sich nicht vereinige, so sähen sie sich genöthigt einen bereits verabredeten bedingten Vertrag auszuführen und "einen in sich geschlossenen Handels- staat" zu bilden -- "eine Selbsthilfe, welche das Bild der Zwietracht, das Deutschlands Staaten darstellen, zur höchsten Vollendung zu bringen gemacht wäre." Und wahrlich, der Süden bot einen jammervollen An- blick nach dem Abbruch der Darmstädter Verhandlungen. Jedes Cabinet ging trotzig und verstimmt seines eigenen Wegs. Die Darmstädtische Re- gierung versuchte noch einmal (Febr. 1824) die oberrheinischen Höfe zur Annahme gleichförmiger Zollgesetze zu bewegen; da dies mißlang, gab sie ihrem Lande eine selbständige Zollordnung, welche, dem Volke verhaßt, kaum 80,000 Gulden jährlich einbrachte. Der kluge du Thil hatte diesen armseligen Ertrag vorhergesehen, er wollte sich aber für künftige Zoll- verträge ein Unterhandlungsmittel sichern. Auch Württemberg führte im selben Jahre ein neues Zollgesetz ein, das dem bairischen nahe stand. Das Schmuggelgeschäft in Frankfurt und in Baden blühte wie nie zuvor. Thörichte Retorsionen belästigten den Verkehr. Als Württemberg mit der Schweiz über einen Handelsvertrag verhandelte, sendete Baden sofort einen Bevollmächtigten nach Zürich, um den Fortgang des Geschäftes arg- wöhnisch zu beobachten. In der Schweiz herrschte dasselbe Elend ger- manischer Zersplitterung; concordirende und nicht concordirende Can- tone fanden des Haders kein Ende, die Verhandlungen rückten kaum von der Stelle.
Nur der Stuttgarter Hof gab in diesem Zeitraum allgemeiner Zer- fahrenheit die Triasträume und Zollvereinspläne nicht auf. Der würt- tembergische Gesandte in München, Freiherr von Schmitz-Grollenburg, ein rühriger Liberaler, gleich seinem Gönner Wangenheim begeistert für den Bund der Mindermächtigen, ließ nicht ab das bairische Cabinet um Wiederaufnahme der Verhandlungen zu bitten. Eine geraume Zeit hin- durch fand er keinen Anklang; sein Freund Lerchenfeld konnte nicht auf- kommen gegen Rechberg, der rundweg aussprach, eine gemeinschaftliche Zollgrenze sei entwürdigend für die rückwärtsliegenden Staaten.*) Auch bestand im altbairischen Volke wenig Neigung mehr für die Zollvereins- pläne; die öffentliche Meinung verlor das Vertrauen zu den immerdar vergeblichen Unterhandlungen.
Immerhin hatten die Darmstädter Berathungen die Lage etwas ge- klärt. Süddeutschland zerfiel in zwei Gruppen. Die beiden Königreiche auf der einen, die Rheinufer-Staaten auf der anderen Seite waren sich der Gemeinschaft ihrer Interessen bewußt geworden. Eben diese Son- derung zweier Gruppen führte dann zu neuen Einigungsversuchen. Baden schloß mit Darmstadt (10. Septbr. 1824) einen Vertrag, der den eigenen Producten der beiden Staaten einige Erleichterung gewährte, und sendete
*) Küster's Bericht, 3. Okt. 1824.
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
ſich nicht vereinige, ſo ſähen ſie ſich genöthigt einen bereits verabredeten bedingten Vertrag auszuführen und „einen in ſich geſchloſſenen Handels- ſtaat“ zu bilden — „eine Selbſthilfe, welche das Bild der Zwietracht, das Deutſchlands Staaten darſtellen, zur höchſten Vollendung zu bringen gemacht wäre.“ Und wahrlich, der Süden bot einen jammervollen An- blick nach dem Abbruch der Darmſtädter Verhandlungen. Jedes Cabinet ging trotzig und verſtimmt ſeines eigenen Wegs. Die Darmſtädtiſche Re- gierung verſuchte noch einmal (Febr. 1824) die oberrheiniſchen Höfe zur Annahme gleichförmiger Zollgeſetze zu bewegen; da dies mißlang, gab ſie ihrem Lande eine ſelbſtändige Zollordnung, welche, dem Volke verhaßt, kaum 80,000 Gulden jährlich einbrachte. Der kluge du Thil hatte dieſen armſeligen Ertrag vorhergeſehen, er wollte ſich aber für künftige Zoll- verträge ein Unterhandlungsmittel ſichern. Auch Württemberg führte im ſelben Jahre ein neues Zollgeſetz ein, das dem bairiſchen nahe ſtand. Das Schmuggelgeſchäft in Frankfurt und in Baden blühte wie nie zuvor. Thörichte Retorſionen beläſtigten den Verkehr. Als Württemberg mit der Schweiz über einen Handelsvertrag verhandelte, ſendete Baden ſofort einen Bevollmächtigten nach Zürich, um den Fortgang des Geſchäftes arg- wöhniſch zu beobachten. In der Schweiz herrſchte daſſelbe Elend ger- maniſcher Zerſplitterung; concordirende und nicht concordirende Can- tone fanden des Haders kein Ende, die Verhandlungen rückten kaum von der Stelle.
