sodann seinen Nebenius zu gleichem Zwecke nach Württemberg. Der ba- dische Bevollmächtigte ward in Stuttgart sehr unfreundlich aufgenommen und wochenlang hingehalten, da der württembergische Unterhändler stets zur unpassenden Stunde unwohl wurde. Gekränkt und verstimmt dachte er schon heimzureisen; da erfuhr er endlich, daß Württemberg inzwischen schon eine neue geheime Verhandlung mit Baiern begonnen habe.*) Die Nachricht von dem badisch-hessischen Vertrage hatte den Münchener Hof mit schwerer Sorge erfüllt. Man fürchtete die Führerschaft im Süden zu verlieren und gerieth in Unruhe wegen der Rheinpfalz; diese unzufrie- dene Provinz forderte dringend, fast drohend eine Verständigung mit den Rheinuferstaaten, die für ihr Handelsinteresse weit wichtiger seien als die altbairischen Lande. Ueberdies hatte Blittersdorff den unsterblichen Art. 19 und die Handelssache soeben am Bundestage wieder zur Sprache gebracht; und obwohl dies nur ein Zeichen der Rathlosigkeit war, so wollte doch Baiern jede Einmischung des Bundes abschneiden. So geschah es, daß Schmitz-Grollenburg's Anträge jetzt in München einer günstigeren Stimmung begegneten. König Max Joseph gestattete, daß der württem- bergische Geheimrath Herzog nach München kam. Während man Nebe- nius in Stuttgart mit leeren Ausflüchten vertröstete, ward an der Isar über einen süddeutschen Zollverein verhandelt.
Schon am 4. Oktober 1824 kam dort ein vorläufiger Vertrag zu Stande; im folgenden Monat traten die Bevollmächtigten der beiden König- reiche in Stuttgart zusammen, um die Vereinbarung endgiltig festzustellen. Gewitzigt durch den ziellosen Meinungswirrwar der Darmstädter Con- ferenzen zogen Baiern und Württemberg diesmal vor, zunächst unter sich ins Reine zu kommen, dann erst die kleinen Nachbarn zum Beitritt auf- zufordern. Ein richtiger Gedanke, sicherlich, doch die Heimlichkeit des Ver- fahrens verletzte die oberrheinischen Höfe. In Karlsruhe wie in Darm- stadt prahlte man gern: wir können Baierns entbehren, Baiern nicht unser, da wir seine Verbindung mit der Rheinpfalz beherrschen. Um so bitterer empfand man das rasche Vorgehen des Münchener Hofes. Um "den Prä- tensionen der königlichen Höfe" entgegenzutreten, eilte Berstett nach Frank- furt, besprach sich dort mit Marschall. Gleich darauf (19. Novb. 1824) hielten Berstett, Nebenius, du Thil und Hoffmann in Heidelberg eine geheime Zusammenkunft, welche der badische Minister selber in einem ver- trauten Briefe "ein Gegengift" gegen die bairisch-württembergischen Um- triebe nannte.**)
Das hier vereinbarte Protokoll, dem nachher auch Marschall beitrat, wurde bedeutungsvoll für die Geschichte der deutschen Handelspolitik; denn hier spielte der Partikularismus seinen höchsten Trumpf aus, er stellte
*) Nebenius' Bericht, 15. Sept. 1824 ff.
**) Berstett an Blittersdorff, 27. Nov. 1824.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 40
Das Heidelberger Protokoll.
ſodann ſeinen Nebenius zu gleichem Zwecke nach Württemberg. Der ba- diſche Bevollmächtigte ward in Stuttgart ſehr unfreundlich aufgenommen und wochenlang hingehalten, da der württembergiſche Unterhändler ſtets zur unpaſſenden Stunde unwohl wurde. Gekränkt und verſtimmt dachte er ſchon heimzureiſen; da erfuhr er endlich, daß Württemberg inzwiſchen ſchon eine neue geheime Verhandlung mit Baiern begonnen habe.*) Die Nachricht von dem badiſch-heſſiſchen Vertrage hatte den Münchener Hof mit ſchwerer Sorge erfüllt. Man fürchtete die Führerſchaft im Süden zu verlieren und gerieth in Unruhe wegen der Rheinpfalz; dieſe unzufrie- dene Provinz forderte dringend, faſt drohend eine Verſtändigung mit den Rheinuferſtaaten, die für ihr Handelsintereſſe weit wichtiger ſeien als die altbairiſchen Lande. Ueberdies hatte Blittersdorff den unſterblichen Art. 19 und die Handelsſache ſoeben am Bundestage wieder zur Sprache gebracht; und obwohl dies nur ein Zeichen der Rathloſigkeit war, ſo wollte doch Baiern jede Einmiſchung des Bundes abſchneiden. So geſchah es, daß Schmitz-Grollenburg’s Anträge jetzt in München einer günſtigeren Stimmung begegneten. König Max Joſeph geſtattete, daß der württem- bergiſche Geheimrath Herzog nach München kam. Während man Nebe- nius in Stuttgart mit leeren Ausflüchten vertröſtete, ward an der Iſar über einen ſüddeutſchen Zollverein verhandelt.
