Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Heidelberger Protokoll.
sodann seinen Nebenius zu gleichem Zwecke nach Württemberg. Der ba-
dische Bevollmächtigte ward in Stuttgart sehr unfreundlich aufgenommen
und wochenlang hingehalten, da der württembergische Unterhändler stets
zur unpassenden Stunde unwohl wurde. Gekränkt und verstimmt dachte
er schon heimzureisen; da erfuhr er endlich, daß Württemberg inzwischen
schon eine neue geheime Verhandlung mit Baiern begonnen habe.*) Die
Nachricht von dem badisch-hessischen Vertrage hatte den Münchener Hof
mit schwerer Sorge erfüllt. Man fürchtete die Führerschaft im Süden
zu verlieren und gerieth in Unruhe wegen der Rheinpfalz; diese unzufrie-
dene Provinz forderte dringend, fast drohend eine Verständigung mit den
Rheinuferstaaten, die für ihr Handelsinteresse weit wichtiger seien als die
altbairischen Lande. Ueberdies hatte Blittersdorff den unsterblichen
Art. 19 und die Handelssache soeben am Bundestage wieder zur Sprache
gebracht; und obwohl dies nur ein Zeichen der Rathlosigkeit war, so
wollte doch Baiern jede Einmischung des Bundes abschneiden. So geschah
es, daß Schmitz-Grollenburg's Anträge jetzt in München einer günstigeren
Stimmung begegneten. König Max Joseph gestattete, daß der württem-
bergische Geheimrath Herzog nach München kam. Während man Nebe-
nius in Stuttgart mit leeren Ausflüchten vertröstete, ward an der Isar
über einen süddeutschen Zollverein verhandelt.

Schon am 4. Oktober 1824 kam dort ein vorläufiger Vertrag zu
Stande; im folgenden Monat traten die Bevollmächtigten der beiden König-
reiche in Stuttgart zusammen, um die Vereinbarung endgiltig festzustellen.
Gewitzigt durch den ziellosen Meinungswirrwar der Darmstädter Con-
ferenzen zogen Baiern und Württemberg diesmal vor, zunächst unter sich
ins Reine zu kommen, dann erst die kleinen Nachbarn zum Beitritt auf-
zufordern. Ein richtiger Gedanke, sicherlich, doch die Heimlichkeit des Ver-
fahrens verletzte die oberrheinischen Höfe. In Karlsruhe wie in Darm-
stadt prahlte man gern: wir können Baierns entbehren, Baiern nicht unser,
da wir seine Verbindung mit der Rheinpfalz beherrschen. Um so bitterer
empfand man das rasche Vorgehen des Münchener Hofes. Um "den Prä-
tensionen der königlichen Höfe" entgegenzutreten, eilte Berstett nach Frank-
furt, besprach sich dort mit Marschall. Gleich darauf (19. Novb. 1824)
hielten Berstett, Nebenius, du Thil und Hoffmann in Heidelberg eine
geheime Zusammenkunft, welche der badische Minister selber in einem ver-
trauten Briefe "ein Gegengift" gegen die bairisch-württembergischen Um-
triebe nannte.**)

Das hier vereinbarte Protokoll, dem nachher auch Marschall beitrat,
wurde bedeutungsvoll für die Geschichte der deutschen Handelspolitik; denn
hier spielte der Partikularismus seinen höchsten Trumpf aus, er stellte

*) Nebenius' Bericht, 15. Sept. 1824 ff.
**) Berstett an Blittersdorff, 27. Nov. 1824.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 40

