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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Motz gegen den mitteldeutschen Handelsverein.
ungestörten Wirkens zu erobern. Ein solches System setzte behutsame
Vorsicht und unverbrüchliche Verschwiegenheit voraus; es fiel dahin, so-
bald die Welt erfuhr, wie planmäßig Preußens Handelspolitik arbeitete
und wie deutlich die besten Köpfe des Cabinets den Gegensatz der Inter-
essen erkannten, der die beiden großen Bundesmächte trennte.

Das Auswärtige Amt ging nicht sofort auf die kampflustige Gesin-
nung des Finanzministers ein. Der König verlangte ruhige, sorgfältige
Prüfung, damit nicht durch vorschnelles Urtheil deutschen Bundesstaaten
Unrecht geschehe. Sobald nähere Nachrichten einliefen, stimmte Eichhorn
der Ansicht Motz's bei und erließ eine Instruction an sämmtliche Ge-
sandten in Deutschland, welche ausführlich darstellte, wie unberechtigt und
hoffnungslos das Unternehmen der Mitteldeutschen sei: die Verbündeten
mögen sich die Frage vorlegen, was ein Verein von sechs Millionen Ein-
wohnern, der fast nur Binnenländer umfaßt, bei einem Conflicte mit uns
gewinnen dürfte, "ob der innere Verkehr nicht ertödet statt belebt, und
der Handel mit dem Auslande nicht beschränkt statt ausgebreitet werden
würde." Außerdem erhielt die Wiener Gesandtschaft die Weisung sich zu be-
schweren über die feindselige Haltung der österreichischen Diplomaten und
dem Staatskanzler die auf Metternich's Demagogenfurcht berechnete Frage
ans Herz zu legen: "Sind es nicht hauptsächlich die Absonderungen und
Trennungen, welche im Handel und Verkehr stattfinden, wodurch eine
Stimmung des Mißbehagens, der Unzufriedenheit und der Sehnsucht nach
einer Veränderung unterhalten wird?" Der Gesandte in London ward
befehligt entschieden auszusprechen, daß an Verhandlungen mit Hannover
vorerst nicht mehr zu denken sei: "wir müssen offen gestehen, daß unser
Vertrauen von hannoverscher Seite schlecht erwidert worden ist." Jordan
in Dresden sollte sein Befremden über die mißtrauische Heimlichkeit der
sächsischen Politik kundgeben; Grote in Hamburg dem Senate "die An-
erkennung seines weisen und angemessenen Betragens aussprechen und
dabei erklären, man hoffe, daß er bei demselben auch verharren werde."*)

Zugleich erging an die Regierungen der Grenzbezirke der Befehl, die
handelspolitischen Maßregeln der Verbündeten, die sich noch immer in
räthselhaftes Dunkel hüllten, scharf zu beobachten. Hier zeigte sich die
ganze Unnatur des Mitteldeutschen Vereins. Das Vereinsgebiet lag im
Bereiche der preußischen Macht, war überall von eingesprengten preußischen
Gebietsstücken unterbrochen, durch tausend Bande des nachbarlichen Ver-
kehrs an Preußen gekettet. Eine Schaar von preußischen Postbeamten,
Floßinspektoren, Schifffahrtsaufsehern lebte in Feindesland, gab sichere
Nachricht über Alles, was auf den Flüssen und Straßen der Verbündeten
vorging. Die Staatszeitung und Buchholz's Neue Monatsschrift begannen

*) Eichhorn, Weisung an die Gesandtschaften in Deutschland, 14. August 1828.
Motz an Bülow in London, 2., 24. Mai 1828.

Motz gegen den mitteldeutſchen Handelsverein.
ungeſtörten Wirkens zu erobern. Ein ſolches Syſtem ſetzte behutſame
Vorſicht und unverbrüchliche Verſchwiegenheit voraus; es fiel dahin, ſo-
bald die Welt erfuhr, wie planmäßig Preußens Handelspolitik arbeitete
und wie deutlich die beſten Köpfe des Cabinets den Gegenſatz der Inter-
eſſen erkannten, der die beiden großen Bundesmächte trennte.

Das Auswärtige Amt ging nicht ſofort auf die kampfluſtige Geſin-
nung des Finanzminiſters ein. Der König verlangte ruhige, ſorgfältige
Prüfung, damit nicht durch vorſchnelles Urtheil deutſchen Bundesſtaaten
Unrecht geſchehe. Sobald nähere Nachrichten einliefen, ſtimmte Eichhorn
der Anſicht Motz’s bei und erließ eine Inſtruction an ſämmtliche Ge-
ſandten in Deutſchland, welche ausführlich darſtellte, wie unberechtigt und
hoffnungslos das Unternehmen der Mitteldeutſchen ſei: die Verbündeten
mögen ſich die Frage vorlegen, was ein Verein von ſechs Millionen Ein-
wohnern, der faſt nur Binnenländer umfaßt, bei einem Conflicte mit uns
gewinnen dürfte, „ob der innere Verkehr nicht ertödet ſtatt belebt, und
der Handel mit dem Auslande nicht beſchränkt ſtatt ausgebreitet werden
würde.“ Außerdem erhielt die Wiener Geſandtſchaft die Weiſung ſich zu be-
ſchweren über die feindſelige Haltung der öſterreichiſchen Diplomaten und
dem Staatskanzler die auf Metternich’s Demagogenfurcht berechnete Frage
ans Herz zu legen: „Sind es nicht hauptſächlich die Abſonderungen und
Trennungen, welche im Handel und Verkehr ſtattfinden, wodurch eine
Stimmung des Mißbehagens, der Unzufriedenheit und der Sehnſucht nach
einer Veränderung unterhalten wird?“ Der Geſandte in London ward
befehligt entſchieden auszuſprechen, daß an Verhandlungen mit Hannover
vorerſt nicht mehr zu denken ſei: „wir müſſen offen geſtehen, daß unſer
Vertrauen von hannoverſcher Seite ſchlecht erwidert worden iſt.“ Jordan
in Dresden ſollte ſein Befremden über die mißtrauiſche Heimlichkeit der
ſächſiſchen Politik kundgeben; Grote in Hamburg dem Senate „die An-
erkennung ſeines weiſen und angemeſſenen Betragens ausſprechen und
dabei erklären, man hoffe, daß er bei demſelben auch verharren werde.“*)

