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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Chamisso.
wenn er jetzt, der Heimath froh, in seinem bescheidenen Hause am ein-
samen äußersten Ende der Großen Friedrichsstraße oder draußen unter
den alten Bäumen des Botanischen Gartens saß und in den Wolken
der nie verlöschenden Tabakspfeife die Gestalten seiner Dichtung ihn um-
schwebten. Ohne jede Absicht trug er eine Erinnerung aus seinen Wan-
derfahrten, ein häusliches Erlebniß, ein bedeutsames Wort, eine Zeitungs-
anekdote lange im Herzen umher, und was ihn selber "im Leibe von
der Seite der linken Pfote bewegte" -- so sagt er selbst mit unverkennbar
französischer Redewendung -- das drängte sich ihm endlich auf die Lippen.
Aber so naiv er im Empfangen war, so bewußt und künstlerisch verfuhr
er beim Gestalten. Seiner französischen Abstammung verdankte er den
Sinn für packende Wirkung, seine neckische Laune und die glückliche Be-
stimmtheit seiner immer knappen, wohlabgerundeten Schilderungen, die zu
Rückert's breiter Wortfülle in scharfem Gegensatze standen. In seiner
Empfindung war er ganz deutsch, so mild und liebevoll, daß er sogar
den Bauern, die über das frevelhaft zerstörte Schloß seiner Väter ihren
Pflug führten, seinen Segen zurufen konnte.

Und wunderbar, dieser Fremdling, der im Gespräche den Fran-
zosen nie verleugnete, beherrschte in seinen Gedichten das Deutsche als
ein Meister und verdankte einen guten Theil seiner Erfolge der geheim-
nißvollen Macht seiner gedrungenen Sprache. Auch der kräftige Erdge-
ruch landschaftlicher Eigenart, der allen unseren bedeutenden Schriftstellern
anhaftet, war seinen Gedichten nicht fremd. Wie er in seiner Jugend
sich den Nordstern zum Sinnbild gewählt hatte, so ward er im Alter
ein Liebling der Norddeutschen, weil er die wortkarge Weise ihrer starken
Empfindung zu treffen wußte; sogar ein Zug des guten alten Berliner-
thumes, das selber so reich mit französischer Bildung versetzt war, ließ
sich in seinen Gedichten erkennen. Von der Romantik ausgegangen suchte
er sich seine Stoffe an allen Enden der Welt und besang bald in schlich-
ten, tief empfundenen Liedern das Allereinfachste, der Frauen Liebe und
Leben, bald in kunstvollen Terzinen die Blutrache der Rothhäute und
die Meereseinsamkeit der Südseeinseln. Seine schönsten Gedichte gehörten
dem modernen Leben an, das immer gebieterischer sein Recht von der
Kunst verlangte, und wenn das Gewoge der Parteiung die Grundlagen
der Gesittung bedrohte, dann schrak Chamisso's friedfertige Natur auch
vor einem scharfen Kampfgedichte nicht zurück. Als die Jesuiten in Paris
wieder ihr Haupt erhoben, sang er, seinen Beranger noch übertreffend,
das Nachtwächterlied "und der König absolut, wenn er unsern Willen
thut!" Auch das Elend der Massen hörte er schon an das Thor der
alten Gesellschaft klopfen und schilderte die Noth der kleinen Leute in dem
furchtbar bitteren Gedichte vom Hunde des Bettlers, wie späterhin milder
in den Liedern von der alten Waschfrau.

Alle diese Dichter lebten mit sich selbst im Reinen, glücklich in dem

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Chamiſſo.
wenn er jetzt, der Heimath froh, in ſeinem beſcheidenen Hauſe am ein-
ſamen äußerſten Ende der Großen Friedrichsſtraße oder draußen unter
den alten Bäumen des Botaniſchen Gartens ſaß und in den Wolken
der nie verlöſchenden Tabakspfeife die Geſtalten ſeiner Dichtung ihn um-
ſchwebten. Ohne jede Abſicht trug er eine Erinnerung aus ſeinen Wan-
derfahrten, ein häusliches Erlebniß, ein bedeutſames Wort, eine Zeitungs-
anekdote lange im Herzen umher, und was ihn ſelber „im Leibe von
der Seite der linken Pfote bewegte“ — ſo ſagt er ſelbſt mit unverkennbar
franzöſiſcher Redewendung — das drängte ſich ihm endlich auf die Lippen.
Aber ſo naiv er im Empfangen war, ſo bewußt und künſtleriſch verfuhr
er beim Geſtalten. Seiner franzöſiſchen Abſtammung verdankte er den
Sinn für packende Wirkung, ſeine neckiſche Laune und die glückliche Be-
ſtimmtheit ſeiner immer knappen, wohlabgerundeten Schilderungen, die zu
Rückert’s breiter Wortfülle in ſcharfem Gegenſatze ſtanden. In ſeiner
Empfindung war er ganz deutſch, ſo mild und liebevoll, daß er ſogar
den Bauern, die über das frevelhaft zerſtörte Schloß ſeiner Väter ihren
Pflug führten, ſeinen Segen zurufen konnte.

