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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
seine letzte und schwerste Bedingung auf. Die verbündeten Staaten ver-
pflichteten sich, in fester Gemeinschaft vorzugehen und vornehmlich bei
dem Verlangen zu beharren, daß jeder Staat seine Zollverwaltung selb-
ständig führe; nur unter dieser Bedingung sei ein Zollverein möglich.
Baden, das doch in Wien und in Darmstadt selber eine Centralverwal-
tung vorgeschlagen hatte, hielt jetzt die entgegengesetzte Forderung am
hartnäckigsten fest. Die beiden Königreiche hatten ihr Mißtrauen gegen
die allzu nachsichtige badische Zollverwaltung oft und in verletzender Form
ausgesprochen. Der Karlsruher Hof fühlte sich dadurch tief gekränkt
und -- er fürchtete die Anwesenheit bairischer Zollbeamten in seinem
bedrohten pfälzischen Gebiete. Wir wollen, schrieb Berstett an du Thil,
schlechterdings keinen status in statu, kein Funktioniren fremder Be-
amten in unserem Gebiete; und Jener antwortete: auch keine Verpflichtung
der Zollbehörden für die Gemeinschaft, denn sonst könnte der großherzog-
liche Zolldirector dem Minister sich widersetzen! Ebenso nachdrücklich er-
klärte Nebenius: "Die Frage ist ganz einfach diese, ob die Unterthanen
der einzelnen Staaten in einem unmittelbaren Verhältniß zu der Gemein-
schaft stehen sollen;" hege man kein Vertrauen zu der redlichen Verwal-
tung der Bundesgenossen, dann sei ein Zollverein überhaupt undenkbar.*)
Es war einfach die Gesinnung des eifersüchtigen Partikularismus, die
hier nackt heraustrat. Aber dieser Partikularismus blieb die Lebensluft
des deutschen Bundesrechts. Der badisch-darmstädtische Vorschlag ergab
sich folgerecht aus dem Wesen eines Staatenbundes. Eine Centralver-
waltung für das Zollwesen ließ sich nur denken auf dem Boden eines
Bundesstaates, eines Reiches.

Indessen hatten die beiden Königreiche ihren Entwurf festgestellt
und die oberrheinischen Cabinette zu Verhandlungen über das Beschlossene
eingeladen. Im Februar 1825 begannen die Stuttgarter Conferenzen
-- eine kläglichere Wiederholung der Darmstädter Verhandlungen, von
Haus aus verdorben durch Groll und Mißtrauen. Daß Nassau keinen
redlichen Willen mitbrachte, erriethen die preußischen Diplomaten sofort;
was ließ sich auch von diesem Bevollmächtigten, dem hartköpfigen Partiku-
laristen Röntgen erwarten? Die Darmstädtische Regierung begann schon
seit Langem zu bezweifeln, ob ein süddeutscher Verein ihrem Staate
nützlich sei. Wein und Getreide, für jetzt fast die einzigen wichtigen
Ausfuhrartikel des Ländchens, fanden ihren Absatz im Norden; und
auch wenn der Verein zu Stande kam, blieb Darmstadt nach wie vor
ein Grenzland, überall von Mauthen umstellt. Kurhessen hielt sich
den Conferenzen fern. Auch der badische Bevollmächtigte Nebenius kam
aus unlustig hoffnungsloser Stimmung nicht heraus, und erschwerte die

*) Berstett an du Thil, Nov. 1824. du Thil an Berstett, 14. Dec. 1824. Ne-
benius' Denkschrift über die Zollverwaltung, 20. März 1825.

III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
ſeine letzte und ſchwerſte Bedingung auf. Die verbündeten Staaten ver-
pflichteten ſich, in feſter Gemeinſchaft vorzugehen und vornehmlich bei
dem Verlangen zu beharren, daß jeder Staat ſeine Zollverwaltung ſelb-
ſtändig führe; nur unter dieſer Bedingung ſei ein Zollverein möglich.
Baden, das doch in Wien und in Darmſtadt ſelber eine Centralverwal-
tung vorgeſchlagen hatte, hielt jetzt die entgegengeſetzte Forderung am
hartnäckigſten feſt. Die beiden Königreiche hatten ihr Mißtrauen gegen
die allzu nachſichtige badiſche Zollverwaltung oft und in verletzender Form
ausgeſprochen. Der Karlsruher Hof fühlte ſich dadurch tief gekränkt
und — er fürchtete die Anweſenheit bairiſcher Zollbeamten in ſeinem
bedrohten pfälziſchen Gebiete. Wir wollen, ſchrieb Berſtett an du Thil,
ſchlechterdings keinen status in statu, kein Funktioniren fremder Be-
amten in unſerem Gebiete; und Jener antwortete: auch keine Verpflichtung
der Zollbehörden für die Gemeinſchaft, denn ſonſt könnte der großherzog-
liche Zolldirector dem Miniſter ſich widerſetzen! Ebenſo nachdrücklich er-
klärte Nebenius: „Die Frage iſt ganz einfach dieſe, ob die Unterthanen
der einzelnen Staaten in einem unmittelbaren Verhältniß zu der Gemein-
ſchaft ſtehen ſollen;“ hege man kein Vertrauen zu der redlichen Verwal-
tung der Bundesgenoſſen, dann ſei ein Zollverein überhaupt undenkbar.*)
Es war einfach die Geſinnung des eiferſüchtigen Partikularismus, die
hier nackt heraustrat. Aber dieſer Partikularismus blieb die Lebensluft
des deutſchen Bundesrechts. Der badiſch-darmſtädtiſche Vorſchlag ergab
ſich folgerecht aus dem Weſen eines Staatenbundes. Eine Centralver-
waltung für das Zollweſen ließ ſich nur denken auf dem Boden eines
Bundesſtaates, eines Reiches.