Das Heidelberger Protokoll.
ſodann ſeinen Nebenius zu gleichem Zwecke nach Württemberg. Der ba-
diſche Bevollmächtigte ward in Stuttgart ſehr unfreundlich aufgenommen
und wochenlang hingehalten, da der württembergiſche Unterhändler ſtets
zur unpaſſenden Stunde unwohl wurde. Gekränkt und verſtimmt dachte
er ſchon heimzureiſen; da erfuhr er endlich, daß Württemberg inzwiſchen
ſchon eine neue geheime Verhandlung mit Baiern begonnen habe.*) Die
Nachricht von dem badiſch-heſſiſchen Vertrage hatte den Münchener Hof
mit ſchwerer Sorge erfüllt. Man fürchtete die Führerſchaft im Süden
zu verlieren und gerieth in Unruhe wegen der Rheinpfalz; dieſe unzufrie-
dene Provinz forderte dringend, faſt drohend eine Verſtändigung mit den
Rheinuferſtaaten, die für ihr Handelsintereſſe weit wichtiger ſeien als die
altbairiſchen Lande. Ueberdies hatte Blittersdorff den unſterblichen
Art. 19 und die Handelsſache ſoeben am Bundestage wieder zur Sprache
gebracht; und obwohl dies nur ein Zeichen der Rathloſigkeit war, ſo
wollte doch Baiern jede Einmiſchung des Bundes abſchneiden. So geſchah
es, daß Schmitz-Grollenburg’s Anträge jetzt in München einer günſtigeren
Stimmung begegneten. König Max Joſeph geſtattete, daß der württem-
bergiſche Geheimrath Herzog nach München kam. Während man Nebe-
nius in Stuttgart mit leeren Ausflüchten vertröſtete, ward an der Iſar
über einen ſüddeutſchen Zollverein verhandelt.

Schon am 4. Oktober 1824 kam dort ein vorläufiger Vertrag zu
Stande; im folgenden Monat traten die Bevollmächtigten der beiden König-
reiche in Stuttgart zuſammen, um die Vereinbarung endgiltig feſtzuſtellen.
Gewitzigt durch den zielloſen Meinungswirrwar der Darmſtädter Con-
ferenzen zogen Baiern und Württemberg diesmal vor, zunächſt unter ſich
ins Reine zu kommen, dann erſt die kleinen Nachbarn zum Beitritt auf-
zufordern. Ein richtiger Gedanke, ſicherlich, doch die Heimlichkeit des Ver-
fahrens verletzte die oberrheiniſchen Höfe. In Karlsruhe wie in Darm-
ſtadt prahlte man gern: wir können Baierns entbehren, Baiern nicht unſer,
da wir ſeine Verbindung mit der Rheinpfalz beherrſchen. Um ſo bitterer
empfand man das raſche Vorgehen des Münchener Hofes. Um „den Prä-
tenſionen der königlichen Höfe“ entgegenzutreten, eilte Berſtett nach Frank-
furt, beſprach ſich dort mit Marſchall. Gleich darauf (19. Novb. 1824)
hielten Berſtett, Nebenius, du Thil und Hoffmann in Heidelberg eine
geheime Zuſammenkunft, welche der badiſche Miniſter ſelber in einem ver-
trauten Briefe „ein Gegengift“ gegen die bairiſch-württembergiſchen Um-
triebe nannte.**)

Das hier vereinbarte Protokoll, dem nachher auch Marſchall beitrat,
wurde bedeutungsvoll für die Geſchichte der deutſchen Handelspolitik; denn
hier ſpielte der Partikularismus ſeinen höchſten Trumpf aus, er ſtellte