Und wunderbar, dieſer Fremdling, der im Geſpräche den Fran-
zoſen nie verleugnete, beherrſchte in ſeinen Gedichten das Deutſche als
ein Meiſter und verdankte einen guten Theil ſeiner Erfolge der geheim-
nißvollen Macht ſeiner gedrungenen Sprache. Auch der kräftige Erdge-
ruch landſchaftlicher Eigenart, der allen unſeren bedeutenden Schriftſtellern
anhaftet, war ſeinen Gedichten nicht fremd. Wie er in ſeiner Jugend
ſich den Nordſtern zum Sinnbild gewählt hatte, ſo ward er im Alter
ein Liebling der Norddeutſchen, weil er die wortkarge Weiſe ihrer ſtarken
Empfindung zu treffen wußte; ſogar ein Zug des guten alten Berliner-
thumes, das ſelber ſo reich mit franzöſiſcher Bildung verſetzt war, ließ
ſich in ſeinen Gedichten erkennen. Von der Romantik ausgegangen ſuchte
er ſich ſeine Stoffe an allen Enden der Welt und beſang bald in ſchlich-
ten, tief empfundenen Liedern das Allereinfachſte, der Frauen Liebe und
Leben, bald in kunſtvollen Terzinen die Blutrache der Rothhäute und
die Meereseinſamkeit der Südſeeinſeln. Seine ſchönſten Gedichte gehörten
dem modernen Leben an, das immer gebieteriſcher ſein Recht von der
Kunſt verlangte, und wenn das Gewoge der Parteiung die Grundlagen
der Geſittung bedrohte, dann ſchrak Chamiſſo’s friedfertige Natur auch
vor einem ſcharfen Kampfgedichte nicht zurück. Als die Jeſuiten in Paris
wieder ihr Haupt erhoben, ſang er, ſeinen Beranger noch übertreffend,
das Nachtwächterlied „und der König abſolut, wenn er unſern Willen
thut!“ Auch das Elend der Maſſen hörte er ſchon an das Thor der
alten Geſellſchaft klopfen und ſchilderte die Noth der kleinen Leute in dem
furchtbar bitteren Gedichte vom Hunde des Bettlers, wie ſpäterhin milder
in den Liedern von der alten Waſchfrau.

Alle dieſe Dichter lebten mit ſich ſelbſt im Reinen, glücklich in dem

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[691/0707] Chamiſſo. wenn er jetzt, der Heimath froh, in ſeinem beſcheidenen Hauſe am ein- ſamen äußerſten Ende der Großen Friedrichsſtraße oder draußen unter den alten Bäumen des Botaniſchen Gartens ſaß und in den Wolken der nie verlöſchenden Tabakspfeife die Geſtalten ſeiner Dichtung ihn um- ſchwebten. Ohne jede Abſicht trug er eine Erinnerung aus ſeinen Wan- derfahrten, ein häusliches Erlebniß, ein bedeutſames Wort, eine Zeitungs- anekdote lange im Herzen umher, und was ihn ſelber „im Leibe von der Seite der linken Pfote bewegte“ — ſo ſagt er ſelbſt mit unverkennbar franzöſiſcher Redewendung — das drängte ſich ihm endlich auf die Lippen. Aber ſo naiv er im Empfangen war, ſo bewußt und künſtleriſch verfuhr er beim Geſtalten. Seiner franzöſiſchen Abſtammung verdankte er den Sinn für packende Wirkung, ſeine neckiſche Laune und die glückliche Be- ſtimmtheit ſeiner immer knappen, wohlabgerundeten Schilderungen, die zu Rückert’s breiter Wortfülle in ſcharfem Gegenſatze ſtanden. In ſeiner Empfindung war er ganz deutſch, ſo mild und liebevoll, daß er ſogar den Bauern, die über das frevelhaft zerſtörte Schloß ſeiner Väter ihren Pflug führten, ſeinen Segen zurufen konnte. Und wunderbar, dieſer Fremdling, der im Geſpräche den Fran- zoſen nie verleugnete, beherrſchte in ſeinen Gedichten das Deutſche als ein Meiſter und verdankte einen guten Theil ſeiner Erfolge der geheim- nißvollen Macht ſeiner gedrungenen Sprache. Auch der kräftige Erdge- ruch landſchaftlicher Eigenart, der allen unſeren bedeutenden Schriftſtellern anhaftet, war ſeinen Gedichten nicht fremd. Wie er in ſeiner Jugend ſich den Nordſtern zum Sinnbild gewählt hatte, ſo ward er im Alter ein Liebling der Norddeutſchen, weil er die wortkarge Weiſe ihrer ſtarken Empfindung zu treffen wußte; ſogar ein Zug des guten alten Berliner- thumes, das ſelber ſo reich mit franzöſiſcher Bildung verſetzt war, ließ ſich in ſeinen Gedichten erkennen. Von der Romantik ausgegangen ſuchte er ſich ſeine Stoffe an allen Enden der Welt und beſang bald in ſchlich- ten, tief empfundenen Liedern das Allereinfachſte, der Frauen Liebe und Leben, bald in kunſtvollen Terzinen die Blutrache der Rothhäute und die Meereseinſamkeit der Südſeeinſeln. Seine ſchönſten Gedichte gehörten dem modernen Leben an, das immer gebieteriſcher ſein Recht von der Kunſt verlangte, und wenn das Gewoge der Parteiung die Grundlagen der Geſittung bedrohte, dann ſchrak Chamiſſo’s friedfertige Natur auch vor einem ſcharfen Kampfgedichte nicht zurück. Als die Jeſuiten in Paris wieder ihr Haupt erhoben, ſang er, ſeinen Beranger noch übertreffend, das Nachtwächterlied „und der König abſolut, wenn er unſern Willen thut!“ Auch das Elend der Maſſen hörte er ſchon an das Thor der alten Geſellſchaft klopfen und ſchilderte die Noth der kleinen Leute in dem furchtbar bitteren Gedichte vom Hunde des Bettlers, wie ſpäterhin milder in den Liedern von der alten Waſchfrau. Alle dieſe Dichter lebten mit ſich ſelbſt im Reinen, glücklich in dem 44*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/707>, abgerufen am 25.11.2024.