einen Sonderbund der Küstenstaaten. In lehrhafter Denkschrift bewies Smidt von Bremen, daß die Vereinsstaaten theils in horizontaler, theils in verticaler Richtung zu den großen deutschen Handelsstraßen lägen; sie möchten also zwei oder drei Gruppen bilden. Die freie Stadt Bremen, versteht sich, müsse unabhängig bleiben, denn sie "qualificirt sich von selbst als eine Ausnahme von der Regel des Handelsvereins." Indeß begann dem gewiegten Handelspolitiker doch unheimlich zu werden; er rieth drin- gend zu Verhandlungen mit den beiden anderen Zollvereinen.
Unverhohlen sprach sich die ängstliche Unlust der thüringischen Staaten aus. Reuß beantragte sofort Verhandlungen mit Preußen zu eröffnen; Meiningen und Gotha drohten, ihres eigenen Weges zu gehen, wenn der Verein nicht mit Preußen sich verständige. Geschäftig trugen die Bevollmächtigten der kleinen Thüringer dem preußischen Gesandten Hänlein die Geheimnisse des Vereins zu. Doch die größeren Staaten Hannover, Sachsen, Hessen, Weimar bleiben hartnäckig. Die rastlosen Treiber Carlowitz, Grote, Conta brachten endlich am 11. Octbr. 1829 einen neuen Bundesvertrag zu Stande. Die Verpflichtung, einseitig keinem auswär- tigen Zollvereine beizutreten, wurde verlängert bis zum Jahre 1841, weil der preußisch-bairische Vertrag bis zu diesem Jahre währte. Die Durch- fuhrzölle auf den großen das Ausland mit dem Auslande verbindenden Straßen sollten nur nach gemeinsamer Verabredung verändert werden. Es lag auf der Hand, daß dieser Artikel allein bestimmt war, den Verkehr zwischen Preußen und Baiern zu erschweren, die Wiederholung der Go- thaer und Meininger Vorgänge zu verhindern. Preußen versuchte auch sofort den Beschluß zu hintertreiben. Eichhorn schrieb an Bülow in London: "von der kurhessischen Regierung ist man schon lange gewohnt, daß sie das Verkehrte thut und keine Verhältnisse achtet;" unbegreiflich aber sei Hannovers Verhalten; der Gesandte solle daher in London nach- drückliche Beschwerden erheben.*) Trotzdem ging der Beschluß durch, und nach dieser unzweideutigen Feindseligkeit bestimmte man in Cassel noch, daß Sachsen, Hannover und Kurhessen im Namen des Vereines Ver- handlungen mit Preußen eröffnen sollten -- jenes Kurhessen, das sich in den gröbsten Beleidigungen gegen den Berliner Hof erging!
Im Uebrigen blieb auch dieser zweite Vertrag nahezu inhaltlos; keine irgend erhebliche Verkehrserleichterung war vereinbart. Daher erhob sich sofort nach dem Abschlusse des Vertrags überall heftiger Widerstand. Die Ratification konnte erst im April 1830 erfolgen. Meiningen und Gotha versagten ihre Zustimmung. Die reußischen Länder folgten am 9. Dec. 1829 dem Beispiel ihrer Nachbarn, sie vereinbarten mit Preußen Han- delserleichterungen und Straßenbauten und versprachen dem preußischen oder dem bairischen Vereine beizutreten, sobald sie ihrer Pflichten gegen
*) Eichhorn an Bülow, 18. Sept. 1829.
Neuer Congreß in Kaſſel.
einen Sonderbund der Küſtenſtaaten. In lehrhafter Denkſchrift bewies Smidt von Bremen, daß die Vereinsſtaaten theils in horizontaler, theils in verticaler Richtung zu den großen deutſchen Handelsſtraßen lägen; ſie möchten alſo zwei oder drei Gruppen bilden. Die freie Stadt Bremen, verſteht ſich, müſſe unabhängig bleiben, denn ſie „qualificirt ſich von ſelbſt als eine Ausnahme von der Regel des Handelsvereins.“ Indeß begann dem gewiegten Handelspolitiker doch unheimlich zu werden; er rieth drin- gend zu Verhandlungen mit den beiden anderen Zollvereinen.
Unverhohlen ſprach ſich die ängſtliche Unluſt der thüringiſchen Staaten aus. Reuß beantragte ſofort Verhandlungen mit Preußen zu eröffnen; Meiningen und Gotha drohten, ihres eigenen Weges zu gehen, wenn der Verein nicht mit Preußen ſich verſtändige. Geſchäftig trugen die Bevollmächtigten der kleinen Thüringer dem preußiſchen Geſandten Hänlein die Geheimniſſe des Vereins zu. Doch die größeren Staaten Hannover, Sachſen, Heſſen, Weimar bleiben hartnäckig. Die raſtloſen Treiber Carlowitz, Grote, Conta brachten endlich am 11. Octbr. 1829 einen neuen Bundesvertrag zu Stande. Die Verpflichtung, einſeitig keinem auswär- tigen Zollvereine beizutreten, wurde verlängert bis zum Jahre 1841, weil der preußiſch-bairiſche Vertrag bis zu dieſem Jahre währte. Die Durch- fuhrzölle auf den großen das Ausland mit dem Auslande verbindenden Straßen ſollten nur nach gemeinſamer Verabredung verändert werden. Es lag auf der Hand, daß dieſer Artikel allein beſtimmt war, den Verkehr zwiſchen Preußen und Baiern zu erſchweren, die Wiederholung der Go- thaer und Meininger Vorgänge zu verhindern. Preußen verſuchte auch ſofort den Beſchluß zu hintertreiben. Eichhorn ſchrieb an Bülow in London: „von der kurheſſiſchen Regierung iſt man ſchon lange gewohnt, daß ſie das Verkehrte thut und keine Verhältniſſe achtet;“ unbegreiflich aber ſei Hannovers Verhalten; der Geſandte ſolle daher in London nach- drückliche Beſchwerden erheben.*) Trotzdem ging der Beſchluß durch, und nach dieſer unzweideutigen Feindſeligkeit beſtimmte man in Caſſel noch, daß Sachſen, Hannover und Kurheſſen im Namen des Vereines Ver- handlungen mit Preußen eröffnen ſollten — jenes Kurheſſen, das ſich in den gröbſten Beleidigungen gegen den Berliner Hof erging!