*) Nebenius’ Bericht, 15. Sept. 1824 ff.
**) Berſtett an Blittersdorff, 27. Nov. 1824.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 40
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0641" n="625"/><fw place="top" type="header">Das Heidelberger Protokoll.</fw><lb/>
&#x017F;odann &#x017F;einen Nebenius zu gleichem Zwecke nach Württemberg. Der ba-<lb/>
di&#x017F;che Bevollmächtigte ward in Stuttgart &#x017F;ehr unfreundlich aufgenommen<lb/>
und wochenlang hingehalten, da der württembergi&#x017F;che Unterhändler &#x017F;tets<lb/>
zur unpa&#x017F;&#x017F;enden Stunde unwohl wurde. Gekränkt und ver&#x017F;timmt dachte<lb/>
er &#x017F;chon heimzurei&#x017F;en; da erfuhr er endlich, daß Württemberg inzwi&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;chon eine neue geheime Verhandlung mit Baiern begonnen habe.<note place="foot" n="*)">Nebenius&#x2019; Bericht, 15. Sept. 1824 ff.</note> Die<lb/>
Nachricht von dem badi&#x017F;ch-he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Vertrage hatte den Münchener Hof<lb/>
mit &#x017F;chwerer Sorge erfüllt. Man fürchtete die Führer&#x017F;chaft im Süden<lb/>
zu verlieren und gerieth in Unruhe wegen der Rheinpfalz; die&#x017F;e unzufrie-<lb/>
dene Provinz forderte dringend, fa&#x017F;t drohend eine Ver&#x017F;tändigung mit den<lb/>
Rheinufer&#x017F;taaten, die für ihr Handelsintere&#x017F;&#x017F;e weit wichtiger &#x017F;eien als die<lb/>
altbairi&#x017F;chen Lande. Ueberdies hatte Blittersdorff den un&#x017F;terblichen<lb/>
Art. 19 und die Handels&#x017F;ache &#x017F;oeben am Bundestage wieder zur Sprache<lb/>
gebracht; und obwohl dies nur ein Zeichen der Rathlo&#x017F;igkeit war, &#x017F;o<lb/>
wollte doch Baiern jede Einmi&#x017F;chung des Bundes ab&#x017F;chneiden. So ge&#x017F;chah<lb/>
es, daß Schmitz-Grollenburg&#x2019;s Anträge jetzt in München einer gün&#x017F;tigeren<lb/>
Stimmung begegneten. König Max Jo&#x017F;eph ge&#x017F;tattete, daß der württem-<lb/>
bergi&#x017F;che Geheimrath Herzog nach München kam. Während man Nebe-<lb/>
nius in Stuttgart mit leeren Ausflüchten vertrö&#x017F;tete, ward an der I&#x017F;ar<lb/>
über einen &#x017F;üddeut&#x017F;chen Zollverein verhandelt.</p><lb/>
          <p>Schon am 4. Oktober 1824 kam dort ein vorläufiger Vertrag zu<lb/>
Stande; im folgenden Monat traten die Bevollmächtigten der beiden König-<lb/>
reiche in Stuttgart zu&#x017F;ammen, um die Vereinbarung endgiltig fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen.<lb/>
Gewitzigt durch den ziello&#x017F;en Meinungswirrwar der Darm&#x017F;tädter Con-<lb/>
ferenzen zogen Baiern und Württemberg diesmal vor, zunäch&#x017F;t unter &#x017F;ich<lb/>
ins Reine zu kommen, dann er&#x017F;t die kleinen Nachbarn zum Beitritt auf-<lb/>
zufordern. Ein richtiger Gedanke, &#x017F;icherlich, doch die Heimlichkeit des Ver-<lb/>
fahrens verletzte die oberrheini&#x017F;chen Höfe. In Karlsruhe wie in Darm-<lb/>
&#x017F;tadt prahlte man gern: wir können Baierns entbehren, Baiern nicht un&#x017F;er,<lb/>
da wir &#x017F;eine Verbindung mit der Rheinpfalz beherr&#x017F;chen. Um &#x017F;o bitterer<lb/>
empfand man das ra&#x017F;che Vorgehen des Münchener Hofes. Um &#x201E;den Prä-<lb/>
ten&#x017F;ionen der königlichen Höfe&#x201C; entgegenzutreten, eilte Ber&#x017F;tett nach Frank-<lb/>
furt, be&#x017F;prach &#x017F;ich dort mit Mar&#x017F;chall. Gleich darauf (19. Novb. 1824)<lb/>
hielten Ber&#x017F;tett, Nebenius, du Thil und Hoffmann in Heidelberg eine<lb/>
geheime Zu&#x017F;ammenkunft, welche der badi&#x017F;che Mini&#x017F;ter &#x017F;elber in einem ver-<lb/>
trauten Briefe &#x201E;ein Gegengift&#x201C; gegen die bairi&#x017F;ch-württembergi&#x017F;chen Um-<lb/>
