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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit.
seine Oestlichen Rosen heraus. Dieser Liederstrauß und die zahlreichen
Nachbildungen indischer, persischer, arabischer Gedichte, welche der Uner-
müdliche folgen ließ, machten unsere gebildete Welt mit dem Leben des
Ostens vertraut, und jeder junge Lyriker meinte sich fortan verpflichtet,
zuweilen einmal in einem Ghasel die flötende Bülbül zu besingen. Die
deutsche Sprache hatte jetzt das Ziel erreicht, das ihr einst die Uebersetzungs-
künstler der Romantik gewiesen hatten, sie war zur poetischen Weltsprache
geworden; selbst die ungeheuerlichen Wort- und Buchstabenspiele der Ma-
kamen des Hariri wußte der kunstfertige Nachdichter zu überwinden. Der
dauernde Gewinn aus diesen morgenländischen Weltfahrten blieb freilich
sehr weit zurück hinter jenem Schatze lebendiger Formen und Stoffe, welchen
die älteren Romantiker einst aus der Dichtung der blutsverwandten Eng-
länder und Romanen heimgebracht hatten. In das Traumleben des
Ostens konnte sich der thatkräftige Weltsinn der Germanen doch nur mit
gewaltsamer Anstrengung versenken, und der künstliche Parallelismus des
orientalischen Versbaues mit seinen eintönigen Wiederholungen wider-
sprach geradezu der leidenschaftlichen Natur unserer Sprache, die überall
nach einem kräftigen Abschluß verlangt. Reine Freude vermochten die
west-östlichen Dichter nur dann zu erwecken, wenn sie, wie Goethe im
Divan, die orientalische Form lediglich als eine leichte Hülle zur Umkleidung
deutscher Gefühle brauchten. Rückert selbst kehrte aus dem Rosenhain
von Schiras immer wieder zu seinen fränkischen Blumenbeeten, von Fa-
time und Suleika zur Agnes und Anne Marie zurück; und wie er vor-
mals den Krieg gegen Napoleon mit seinen geharnischten Sonetten be-
gleitet hatte, so warf er auch späterhin noch manches Zeitgedicht in die
Kämpfe des Tages -- auch er ein Herold von Kaiser und Reich und
ein bürgerlicher Protestant, der den Idealen des Befreiungskrieges sich
niemals entfremdete.

Schwerer, langsamer reifte Adelbert von Chamisso zum Dichter heran,
weil er zuvor erst ein Deutscher werden mußte. Als er im Sommer 1813
das schelmische Märchen von Peter Schlemihl schrieb, folgte er unbefangen
einer heiteren Eingebung seiner Phantasie, und hegte nicht die Absicht,
in dem Bilde seines tragikomischen Helden sich selber, den vaterlandslosen
Emigrantensohn darzustellen. Gleichwohl fühlte er sich während des deutsch-
französischen Krieges wirklich noch so rathlos wie der Mann ohne Schatten;
erst fünf Jahre später, da er von seiner Weltumsegelung heimkehrte,
waren die Zweifel ganz überwunden, und er wußte, daß sein Staub nur
in deutscher Erde ruhen dürfe. Als er dann eine heißgeliebte deutsche Frau
heimgeführt und unter den Berliner Naturforschern eine geachtete Stellung
gefunden hatte, da erblühte ihm auf der Höhe der Mannesjahre noch
eine zweite schönere Jugend, und er bewies noch deutlicher als die vielen
tüchtigen Männer der hugenottischen Kolonie, was aus dem edlen fran-
zösischen Blute in deutscher Umgebung werden kann. Selige Stunden,

III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.
ſeine Oeſtlichen Roſen heraus. Dieſer Liederſtrauß und die zahlreichen
Nachbildungen indiſcher, perſiſcher, arabiſcher Gedichte, welche der Uner-
müdliche folgen ließ, machten unſere gebildete Welt mit dem Leben des
Oſtens vertraut, und jeder junge Lyriker meinte ſich fortan verpflichtet,
zuweilen einmal in einem Ghaſel die flötende Bülbül zu beſingen. Die
deutſche Sprache hatte jetzt das Ziel erreicht, das ihr einſt die Ueberſetzungs-
künſtler der Romantik gewieſen hatten, ſie war zur poetiſchen Weltſprache
geworden; ſelbſt die ungeheuerlichen Wort- und Buchſtabenſpiele der Ma-
kamen des Hariri wußte der kunſtfertige Nachdichter zu überwinden. Der
dauernde Gewinn aus dieſen morgenländiſchen Weltfahrten blieb freilich
ſehr weit zurück hinter jenem Schatze lebendiger Formen und Stoffe, welchen
die älteren Romantiker einſt aus der Dichtung der blutsverwandten Eng-
länder und Romanen heimgebracht hatten. In das Traumleben des
Oſtens konnte ſich der thatkräftige Weltſinn der Germanen doch nur mit
gewaltſamer Anſtrengung verſenken, und der künſtliche Parallelismus des
orientaliſchen Versbaues mit ſeinen eintönigen Wiederholungen wider-
ſprach geradezu der leidenſchaftlichen Natur unſerer Sprache, die überall
nach einem kräftigen Abſchluß verlangt. Reine Freude vermochten die
weſt-öſtlichen Dichter nur dann zu erwecken, wenn ſie, wie Goethe im
Divan, die orientaliſche Form lediglich als eine leichte Hülle zur Umkleidung
deutſcher Gefühle brauchten. Rückert ſelbſt kehrte aus dem Roſenhain
von Schiras immer wieder zu ſeinen fränkiſchen Blumenbeeten, von Fa-
time und Suleika zur Agnes und Anne Marie zurück; und wie er vor-
mals den Krieg gegen Napoleon mit ſeinen geharniſchten Sonetten be-
gleitet hatte, ſo warf er auch ſpäterhin noch manches Zeitgedicht in die
Kämpfe des Tages — auch er ein Herold von Kaiſer und Reich und
ein bürgerlicher Proteſtant, der den Idealen des Befreiungskrieges ſich
niemals entfremdete.

