wig sträubte sich lange, doch fing er an zu begreifen, daß dies der ein- zige Weg sei, um sich mit Anstand aus dem verlorenen Spiele zurückzu- ziehen. Gegen den Spätsommer 1828 begannen der Minister und sein königlicher Freund bereits die Frage zu erwägen, ob nicht eine Annähe- rung an den preußisch-hessischen Verein unvermeidlich sei. Daß die öffent- liche Meinung in Baiern dieser Annäherung entschieden widerstrebte, war für die Freunde eher ein Stachel als ein Hemmniß. Voll hochfliegender Begeisterung, empfänglich für alles Außerordentliche, liebten Beide die Welt durch unerwartete Entschlüsse zu überraschen. Um so schwerer fiel ihnen, die Demüthigung ihres Ehrgeizes, den Schiffbruch ihrer rein-deut- schen Pläne zu verwinden. Aber sie vermochten es über sich, das Opfer zu bringen. Unabweisbar drängten diese trocknen Geschäftsverhandlungen den näher Betheiligten die Einsicht auf, daß die Deutschen doch zu ein- ander gehörten, nur durch Mißtrauen, durch Unkenntniß und durch die Selbstsucht, die immer der schlimmste Feind des eigenen Vortheils ist, ein- ander verfeindet wurden.
Ganz unerwartet fand sich ein Helfer, der die beginnende Umstim- mung am Münchener Hofe zu fördern und für Deutschlands große Sache zu verwerthen verstand. Der Buchhändler Freiherr v. Cotta war als großer Geschäftsmann mit Personen und Zuständen des deutschen Nordens näher vertraut als das schwäbisch-bairische Beamtenthum, und blickte, wie er schon in dem württembergischen Verfassungskampfe bewiesen hatte, auch in der Handelssache über die landläufigen süddeutschen Vorurtheile weit hinaus. Unternehmend und beweglich, befreundet mit Nebenius und anderen namhaften Volkswirthen in allen Theilen Deutschlands, erkannte er längst, daß der süddeutsche Verkehr ohne Preußens freund- nachbarlichen Beistand niemals gesunden könne, und obgleich ihm viel daran lag, die Gunst Metternich's für seine Allgemeine Zeitung nicht zu verlieren, so faßte er doch den tapferen Entschluß als Vermittler auf- zutreten. Er besprach sich insgeheim mit Armansperg, reiste dann im September 1828 nach Berlin zu dem großen Naturforschertage, der also auch für unsere Politik bedeutsam werden sollte. Cotta wurde durch Hum- boldt bei Witzleben und Motz eingeführt, sprach dort den Gedanken aus, ob nicht eine Verständigung zwischen Baiern und Preußen möglich sei, und fand den günstigsten Empfang. Eine überraschende Verwandtschaft der Anschauungen stellte sich heraus. Motz bekannte, daß er sich längst mit ähnlichen Absichten getragen habe; im Grunde seien es ja doch nur Mißverständnisse, welche bisher zwischen den beiden Staaten gestanden. Cotta kehrte heim und schrieb am 20. Oktober aus München: er habe des Ministers "gnädige Eröffnungen" den Monarchen in München und Stutt- gart mitgetheilt; Beide seien von der Nothwendigkeit des Planes über- zeugt und hätten bereits die Einladung, dem Mitteldeutschen Vereine bei- zutreten, zurückgewiesen. Nunmehr zog Motz das Auswärtige Amt in
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
wig ſträubte ſich lange, doch fing er an zu begreifen, daß dies der ein- zige Weg ſei, um ſich mit Anſtand aus dem verlorenen Spiele zurückzu- ziehen. Gegen den Spätſommer 1828 begannen der Miniſter und ſein königlicher Freund bereits die Frage zu erwägen, ob nicht eine Annähe- rung an den preußiſch-heſſiſchen Verein unvermeidlich ſei. Daß die öffent- liche Meinung in Baiern dieſer Annäherung entſchieden widerſtrebte, war für die Freunde eher ein Stachel als ein Hemmniß. Voll hochfliegender Begeiſterung, empfänglich für alles Außerordentliche, liebten Beide die Welt durch unerwartete Entſchlüſſe zu überraſchen. Um ſo ſchwerer fiel ihnen, die Demüthigung ihres Ehrgeizes, den Schiffbruch ihrer rein-deut- ſchen Pläne zu verwinden. Aber ſie vermochten es über ſich, das Opfer zu bringen. Unabweisbar drängten dieſe trocknen Geſchäftsverhandlungen den näher Betheiligten die Einſicht auf, daß die Deutſchen doch zu ein- ander gehörten, nur durch Mißtrauen, durch Unkenntniß und durch die Selbſtſucht, die immer der ſchlimmſte Feind des eigenen Vortheils iſt, ein- ander verfeindet wurden.