Zugleich erging an die Regierungen der Grenzbezirke der Befehl, die
handelspolitiſchen Maßregeln der Verbündeten, die ſich noch immer in
räthſelhaftes Dunkel hüllten, ſcharf zu beobachten. Hier zeigte ſich die
ganze Unnatur des Mitteldeutſchen Vereins. Das Vereinsgebiet lag im
Bereiche der preußiſchen Macht, war überall von eingeſprengten preußiſchen
Gebietsſtücken unterbrochen, durch tauſend Bande des nachbarlichen Ver-
kehrs an Preußen gekettet. Eine Schaar von preußiſchen Poſtbeamten,
Floßinſpektoren, Schifffahrtsaufſehern lebte in Feindesland, gab ſichere
Nachricht über Alles, was auf den Flüſſen und Straßen der Verbündeten
vorging. Die Staatszeitung und Buchholz’s Neue Monatsſchrift begannen

*) Eichhorn, Weiſung an die Geſandtſchaften in Deutſchland, 14. Auguſt 1828.
Motz an Bülow in London, 2., 24. Mai 1828.
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[663/0679] Motz gegen den mitteldeutſchen Handelsverein. ungeſtörten Wirkens zu erobern. Ein ſolches Syſtem ſetzte behutſame Vorſicht und unverbrüchliche Verſchwiegenheit voraus; es fiel dahin, ſo- bald die Welt erfuhr, wie planmäßig Preußens Handelspolitik arbeitete und wie deutlich die beſten Köpfe des Cabinets den Gegenſatz der Inter- eſſen erkannten, der die beiden großen Bundesmächte trennte. Das Auswärtige Amt ging nicht ſofort auf die kampfluſtige Geſin- nung des Finanzminiſters ein. Der König verlangte ruhige, ſorgfältige Prüfung, damit nicht durch vorſchnelles Urtheil deutſchen Bundesſtaaten Unrecht geſchehe. Sobald nähere Nachrichten einliefen, ſtimmte Eichhorn der Anſicht Motz’s bei und erließ eine Inſtruction an ſämmtliche Ge- ſandten in Deutſchland, welche ausführlich darſtellte, wie unberechtigt und hoffnungslos das Unternehmen der Mitteldeutſchen ſei: die Verbündeten mögen ſich die Frage vorlegen, was ein Verein von ſechs Millionen Ein- wohnern, der faſt nur Binnenländer umfaßt, bei einem Conflicte mit uns gewinnen dürfte, „ob der innere Verkehr nicht ertödet ſtatt belebt, und der Handel mit dem Auslande nicht beſchränkt ſtatt ausgebreitet werden würde.“ Außerdem erhielt die Wiener Geſandtſchaft die Weiſung ſich zu be- ſchweren über die feindſelige Haltung der öſterreichiſchen Diplomaten und dem Staatskanzler die auf Metternich’s Demagogenfurcht berechnete Frage ans Herz zu legen: „Sind es nicht hauptſächlich die Abſonderungen und Trennungen, welche im Handel und Verkehr ſtattfinden, wodurch eine Stimmung des Mißbehagens, der Unzufriedenheit und der Sehnſucht nach einer Veränderung unterhalten wird?“ Der Geſandte in London ward befehligt entſchieden auszuſprechen, daß an Verhandlungen mit Hannover vorerſt nicht mehr zu denken ſei: „wir müſſen offen geſtehen, daß unſer Vertrauen von hannoverſcher Seite ſchlecht erwidert worden iſt.“ Jordan in Dresden ſollte ſein Befremden über die mißtrauiſche Heimlichkeit der ſächſiſchen Politik kundgeben; Grote in Hamburg dem Senate „die An- erkennung ſeines weiſen und angemeſſenen Betragens ausſprechen und dabei erklären, man hoffe, daß er bei demſelben auch verharren werde.“ *) Zugleich erging an die Regierungen der Grenzbezirke der Befehl, die handelspolitiſchen Maßregeln der Verbündeten, die ſich noch immer in räthſelhaftes Dunkel hüllten, ſcharf zu beobachten. Hier zeigte ſich die ganze Unnatur des Mitteldeutſchen Vereins. Das Vereinsgebiet lag im Bereiche der preußiſchen Macht, war überall von eingeſprengten preußiſchen Gebietsſtücken unterbrochen, durch tauſend Bande des nachbarlichen Ver- kehrs an Preußen gekettet. Eine Schaar von preußiſchen Poſtbeamten, Floßinſpektoren, Schifffahrtsaufſehern lebte in Feindesland, gab ſichere Nachricht über Alles, was auf den Flüſſen und Straßen der Verbündeten vorging. Die Staatszeitung und Buchholz’s Neue Monatsſchrift begannen *) Eichhorn, Weiſung an die Geſandtſchaften in Deutſchland, 14. Auguſt 1828. Motz an Bülow in London, 2., 24. Mai 1828.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 663. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/679>, abgerufen am 22.11.2024.