Nur der Stuttgarter Hof gab in dieſem Zeitraum allgemeiner Zer- fahrenheit die Triasträume und Zollvereinspläne nicht auf. Der würt- tembergiſche Geſandte in München, Freiherr von Schmitz-Grollenburg, ein rühriger Liberaler, gleich ſeinem Gönner Wangenheim begeiſtert für den Bund der Mindermächtigen, ließ nicht ab das bairiſche Cabinet um Wiederaufnahme der Verhandlungen zu bitten. Eine geraume Zeit hin- durch fand er keinen Anklang; ſein Freund Lerchenfeld konnte nicht auf- kommen gegen Rechberg, der rundweg ausſprach, eine gemeinſchaftliche Zollgrenze ſei entwürdigend für die rückwärtsliegenden Staaten.*) Auch beſtand im altbairiſchen Volke wenig Neigung mehr für die Zollvereins- pläne; die öffentliche Meinung verlor das Vertrauen zu den immerdar vergeblichen Unterhandlungen.
Immerhin hatten die Darmſtädter Berathungen die Lage etwas ge- klärt. Süddeutſchland zerfiel in zwei Gruppen. Die beiden Königreiche auf der einen, die Rheinufer-Staaten auf der anderen Seite waren ſich der Gemeinſchaft ihrer Intereſſen bewußt geworden. Eben dieſe Son- derung zweier Gruppen führte dann zu neuen Einigungsverſuchen. Baden ſchloß mit Darmſtadt (10. Septbr. 1824) einen Vertrag, der den eigenen Producten der beiden Staaten einige Erleichterung gewährte, und ſendete
*) Küſter’s Bericht, 3. Okt. 1824.
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ſich nicht vereinige, ſo ſähen ſie ſich genöthigt einen bereits verabredeten
bedingten Vertrag auszuführen und „einen in ſich geſchloſſenen Handels-
ſtaat“ zu bilden — „eine Selbſthilfe, welche das Bild der Zwietracht,
das Deutſchlands Staaten darſtellen, zur höchſten Vollendung zu bringen
gemacht wäre.“ Und wahrlich, der Süden bot einen jammervollen An-
blick nach dem Abbruch der Darmſtädter Verhandlungen. Jedes Cabinet
ging trotzig und verſtimmt ſeines eigenen Wegs. Die Darmſtädtiſche Re-
gierung verſuchte noch einmal (Febr. 1824) die oberrheiniſchen Höfe zur
Annahme gleichförmiger Zollgeſetze zu bewegen; da dies mißlang, gab ſie
ihrem Lande eine ſelbſtändige Zollordnung, welche, dem Volke verhaßt,
kaum 80,000 Gulden jährlich einbrachte. Der kluge du Thil hatte dieſen
armſeligen Ertrag vorhergeſehen, er wollte ſich aber für künftige Zoll-
verträge ein Unterhandlungsmittel ſichern. Auch Württemberg führte im
ſelben Jahre ein neues Zollgeſetz ein, das dem bairiſchen nahe ſtand.
Das Schmuggelgeſchäft in Frankfurt und in Baden blühte wie nie zuvor.
Thörichte Retorſionen beläſtigten den Verkehr. Als Württemberg mit der
Schweiz über einen Handelsvertrag verhandelte, ſendete Baden ſofort
einen Bevollmächtigten nach Zürich, um den Fortgang des Geſchäftes arg-
wöhniſch zu beobachten. In der Schweiz herrſchte daſſelbe Elend ger-
maniſcher Zerſplitterung; concordirende und nicht concordirende Can-
tone fanden des Haders kein Ende, die Verhandlungen rückten kaum von
der Stelle.
Nur der Stuttgarter Hof gab in dieſem Zeitraum allgemeiner Zer-
fahrenheit die Triasträume und Zollvereinspläne nicht auf. Der würt-
tembergiſche Geſandte in München, Freiherr von Schmitz-Grollenburg,
ein rühriger Liberaler, gleich ſeinem Gönner Wangenheim begeiſtert für
den Bund der Mindermächtigen, ließ nicht ab das bairiſche Cabinet um
Wiederaufnahme der Verhandlungen zu bitten. Eine geraume Zeit hin-
durch fand er keinen Anklang; ſein Freund Lerchenfeld konnte nicht auf-
kommen gegen Rechberg, der rundweg ausſprach, eine gemeinſchaftliche
Zollgrenze ſei entwürdigend für die rückwärtsliegenden Staaten. *) Auch
beſtand im altbairiſchen Volke wenig Neigung mehr für die Zollvereins-
pläne; die öffentliche Meinung verlor das Vertrauen zu den immerdar
vergeblichen Unterhandlungen.
Immerhin hatten die Darmſtädter Berathungen die Lage etwas ge-
klärt. Süddeutſchland zerfiel in zwei Gruppen. Die beiden Königreiche
auf der einen, die Rheinufer-Staaten auf der anderen Seite waren ſich
der Gemeinſchaft ihrer Intereſſen bewußt geworden. Eben dieſe Son-
derung zweier Gruppen führte dann zu neuen Einigungsverſuchen. Baden
ſchloß mit Darmſtadt (10. Septbr. 1824) einen Vertrag, der den eigenen
Producten der beiden Staaten einige Erleichterung gewährte, und ſendete
*) Küſter’s Bericht, 3. Okt. 1824.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/640>, abgerufen am 16.07.2024.
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