Ganz unerwartet fand ſich ein Helfer, der die beginnende Umſtim- mung am Münchener Hofe zu fördern und für Deutſchlands große Sache zu verwerthen verſtand. Der Buchhändler Freiherr v. Cotta war als großer Geſchäftsmann mit Perſonen und Zuſtänden des deutſchen Nordens näher vertraut als das ſchwäbiſch-bairiſche Beamtenthum, und blickte, wie er ſchon in dem württembergiſchen Verfaſſungskampfe bewieſen hatte, auch in der Handelsſache über die landläufigen ſüddeutſchen Vorurtheile weit hinaus. Unternehmend und beweglich, befreundet mit Nebenius und anderen namhaften Volkswirthen in allen Theilen Deutſchlands, erkannte er längſt, daß der ſüddeutſche Verkehr ohne Preußens freund- nachbarlichen Beiſtand niemals geſunden könne, und obgleich ihm viel daran lag, die Gunſt Metternich’s für ſeine Allgemeine Zeitung nicht zu verlieren, ſo faßte er doch den tapferen Entſchluß als Vermittler auf- zutreten. Er beſprach ſich insgeheim mit Armansperg, reiſte dann im September 1828 nach Berlin zu dem großen Naturforſchertage, der alſo auch für unſere Politik bedeutſam werden ſollte. Cotta wurde durch Hum- boldt bei Witzleben und Motz eingeführt, ſprach dort den Gedanken aus, ob nicht eine Verſtändigung zwiſchen Baiern und Preußen möglich ſei, und fand den günſtigſten Empfang. Eine überraſchende Verwandtſchaft der Anſchauungen ſtellte ſich heraus. Motz bekannte, daß er ſich längſt mit ähnlichen Abſichten getragen habe; im Grunde ſeien es ja doch nur Mißverſtändniſſe, welche bisher zwiſchen den beiden Staaten geſtanden. Cotta kehrte heim und ſchrieb am 20. Oktober aus München: er habe des Miniſters „gnädige Eröffnungen“ den Monarchen in München und Stutt- gart mitgetheilt; Beide ſeien von der Nothwendigkeit des Planes über- zeugt und hätten bereits die Einladung, dem Mitteldeutſchen Vereine bei- zutreten, zurückgewieſen. Nunmehr zog Motz das Auswärtige Amt in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0682"n="666"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.</fw><lb/>
wig ſträubte ſich lange, doch fing er an zu begreifen, daß dies der ein-<lb/>
zige Weg ſei, um ſich mit Anſtand aus dem verlorenen Spiele zurückzu-<lb/>
ziehen. Gegen den Spätſommer 1828 begannen der Miniſter und ſein<lb/>
königlicher Freund bereits die Frage zu erwägen, ob nicht eine Annähe-<lb/>
rung an den preußiſch-heſſiſchen Verein unvermeidlich ſei. Daß die öffent-<lb/>
liche Meinung in Baiern dieſer Annäherung entſchieden widerſtrebte, war<lb/>
für die Freunde eher ein Stachel als ein Hemmniß. Voll hochfliegender<lb/>
Begeiſterung, empfänglich für alles Außerordentliche, liebten Beide die<lb/>
Welt durch unerwartete Entſchlüſſe zu überraſchen. Um ſo ſchwerer fiel<lb/>
ihnen, die Demüthigung ihres Ehrgeizes, den Schiffbruch ihrer rein-deut-<lb/>ſchen Pläne zu verwinden. Aber ſie vermochten es über ſich, das Opfer<lb/>
zu bringen. Unabweisbar drängten dieſe trocknen Geſchäftsverhandlungen<lb/>
den näher Betheiligten die Einſicht <choice><sic>anf</sic><corr>auf</corr></choice>, daß die Deutſchen doch zu ein-<lb/>
ander gehörten, nur durch Mißtrauen, durch Unkenntniß und durch die<lb/>
Selbſtſucht, die immer der ſchlimmſte Feind des eigenen Vortheils iſt, ein-<lb/>
ander verfeindet wurden.</p><lb/><p>Ganz unerwartet fand ſich ein Helfer, der die beginnende Umſtim-<lb/>
mung am Münchener Hofe zu fördern und für Deutſchlands große Sache<lb/>
zu verwerthen verſtand. Der Buchhändler Freiherr v. Cotta war als<lb/>
großer Geſchäftsmann mit Perſonen und Zuſtänden des deutſchen Nordens<lb/>
näher vertraut als das ſchwäbiſch-bairiſche Beamtenthum, und blickte,<lb/>
wie er ſchon in dem württembergiſchen Verfaſſungskampfe bewieſen hatte,<lb/>
auch in der Handelsſache über die landläufigen ſüddeutſchen Vorurtheile<lb/>
weit hinaus. Unternehmend und beweglich, befreundet mit Nebenius<lb/>
und anderen namhaften Volkswirthen in allen Theilen Deutſchlands,<lb/>
erkannte er längſt, daß der ſüddeutſche Verkehr ohne Preußens freund-<lb/>
nachbarlichen Beiſtand niemals geſunden könne, und obgleich ihm viel<lb/>
daran lag, die Gunſt Metternich’s für ſeine Allgemeine Zeitung nicht zu<lb/>
verlieren, ſo faßte er doch den tapferen Entſchluß als Vermittler auf-<lb/>
