund ſelbſtändiger
Stämme, der Deutſchlands urſprüngliche Verfaſſung war, erneuern. Die
Führung des Bundes gebührt den Baiern und den Alemannen, den beiden
Kernſtämmen, die ſich ſoeben unter ihren neuen Königskronen wieder zu-
ſammengefunden haben. Die großen Staatsmänner des Südens erkannten
zuerſt, daß Deutſchlands Wiedergeburt nur durch Frankreichs Hilfe mög-
lich war, aus Liebe zu Deutſchland wurden ſie Frankreichs Freunde;
als die Krieger Württembergs und Baierns vereint mit den Franzoſen
unſterbliche Siege erfochten, dienten ſie dem Geiſte des Jahrhunderts und
ſicherten die Unabhängigkeit des Vaterlandes für immer, darum tragen
ſie noch mit Stolz das Kreuz der Ehrenlegion. So iſt auch heute wieder
Württemberg „das Aſyl deutſcher Freiheit und Selbſtändigkeit“ geworden,
ſein König gab das große, unſterbliche Beiſpiel einer vertragsmäßigen Ver-
faſſung; die beiden Könige des Südens haben das von Gott eingeſetzte
demokratiſche Princip anerkannt, in Karlsbad und Wien die deutſche Frei-
heit beſchützt, Deutſchland huldigt ihnen als den Garanten ſeiner Natio-
nal-Unabhängigkeit. Zwiſchen den Zeilen ward darauf noch die Hoff-
nung ausgeſprochen, Preußen möge ſeine weſtlichen Provinzen an den
König von Sachſen abtreten, dann erſt werde der Bund des reinen
Deutſchlands ſeinen natürlichen Beruf erfüllen, als ein „Zwiſchenſtaat“
das Gleichgewicht zwiſchen Frankreich, Preußen und Oeſterreich wahren.

So lange der Deutſche Bund beſtand, war ein ſo dreiſter Angriff
gegen die Grundlagen des Bundesrechts noch nie gewagt worden. Der
Anwalt der deutſchen Trias ging der kaum geſchaffenen neuen Verfaſſung
Deutſchlands ebenſo feindſelig zu Leibe wie einſt Hippolithus a Lapide
dem altersſchwachen heiligen Reiche. Von dem Gedankenreichthum, von
dem hinreißenden rhetoriſchen Ungeſtüm jenes leidenſchaftlichen Vor-
kämpfers der ſchwediſch-franzöſiſchen Partei beſaß der gewandte Epigone
freilich gar nichts; aber in der Willkür ſeiner Geſchichtsconſtruktionen, in
der Gewiſſenloſigkeit ſeiner Staatsräſon that er es dem alten Publiciſten
gleich. Der ganze ekle Bodenſatz der Fremdherrſchaft trat in dem „Manu-
ſcripte“ wieder zu Tage; Alles darin war bonapartiſtiſch, der Grundge-
danke der troisième Allemagne ſo gut wie die demokratiſchen Schlag-
worte, die Ausfälle auf die Hanſeſtädte und der Vorſchlag, Preußen in
den Oſten zu ſchieben. Faſt mit den nämlichen Worten hatte Dalberg
einſt den Rheinbund verherrlicht, und anders als durch Frankreichs Hilfe
konnte offenbar auch dieſer neue Bund des reinen Deutſchlands niemals
ins Leben treten.

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[56/0072] III. 1. Die Wiener Conferenzen. gehören ihrer neunzehn den fremden Mächten Oeſterreich, Preußen, Eng- land, Dänemark, Holland; ſeine beſten Häfen ſind in der Hand der nor- diſchen Barbaresken, der Hanſeaten, ein hors d’oeuvre am deutſchen Körper, die Beute einer Kaufmannskaſte, die in Englands Solde ſteht. Den rein deutſchen Staaten bleibt mithin nur eine Rettung: ſie müſſen ſich losreißen von den Fremden und unter ſich den freien Bund ſelbſtändiger Stämme, der Deutſchlands urſprüngliche Verfaſſung war, erneuern. Die Führung des Bundes gebührt den Baiern und den Alemannen, den beiden Kernſtämmen, die ſich ſoeben unter ihren neuen Königskronen wieder zu- ſammengefunden haben. Die großen Staatsmänner des Südens erkannten zuerſt, daß Deutſchlands Wiedergeburt nur durch Frankreichs Hilfe mög- lich war, aus Liebe zu Deutſchland wurden ſie Frankreichs Freunde; als die Krieger Württembergs und Baierns vereint mit den Franzoſen unſterbliche Siege erfochten, dienten ſie dem Geiſte des Jahrhunderts und ſicherten die Unabhängigkeit des Vaterlandes für immer, darum tragen ſie noch mit Stolz das Kreuz der Ehrenlegion. So iſt auch heute wieder Württemberg „das Aſyl deutſcher Freiheit und Selbſtändigkeit“ geworden, ſein König gab das große, unſterbliche Beiſpiel einer vertragsmäßigen Ver- faſſung; die beiden Könige des Südens haben das von Gott eingeſetzte demokratiſche Princip anerkannt, in Karlsbad und Wien die deutſche Frei- heit beſchützt, Deutſchland huldigt ihnen als den Garanten ſeiner Natio- nal-Unabhängigkeit. Zwiſchen den Zeilen ward darauf noch die Hoff- nung ausgeſprochen, Preußen möge ſeine weſtlichen Provinzen an den König von Sachſen abtreten, dann erſt werde der Bund des reinen Deutſchlands ſeinen natürlichen Beruf erfüllen, als ein „Zwiſchenſtaat“ das Gleichgewicht zwiſchen Frankreich, Preußen und Oeſterreich wahren. So lange der Deutſche Bund beſtand, war ein ſo dreiſter Angriff gegen die Grundlagen des Bundesrechts noch nie gewagt worden. Der Anwalt der deutſchen Trias ging der kaum geſchaffenen neuen Verfaſſung Deutſchlands ebenſo feindſelig zu Leibe wie einſt Hippolithus a Lapide dem altersſchwachen heiligen Reiche. Von dem Gedankenreichthum, von dem hinreißenden rhetoriſchen Ungeſtüm jenes leidenſchaftlichen Vor- kämpfers der ſchwediſch-franzöſiſchen Partei beſaß der gewandte Epigone freilich gar nichts; aber in der Willkür ſeiner Geſchichtsconſtruktionen, in der Gewiſſenloſigkeit ſeiner Staatsräſon that er es dem alten Publiciſten gleich. Der ganze ekle Bodenſatz der Fremdherrſchaft trat in dem „Manu- ſcripte“ wieder zu Tage; Alles darin war bonapartiſtiſch, der Grundge- danke der troisième Allemagne ſo gut wie die demokratiſchen Schlag- worte, die Ausfälle auf die Hanſeſtädte und der Vorſchlag, Preußen in den Oſten zu ſchieben. Faſt mit den nämlichen Worten hatte Dalberg einſt den Rheinbund verherrlicht, und anders als durch Frankreichs Hilfe konnte offenbar auch dieſer neue Bund des reinen Deutſchlands niemals ins Leben treten.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/72>, abgerufen am 25.11.2024.