der arbeitsamste Mann des Zeitalters allgemein für einen bequemen, selbstischen Epikureer -- ein Märchen, das in den Kreisen der Halb- bildung noch durch Jahrzehnte lebendig blieb; wer sich zeitgemäßen Freisinns rühmen wollte, mußte den Aristokraten Goethe geringschätzen. Für diese Entfremdung der Jugend bot es keinen Ersatz, daß die Höchst- gebildeten und die Frauen in ihrer Dankbarkeit nicht irr wurden, und manche ästhetische Kreise den Cultus des Dichters wie einen Geheimdienst betrieben. Die Berliner Goethe-Gemeinde gewann jetzt an Hegel einen mächtigen Bundesgenossen; in der Verehrung des absoluten Philosophen und des absoluten Dichters genoß der Hegelianer strenger Observanz seine eigene Ueberlegenheit, und zum Glück fielen die Geburtstage der beiden Heroen im Kalender dicht hinter einander. Da saßen denn am Abend des 27. August die Eingeweihten beim Festmahl und gedachten ernst des nächtlichen Fluges der Eule der Minerva; sobald aber die Mitternachtsstunde ausgeschlagen hatte erhob sich ein Redner um fröhlich anzukündigen, daß jetzt Apoll der Gott der Lieder auf seinem Sonnen- wagen den heiteren Tag des 28. heraufführe.
Nicht ohne Bitterkeit bemerkte Goethe, wie die Mittelmäßigkeit, die Philisterei und die rohe Tendenz sich abermals, und mächtiger als zu Kotzebue's Zeiten, gegen ihn aufbäumten. Er tadelte in scharfen Epi- grammen die unglückliche Neigung der Deutschen, sich selber die Freude am Schönen und Großen zu verderben, und seufzte zuweilen "ein deutscher Schriftsteller, ein deutscher Märtyrer" -- denn jene stoische Unempfind- lichkeit, wovon die Sittenprediger fabeln, ist dem Schaffenden, der doch für Andere schafft, unmöglich. Aber lange konnte seine fröhliche Lebens- kraft sich dem Aerger nicht hingeben; mit einigen Kernflüchen schüttelte er sich die Kläffer von den Fersen: "hat doch der Walfisch seine Laus, muß ich auch meine haben." Den Namen des Meisters wies er ab, nur der Befreier der deutschen Dichtung wollte er heißen, und ebendes- halb hatte er seine Freude an den Kritikern des Globe, weil sie ihn als den Ueberwinder des falschen Regelzwanges anerkannten. Mochten sie ihn dann immerhin nach französischem Sprachgebrauch einen Romantiker nennen -- "was will all der Lärm über classisch und romantisch! Es kommt darauf an, daß ein Werk durch und durch gut und tüchtig sei, und es wird auch wohl classisch sein". Als vierundsiebzigjähriger Greis ward er noch einmal von einer mächtigen Leidenschaft ergriffen. Er über- wand sich und fand wie immer Trost im Liede. In der Trilogie der Leidenschaft nahm er Abschied von dem Glück und Leid der Liebe, das kein anderer Dichter je so tief empfunden. Durch die Liebeslieder seiner Jugend war er einst der Liebling aller Weiberherzen geworden; die ge- heimnißvolle Gluth dieses Scheidegedichts konnte nur der leiderfahrene, gedankenreiche Mann ganz verstehen. Noch einmal beschwor er die viel- beweinten Schatten aus seinen seligen Wetzlarer Tagen wieder herauf
III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.
der arbeitſamſte Mann des Zeitalters allgemein für einen bequemen, ſelbſtiſchen Epikureer — ein Märchen, das in den Kreiſen der Halb- bildung noch durch Jahrzehnte lebendig blieb; wer ſich zeitgemäßen Freiſinns rühmen wollte, mußte den Ariſtokraten Goethe geringſchätzen. Für dieſe Entfremdung der Jugend bot es keinen Erſatz, daß die Höchſt- gebildeten und die Frauen in ihrer Dankbarkeit nicht irr wurden, und manche äſthetiſche Kreiſe den Cultus des Dichters wie einen Geheimdienſt betrieben. Die Berliner Goethe-Gemeinde gewann jetzt an Hegel einen mächtigen Bundesgenoſſen; in der Verehrung des abſoluten Philoſophen und des abſoluten Dichters genoß der Hegelianer ſtrenger Obſervanz ſeine eigene Ueberlegenheit, und zum Glück fielen die Geburtstage der beiden Heroen im Kalender dicht hinter einander. Da ſaßen denn am Abend des 27. Auguſt die Eingeweihten beim Feſtmahl und gedachten ernſt des nächtlichen Fluges der Eule der Minerva; ſobald aber die Mitternachtsſtunde ausgeſchlagen hatte erhob ſich ein Redner um fröhlich anzukündigen, daß jetzt Apoll der Gott der Lieder auf ſeinem Sonnen- wagen den heiteren Tag des 28. heraufführe.