zutreten. Er beſprach ſich insgeheim mit Armansperg, reiſte dann im<lb/>
September 1828 nach Berlin zu dem großen Naturforſchertage, der alſo<lb/>
auch für unſere Politik bedeutſam werden ſollte. Cotta wurde durch Hum-<lb/>
boldt bei Witzleben und Motz eingeführt, ſprach dort den Gedanken aus,<lb/>
ob nicht eine Verſtändigung zwiſchen Baiern und Preußen möglich ſei,<lb/>
und fand den günſtigſten Empfang. Eine überraſchende Verwandtſchaft<lb/>
der Anſchauungen ſtellte ſich heraus. Motz bekannte, daß er ſich längſt<lb/>
mit ähnlichen Abſichten getragen habe; im Grunde ſeien es ja doch nur<lb/>
Mißverſtändniſſe, welche bisher zwiſchen den beiden Staaten geſtanden.<lb/>
Cotta kehrte heim und ſchrieb am 20. Oktober aus München: er habe des<lb/>
Miniſters „gnädige Eröffnungen“ den Monarchen in München und Stutt-<lb/>
gart mitgetheilt; Beide ſeien von der Nothwendigkeit des Planes über-<lb/>
zeugt und hätten bereits die Einladung, dem Mitteldeutſchen Vereine bei-<lb/>
zutreten, zurückgewieſen. Nunmehr zog Motz das Auswärtige Amt in<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[666/0682]
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
wig ſträubte ſich lange, doch fing er an zu begreifen, daß dies der ein-
zige Weg ſei, um ſich mit Anſtand aus dem verlorenen Spiele zurückzu-
ziehen. Gegen den Spätſommer 1828 begannen der Miniſter und ſein
königlicher Freund bereits die Frage zu erwägen, ob nicht eine Annähe-
rung an den preußiſch-heſſiſchen Verein unvermeidlich ſei. Daß die öffent-
liche Meinung in Baiern dieſer Annäherung entſchieden widerſtrebte, war
für die Freunde eher ein Stachel als ein Hemmniß. Voll hochfliegender
Begeiſterung, empfänglich für alles Außerordentliche, liebten Beide die
Welt durch unerwartete Entſchlüſſe zu überraſchen. Um ſo ſchwerer fiel
ihnen, die Demüthigung ihres Ehrgeizes, den Schiffbruch ihrer rein-deut-
ſchen Pläne zu verwinden. Aber ſie vermochten es über ſich, das Opfer
zu bringen. Unabweisbar drängten dieſe trocknen Geſchäftsverhandlungen
den näher Betheiligten die Einſicht auf, daß die Deutſchen doch zu ein-
ander gehörten, nur durch Mißtrauen, durch Unkenntniß und durch die
Selbſtſucht, die immer der ſchlimmſte Feind des eigenen Vortheils iſt, ein-
ander verfeindet wurden.
Ganz unerwartet fand ſich ein Helfer, der die beginnende Umſtim-
mung am Münchener Hofe zu fördern und für Deutſchlands große Sache
zu verwerthen verſtand. Der Buchhändler Freiherr v. Cotta war als
großer Geſchäftsmann mit Perſonen und Zuſtänden des deutſchen Nordens
näher vertraut als das ſchwäbiſch-bairiſche Beamtenthum, und blickte,
wie er ſchon in dem württembergiſchen Verfaſſungskampfe bewieſen hatte,
auch in der Handelsſache über die landläufigen ſüddeutſchen Vorurtheile
weit hinaus. Unternehmend und beweglich, befreundet mit Nebenius
und anderen namhaften Volkswirthen in allen Theilen Deutſchlands,
erkannte er längſt, daß der ſüddeutſche Verkehr ohne Preußens freund-
nachbarlichen Beiſtand niemals geſunden könne, und obgleich ihm viel
daran lag, die Gunſt Metternich’s für ſeine Allgemeine Zeitung nicht zu
verlieren, ſo faßte er doch den tapferen Entſchluß als Vermittler auf-
zutreten. Er beſprach ſich insgeheim mit Armansperg, reiſte dann im
September 1828 nach Berlin zu dem großen Naturforſchertage, der alſo
auch für unſere Politik bedeutſam werden ſollte. Cotta wurde durch Hum-
boldt bei Witzleben und Motz eingeführt, ſprach dort den Gedanken aus,
ob nicht eine Verſtändigung zwiſchen Baiern und Preußen möglich ſei,
und fand den günſtigſten Empfang. Eine überraſchende Verwandtſchaft
der Anſchauungen ſtellte ſich heraus. Motz bekannte, daß er ſich längſt
mit ähnlichen Abſichten getragen habe; im Grunde ſeien es ja doch nur
Mißverſtändniſſe, welche bisher zwiſchen den beiden Staaten geſtanden.
Cotta kehrte heim und ſchrieb am 20. Oktober aus München: er habe des
Miniſters „gnädige Eröffnungen“ den Monarchen in München und Stutt-
gart mitgetheilt; Beide ſeien von der Nothwendigkeit des Planes über-
zeugt und hätten bereits die Einladung, dem Mitteldeutſchen Vereine bei-
zutreten, zurückgewieſen. Nunmehr zog Motz das Auswärtige Amt in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/682>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.