Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
Kammern fast völlig verstummt. Graf Lehrbach, der den Minister wegen
Landesverraths verklagen wollte, stand vereinsamt; der Abgeordnete Schenk
aber dankte der Regierung und schloß gemüthlich: Das einzige Mittel
gegen den Wunsch nach politischer Einheit ist die Zolleinigung! Mit
Selbstgefühl verwies Hofmann auf die günstigen Rechnungsabschlüsse und
sagte "mit voller Zuversicht dieser auf gegenseitige Vortheile gegründeten
Verbündung Bestand und Dauer voraus: so werden Sie hoffentlich
bald dasjenige verwirklicht sehen, was noch vor wenigen Jahren zwar
Gegenstand Ihrer angelegentlichsten Wünsche war, aber nach so vielen ver-
geblichen Verhandlungen kaum in dem Reiche der Möglichkeit zu liegen
schien."*) Auch in Preußen hielten die Klagen der Geschäftswelt, die
sich anfangs laut genug erhoben, nicht lange vor. Unterdessen hatte
der König sein gesammtes thüringisches Gebiet in die Zolllinie aufgenom-
men; die Lage der ernestinischen Fürstenthümer ward fast unerträglich.
Es schien undenkbar, daß Kurhessen und Thüringen, also von allen Seiten
umklammert, ihren thörichten Widerstand fortsetzen sollten.

Und doch sollte das Undenkbare geschehen. Auf das erste Gerücht
hin versuchten allerdings einige Kleinstaaten sich den Verbündeten zu nähern
-- lediglich in der Absicht den Inhalt des Vertrags, der noch streng ge-
heim gehalten wurde, zu erfahren. Präsident Krafft in Meiningen schrieb
an Hofmann, bat um Aufklärung, deutete gewichtig an, daß Meiningen
vielleicht dem hessischen Beispiele folgen werde, wenn man nur die Macht-
stellung dieses Reiches nach Gebühr würdige: "Die Lage des Landes Mei-
ningen läßt seinen Werth den geographischen Umfang desselben überschreiten,
indem mehrere der frequentesten Landstraßen die Handelsplätze an den
Küsten der Nordsee mit einem bedeutenden Theile des südlichen Deutsch-
lands, der Schweiz und Italiens verbinden, und Preußen, Baiern und
Kurhessen zu seinen wichtigeren Grenznachbarn gehören."**) Die Mei-
ninger Welthandelsstraßen boten unleugbar auf der Landkarte einen sehr
stattlichen Anblick; gebaut waren sie freilich noch nicht, auch besaß das
Ländchen durchaus nicht die Mittel sie jemals zu bauen. Motz, dem die
Naturgeschichte des deutschen Kleinstaats einen unerschöpflichen Quell der
Ergötzung bot, sendete das Meininger Schreiben an Hofmann zurück und
versicherte, die geographische Bedeutung des Herzogthums sei ihm ganz
neu; dann schloß er wehmüthig: "es ist betrübt, wenn solche überspannte
Diener dazu beitragen, daß dem Souveränitätsdünkel ihrer Fürsten auch
noch ein Straßendünkel hinzugefügt wird." Der Vorfall blieb dem klugen
Manne unvergessen; der Meininger Straßendünkel sollte zur rechten
Stunde noch eine Rolle spielen in der deutschen Geschichte. Noch durch-
sichtiger war ein diplomatisches Kunststück der freien Stadt Frankfurt.

*) Hofmann, Bericht über die Finanzperioden 1824--29.
**) Krafft an Hofmann, 15. März 1828.

III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
Kammern faſt völlig verſtummt. Graf Lehrbach, der den Miniſter wegen
Landesverraths verklagen wollte, ſtand vereinſamt; der Abgeordnete Schenk
aber dankte der Regierung und ſchloß gemüthlich: Das einzige Mittel
gegen den Wunſch nach politiſcher Einheit iſt die Zolleinigung! Mit
Selbſtgefühl verwies Hofmann auf die günſtigen Rechnungsabſchlüſſe und
ſagte „mit voller Zuverſicht dieſer auf gegenſeitige Vortheile gegründeten
Verbündung Beſtand und Dauer voraus: ſo werden Sie hoffentlich
bald dasjenige verwirklicht ſehen, was noch vor wenigen Jahren zwar
Gegenſtand Ihrer angelegentlichſten Wünſche war, aber nach ſo vielen ver-
geblichen Verhandlungen kaum in dem Reiche der Möglichkeit zu liegen
ſchien.“*) Auch in Preußen hielten die Klagen der Geſchäftswelt, die
ſich anfangs laut genug erhoben, nicht lange vor. Unterdeſſen hatte
der König ſein geſammtes thüringiſches Gebiet in die Zolllinie aufgenom-
men; die Lage der erneſtiniſchen Fürſtenthümer ward faſt unerträglich.