Nicht ohne Bitterkeit bemerkte Goethe, wie die Mittelmäßigkeit, die Philiſterei und die rohe Tendenz ſich abermals, und mächtiger als zu Kotzebue’s Zeiten, gegen ihn aufbäumten. Er tadelte in ſcharfen Epi- grammen die unglückliche Neigung der Deutſchen, ſich ſelber die Freude am Schönen und Großen zu verderben, und ſeufzte zuweilen „ein deutſcher Schriftſteller, ein deutſcher Märtyrer“ — denn jene ſtoiſche Unempfind- lichkeit, wovon die Sittenprediger fabeln, iſt dem Schaffenden, der doch für Andere ſchafft, unmöglich. Aber lange konnte ſeine fröhliche Lebens- kraft ſich dem Aerger nicht hingeben; mit einigen Kernflüchen ſchüttelte er ſich die Kläffer von den Ferſen: „hat doch der Walfiſch ſeine Laus, muß ich auch meine haben.“ Den Namen des Meiſters wies er ab, nur der Befreier der deutſchen Dichtung wollte er heißen, und ebendes- halb hatte er ſeine Freude an den Kritikern des Globe, weil ſie ihn als den Ueberwinder des falſchen Regelzwanges anerkannten. Mochten ſie ihn dann immerhin nach franzöſiſchem Sprachgebrauch einen Romantiker nennen — „was will all der Lärm über claſſiſch und romantiſch! Es kommt darauf an, daß ein Werk durch und durch gut und tüchtig ſei, und es wird auch wohl claſſiſch ſein“. Als vierundſiebzigjähriger Greis ward er noch einmal von einer mächtigen Leidenſchaft ergriffen. Er über- wand ſich und fand wie immer Troſt im Liede. In der Trilogie der Leidenſchaft nahm er Abſchied von dem Glück und Leid der Liebe, das kein anderer Dichter je ſo tief empfunden. Durch die Liebeslieder ſeiner Jugend war er einſt der Liebling aller Weiberherzen geworden; die ge- heimnißvolle Gluth dieſes Scheidegedichts konnte nur der leiderfahrene, gedankenreiche Mann ganz verſtehen. Noch einmal beſchwor er die viel- beweinten Schatten aus ſeinen ſeligen Wetzlarer Tagen wieder herauf
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III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.
der arbeitſamſte Mann des Zeitalters allgemein für einen bequemen,
ſelbſtiſchen Epikureer — ein Märchen, das in den Kreiſen der Halb-
bildung noch durch Jahrzehnte lebendig blieb; wer ſich zeitgemäßen
Freiſinns rühmen wollte, mußte den Ariſtokraten Goethe geringſchätzen.
Für dieſe Entfremdung der Jugend bot es keinen Erſatz, daß die Höchſt-
gebildeten und die Frauen in ihrer Dankbarkeit nicht irr wurden, und
manche äſthetiſche Kreiſe den Cultus des Dichters wie einen Geheimdienſt
betrieben. Die Berliner Goethe-Gemeinde gewann jetzt an Hegel einen
mächtigen Bundesgenoſſen; in der Verehrung des abſoluten Philoſophen
und des abſoluten Dichters genoß der Hegelianer ſtrenger Obſervanz
ſeine eigene Ueberlegenheit, und zum Glück fielen die Geburtstage der
beiden Heroen im Kalender dicht hinter einander. Da ſaßen denn am
Abend des 27. Auguſt die Eingeweihten beim Feſtmahl und gedachten
ernſt des nächtlichen Fluges der Eule der Minerva; ſobald aber die
Mitternachtsſtunde ausgeſchlagen hatte erhob ſich ein Redner um fröhlich
anzukündigen, daß jetzt Apoll der Gott der Lieder auf ſeinem Sonnen-
wagen den heiteren Tag des 28. heraufführe.
Nicht ohne Bitterkeit bemerkte Goethe, wie die Mittelmäßigkeit, die
Philiſterei und die rohe Tendenz ſich abermals, und mächtiger als zu
Kotzebue’s Zeiten, gegen ihn aufbäumten. Er tadelte in ſcharfen Epi-
grammen die unglückliche Neigung der Deutſchen, ſich ſelber die Freude
am Schönen und Großen zu verderben, und ſeufzte zuweilen „ein deutſcher
Schriftſteller, ein deutſcher Märtyrer“ — denn jene ſtoiſche Unempfind-
lichkeit, wovon die Sittenprediger fabeln, iſt dem Schaffenden, der doch
für Andere ſchafft, unmöglich. Aber lange konnte ſeine fröhliche Lebens-
kraft ſich dem Aerger nicht hingeben; mit einigen Kernflüchen ſchüttelte
er ſich die Kläffer von den Ferſen: „hat doch der Walfiſch ſeine Laus,
muß ich auch meine haben.“ Den Namen des Meiſters wies er ab,
nur der Befreier der deutſchen Dichtung wollte er heißen, und ebendes-
halb hatte er ſeine Freude an den Kritikern des Globe, weil ſie ihn als
den Ueberwinder des falſchen Regelzwanges anerkannten. Mochten ſie ihn
dann immerhin nach franzöſiſchem Sprachgebrauch einen Romantiker
nennen — „was will all der Lärm über claſſiſch und romantiſch! Es
kommt darauf an, daß ein Werk durch und durch gut und tüchtig ſei,
und es wird auch wohl claſſiſch ſein“. Als vierundſiebzigjähriger Greis
ward er noch einmal von einer mächtigen Leidenſchaft ergriffen. Er über-
wand ſich und fand wie immer Troſt im Liede. In der Trilogie der
Leidenſchaft nahm er Abſchied von dem Glück und Leid der Liebe, das
kein anderer Dichter je ſo tief empfunden. Durch die Liebeslieder ſeiner
Jugend war er einſt der Liebling aller Weiberherzen geworden; die ge-
heimnißvolle Gluth dieſes Scheidegedichts konnte nur der leiderfahrene,
gedankenreiche Mann ganz verſtehen. Noch einmal beſchwor er die viel-
beweinten Schatten aus ſeinen ſeligen Wetzlarer Tagen wieder herauf
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 686. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/702>, abgerufen am 25.11.2024.
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