Schon am 4. Oktober 1824 kam dort ein vorläufiger Vertrag zu Stande; im folgenden Monat traten die Bevollmächtigten der beiden König- reiche in Stuttgart zuſammen, um die Vereinbarung endgiltig feſtzuſtellen. Gewitzigt durch den zielloſen Meinungswirrwar der Darmſtädter Con- ferenzen zogen Baiern und Württemberg diesmal vor, zunächſt unter ſich ins Reine zu kommen, dann erſt die kleinen Nachbarn zum Beitritt auf- zufordern. Ein richtiger Gedanke, ſicherlich, doch die Heimlichkeit des Ver- fahrens verletzte die oberrheiniſchen Höfe. In Karlsruhe wie in Darm- ſtadt prahlte man gern: wir können Baierns entbehren, Baiern nicht unſer, da wir ſeine Verbindung mit der Rheinpfalz beherrſchen. Um ſo bitterer empfand man das raſche Vorgehen des Münchener Hofes. Um „den Prä- tenſionen der königlichen Höfe“ entgegenzutreten, eilte Berſtett nach Frank- furt, beſprach ſich dort mit Marſchall. Gleich darauf (19. Novb. 1824) hielten Berſtett, Nebenius, du Thil und Hoffmann in Heidelberg eine geheime Zuſammenkunft, welche der badiſche Miniſter ſelber in einem ver- trauten Briefe „ein Gegengift“ gegen die bairiſch-württembergiſchen Um- triebe nannte.**)
Das hier vereinbarte Protokoll, dem nachher auch Marſchall beitrat, wurde bedeutungsvoll für die Geſchichte der deutſchen Handelspolitik; denn hier ſpielte der Partikularismus ſeinen höchſten Trumpf aus, er ſtellte
*) Nebenius’ Bericht, 15. Sept. 1824 ff.
**) Berſtett an Blittersdorff, 27. Nov. 1824.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 40
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Das Heidelberger Protokoll.
ſodann ſeinen Nebenius zu gleichem Zwecke nach Württemberg. Der ba-
diſche Bevollmächtigte ward in Stuttgart ſehr unfreundlich aufgenommen
und wochenlang hingehalten, da der württembergiſche Unterhändler ſtets
zur unpaſſenden Stunde unwohl wurde. Gekränkt und verſtimmt dachte
er ſchon heimzureiſen; da erfuhr er endlich, daß Württemberg inzwiſchen
ſchon eine neue geheime Verhandlung mit Baiern begonnen habe. *) Die
Nachricht von dem badiſch-heſſiſchen Vertrage hatte den Münchener Hof
mit ſchwerer Sorge erfüllt. Man fürchtete die Führerſchaft im Süden
zu verlieren und gerieth in Unruhe wegen der Rheinpfalz; dieſe unzufrie-
dene Provinz forderte dringend, faſt drohend eine Verſtändigung mit den
Rheinuferſtaaten, die für ihr Handelsintereſſe weit wichtiger ſeien als die
altbairiſchen Lande. Ueberdies hatte Blittersdorff den unſterblichen
Art. 19 und die Handelsſache ſoeben am Bundestage wieder zur Sprache
gebracht; und obwohl dies nur ein Zeichen der Rathloſigkeit war, ſo
wollte doch Baiern jede Einmiſchung des Bundes abſchneiden. So geſchah
es, daß Schmitz-Grollenburg’s Anträge jetzt in München einer günſtigeren
Stimmung begegneten. König Max Joſeph geſtattete, daß der württem-
bergiſche Geheimrath Herzog nach München kam. Während man Nebe-
nius in Stuttgart mit leeren Ausflüchten vertröſtete, ward an der Iſar
über einen ſüddeutſchen Zollverein verhandelt.
Schon am 4. Oktober 1824 kam dort ein vorläufiger Vertrag zu
Stande; im folgenden Monat traten die Bevollmächtigten der beiden König-
reiche in Stuttgart zuſammen, um die Vereinbarung endgiltig feſtzuſtellen.
Gewitzigt durch den zielloſen Meinungswirrwar der Darmſtädter Con-
ferenzen zogen Baiern und Württemberg diesmal vor, zunächſt unter ſich
ins Reine zu kommen, dann erſt die kleinen Nachbarn zum Beitritt auf-
zufordern. Ein richtiger Gedanke, ſicherlich, doch die Heimlichkeit des Ver-
fahrens verletzte die oberrheiniſchen Höfe. In Karlsruhe wie in Darm-
ſtadt prahlte man gern: wir können Baierns entbehren, Baiern nicht unſer,
da wir ſeine Verbindung mit der Rheinpfalz beherrſchen. Um ſo bitterer
empfand man das raſche Vorgehen des Münchener Hofes. Um „den Prä-
tenſionen der königlichen Höfe“ entgegenzutreten, eilte Berſtett nach Frank-
furt, beſprach ſich dort mit Marſchall. Gleich darauf (19. Novb. 1824)
hielten Berſtett, Nebenius, du Thil und Hoffmann in Heidelberg eine
geheime Zuſammenkunft, welche der badiſche Miniſter ſelber in einem ver-
trauten Briefe „ein Gegengift“ gegen die bairiſch-württembergiſchen Um-
triebe nannte. **)
Das hier vereinbarte Protokoll, dem nachher auch Marſchall beitrat,
wurde bedeutungsvoll für die Geſchichte der deutſchen Handelspolitik; denn
hier ſpielte der Partikularismus ſeinen höchſten Trumpf aus, er ſtellte
*) Nebenius’ Bericht, 15. Sept. 1824 ff.
**) Berſtett an Blittersdorff, 27. Nov. 1824.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 40
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/641>, abgerufen am 16.07.2024.
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