Es ſchien undenkbar, daß Kurheſſen und Thüringen, alſo von allen Seiten
umklammert, ihren thörichten Widerſtand fortſetzen ſollten.

Und doch ſollte das Undenkbare geſchehen. Auf das erſte Gerücht
hin verſuchten allerdings einige Kleinſtaaten ſich den Verbündeten zu nähern
— lediglich in der Abſicht den Inhalt des Vertrags, der noch ſtreng ge-
heim gehalten wurde, zu erfahren. Präſident Krafft in Meiningen ſchrieb
an Hofmann, bat um Aufklärung, deutete gewichtig an, daß Meiningen
vielleicht dem heſſiſchen Beiſpiele folgen werde, wenn man nur die Macht-
ſtellung dieſes Reiches nach Gebühr würdige: „Die Lage des Landes Mei-
ningen läßt ſeinen Werth den geographiſchen Umfang deſſelben überſchreiten,
indem mehrere der frequenteſten Landſtraßen die Handelsplätze an den
Küſten der Nordſee mit einem bedeutenden Theile des ſüdlichen Deutſch-
lands, der Schweiz und Italiens verbinden, und Preußen, Baiern und
Kurheſſen zu ſeinen wichtigeren Grenznachbarn gehören.“**) Die Mei-
ninger Welthandelsſtraßen boten unleugbar auf der Landkarte einen ſehr
ſtattlichen Anblick; gebaut waren ſie freilich noch nicht, auch beſaß das
Ländchen durchaus nicht die Mittel ſie jemals zu bauen. Motz, dem die
Naturgeſchichte des deutſchen Kleinſtaats einen unerſchöpflichen Quell der
Ergötzung bot, ſendete das Meininger Schreiben an Hofmann zurück und
verſicherte, die geographiſche Bedeutung des Herzogthums ſei ihm ganz
neu; dann ſchloß er wehmüthig: „es iſt betrübt, wenn ſolche überſpannte
Diener dazu beitragen, daß dem Souveränitätsdünkel ihrer Fürſten auch
noch ein Straßendünkel hinzugefügt wird.“ Der Vorfall blieb dem klugen
Manne unvergeſſen; der Meininger Straßendünkel ſollte zur rechten
Stunde noch eine Rolle ſpielen in der deutſchen Geſchichte. Noch durch-
ſichtiger war ein diplomatiſches Kunſtſtück der freien Stadt Frankfurt.

*) Hofmann, Bericht über die Finanzperioden 1824—29.