triebe nannte.<note place="foot" n="**)">Ber&#x017F;tett an Blittersdorff, 27. Nov. 1824.</note></p><lb/>
          <p>Das hier vereinbarte Protokoll, dem nachher auch Mar&#x017F;chall beitrat,<lb/>
wurde bedeutungsvoll für die Ge&#x017F;chichte der deut&#x017F;chen Handelspolitik; denn<lb/>
hier &#x017F;pielte der Partikularismus &#x017F;einen höch&#x017F;ten Trumpf aus, er &#x017F;tellte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Treit&#x017F;chke</hi>, Deut&#x017F;che Ge&#x017F;chichte. <hi rendition="#aq">III.</hi> 40</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[625/0641] Das Heidelberger Protokoll. ſodann ſeinen Nebenius zu gleichem Zwecke nach Württemberg. Der ba- diſche Bevollmächtigte ward in Stuttgart ſehr unfreundlich aufgenommen und wochenlang hingehalten, da der württembergiſche Unterhändler ſtets zur unpaſſenden Stunde unwohl wurde. Gekränkt und verſtimmt dachte er ſchon heimzureiſen; da erfuhr er endlich, daß Württemberg inzwiſchen ſchon eine neue geheime Verhandlung mit Baiern begonnen habe. *) Die Nachricht von dem badiſch-heſſiſchen Vertrage hatte den Münchener Hof mit ſchwerer Sorge erfüllt. Man fürchtete die Führerſchaft im Süden zu verlieren und gerieth in Unruhe wegen der Rheinpfalz; dieſe unzufrie- dene Provinz forderte dringend, faſt drohend eine Verſtändigung mit den Rheinuferſtaaten, die für ihr Handelsintereſſe weit wichtiger ſeien als die altbairiſchen Lande. Ueberdies hatte Blittersdorff den unſterblichen Art. 19 und die Handelsſache ſoeben am Bundestage wieder zur Sprache gebracht; und obwohl dies nur ein Zeichen der Rathloſigkeit war, ſo wollte doch Baiern jede Einmiſchung des Bundes abſchneiden. So geſchah es, daß Schmitz-Grollenburg’s Anträge jetzt in München einer günſtigeren Stimmung begegneten. König Max Joſeph geſtattete, daß der württem- bergiſche Geheimrath Herzog nach München kam. Während man Nebe- nius in Stuttgart mit leeren Ausflüchten vertröſtete, ward an der Iſar über einen ſüddeutſchen Zollverein verhandelt. Schon am 4. Oktober 1824 kam dort ein vorläufiger Vertrag zu Stande; im folgenden Monat traten die Bevollmächtigten der beiden König- reiche in Stuttgart zuſammen, um die Vereinbarung endgiltig feſtzuſtellen. Gewitzigt durch den zielloſen Meinungswirrwar der Darmſtädter Con- ferenzen zogen Baiern und Württemberg diesmal vor, zunächſt unter ſich ins Reine zu kommen, dann erſt die kleinen Nachbarn zum Beitritt auf- zufordern. Ein richtiger Gedanke, ſicherlich, doch die Heimlichkeit des Ver- fahrens verletzte die oberrheiniſchen Höfe. In Karlsruhe wie in Darm- ſtadt prahlte man gern: wir können Baierns entbehren, Baiern nicht unſer, da wir ſeine Verbindung mit der Rheinpfalz beherrſchen. Um ſo bitterer empfand man das raſche Vorgehen des Münchener Hofes. Um „den Prä- tenſionen der königlichen Höfe“ entgegenzutreten, eilte Berſtett nach Frank- furt, beſprach ſich dort mit Marſchall. Gleich darauf (19. Novb. 1824) hielten Berſtett, Nebenius, du Thil und Hoffmann in Heidelberg eine geheime Zuſammenkunft, welche der badiſche Miniſter ſelber in einem ver- trauten Briefe „ein Gegengift“ gegen die bairiſch-württembergiſchen Um- triebe nannte. **) Das hier vereinbarte Protokoll, dem nachher auch Marſchall beitrat, wurde bedeutungsvoll für die Geſchichte der deutſchen Handelspolitik; denn hier ſpielte der Partikularismus ſeinen höchſten Trumpf aus, er ſtellte *) Nebenius’ Bericht, 15. Sept. 1824 ff. **) Berſtett an Blittersdorff, 27. Nov. 1824. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 40

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/641
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/641>, abgerufen am 26.11.2024.