Indeſſen hatten die beiden Königreiche ihren Entwurf feſtgeſtellt
und die oberrheiniſchen Cabinette zu Verhandlungen über das Beſchloſſene
eingeladen. Im Februar 1825 begannen die Stuttgarter Conferenzen
— eine kläglichere Wiederholung der Darmſtädter Verhandlungen, von
Haus aus verdorben durch Groll und Mißtrauen. Daß Naſſau keinen
redlichen Willen mitbrachte, erriethen die preußiſchen Diplomaten ſofort;
was ließ ſich auch von dieſem Bevollmächtigten, dem hartköpfigen Partiku-
lariſten Röntgen erwarten? Die Darmſtädtiſche Regierung begann ſchon
ſeit Langem zu bezweifeln, ob ein ſüddeutſcher Verein ihrem Staate
nützlich ſei. Wein und Getreide, für jetzt faſt die einzigen wichtigen
Ausfuhrartikel des Ländchens, fanden ihren Abſatz im Norden; und
auch wenn der Verein zu Stande kam, blieb Darmſtadt nach wie vor
ein Grenzland, überall von Mauthen umſtellt. Kurheſſen hielt ſich
den Conferenzen fern. Auch der badiſche Bevollmächtigte Nebenius kam
aus unluſtig hoffnungsloſer Stimmung nicht heraus, und erſchwerte die

*) Berſtett an du Thil, Nov. 1824. du Thil an Berſtett, 14. Dec. 1824. Ne-
benius’ Denkſchrift über die Zollverwaltung, 20. März 1825.
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[626/0642] III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. ſeine letzte und ſchwerſte Bedingung auf. Die verbündeten Staaten ver- pflichteten ſich, in feſter Gemeinſchaft vorzugehen und vornehmlich bei dem Verlangen zu beharren, daß jeder Staat ſeine Zollverwaltung ſelb- ſtändig führe; nur unter dieſer Bedingung ſei ein Zollverein möglich. Baden, das doch in Wien und in Darmſtadt ſelber eine Centralverwal- tung vorgeſchlagen hatte, hielt jetzt die entgegengeſetzte Forderung am hartnäckigſten feſt. Die beiden Königreiche hatten ihr Mißtrauen gegen die allzu nachſichtige badiſche Zollverwaltung oft und in verletzender Form ausgeſprochen. Der Karlsruher Hof fühlte ſich dadurch tief gekränkt und — er fürchtete die Anweſenheit bairiſcher Zollbeamten in ſeinem bedrohten pfälziſchen Gebiete. Wir wollen, ſchrieb Berſtett an du Thil, ſchlechterdings keinen status in statu, kein Funktioniren fremder Be- amten in unſerem Gebiete; und Jener antwortete: auch keine Verpflichtung der Zollbehörden für die Gemeinſchaft, denn ſonſt könnte der großherzog- liche Zolldirector dem Miniſter ſich widerſetzen! Ebenſo nachdrücklich er- klärte Nebenius: „Die Frage iſt ganz einfach dieſe, ob die Unterthanen der einzelnen Staaten in einem unmittelbaren Verhältniß zu der Gemein- ſchaft ſtehen ſollen;“ hege man kein Vertrauen zu der redlichen Verwal- tung der Bundesgenoſſen, dann ſei ein Zollverein überhaupt undenkbar. *) Es war einfach die Geſinnung des eiferſüchtigen Partikularismus, die hier nackt heraustrat. Aber dieſer Partikularismus blieb die Lebensluft des deutſchen Bundesrechts. Der badiſch-darmſtädtiſche Vorſchlag ergab ſich folgerecht aus dem Weſen eines Staatenbundes. Eine Centralver- waltung für das Zollweſen ließ ſich nur denken auf dem Boden eines Bundesſtaates, eines Reiches. Indeſſen hatten die beiden Königreiche ihren Entwurf feſtgeſtellt und die oberrheiniſchen Cabinette zu Verhandlungen über das Beſchloſſene eingeladen. Im Februar 1825 begannen die Stuttgarter Conferenzen — eine kläglichere Wiederholung der Darmſtädter Verhandlungen, von Haus aus verdorben durch Groll und Mißtrauen. Daß Naſſau keinen redlichen Willen mitbrachte, erriethen die preußiſchen Diplomaten ſofort; was ließ ſich auch von dieſem Bevollmächtigten, dem hartköpfigen Partiku- lariſten Röntgen erwarten? Die Darmſtädtiſche Regierung begann ſchon ſeit Langem zu bezweifeln, ob ein ſüddeutſcher Verein ihrem Staate nützlich ſei. Wein und Getreide, für jetzt faſt die einzigen wichtigen Ausfuhrartikel des Ländchens, fanden ihren Abſatz im Norden; und auch wenn der Verein zu Stande kam, blieb Darmſtadt nach wie vor ein Grenzland, überall von Mauthen umſtellt. Kurheſſen hielt ſich den Conferenzen fern. Auch der badiſche Bevollmächtigte Nebenius kam aus unluſtig hoffnungsloſer Stimmung nicht heraus, und erſchwerte die *) Berſtett an du Thil, Nov. 1824. du Thil an Berſtett, 14. Dec. 1824. Ne- benius’ Denkſchrift über die Zollverwaltung, 20. März 1825.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/642>, abgerufen am 26.11.2024.