**) Krafft an Hofmann, 15. März 1828.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0654" n="638"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 8. Der Zollkrieg und die er&#x017F;ten Zollvereine.</fw><lb/>
Kammern fa&#x017F;t völlig ver&#x017F;tummt. Graf Lehrbach, der den Mini&#x017F;ter wegen<lb/>
Landesverraths verklagen wollte, &#x017F;tand verein&#x017F;amt; der Abgeordnete Schenk<lb/>
aber dankte der Regierung und &#x017F;chloß gemüthlich: Das einzige Mittel<lb/>
gegen den Wun&#x017F;ch nach politi&#x017F;cher Einheit i&#x017F;t die Zolleinigung! Mit<lb/>
Selb&#x017F;tgefühl verwies Hofmann auf die gün&#x017F;tigen Rechnungsab&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e und<lb/>
&#x017F;agte &#x201E;mit voller Zuver&#x017F;icht die&#x017F;er auf gegen&#x017F;eitige Vortheile gegründeten<lb/>
Verbündung Be&#x017F;tand und Dauer voraus: &#x017F;o werden Sie hoffentlich<lb/>
bald dasjenige verwirklicht &#x017F;ehen, was noch vor wenigen Jahren zwar<lb/>
Gegen&#x017F;tand Ihrer angelegentlich&#x017F;ten Wün&#x017F;che war, aber nach &#x017F;o vielen ver-<lb/>
geblichen Verhandlungen kaum in dem Reiche der Möglichkeit zu liegen<lb/>
&#x017F;chien.&#x201C;<note place="foot" n="*)">Hofmann, Bericht über die Finanzperioden 1824&#x2014;29.</note> Auch in Preußen hielten die Klagen der Ge&#x017F;chäftswelt, die<lb/>
&#x017F;ich anfangs laut genug erhoben, nicht lange vor. Unterde&#x017F;&#x017F;en hatte<lb/>
der König &#x017F;ein ge&#x017F;ammtes thüringi&#x017F;ches Gebiet in die Zolllinie aufgenom-<lb/>
men; die Lage der erne&#x017F;tini&#x017F;chen Für&#x017F;tenthümer ward fa&#x017F;t unerträglich.<lb/>
Es &#x017F;chien undenkbar, daß Kurhe&#x017F;&#x017F;en und Thüringen, al&#x017F;o von allen Seiten<lb/>
umklammert, ihren thörichten Wider&#x017F;tand fort&#x017F;etzen &#x017F;ollten.</p><lb/>
          <p>Und doch &#x017F;ollte das Undenkbare ge&#x017F;chehen. Auf das er&#x017F;te Gerücht<lb/>
hin ver&#x017F;uchten allerdings einige Klein&#x017F;taaten &#x017F;ich den Verbündeten zu nähern<lb/>
&#x2014; lediglich in der Ab&#x017F;icht den Inhalt des Vertrags, der noch &#x017F;treng ge-<lb/>
heim gehalten wurde, zu erfahren. Prä&#x017F;ident Krafft in Meiningen &#x017F;chrieb<lb/>
an Hofmann, bat um Aufklärung, deutete gewichtig an, daß Meiningen<lb/>
vielleicht dem he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Bei&#x017F;piele folgen werde, wenn man nur die Macht-<lb/>
&#x017F;tellung die&#x017F;es Reiches nach Gebühr würdige: &#x201E;Die Lage des Landes Mei-<lb/>
ningen läßt &#x017F;einen Werth den geographi&#x017F;chen Umfang de&#x017F;&#x017F;elben über&#x017F;chreiten,<lb/>
indem mehrere der frequente&#x017F;ten Land&#x017F;traßen die Handelsplätze an den<lb/>&#x017F;ten der Nord&#x017F;ee mit einem bedeutenden Theile des &#x017F;üdlichen Deut&#x017F;ch-<lb/>
lands, der Schweiz und Italiens verbinden, und Preußen, Baiern und<lb/>
Kurhe&#x017F;&#x017F;en zu &#x017F;einen wichtigeren Grenznachbarn gehören.&#x201C;<note place="foot" n="**)">Krafft an Hofmann, 15. März 1828.</note> Die Mei-<lb/>
ninger Welthandels&#x017F;traßen boten unleugbar auf der Landkarte einen &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;tattlichen Anblick; gebaut waren &#x017F;ie freilich noch nicht, auch be&#x017F;aß das<lb/>
Ländchen durchaus nicht die Mittel &#x017F;ie jemals zu bauen. Motz, dem die<lb/>
Naturge&#x017F;chichte des deut&#x017F;chen Klein&#x017F;taats einen uner&#x017F;chöpflichen Quell der<lb/>
Ergötzung bot, &#x017F;endete das Meininger Schreiben an Hofmann zurück und<lb/>
ver&#x017F;icherte, die geographi&#x017F;che Bedeutung des Herzogthums &#x017F;ei ihm ganz<lb/>