Im Uebrigen blieb auch dieſer zweite Vertrag nahezu inhaltlos; keine irgend erhebliche Verkehrserleichterung war vereinbart. Daher erhob ſich ſofort nach dem Abſchluſſe des Vertrags überall heftiger Widerſtand. Die Ratification konnte erſt im April 1830 erfolgen. Meiningen und Gotha verſagten ihre Zuſtimmung. Die reußiſchen Länder folgten am 9. Dec. 1829 dem Beiſpiel ihrer Nachbarn, ſie vereinbarten mit Preußen Han- delserleichterungen und Straßenbauten und verſprachen dem preußiſchen oder dem bairiſchen Vereine beizutreten, ſobald ſie ihrer Pflichten gegen
*) Eichhorn an Bülow, 18. Sept. 1829.
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Neuer Congreß in Kaſſel.
einen Sonderbund der Küſtenſtaaten. In lehrhafter Denkſchrift bewies
Smidt von Bremen, daß die Vereinsſtaaten theils in horizontaler, theils
in verticaler Richtung zu den großen deutſchen Handelsſtraßen lägen; ſie
möchten alſo zwei oder drei Gruppen bilden. Die freie Stadt Bremen,
verſteht ſich, müſſe unabhängig bleiben, denn ſie „qualificirt ſich von ſelbſt
als eine Ausnahme von der Regel des Handelsvereins.“ Indeß begann
dem gewiegten Handelspolitiker doch unheimlich zu werden; er rieth drin-
gend zu Verhandlungen mit den beiden anderen Zollvereinen.
Unverhohlen ſprach ſich die ängſtliche Unluſt der thüringiſchen Staaten
aus. Reuß beantragte ſofort Verhandlungen mit Preußen zu eröffnen;
Meiningen und Gotha drohten, ihres eigenen Weges zu gehen, wenn
der Verein nicht mit Preußen ſich verſtändige. Geſchäftig trugen die
Bevollmächtigten der kleinen Thüringer dem preußiſchen Geſandten Hänlein
die Geheimniſſe des Vereins zu. Doch die größeren Staaten Hannover,
Sachſen, Heſſen, Weimar bleiben hartnäckig. Die raſtloſen Treiber
Carlowitz, Grote, Conta brachten endlich am 11. Octbr. 1829 einen neuen
Bundesvertrag zu Stande. Die Verpflichtung, einſeitig keinem auswär-
tigen Zollvereine beizutreten, wurde verlängert bis zum Jahre 1841, weil
der preußiſch-bairiſche Vertrag bis zu dieſem Jahre währte. Die Durch-
fuhrzölle auf den großen das Ausland mit dem Auslande verbindenden
Straßen ſollten nur nach gemeinſamer Verabredung verändert werden.
Es lag auf der Hand, daß dieſer Artikel allein beſtimmt war, den Verkehr
zwiſchen Preußen und Baiern zu erſchweren, die Wiederholung der Go-
thaer und Meininger Vorgänge zu verhindern. Preußen verſuchte auch
ſofort den Beſchluß zu hintertreiben. Eichhorn ſchrieb an Bülow in
London: „von der kurheſſiſchen Regierung iſt man ſchon lange gewohnt, daß
ſie das Verkehrte thut und keine Verhältniſſe achtet;“ unbegreiflich aber
ſei Hannovers Verhalten; der Geſandte ſolle daher in London nach-
drückliche Beſchwerden erheben. *) Trotzdem ging der Beſchluß durch, und
nach dieſer unzweideutigen Feindſeligkeit beſtimmte man in Caſſel noch,
daß Sachſen, Hannover und Kurheſſen im Namen des Vereines Ver-
handlungen mit Preußen eröffnen ſollten — jenes Kurheſſen, das ſich
in den gröbſten Beleidigungen gegen den Berliner Hof erging!
Im Uebrigen blieb auch dieſer zweite Vertrag nahezu inhaltlos;
keine irgend erhebliche Verkehrserleichterung war vereinbart. Daher erhob
ſich ſofort nach dem Abſchluſſe des Vertrags überall heftiger Widerſtand.
Die Ratification konnte erſt im April 1830 erfolgen. Meiningen und
Gotha verſagten ihre Zuſtimmung. Die reußiſchen Länder folgten am 9. Dec.
1829 dem Beiſpiel ihrer Nachbarn, ſie vereinbarten mit Preußen Han-
delserleichterungen und Straßenbauten und verſprachen dem preußiſchen
oder dem bairiſchen Vereine beizutreten, ſobald ſie ihrer Pflichten gegen
*) Eichhorn an Bülow, 18. Sept. 1829.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/693>, abgerufen am 25.11.2024.
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