Schwerer, langſamer reifte Adelbert von Chamiſſo zum Dichter heran,
weil er zuvor erſt ein Deutſcher werden mußte. Als er im Sommer 1813
das ſchelmiſche Märchen von Peter Schlemihl ſchrieb, folgte er unbefangen
einer heiteren Eingebung ſeiner Phantaſie, und hegte nicht die Abſicht,
in dem Bilde ſeines tragikomiſchen Helden ſich ſelber, den vaterlandsloſen
Emigrantenſohn darzuſtellen. Gleichwohl fühlte er ſich während des deutſch-
franzöſiſchen Krieges wirklich noch ſo rathlos wie der Mann ohne Schatten;
erſt fünf Jahre ſpäter, da er von ſeiner Weltumſegelung heimkehrte,
waren die Zweifel ganz überwunden, und er wußte, daß ſein Staub nur
in deutſcher Erde ruhen dürfe. Als er dann eine heißgeliebte deutſche Frau
heimgeführt und unter den Berliner Naturforſchern eine geachtete Stellung
gefunden hatte, da erblühte ihm auf der Höhe der Mannesjahre noch
eine zweite ſchönere Jugend, und er bewies noch deutlicher als die vielen
tüchtigen Männer der hugenottiſchen Kolonie, was aus dem edlen fran-
zöſiſchen Blute in deutſcher Umgebung werden kann. Selige Stunden,

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[690/0706] III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit. ſeine Oeſtlichen Roſen heraus. Dieſer Liederſtrauß und die zahlreichen Nachbildungen indiſcher, perſiſcher, arabiſcher Gedichte, welche der Uner- müdliche folgen ließ, machten unſere gebildete Welt mit dem Leben des Oſtens vertraut, und jeder junge Lyriker meinte ſich fortan verpflichtet, zuweilen einmal in einem Ghaſel die flötende Bülbül zu beſingen. Die deutſche Sprache hatte jetzt das Ziel erreicht, das ihr einſt die Ueberſetzungs- künſtler der Romantik gewieſen hatten, ſie war zur poetiſchen Weltſprache geworden; ſelbſt die ungeheuerlichen Wort- und Buchſtabenſpiele der Ma- kamen des Hariri wußte der kunſtfertige Nachdichter zu überwinden. Der dauernde Gewinn aus dieſen morgenländiſchen Weltfahrten blieb freilich ſehr weit zurück hinter jenem Schatze lebendiger Formen und Stoffe, welchen die älteren Romantiker einſt aus der Dichtung der blutsverwandten Eng- länder und Romanen heimgebracht hatten. In das Traumleben des Oſtens konnte ſich der thatkräftige Weltſinn der Germanen doch nur mit gewaltſamer Anſtrengung verſenken, und der künſtliche Parallelismus des orientaliſchen Versbaues mit ſeinen eintönigen Wiederholungen wider- ſprach geradezu der leidenſchaftlichen Natur unſerer Sprache, die überall nach einem kräftigen Abſchluß verlangt. Reine Freude vermochten die weſt-öſtlichen Dichter nur dann zu erwecken, wenn ſie, wie Goethe im Divan, die orientaliſche Form lediglich als eine leichte Hülle zur Umkleidung deutſcher Gefühle brauchten. Rückert ſelbſt kehrte aus dem Roſenhain von Schiras immer wieder zu ſeinen fränkiſchen Blumenbeeten, von Fa- time und Suleika zur Agnes und Anne Marie zurück; und wie er vor- mals den Krieg gegen Napoleon mit ſeinen geharniſchten Sonetten be- gleitet hatte, ſo warf er auch ſpäterhin noch manches Zeitgedicht in die Kämpfe des Tages — auch er ein Herold von Kaiſer und Reich und ein bürgerlicher Proteſtant, der den Idealen des Befreiungskrieges ſich niemals entfremdete. Schwerer, langſamer reifte Adelbert von Chamiſſo zum Dichter heran, weil er zuvor erſt ein Deutſcher werden mußte. Als er im Sommer 1813 das ſchelmiſche Märchen von Peter Schlemihl ſchrieb, folgte er unbefangen einer heiteren Eingebung ſeiner Phantaſie, und hegte nicht die Abſicht, in dem Bilde ſeines tragikomiſchen Helden ſich ſelber, den vaterlandsloſen Emigrantenſohn darzuſtellen. Gleichwohl fühlte er ſich während des deutſch- franzöſiſchen Krieges wirklich noch ſo rathlos wie der Mann ohne Schatten; erſt fünf Jahre ſpäter, da er von ſeiner Weltumſegelung heimkehrte, waren die Zweifel ganz überwunden, und er wußte, daß ſein Staub nur in deutſcher Erde ruhen dürfe. Als er dann eine heißgeliebte deutſche Frau heimgeführt und unter den Berliner Naturforſchern eine geachtete Stellung gefunden hatte, da erblühte ihm auf der Höhe der Mannesjahre noch eine zweite ſchönere Jugend, und er bewies noch deutlicher als die vielen tüchtigen Männer der hugenottiſchen Kolonie, was aus dem edlen fran- zöſiſchen Blute in deutſcher Umgebung werden kann. Selige Stunden,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 690. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/706>, abgerufen am 25.11.2024.