neu; dann &#x017F;chloß er wehmüthig: &#x201E;es i&#x017F;t betrübt, wenn &#x017F;olche über&#x017F;pannte<lb/>
Diener dazu beitragen, daß dem Souveränitätsdünkel ihrer Für&#x017F;ten auch<lb/>
noch ein Straßendünkel hinzugefügt wird.&#x201C; Der Vorfall blieb dem klugen<lb/>
Manne unverge&#x017F;&#x017F;en; der Meininger Straßendünkel &#x017F;ollte zur rechten<lb/>
Stunde noch eine Rolle &#x017F;pielen in der deut&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte. Noch durch-<lb/>
&#x017F;ichtiger war ein diplomati&#x017F;ches Kun&#x017F;t&#x017F;tück der freien Stadt Frankfurt.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[638/0654] III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. Kammern faſt völlig verſtummt. Graf Lehrbach, der den Miniſter wegen Landesverraths verklagen wollte, ſtand vereinſamt; der Abgeordnete Schenk aber dankte der Regierung und ſchloß gemüthlich: Das einzige Mittel gegen den Wunſch nach politiſcher Einheit iſt die Zolleinigung! Mit Selbſtgefühl verwies Hofmann auf die günſtigen Rechnungsabſchlüſſe und ſagte „mit voller Zuverſicht dieſer auf gegenſeitige Vortheile gegründeten Verbündung Beſtand und Dauer voraus: ſo werden Sie hoffentlich bald dasjenige verwirklicht ſehen, was noch vor wenigen Jahren zwar Gegenſtand Ihrer angelegentlichſten Wünſche war, aber nach ſo vielen ver- geblichen Verhandlungen kaum in dem Reiche der Möglichkeit zu liegen ſchien.“ *) Auch in Preußen hielten die Klagen der Geſchäftswelt, die ſich anfangs laut genug erhoben, nicht lange vor. Unterdeſſen hatte der König ſein geſammtes thüringiſches Gebiet in die Zolllinie aufgenom- men; die Lage der erneſtiniſchen Fürſtenthümer ward faſt unerträglich. Es ſchien undenkbar, daß Kurheſſen und Thüringen, alſo von allen Seiten umklammert, ihren thörichten Widerſtand fortſetzen ſollten. Und doch ſollte das Undenkbare geſchehen. Auf das erſte Gerücht hin verſuchten allerdings einige Kleinſtaaten ſich den Verbündeten zu nähern — lediglich in der Abſicht den Inhalt des Vertrags, der noch ſtreng ge- heim gehalten wurde, zu erfahren. Präſident Krafft in Meiningen ſchrieb an Hofmann, bat um Aufklärung, deutete gewichtig an, daß Meiningen vielleicht dem heſſiſchen Beiſpiele folgen werde, wenn man nur die Macht- ſtellung dieſes Reiches nach Gebühr würdige: „Die Lage des Landes Mei- ningen läßt ſeinen Werth den geographiſchen Umfang deſſelben überſchreiten, indem mehrere der frequenteſten Landſtraßen die Handelsplätze an den Küſten der Nordſee mit einem bedeutenden Theile des ſüdlichen Deutſch- lands, der Schweiz und Italiens verbinden, und Preußen, Baiern und Kurheſſen zu ſeinen wichtigeren Grenznachbarn gehören.“ **) Die Mei- ninger Welthandelsſtraßen boten unleugbar auf der Landkarte einen ſehr ſtattlichen Anblick; gebaut waren ſie freilich noch nicht, auch beſaß das Ländchen durchaus nicht die Mittel ſie jemals zu bauen. Motz, dem die Naturgeſchichte des deutſchen Kleinſtaats einen unerſchöpflichen Quell der Ergötzung bot, ſendete das Meininger Schreiben an Hofmann zurück und verſicherte, die geographiſche Bedeutung des Herzogthums ſei ihm ganz neu; dann ſchloß er wehmüthig: „es iſt betrübt, wenn ſolche überſpannte Diener dazu beitragen, daß dem Souveränitätsdünkel ihrer Fürſten auch noch ein Straßendünkel hinzugefügt wird.“ Der Vorfall blieb dem klugen Manne unvergeſſen; der Meininger Straßendünkel ſollte zur rechten Stunde noch eine Rolle ſpielen in der deutſchen Geſchichte. Noch durch- ſichtiger war ein diplomatiſches Kunſtſtück der freien Stadt Frankfurt. *) Hofmann, Bericht über die Finanzperioden 1824—29. **) Krafft an Hofmann, 15. März 1828.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/654
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/654>, abgerufen am 22.11.2024.